Josef Baierlein
Im Wüstensand
Josef Baierlein

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10.

Noch länger als zwei Stunden dauerte der Marsch; dann zeigte das Trompetensignal an, daß die erste Etappe in der Wüste erreicht war.

Leicht begreiflich kamen unsere deutschen Freunde sehr ermüdet bei dem zur Haltestelle ausersehenen artesischen Brunnen an. Um so erquickender gestaltete sich jedoch die wohlverdiente Ruhe nach den Beschwerden der heutigen Reise. Bald waren die Zelte aufgeschlagen; dann wurden die Reit- und Lasttiere gefüttert und getränkt, und nachdem dies geschehen, ein schmackhaftes Nachtessen auf dem Spirituskocher hergestellt. Die Soldaten hatten zu diesem Zweck Holz von El Ibel mitgebracht, weil es in der Wüste nirgends, – die Oasen ausgenommen, – Brennmaterial gibt. Ei, wie mundeten unseren Deutschen das angewärmte Büchsenfleisch, das konservierte Gemüse und die getrockneten Früchte! Der Rotwein von Medea, mit dem Wasser des 88 Brunnens vermischt, würzte das Mahl und regte die Gesättigten zu lebhaften Gesprächen an, unter denen sie die tagsüber ausgestandenen kleinen Leiden schnell vergaßen.

Um den Brunnen herum, der den Wüstenreisenden als Lagerstelle diente, breitet sich heutigestags schon eine ziemlich große, mit saftigem Gras, Kastanien und wilden Olivenbäumen, sowie mit Kakteen und Dattelpalmen bewachsene Fläche aus, die ihr Entstehen der vom Brunnen ausströmenden Feuchtigkeit verdankt. Mit Sicherheit läßt sich voraussagen, daß jener grüne Fleck in der steinigen Hamada sich mit der Zeit noch zu einer üppigen Oase entfalten wird. Damals aber, – es waren seit Bohrung des Brunnens erst acht Jahre verstrichen, – konnte man in seiner Umgebung nur wenig von beginnender Vegetation entdecken.

Immerhin sproßten an seinem Rand und an den Ufern des unscheinbaren Bächleins, das sich aus seinem abfließenden Wasser gebildet hatte, bereits verschiedene Arten von Flechten, Mimosen und Kaktuspflanzen, die ersten Anzeichen, daß die schaffende, niemals ruhende Natur Hand anlegte, dem edelsten Geschöpf Gottes, dem Menschen, auch in diesem Chaos von Stein und Felstrümmern eine 89 Stätte zu bereiten, an der die Bedingungen seines Lebens gegeben waren. –

Auf der einen Seite des Brunnens hatten die Soldaten sich gelagert und ihre Zelte aufgeschlagen; auf der andern die deutschen Reisenden und die Kameltreiber. Kurz nachdem die Schatten des Abends sich auf die Wüste herabgesenkt hatten, traf aber noch eine andere Reisegesellschaft ein. Es schienen Kaufleute zu sein, weil sie eine Anzahl bepackter Kamele mitführten, und sie waren von Norden her gekommen, also aus der gleichen Richtung wie unsere Freunde. Die Fremden mußten in einiger Entfernung hinter ihnen drein gezogen sein.

Sie hielten sich abseits von den bereits Lagernden, schlugen ihre Zelte auch nicht in deren Nähe, sondern etwa in Steinwurfsweite von ihnen auf und verkehrten mit niemand. Übrigens wäre es auch schon viel zu spät gewesen, Bekanntschaft mit den früher Angekommenen anzuknüpfen; denn noch während sie die Vorbereitungen für ihre Nachtruhe trafen, machte die Dämmerung nächtlichem Dunkel Platz. Daß aber die Fremden Bekenner des Islams waren, unterlag keinem Zweifel; denn als gleich bei ihrer Ankunft die Sonne unterging, hatten sie sich 90 auf ihre Gebetsteppiche niedergekniet und, das Gesicht nach Mekka gewendet, die den Mohammedanern als Abendandacht vorgeschriebene SureDer Koran, das in orientalischer Sprache abgefaßte Religionsbuch der Mohammedaner, ist in Suren abgeteilt, wie die christliche Bibel in Kapitel. des Korans gebetet. –

Stille war es geworden am Wüstenbrunnen. Die Nacht hatte ihren mit glänzenden Sternen bestickten Schleier über die schlummernde Erde gebreitet; Mensch und Tier ruhten aus vom überstandenen Tagewerk.

Die Nächte in der Sahara sind niemals ganz finster. Infolge der fast absoluten Trockenheit ist die Luft dort so transparent, daß die Sterne groß wie feurige Kugeln am Firmament glühen und selbst bei Neumond ein starkes Zwielicht aussenden. Steht aber der Vollmond mit am Himmel, wie es in jener Nacht der Fall war, dann wird die Wüste so erhellt, daß man auch ziemlich entlegene Gegenstände sehen und unterscheiden kann.

Hätten also die deutschen Reisenden in jener Nacht nicht insgesamt geschlafen, sondern wäre einer von ihnen vor seinem Zelt gesessen, so hätte er sehen können, daß sich, als 91 alles am Brunnen still geworden war, von der Lagerstelle der zuletzt angekommenen Gesellschaft zwei Gestalten wegschlichen und im tiefen Schatten eines in der Nähe liegenden großen Felsblocks verschwanden.

Zwei Männer waren es; der eine, hoch gewachsen und stark gebaut, in eine verschlissene Samtjoppe und ähnliche Hosen gekleidet, trug einen roten Fez mit blauer Troddel auf dem Kopf, hatte Lederschuhe an den Füßen und einen Gürtel aus roter Wolle um den Leib geschlungen. Sein gelblich bleiches Gesicht, das straffe schwarze Haar und die funkelnden Augen kennzeichneten ihn als Südeuropäer. Er stammte aus Sizilien und gehörte zu der großen Schar von italienischen Arbeitern, die am Bau der Eisenbahn von Algier nach Blida beschäftigt gewesen waren. Nachdem die Bahn in Betrieb kam, fanden viele von ihnen kein Brot mehr; denn die weitere Strecke Blida-Miliana-Orleansville war 1863 nur traciert und wurde erst später in Angriff genommen. In Erwartung dieser neuen Arbeitsgelegenheit zogen nun zahlreiche Italiener in Algerien plan- und ziellos herum, griffen zu, wo sie etwas zu verdienen fanden, und wenn nicht, dann bettelten sie oder trieben Ärgeres. Ein solcher Landstreicher, der von 92 der Hand in den Mund lebte, war auch der Sizilianer Taddeo Garbani.

Sein Begleiter, ein alter Araber mit tiefliegenden Augen und weißem Vollbart, war in einen Kaftan gekleidet und seinen Kopf bedeckte ein unsauberer Turban. Als die beiden im Schatten des Felsblocks, der sie allen etwa noch offenen Augen vollständig verbarg, angelangt waren, begannen sie im Flüsterton ein Gespräch. Sie führten es in der Lingua franca, einem Gemisch von Italienisch, Französisch und Arabisch, das von allen Bewohnern der Mittelmeerküsten verstanden wird und deshalb auch in Algerien als Verkehrssprache zwischen Italienern und Arabern dient.

»Hier sind wir sicher. Hier sieht und hört uns niemand,« sagte der Sizilianer zu seinem Gefährten. »Drum schau dort hinüber und dann beantworte mir die Frage: Sind wir auf der rechten Spur? Sind das die Fremden, von denen du mir heute morgens gesprochen hast?«

»Es war, als wir ankamen, zu spät, als daß ich noch einen von ihnen zu Gesicht bekommen hätte,« erwiderte der andere; »aber sie müssen es sein. Denn dort lagern die Soldaten, mit denen sie von El Ibel abgeritten 93 sind. Auch ist keine andere Quelle in der Nähe, an der sie hätten haltmachen können.«

»Und sind sie wirklich so reich?«

»Wenn sie nicht viel Geld bei sich trügen, so würde mir die Frau des fremden Sidi gewiß keinen Scudo geschenkt haben. Denke dir doch: ohne Besinnen einen ganzen silbernen Scudo!«

»Dann will ich gleich hinüber. Vielleicht gelingt es mir, schon in dieser Nacht das Geld zu holen.«

»Bist du toll? Ein Versehen, ein Zufall kann das Unternehmen für immer vereiteln.«

»Ich bin gewandt und schlau; auch verstehe ich zu schleichen. Mein Schritt ist leiser als der des Panthers. Ich will den Zelten der Fremden einen Besuch machen und spähen, wo sie ihre Marenghi aufbewahren. Wenn sie die Scudi achtlos verschenken, dann besitzen sie jedenfalls auch Gold – viel Gold.«

»Nein! Ich leide es nicht, daß du sie schon heute überfällst. Die Dschinns könnten dir ein Hindernis in den Weg legen, und wenn der Plan mißlänge, wäre auch mein Anteil an der Beute verloren. Der geringste Lärm, ja 94 schon ein lautes Wort könnte den Wachtposten der Chasseurs aufmerksam machen, und beim ersten Hilferuf hätten wir sie alle auf dem Hals. Drum ist es viel besser, die Ausführung unserer Absicht zu verschieben, bis die Soldaten sich von den Fremden getrennt haben. Dies soll, wie ich von ihren Kameltreibern weiß, schon in El Aghuat geschehen. Also haben wir nur noch zwei Tagereisen zu machen; dann will ich dir freie Hand lassen. – Horch, was ist das? – – –«

Ein langgezogenes Heulen, das in einem lauten kläffenden Bellen endigte, erschallte ganz in der Nähe und wurde in einiger Entfernung ähnlich beantwortet. Der alte Araber klammerte sich erschrocken an der Schulter des Sizilianers an.

»Feige Memme!« sagte dieser, ihn abschüttelnd, »hat die Furcht dich taub gemacht, daß du das Geheul des Wüstenhunds nicht mehr erkennst? Ein Schakal ist's, der mit seinem Weibchen den Durst stillen wollte, und nun viele Menschen beim Brunnen findet. Drum wagt er nicht herzukommen.«

»Er heulte so plötzlich – – und ich dachte gerade an die Dschinns,« entgegnete der Alte kleinlaut.

95 »Die Dschinns oder der Satan selbst haben das Vieh allerdings gegen uns losgelassen; denn jetzt ist wirklich nicht mehr daran zu denken, daß ich zu den Fremden hinüberschleiche. Schon werden die Pferde unruhig; sie haben die Schakale gewittert und werden bald das ganze Lager aufstören. Komm', wir wollen zurück zu unserem Zelt! Es ist in der Tat besser, die Nacht zu verschlafen.« –

Aber nicht nur die Pferde hatten die Schakale gewittert, sondern auch Walters Esel, und der gab sein Mißfallen an den nächtlichen Herumstreunern und ihrem die Ohren beleidigenden Geheul durch ein so schmetterndes Yah kund, daß der Knabe aus dem Schlaf auffuhr, sich aus den Decken schälte und vor sein Zelt hinaustrat, um zu schauen, was es gäbe.

Er sah aber nur zwei Männer, die auf ein Zelt zugingen, das zum Lager der zuletzt angekommenen Reisegesellschaft gehörte. Und als auf das Gesicht des einen jener Männer das volle Mondlicht fiel, hätte der Knabe darauf schwören mögen, daß es der alte Derwisch war, dem die Gräfin am Morgen ein Silberstück gereicht hatte.

Wie wäre aber der hieher gekommen? – 96

 


 


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