Josef Baierlein
Im Wüstensand
Josef Baierlein

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7.

Die Anwesenheit so vornehmer, durch Stand, Rang und Reichtum ausgezeichneter Fremden, wie der Graf von Dürrenstein und seine Gemahlin waren, die wegen ihrer Verwandtschaft mit einem regierenden deutschen Fürstengeschlecht noch ein eigener Schimmer von Hoheit umgab, konnte in Algier nicht lange unbemerkt bleiben. So sehr der Graf mit Rücksicht auf seine leidende Gattin auch seinerseits ein Stilleben in der schönen Villa gewünscht hätte, durfte er sich den gesellschaftlichen Pflichten doch nicht ganz entziehen.

Schon wenige Tage nach dem Einzug in die Villa erhielt er den Besuch des höchstgestellten Beamten, des Gouverneurs von Algerien, und damit schien für die ganze Fremdenkolonie von Algier das Zeichen gegeben zu sein, im Landhaus des deutschen Grafen zu Mustafa gleichfalls Visiten abzustatten. Denn von nun an drängten sich die Karossen der 57 vornehmen Welt von Algier vor dem Tor des die Villa einschließenden Gartens, und da im Jahre 1863 Frankreich und Deutschland noch in ungetrübt friedlichen Beziehungen zu einander standen, fehlten unter den zusprechenden Gästen auch nicht die Offiziere der in Algier garnisonierenden Regimenter.

Namentlich ein Offizier, den der Graf vor Jahren in Paris kennen gelernt hatte, benützte jetzt die Gelegenheit, die Bekanntschaft aufzufrischen und den früheren freundschaftlichen Verkehr wieder anzuknüpfen. Das war der Kommandant des in Algier stationierten Detachements der Chasseurs d'Afrique.Afrikanische Jäger; eine berittene Jägertruppe, die nur in Algerien zum Dienst verwendet wird. Er hieß Baron von Bülach, war ein Elsässer von Geburt und als solcher der deutschen und französischen Sprache in gleicher Weise mächtig. Zugleich war derselbe ein sehr sympathischer Herr von gewählten Umgangsformen, dennoch aber ein unerschrockener, erprobter, mit allen Gefahren des in Algerien niemals ganz zu Ende kommenden Wüstenkriegs durchaus vertrauter Soldat.

Unter den Besuchern der Villa sah die Gräfin diesen Offizier am liebsten, schon deshalb, 58 weil er sich so gerne mit dem jungen Walter unterhielt, von dem er sagte, er gleiche seinem jüngsten Bruder, der noch im elterlichen Schlosse zu Kolmar lebe, wie ein Ei dem andern. Durch die augenscheinliche Zuneigung zu ihrem Schützling schob sich der Baron bei der Gräfin einen großen Stein ins Brett.

Das Klima von Algier übte auf diese in der Tat eine sehr wohltätige Wirkung aus. Seit sie die afrikanische Erde betreten, hatten die Hustenanfälle bedeutend nachgelassen; alle Anzeichen deuteten auf eine fortschreitende Besserung ihres Leidens, und mit dem Gefühl der wiederkehrenden Gesundheit wuchs auch ihre neuerwachte Freude am Leben. Der Graf und der Arzt waren sehr zufrieden mit den Erfolgen der klimatischen Kur. –

Schon mehr als sechs Wochen waren verstrichen, seit unsere deutschen Freunde das Landhaus im Dorfe Mustafa bewohnten. In den Gärten von Roggenfeld streifte jetzt der Herbst die welken Blätter von den Bäumen, über dem Forst hingen schwere dunkle Wolken, die von Zeit zu Zeit kalte Regengüsse zur Erde sandten, und die letzten Astern vor den Fenstern der Bauernhäuser mahnten an den nahen Winter.

59 Ganz anders in Afrika. Da stand die Sonne noch brennend heiß am wolkenlosen Firmament, laue Winde wehten vom Meere her, in der Luft duftete das Aroma von unzähligen Blütenkelchen, und fast ein Monat lang war kein Regen gefallen, der den Staub der Straßen gelöscht und die dürstende Vegetation erquickt hätte.

An einem besonders warmen Abend im November lustwandelte die Gräfin mit ihrem Gemahl, mit Walter und dem Baron von Bülach im Garten der Villa.

»Ich fühle mich heute so wohl,« sagte sie im Laufe des Gesprächs zum Grafen, »und meine Brust atmet so leicht und regelmäßig, daß ich an meiner baldigen Genesung kaum mehr zweifeln kann. Weil der Mensch aber niemals ganz zufrieden ist, so habe auch ich schon wieder einen anderen Wunsch, als nur den, recht schnell gesund zu werden.«

Der Graf war hoch erfreut, daß seine bisher für alles gleichgültige Frau endlich aus ihrer Apathie heraustrat.

»Was für ein Wunsch könnte das sein?« fragte er deshalb freundlich. »Du weißt, daß ich kein größeres Vergnügen kenne, als dir jeden Gefallen zu erweisen, der in meiner Macht steht.«

60 »Halte mich nicht für kindisch« erwiderte sie, »weil mir vor dem Gedanken graut, die mir liebgewordene Zurückgezogenheit aufgeben zu müssen, sobald ich wieder völlig hergestellt bin. Wie still war es im Roggenfelder Waldschloß! Wie ruhig floß mein Leben in diesem Landhause hin! Der ungestörten Einsamkeit, die ich nur zu unterbrechen brauchte, wenn ich selbst einmal Gäste empfangen wollte, schreibe ich die Wiederkehr meiner Gesundheit vornehmlich mit zu. Das wird aber alles anders werden, sobald ich ganz geheilt bin; denn dann kann ich mich den Anforderungen, die das gesellschaftliche Leben auch an mich stellt, nicht mehr entschlagen. Gleichwohl habe ich eine Art Angst vor dem Trubel der großen Welt und ich möchte viel lieber noch eine Zeit an einem Ort zubringen, wo ich mich ganz ungestört fühle, wäre es auch in einer entlegenen Gegend – meinetwegen in der Abgeschiedenheit einer Oase.«

»Das also ist dein Wunsch?« sagte der Graf lächelnd. »Nun, ich finde ihn durchaus nicht übel, um so weniger, als dir der Aufenthalt an der Meeresküste im Winter kaum recht zusagen dürfte. In Algier und den umliegenden Bergen fällt ja manchmal sogar Schnee. Davon würdest du in einer Oase im 61 Innern des Landes und ringsum vom Wüstensand umgeben allerdings nichts zu befürchten haben.«

»Überdies läßt der Wunsch der gnädigsten Gräfin sich gerade jetzt sehr leicht erfüllen,« bemerkte da der Baron Bülach.

»Wieso?« fragte der Graf.

»Ich habe vom kommandierenden General Order erhalten, mit meinen Jägern eine Abteilung unserer Fremdenlegion abzulösen, die schon seit mehreren Monaten weit im Süden des Departements Algier, nämlich in Ain Massin stationiert ist. Wenn Sie, Herr Graf, sich meiner Truppe anschließen wollen, können Sie die Reise nach dem Innern und durch die Sahara in völliger Sicherheit unternehmen.«

»Vorausgesetzt, daß der Arzt meiner Frau diese Reise erlaubt, nehme ich Ihr freundliches Anerbieten mit größtem Danke an.«

»Freilich möchte ich Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin nicht raten, uns bis Ain Massin zu begleiten,« fuhr der Baron fort. »Denn dort drunten, tief in der Wüste drinn, streifen immer kriegslustige, räuberische Beduinen herum und zwingen uns, unausgesetzt auf dem Qui-vive? zu sein. Jene Gegenden sind 62 alle für einen Erholungsaufenthalt nicht geeignet, weil auf den Europäer überall Gefahren lauern. Dagegen treffen wir schon acht Tagereisen von hier auf eine Oase, die allen Wünschen der Frau Gräfin entsprechen wird. Es ist das die Wah el Aghuat, die wegen ihrer üppigen Vegetation und ihres Wasserreichtums berühmteste Oase in der algierischen nördlichen Sahara. Sie liegt etwa sechzig Kilometer innerhalb des Randes der Wüste, und dort findet Ihre Frau Gemahlin auch die Einsamkeit, nach welcher sie sich sehnt. Sie braucht nur ihr Zelt, wo es ihr beliebt, an einer Quelle unter Dattelpalmen oder Mastixbäumen aufzuschlagen, und niemand wird sie stören. Wünscht sie aber Leute zu sehen, dann gibt es deren in der Stadt El Aghuat, wenn man die mit Lehmmauern umgebene Niederlassung von einigen Tausend seßhaften Arabern eine Stadt nennen darf.«

»Herr Baron,« unterbrach Walter, der dem deutsch geführten Gespräch mit stets sich steigerndem Interesse zugehorcht hatte, den Redenden, »gibt es in jener Oase auch Löwen?«

»Nein, mein Junge,« erwiderte der Offizier lachend, »solche gibt es dort nicht, und 63 wenn im Großen Atlas, dem höchsten Gebirge Algeriens, in der Tat noch welche hausen sollten, wie behauptet wird, so habe wenigstens ich noch keinen davon zu Gesicht bekommen, obwohl ich schon mehr als zehn Jahre in dieser Kolonie lebe. Mir scheint, man hat mit dem gefährlichen Raubzeug überall, wo die französische Trikolore weht, schon tüchtig aufgeräumt. Dagegen unterliegt es keinem Zweifel, daß es in Südafrika noch Löwen in unerwünschter Menge gibt.«

»Ist es weit bis dahin?« fragte der Knabe.

»Du möchtest wohl gerne eine Löwenjagd mitmachen?« meinte der Baron ergötzt. »Das ist für diesmal allerdings nicht möglich; denn die Jagdgründe, wo man sich an Löwen heranbirscht, liegen einige Tausend Kilometer von Wah el Aghuat entfernt. Aber tröste dich! Wenn die Frau Gräfin dich nach der Oase mitnimmt, wird dir auf dem Weg durchs Gebirg und auf dem Marsch durch die Wüste sicher so viel Neues aufstoßen, daß du gerne darauf verzichtest, einem Löwen in der Freiheit zu begegnen.«

Walter konnte einen tiefen Seufzer nicht unterdrücken. Er hatte geglaubt, in Afrika kämen die Löwen so häufig vor wie in 64 Deutschland die Hasen, und diese Vorstellung hatte mit dazu beigetragen, seine Begierde, den fremden Erdteil zu sehen, mächtig zu steigern. Und nun erfuhr er, daß der »König der Tiere« dort in weiten Gebieten fast ganz ausgerottet ist und daß man ihn kurzweg unter das Raubzeug rechnete! –

Der Plan, den Winter in einer Oase zuzubringen, wurde noch nach allen Seiten überlegt und durchgesprochen. Schließlich einigte man sich, da auch der deutsche Arzt keine Einwendung gegen die Reise erhob, wirklich dahin, diese unter dem Schutz der französischen Reiter zu machen und sie nach dem Rate des Barons nur bis Wah el Aghuat auszudehnen. Der Baron erwies sich auch nach einer anderen Seite hin als uneigennütziger und bewährter Ratgeber, indem er dem Grafen beim Einkauf der für den Marsch ins Innere des Landes und einen längeren Aufenthalt daselbst nötigen oder nützlichen Gegenstände half. Er selbst wählte in den Basars die Zelte und Teppiche, die Waffen und den Schießbedarf, die Lebensmittel und Konserven, überhaupt den Reisebedarf der deutschen Gesellschaft aus, und die Händler hatten vor seiner Uniform einen solchen Respekt, daß sie es nicht wagten, den Grafen allzusehr über das Ohr zu hauen. 65 Bei fremden Käufern geschieht nämlich solches in der Regel.

Die Vorbereitungen zur Reise in die Wüste waren daher bald und nach Wunsch erledigt. Am Tage, an welchem die Chasseurs d'Afrique ihren Marschbefehl erhielten, machte der Baron seinen letzten Besuch in der Villa zu Mustafa.

»Sie tun am besten, Herr Graf,« sagte er, »wenn Sie morgen abends von hier aufbrechen und bis Blida die seit vorigem Jahr eröffnete Eisenbahn benützen. Da ich schon heute mit meiner Truppe abmarschieren muß, treffen wir in Blida wieder zusammen. Dort mieten wir die für Ihre Begleitung nötigen Reittiere sowie Kamele zur Fortschaffung des Gepäckes. Für Sie aber, Herr Graf, lasse ich ein gutes arabisches Pferd aus meinem eigenen Marstall mitführen, das in Blida gleichfalls zu Ihrer Verfügung stehen wird.«

Der Graf drückte dem Offizier voll dankbarer Anerkennung die Hand. Nicht jeder Fremde findet in Algier, wo abenteuerndes Gesindel aus der ganzen Welt sich ein Stelldichein gibt, einen wahren Freund. Es wird auch nicht jedem so leicht gemacht, eine Reise ins Innere des Landes anzutreten. 66

 


 


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