Josef Baierlein
Unschuldig verurteilt
Josef Baierlein

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IV.

Nachdem der rote Sepp aus dem Spital entlassen und neuerdings untersucht worden war, erfuhr er zu seiner namenlosen Bestürzung, daß er für kriegsdiensttauglich befunden und deshalb im Regiment eingereiht worden sei. Seine Plattfüße hatten ihn nicht frei gemacht, und die rasenden Schmerzen, welche ihm der siedende Essig verursachte, hatte er umsonst ausstehen müssen. Ehe er aber einer Kompagnie zugeteilt wurde, schickte ihn der Herr Oberst noch auf zwei Wochen in strengen Arrest. Dort konnte er, auf Latten liegend und jeden dritten Tag bei Wasser und Brot, über den glänzenden Erfolg nachdenken, den sein vielgepriesenes Kunststück erzielt hatte.

Mit dem besten Willen läßt sich nicht behaupten, daß diese von Joseph Binder schon in der ersten Zeit seines Militärdienstes gemachten Erfahrungen seine Liebe zum Soldatenstand gesteigert hätten. Dazu kam noch, daß die Unteroffiziere, denen die Abrichtung der Rekruten oblag, ihn als ertappten Simulanten doppelt streng behandelten, so daß Sepp keine Stunde 22 seines Lebens mehr froh wurde, sondern die Schinderei, wie er den Dienst heimlich nannte, aus tiefster Seele verwünschte.

Aber auch Wolfgang und die anderen Rekruten empfanden die Anforderungen, welche an sie gestellt wurden, sehr schwer. Da die durch den Krieg ins Regiment gerissenen Lücken schnellstens ergänzt werden mußten, weil von Tag zu Tag wieder ein Marschbefehl zu erwarten stand, wurden die Rekruten Hals über Kopf einexerziert, und weil täglich neue Militärpflichtige eintrafen, nahmen die Übungen vom frühen Morgen bis zum späten Abend kein Ende. Es war wirklich eine mühselige Zeit.

Hierzu gesellte sich die Ungewißheit, gegen welchen Feind man denn nächstens marschieren würde. Man wußte bereits, daß es in Preußen gärte und daß der dortige König, der allgemeinen Volksstimmung Rechnung tragend, schon am 17. März dem Kaiser Napoleon den Krieg erklärt hatte. Und nun schwirrten noch allerlei andere Gerüchte durch die Luft. Es hieß, auch Österreich überlege, ob es sich mit Preußen verbünden wolle, um mit diesem und Rußland vereint, gegen Napoleon loszuschlagen. In diesem Falle hätte die unter dem Oberbefehl des französischen Kaisers stehende bayerische Armee vielleicht sogar gegen deutsche Brüder kämpfen sollen. Dann aber hieß es wieder, auf Österreichs Hilfe dürften Rußland und Preußen sich keine Hoffnung machen; denn der Kaiser Franz I. sei einerseits jetzt der 23 Schwiegervater NapoleonsNachdem Napoleons erste kinderlose Ehe mit der Kaiserin Josephine geschieden worden war, vermählte er sich am 1. April 1810 mit der Erzherzogin Marie Luise, Tochter des Kaisers Franz I. von Österreich., andererseits werde er nach dem unglücklichen Ausgang des französisch-österreichischen Kriegs von 1809 jede Lust verloren haben, dem Gemahl seiner Tochter noch einmal als Feind gegenüberzutreten. Österreich werde sich also wahrscheinlich neutral verhalten und Gewehr bei Fuß zuerst abwarten, was Rußland und Preußen allein gegen Napoleon ausrichteten.

Die politische Lage erschien daher ganz ungewiß, und infolgedessen wurden die Rekruten unausgesetzt einexerziert und mitunter auch drangsaliert, ohne daß sie eine Ahnung hatten, welches Los die nächste Zukunft für sie aufgespart hätte.

Wolfgang und der rote Sepp dienten miteinander in der nämlichen Kompagnie. Eines Abends nun, als sie müde und hungrig vom Exerzierplatz eingerückt und eben darüber waren, ihre vom Pulverrauch des Scheibenschießens geschwärzten Gewehre zu reinigen, näherte Sepp sich seinem Kameraden, nahm auf der Holzbank neben ihm Platz und sagte:

»Leih mir ein wenig Baumöl zum Gewehrputzen, Schmiedkonz; das meinige ist auf die Neige gegangen.«

»Hier hast du mein Ölfläschlein; nimm dir, soviel du brauchst!« erwiderte Wolfgang.

24 Während Binder diese Erlaubnis benützte, flüsterte er dem andern ins Ohr:

»Das Öl ist nur eine Ausrede. Ich muß dir heimlich was sagen.«

»Ich will hinausgehen auf den Gang, wo wir allein sind. Dorthin kannst du mir dann nachkommen,« entgegnete Schmiedkonz.

Als die zwei Landsleute ungestört waren, begann Sepp zögernd und mit ersichtlicher Befangenheit:

»Sei mir nicht böse, – aber weil ich gesehen habe, daß du immer bei Geld bist – und du bist auch ein guter Mensch – nun ja denn – hilf mir also mit drei Guldenstückeln aus meiner Not!«

»Mußtest du mit dieser Bitte so heimlich tun?« sagte Wolfgang. »Im Mannschaftszimmer drinnen hättest du mir das keck ebenso anvertrauen dürfen. Übrigens, – ich habe zwar noch einiges Geld, welches mir meine Eltern mitgegeben haben; aber gleich drei Gulden – das ist viel. Wozu brauchst du denn das Geld?«

»Gerade deshalb wollte ich ja heimlich mit dir reden. Weißt du, Schmiedkonz,« brach er los, »ich halt' dieses Leben nicht mehr länger aus. Ich brenne durch.«

»Du willst dissendieren?« fragte Wolfgang bestürzt.

25 »Wenn du der Sache einen solchen Namen geben willst, – meinetwegen! Aber es bleibt dabei: Ich laufe davon. Denn von unserem Korporal laß ich mich nicht mehr fuchsen und kujonieren. Aber um glücklich durchzukommen, muß ich Geld haben, damit ich nicht betteln gehen muß und etwa schon am ersten Tag wieder eingefangen werde.«

»Hast du vergessen, was in den Kriegsartikeln steht, die uns vorgelesen worden sind? Wenn du als Dissendär ergriffen wirst, ist dir das Zuchthaus gewiß. Vielleicht verurteilen sie dich gar zum Tod, weil wir gewissermaßen schon in Kriegsbereitschaft stehen.«

»Das ist mir schon alles eins. Gib mir nur das Geld, damit ich von hier fortkomme!«

»Nein, Binder, das tue ich nicht«, sagte Wolfgang bestimmt. »Zu diesem Vorhaben helfe ich dir auf keinen Fall.«

»O doch! Ich bitte dich gar schön darum«, drängte der rote Sepp. »Du brauchst mir den Gefallen auch nicht umsonst zu erweisen. Ich lerne dir dafür die Passauer Kunst, wie du dich kugelfest machen kannst. Wenn du nicht auch davonlaufen, sondern bei den Soldaten bleiben willst, wirst du einmal froh darum sein. Denn dann kannst du ruhig jede Schlacht mitmachen; du weißt ja, daß dich keine Kugel trifft.«

26 »Seit ich gesehen habe, was du mit den Schweißfüßen ausrichtetest, habe ich jede Fiduz zu deinen Künsten verloren.«

»Spotte nicht! Der Passauer Kunst bin ich ganz sicher; die hilft zuverlässig. Ich habe dieselbe auch von keinem Türkenweib gelernt, sondern von meinem Vater, der sie als Soldat an seinem eigenen Leibe ausprobierte.

Doch Wolfgang brach das unerquickliche Gespräch ab.

»Spare deine Worte,« sagte er; »ich mag ein für allemal nichts wissen von abergläubischen und deshalb sündhaften Geheimkünsten. Auch gebe ich kein Geld dazu her, daß du davonläufst und die Fahne im Stich läßt.«

Als Sepp merkte, daß Wolfgang fest blieb, geriet er in Zorn und wurde boshaft.

»In dir habe ich mich bitterlich geirrt«, knirschte er ihm zu. »Ich hielt dich für einen braven Landsmann, der einem Kameraden aus der Not helfen würde. Jetzt aber sehe ich, daß du nichts anderes bist als ein falscher Tropf – und armseliger Schuft. Behalt dein Geld und geh damit zugrunde!«

Wolfgang schwieg zu diesen Beleidigungen und zuckte nur geringschätzig die Achseln. Von diesem Augenblick an hatte er aber am roten Sepp einen heimtückischen, ränkesüchtigen Feind, – einen Feind, dessen gewissenloser Handlungsweise er in kurzem die furchtbarsten, schmerzensreichsten Stunden seines Lebens verdanken sollte. – 27

 


 


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