Josef Baierlein
Unschuldig verurteilt
Josef Baierlein

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VIII.

General Wrede war mit seiner Begleitung im Biwak, das der Wachtmannschaft zum Lagerplatz gedient hatte, angekommen. Mit strenger, Unheil verkündender Miene hielt er auf seinem Schlachtroß still und erteilte dem Oberst des Regiments einen halblauten Befehl.

Sofort ließ dieser die Truppen ein großes Viereck bilden, in dessen Mitte der General und die Stabsoffiziere ihre Aufstellung nahmen. Auch der Geistliche und die Landleute blieben dort stehen. Das alles war so außergewöhnlich und ging mit solch absonderlichem Ernst vor sich, daß in den Reihen der Krieger eine bedrückende Stille herrschte. In Erwartung des jedenfalls sehr unliebsamen Ereignisses, das sich hier unter ihren Augen vorbereitete, wagten die Leute kaum Atem zu schöpfen.

»Soldaten!« nahm der General, nachdem das Viereck geschlossen war, mit weithin schallender Stimme das Wort. »Ich wollte euer ganzes Regiment vollzählig um mich versammelt sehen und ließ deshalb die nicht im Dienst befindlichen Kompagnien 45 gleichfalls hierher ins Biwak marschieren. Wie mir nämlich dieser geistliche Herr und die Landleute, welche ihn als Dorfobrigkeit begleiten, heute in aller Frühe meldeten, ist in der vergangenen Nacht in Großauheim ein schwerer Frevel begangen worden. Die dortige Kirche wurde erbrochen, das Tabernakel aufgesprengt, der Altarkelch gestohlen und die geweihten Hostien achtlos auf den Boden geschüttet. Mit diesem entsetzlichen Raub war aber der unbekannte Dieb nicht zufrieden. Der Bösewicht hat auch vom Mantel der auf dem Altar stehenden Muttergottes-Statue die daran hängenden alten Silbertaler und einige Goldmünzen abgeschnitten! – Und nun höret, Soldaten! Der Lump, welcher diese ruchlose Tat begangen hat, soll einer von eueren Kameraden sein. Hochwürdiger Herr«, wandte er sich, sich selbst unterbrechend, an den Geistlichen; »ist keine Täuschung möglich. Auf dem verübten Verbrechen steht die Todesstrafe, und ich muß deshalb volle Gewißheit haben.«

»Nein, Herr General«, antwortete der Priester fest; »ich habe mich nicht getäuscht. Der Mond stand im vollen Glanz am Himmel, und als ich, von einem verdächtigen Zuschlagen des Kirchenportals aus dem Schlaf aufgeschreckt, eiligst aus dem Bett sprang und zu einem Fenster meines Pfarrhauses hinaussah, erkannte ich im Mondschein in dem Mann, welcher eben über die Mauer des Kirchhofs kletterte und hierauf in der Dorfgasse verschwand, einen 46 Angehörigen dieses Regiments. Ich hatte das Regiment am Tage durch Großauheim marschieren sehen und mir dabei die Farbe der Kragen und der Aufschläge genau betrachtet. Auch jetzt unterschied ich bei der Beleuchtung deutlich den roten Kragen und die roten Aufschläge, die vom blauen Waffenrock unverkennbar abstachen. Ich wage es mit Bestimmtheit zu behaupten, daß der Einbrecher ein Soldat dieses Regiments gewesen sein muß.«

»In diesem Falle, Herr Pfarrer, werden wir den Raub noch bei ihm finden. Denn sobald Sie und Ihre Gemeindebeamten mir Anzeige von der Freveltat erstattet hatten, ließ ich das Regiment hier versammeln. Es ist jetzt vollzählig, und der Schurke kann noch keine Zeit gefunden haben, die Beweise seiner Schuld beiseite zu schaffen. Wehe aber dem, der diese horrende Schande über das Regiment, – nein, über die ganze bayerische Armee gebracht hat, angesichts der mit uns verbündeten Österreicher und der in unsrer nächsten Nähe stehenden feindlichen Vorhut!«

Die Züge des Generals drückten nicht nur tiefe schmerzliche Erregung aus, sondern auch einen unbeugsamen Entschluß, als er das Wort wieder an den Kommandeur des Regiments richtete:

»Herr Oberst! Lassen Sie eine genaue Untersuchung der Effekten sämtlicher Mannschaften vornehmen. Wenn nötig, sind die Leute bis auf den bloßen Leib zu visitieren!«

47 Eine Minute darauf waren schon die Glieder geöffnet, und in jeder Kompagnie ertönte von Zug zu Zug der Befehl: »Die Brotbeutel herab und ihren Inhalt auf den Boden breiten.«

Der General stieg vom Pferde und begann, vom Oberst und den Offizieren der einzelnen Kompagnien begleitet, die mannigfachen Gegenstände zu mustern, die zu Füßen der Soldaten lagen. Langsam schritt er die Fronten des Vierecks ab, aber sein scharfes Auge fand nirgends etwas, das auf den Diebstahl hingewiesen hätte.

Und schon erschallte ein neues Kommando: »Die Tornister herab und aufgeschnallt!«

Dieser Befehl erforderte zur Ausführung etwas längere Zeit, weil die Tornister wegen der vielen Dinge, welche ein Soldat damals mitschleppen mußte, ganz vollgepfropft waren.

Plötzlich erscholl von jener Stelle des Vierecks her, wo die Kompagnie stand, die in der vergangenen Nacht den Vorpostendienst versehen hatte ein heiserer Schrei. Es klang, als hätte ihn ein Mensch in jähem Erschrecken oder in höchster Seelenpein ausgestoßen.

»Was gibt's? Was ist los?« rief der aufmerksam gewordene General.

»Der Kelch ist gefunden«, meldete ein Unteroffizier mit lauter Stimme, indem er das glänzende, schön verzierte Kunstwerk mit ausgestrecktem Arme in die Höhe hielt.

48 Durch die Reihen der Soldaten lief ein schauderndes Erbeben. Jeder fühlte, daß von diesem Augenblick an auf dem Namen des Regiments eine Schmach ruhte, die nur mit dem Blute des Missetäters gesühnt werden konnte.

General Wrede kam eiligen Schritts mit dem Pfarrer und den Bauern auf den Unteroffizier zu, der den Kelch in der Hand hatte.

»Hochwürdiger Herr!« sagte er. »Ist dieses Ihr gestohlener Altarkelch?«

Der Pfarrer warf nur einen forschenden Blick auf das Objekt; dann antwortete er mit größter Bestimmtheit: »Gewiß, das ist er; es ist nicht der geringste Zweifel möglich.«

Auch die Bauern bestätigten dies einstimmig.

Aus Wredes Augen sprühte der Zorn, als er nun das Wort an den Unteroffizier richtete.

»Feldwebel! In wessen Tornister wurde der Kelch gefunden?«

»Im Tornister dieses Mannes hier, Herr General!«

»Wie heißt du?« herrschte der Feldherr den ihm bezeichneten Soldaten an.

»Wolfgang Schmiedkonz«, ertönte es heiser von den Lippen des Ärmsten, dessen Gesicht weiß war, wie eine Kalkwand. »Aber Herr General! So wahr ein Gott im Himmel lebt, – bei allem, was heilig ist, – bei meiner Soldatenehre: ich habe den Kelch nicht gestohlen!«

49 Er hob die Schwurfinger der rechten Hand empor, als wolle er den allwissenden Gott zum Zeugen der Wahrheit seiner Beteuerungen anrufen.«

»Schweig, Unseliger!« gebot ihm der General. »Unterstehst du dich wirklich zu leugnen, wo der Beweis deiner Schuld sonnenklar vor Augen liegt, – wo der geraubte Kelch selbst dich anklagt und gegen dich zeugt? Und meinst du, deine Schwüre hätten irgendeinen Wert? Der Eid eines Kirchenräubers, eines Verworfenen, welcher die heiligen Hostien schändete, gilt weniger als ein Windhauch.«

»Ach, ich habe den Kelch nicht gestohlen! Ich weiß nicht, wie er in meinen Tornister kam,« versicherte Wolfgang, dem die Schwere des furchtbaren Verdachtes die Besinnung raubte. Sonst hätte er sich vielleicht doch erinnert, daß der rote Sepp kurz zuvor sich etwas mit seinem Tornister zu schaffen gemacht hatte. Aber in seiner harmlosen Gutmütigkeit glaubte Wolfgang noch immer, Binder hätte ihm damit nur einen Freundschaftsdienst erwiesen.

Wrede schenkte den weiteren Versicherungen und beschwörenden Worten Wolfgangs keine Beachtung mehr.

»Untersucht seine Taschen!« befahl er. »Man wird auch die gestohlenen Münzen bei ihm finden.«

Doch von diesen fand sich bei Schmiedkonz nichts vor. Obwohl seine Taschen, Kleider, Hemden, kurz seine ganze Habe mit peinlichster Genauigkeit 50 durchstöbert wurde, zeigte sich doch, daß er nur einige neue Guldenstücke besaß, von denen er angab, sie seien ihm von seinen Eltern vor dem Abmarsch des Regiments aus Amberg als Zehr- und Notpfennig zugeschickt worden.

»Er wird die alten Taler und Goldmünzen wohl heimlich fortgeworfen haben«, meinte der General. »Der Kelch genügt jedoch vollständig zu seiner Überführung. – Herr Oberst! Lassen Sie die Truppen nach Hanau zurückmarschieren. Der Kirchendieb ist in strengen Arrest zu bringen und dem Kriegsgericht vorzuführen. Dasselbe tritt in einer Stunde zusammen, und ich selbst werde den Vorsitz führen.« 51

 


 


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