Josef Baierlein
Unschuldig verurteilt
Josef Baierlein

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II.

Nach einem tiefbewegten Abschied von seinen schmerzerfüllten Eltern machte Wolfgang Schmiedkonz sich auf den Weg, um dem Befehl des Gerichts nachzukommen. Er war ein schöner Jüngling von hohem schlanken Wuchs und guter Haltung. Auf seinen Wangen lag das Rot der Gesundheit; die Augen schauten frei und mutig in die Welt, und die einnehmenden Züge seines Gesichts verrieten ein gutes Gewissen und ein unverdorbenes Herz. Schon sein Äußeres ließ darauf schließen, daß er einen tüchtigen Soldaten abgeben würde, und da ihm auch kein innerliches Gebrechen anhaftete, war kein Zweifel möglich, daß er zum Militärdienst tauglich war. Wolfgang hatte sich auch keinen Augenblick der Hoffnung hingegeben, etwa doch frei zu werden. Obwohl er nach dem Tod seiner zwei älteren, im russischen Krieg gefallenen Brüder nur mehr die einzige Stütze seiner alten Eltern war, und es ihn schwer bekümmerte, sie jetzt allein und sich selbst überlassen zu wissen, war ihm doch zu gut bekannt, daß auf diesen Umstand in den damaligen kriegerischen Zeitläuften keine Rücksicht genommen wurde. Napoleon verbrauchte 7 so viel Menschenmaterial und hatte gerade jetzt, nach den schrecklichen Verlusten in Rußland, so dringend neue Soldaten nötig, daß er in der Einziehung der Blutsteuer unersättlich war. Er schonte nicht einmal Frankreich, sein eigenes Land, sondern ließ fortgesetzt neue Rekruten ausheben, bis man darin, wie gleichzeitige Geschichtsschreiber versichern, fast nichts anderes mehr fand, als Kinder, Greise und Krüppel. Noch viel weniger Erbarmen hatte er mit den ihm verbündeten deutschen Ländern, und da der bayerische König Max Joseph I. dem Rheinbund angehörte, wurden auch in Bayern die dezimierten Regimenter stets wieder durch frische Rekruten ergänzt. Wer nur eine Muskete tragen konnte, wurde als Soldat eingereiht; einzig die offenbaren Krüppel und jene Militärpflichtigen, welche an einer ansteckenden oder einer unheilbaren innerlichen Krankheit litten, ließ man wieder laufen.

Für Wolfgang Schmiedkonz bestand also nicht die geringste Aussicht, von den Soldaten frei zu kommen, um so weniger, als es ihm gegen Ehre und Gewissen ging, das verwerfliche Beispiel solcher Rekruten nachzuahmen, welche aus Furcht vor dem Kriegsdienst entweder sich selbst verstümmelten oder schwere Krankheiten simulierten. Er nahm sich vielmehr vor, stets die Mahnung zu befolgen, welche ihm seine braven Eltern beim Abschied eingeprägt hatten: in allen Dingen Gott vor Augen zu haben und nach seinem heiligsten Willen zu handeln und zu leben. –

8 Als Wolfgang in Waldsassen ankam, traf er dort mit ungefähr fünfzig Schicksalsgenossen zusammen, die, auf diesen Tag aus dem ganzen Gerichtsbezirk vorgeladen, die Abreise nach Amberg zu ihrem Regiment erwarteten. Nachdem die Schar vollzählig war, zögerte man auch nicht lange mit dem Aufbruch; ein Gerichtsdiener stellte sich an ihre Spitze und fort ging es über Tirschenreuth und Weiden der den meisten Rekruten noch unbekannten Garnisonsstadt entgegen. Aber es war ein trauriger Zug. Auf den jungen Leuten lastete ein schwerer Druck. Der Gedanke, welche ungewisse Zukunft sie erwartete, ließ ebensowenig eine fröhliche Stimmung laut werden, wie das niederdrückende Bewußtsein, daß sie für die Interessen eines fremden, ihnen verhaßten Eroberers fechten mußten, auch wenn sie unter den Fahnen des eigenen Königs kämpften.

Da die Reise noch nicht in militärischer Marschordnung vor sich ging, bildeten sich bald Gruppen von solchen, die, aus der nämlichen Ortschaft oder Gegend stammend, einander bekannt waren, und deshalb in kleinen Abteilungen zusammen wanderten.

Auch zu Wolfgang gesellte sich auf dem Wege zwischen Schönficht und Neustadt ein derartiger Kamerad. Es war ein Hirtensohn aus Großensees, namens Joseph Binder, und weil die Gemeindefluren von Zirkenreuth und Großensees nur durch einen kleinen, der Wondreb zufließenden Bach getrennt sind, 9 hatte Wolfgang öfter Gelegenheit gehabt, den jungen Menschen zu sehen und einige Worte mit ihm zu wechseln.

In näherem Verkehr waren die beiden nicht gestanden; denn die Familie des roten Sepp, wie er wegen seiner Haarfarbe im Volksmund kurzweg hieß, erfreute sich keines allerbesten Rufs. Obwohl man den Leuten nichts positiv Schlechtes nachsagen konnte, hielt sich doch in dem abseits vom Dorf Großensees gelegenen Hirtenhaus manchmal verschiedenes Gesindel auf, an dem es in der Gegend wegen der nahen böhmischen Grenze und bei den unruhigen Zeiten nicht fehlte. Auch galt der Vater des roten Sepp, der alte Hirt Binder, für einen Hexenmeister und Teufelsbanner. Er sollte einen Erdspiegel haben, mittels dessen man Diebe entdecken, und eine Haselgerte, mit der man ein Hagelwetter machen konnte.

Obwohl nun Wolfgang nicht im geringsten abergläubisch war und solch tolles Gerede gründlich verachtete, hielt er doch keinen vertrauten Umgang mit den Hirtenleuten. Es waren schon viele Felddiebstähle vorgekommen, deren man sie oder die bei ihnen Unterschlupf suchenden lichtscheuen Fremden zieh, und wer etwas auf Reputation hielt, ging ihnen daher lieber aus dem Wege.

Heute aber war es etwas anderes. Das gemeinsame Leid entfernte die Schranken der Zurückhaltung, und Wolfgang hatte keine Einwendung, daß der rote Sepp sich ihm anschloß. Sie waren auch 10 bald in ein lebhaftes Gespräch verwickelt, das sich hauptsächlich um die Zukunft drehte, die so unendlich düster vor den Rekruten lag.

»Mich wundert's, Sepp, daß du dein Los eigentlich ziemlich leicht nimmst«, sagte Wolfgang im Lauf der Unterhaltung zu seinem Gefährten. »Wir anderen sind alle so bekümmert, daß uns sogar das laute Reden schwer fällt. Du aber lachst immerfort und pfeifst dir sogar dann und wann ein lustiges Liedchen. Wie kommt das?«

»Das kommt davon, weil ich gewiß weiß, daß ich nicht zum Militär genommen werde«, gab der rote Sepp sorglos zur Antwort. »Ich werde bald wieder daheim sein im Großenseeser Hirtenhaus.«

»Das kannst du nicht so sicher wissen.«

»O ja! Denn ich bin untauglich.«

»Untauglich?« fragte Wolfgang, den Burschen von oben bis unten musternd, im Tone des Zweifels. »Das glaube, wer Lust dazu hat! Dir fehlt doch kein bißchen.«

»So? Ich habe aber Plattfüße.«

»Die werden dir in Amberg nicht vom Militär weghelfen, Sepp! Der Kaiser Napoleon braucht wieder einmal unmenschlich viel Soldaten, und da nimmt man die Sache nicht so genau. Denk nur an den Weberxander von Pfaffenreuth! Den haben sie voriges Jahr für tauglich erklärt, obwohl er ein steifes Knie hatte.«

Aber der rote Sepp beharrte bei seiner Versicherung. 11 »Mich müssen sie dennoch freilassen«, sagte er. »Ich habe nämlich nicht nur Plattfüße, sondern ich kenne auch das Geheimnis, wie man selbst dem gescheitesten Doktor weismachen kann, daß man ganz und gar unfähig ist, zu marschieren. Wenn ich drinn' in Amberg untersucht werde, sollen die Herren staunen. Denn meine Füße werden dann geschwollen sein wie ein Wassereimer, und so rot wie ein gesottener Krebs. Sie werden mehr einem Stück rohen Fleisches gleichsehen als menschlichen Gliedern.«

»Von wem hast du denn dieses Geheimnis gelernt?« fragte Wolfgang, dessen Interesse durch die anschauliche Schilderung Sepps unwillkürlich rege wurde.

»Ein Türkenweib hat mir's verraten, das neulich bei uns im Hirtenhaus über Nacht geblieben ist. Zum Lohn dafür hat sie mir die Kunst entdeckt, damit man mich niemals zu den Soldaten nehmen kann. Meinetwegen kann der Napoleon unzählige Leute brauchen; mich erwischt er doch nicht!

»Wie wird denn die Sache angestellt?« forschte Wolfgang des weiteren.

»Zahl mir einen Vierundzwanziger, dann sag' ich's!« antwortete der Bursch. »Du mußt mir aber zuvor mit Hand und Mund versprechen, daß du die Kunst nicht gleichzeitig mit mir anwendest. Sonst könnte der Doktor etwa doch Verdacht schöpfen, 12 wenn gleich zwei vorhanden wären, die das nämliche seltene Übel haben. Erst wenn ich frei bin, und sie dich behalten haben, darfst du mir's nachmachen. Dann müssen sie auch dich wieder heimschicken, weil sie glauben werden, du könntest unmöglich marschieren.«

»Ich geb' dir weder einen Vierundzwanziger«, sagte Wolfgang fest, »noch habe ich im Sinn, dein Geheimnis anzuwenden. Ich habe überhaupt nur aus Neugierde gefragt; ich erinnere mich aber jetzt, daß es besser ist, von solchen Dingen gar nichts zu wissen.«

»O«, meinte der rote Sepp, »ich weiß noch viele andere Sachen, die gerade für einen Soldaten von sehr großem Nutzen sind. Da ist gleich die Passauer Kunst. Gibt es etwas Schöneres, als sich kugelfest zu machen?«

»Auch davon will ich nichts hören«, betonte Wolfgang mit Entschiedenheit. »Der beste Panzer in der Schlacht ist der Schutz des allmächtigen Gottes.« – – 13

 


 


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