Josef Baierlein
Unschuldig verurteilt
Josef Baierlein

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III.

Die Rekruten legten den Weg nach Amberg in zwei Tagen zurück. Als sie in einem Hirschauer Gasthof ihre letzte Rast hielten, machte der Hirtensohn Joseph Binder längere Zeit und heimlicher Weise in der Küche sich etwas zu schaffen. Dem Gerichtsdiener, der ihn nach seinem Wiedererscheinen im Gastzimmer fragte, wo er gewesen und was er getrieben, gab er mit schmerzverzerrter Miene zur Antwort, er habe sich die Stiefel mit heißem Schweinefett einschmieren müssen, weil ihm das Leder die Füße wund gerieben habe. Es sei schon so, daß ihm dieses immer passiere, wenn er die Stiefel länger als ein paar Stunden trage; denn er habe schweißige Plattfüße und sei gewöhnt, nur barfuß zu laufen.

»Beim Regiment wirst du es schon anders lernen«, knurrte der Gerichtsdiener, und damit war die Sache vorläufig abgetan.

14 Als man aber den Marsch fortsetzte, stellte es sich heraus, daß der rote Sepp wirklich nicht mit seinen Kameraden fortzukommen vermochte. Er hinkte erbärmlich und schrie laut auf vor Pein. Bald blieb er hinter der Schar der Rekruten zurück, so daß der Gerichtsdiener das Marschtempo wohl oder übel etwas verlangsamen mußte.

Doch das half nur eine kurze Frist. Binder gebärdete sich von Minute zu Minute wehleidiger und jammerte unaufhörlich über unerträgliche Qualen in seinen wund gescheuerten Schweißfüßen. Es blieb schließlich nichts übrig, als daß ihn zwei Rekruten in ihre Mitte nahmen, die Arme unter seine Achseln schoben und ihn führten. So kam der rote Sepp, halb getragen, halb geschleppt, in Amberg an.

Wolfgang hatte über diesen Vorfall seine eigenen Gedanken. Er wußte, was Binder im Schild führte, und schloß deshalb mit Recht, daß derselbe in Hirschau seine heimliche Kunst ins Werk gesetzt habe. Denn kurz, nachdem der Zug Hirschau verlassen, hatte Sepp über Schmerzen in den Füßen zu klagen begonnen. Wolfgang glaubte jedoch, der Bursch spüre in Wirklichkeit durchaus kein Weh, sondern verstelle sich nur, weil dies mit zu seiner Rolle gehöre. Deshalb bewunderte er im stillen die Natürlichkeit und Konsequenz, mit welcher nach seiner Meinung Sepp die Täuschung durchführte. Über die wahre Natur von dessen Leiden den Gerichtsdiener aufzuklären, dazu fühlte Wolfgang sich keineswegs berufen: es hätte 15 ihm in tiefster Seele widerstrebt, gegen einen Kameraden als Ankläger hervorzutreten, auch wenn er das Tun und Treiben desselben für durchaus verwerflich halten mußte.

Aber als die Rekruten in Amberg ankamen, da stellte es sich heraus, daß Joseph Binder nicht geflunkert, sondern wirklich grausame Schmerzen zu leiden hatte. –

Die kleine Schar der Militärpflichtigen wurde sofort in die Kaserne geführt und dort vom Offizier der Wache in Empfang genommen.

»Wieviel Mann bringen Sie, Gerichtsdiener, und woher sind sie?« fragte dieser.

»Zweiundfünfzig Mann aus dem Waldsassener Landgericht, Herr Oberleutnant!«

»Sind alle gesund, und ist die Reise gut vonstatten gegangen? Sind keine Widersetzlichkeiten vorgefallen?«

»Nicht die geringsten, Herr Oberleutnant; die Leute scheinen alle sehr willig zu sein. Auch sind sie, soviel ich beurteilen kann, sämtlich wohlauf und gesund, bis auf einen, der auf der letzten Marschstrecke fußkrank geworden ist.«

»Fußkrank?«

»Ja; er gibt an, Schweißfüße zu haben, die er sich wund gelaufen hätte.«

»Wo ist der Mann?«

16 »Er steht dort hinten. Zwei Rekruten müssen ihn stützen, weil er sich allein nicht aufrecht halten kann.«

»Lassen Sie ihn hierher ins Wachtlokal führen! Der Herr Regimentsarzt befindet sich eben in der Kaserne, wo er ihn gleich untersuchen wird. Er mag dann entscheiden, ob der Mann ins Lazarett gebracht werden soll. Sergeant Betzold«, wandte der Oberleutnant sich hierauf an einen Unteroffizier von der Wache, »suchen Sie sofort den Herrn Regimentsarzt auf und melden Sie ihm, daß ich ihn bitten lasse, sich hierher zu bemühen, um einen fußkrank eingetroffenen Rekruten zu untersuchen. Sie aber, Gerichtsdiener, übergeben Ihre übrige Mannschaft dem Herrn Kaserneninspektor!« – –

Von Wolfgang und einem zweiten Rekruten gestützt, wankte der rote Sepp in das Wachtzimmer und ließ sich dort ächzend und stöhnend auf einem Schemel nieder. Der Regimentsarzt erschien im gleichen Moment und begann sofort mit seinen Fragen.

»Wo fehlt es dir?«

»Schweißfüße habe ich, Herr Doktor, und Plattfüße noch dazu, und die sind mir weh geworden vom marschieren.«

»Hast du dieses Leiden öfter?«

»Allemal, so oft ich Stiefel oder lederne Schuhe anziehe. Ich kann nicht anders als barfuß gehen, 17 und darum bin ich ganz untauglich zum Militär, Herr Doktor!«

»So so!« sagte der Arzt. »Nun, das findet sich im zweiten Teil. Zeige mir einmal deine wehen Füße, mein Sohn!«

Ein Soldat brachte einen Stiefelzieher und stellte ihn vor Binder hin. Dieser bemühte sich, seine Füße aus den Stiefeln loszubekommen, stand aber mit einem verzweifelten Schrei von seinem Vorhaben ab.

»O Gott!« wimmerte er, »es geht nicht. Sie sind zu stark angeschwollen. Das höllische Feuer kann nicht ärger brennen als die Schmerzen, welche ich zu leiden habe.«

»Schneidet ihm die Stiefel herab!« befahl der Regimentsarzt den zwei Rekruten, welche den Patienten bei seinen fruchtlosen Bemühungen auf dem Schemel festhielten.

Der Befehl war im Nu vollzogen. Wolfgang trug ein scharfes Taschenmesser bei sich, mit dem er die Schäfte und das Leder der Vorbeschuhung aufschlitzte und so die kranken Füße schnell von ihren quälenden Fesseln befreite. Dann aber lief ein gelinder Schauer über seinen Rücken; denn ihm und den Umstehenden bot sich ein abstoßender Anblick.

Der rote Sepp hatte nicht zu viel gesagt, als er versicherte, seine Füße würden in Amberg keinen menschlichen Gliedmaßen mehr gleichen. Sie sahen jetzt wahrhaftig aus wie Klumpen von rohem Fleisch, von denen die Haut in Fetzen herabhing. Dazu 18 waren sie unförmlich geschwollen und von einer Art trüber brauner Brühe benetzt, die aus den zerschnittenen Stiefeln geflossen war und nun auf den Bretterdielen der Wachtstube in Gestalt einer kleinen schmutzigen Pfütze lag. Diese Flüssigkeit verbreitete im ganzen Lokal einen scharfen Geruch, als ob darin eine saure Speise verzehrt worden wäre.

Binder mußte in der Tat furchtbare Schmerzen gelitten haben; denn mit solchen Füßen zu wandern, war eine unsägliche Tortur. Deshalb war Wolfgang einigermaßen überrascht, als er sah, daß der Regimentsarzt nur einen kurzen Blick auf die wunden Glieder warf, dagegen die zerschnittenen Stiefel in die Hand nahm, sie eingehend betrachtete und den von ihnen ausströmenden Geruch prüfend in die Nase zog.

»Dacht' ich mir's doch gleich, als der Bursch unaufgefordert und so frischweg von seiner Untauglichkeit sprach,« sagte er, »daß es sich hier wieder um einen Betrug handeln würde. Und richtig – ich habe mich nicht getäuscht. Aber daß man auf einen so plumpen Schwindel verfallen kann, übersteigt doch alle Begriffe. Was meinen Sie, Herr Oberleutnant, was der Rekrut getan hat? Um den Soldatenrock nicht tragen zu müssen, hat er einfach heißen Essig in die Stiefel gegossen und ist eine Zeitlang barfuß darin marschiert. Da der Essig jedenfalls die Haut gerötet hätte, wollte er uns vortäuschen, er leide so sehr an Schweißfüßen, daß ihm 19 längeres angestrengtes Gehen überhaupt unmöglich sei. Aber seine Schlauheit ist schmählich in die Brüche gegangen. Denn vom Wunsch getrieben, seine Sache recht gut zu machen, hat er keinen warmen, sondern siedenden Essig in die Stiefel geschüttet. Natürlich hat ihm das kochend heiße Zeug sofort die Haut von den bloßen Füßen weggefressen, und es ist kein Wunder, daß sie jetzt ausschauen wie geschunden. Nun, die erste Strafe für den versuchten Betrug hat der törichte Mensch schon weg; denn mit einem solchen Pedal zu wandern, ist keinesfalls eine Folter geringen Grads. Ich lasse ihn jetzt ins Lazarett bringen; dort wird man ihm schon auf die Sprünge sehen, daß er nicht noch ein zweites Kunststück probiert. Nach seiner Heilung aber mag der Herr Oberst über ihn verfügen, dem ich den Vorfall selbstverständlich sofort melden werde.« –

Je länger der Regimentsarzt redete, desto starrer wurde der Gesichtsausdruck des ertappten und entlarvten Simulanten, der bestürzt sich selber fragte, woher denn der Doktor alles so genau wisse; denn wirklich war es mit dem Geheimnis, auf welches Sepp seine Hoffnung gesetzt, derart zugegangen, wie der Arzt es dem Oberleutnant erklärte. Der überaus starke Essiggeruch hatte den ganzen Schwindel schon in der ersten Minute verraten und zunichte gemacht.

Da Wolfgang und ein zweiter Rekrut den roten Sepp ins Wachtlokal geführt und beim Aufschneiden seiner Stiefel mitgeholfen hatten, beorderte der Arzt 20 sie auch zur Beihilfe beim Transport des Kranken ins Lazarett. Auf dem Wege dahin sagte Sepp zu Wolfgang:

»Das verwünschte Türkenweib hat mich schön angeschmiert! Auf dem Totenbett soll dieses Lumpenstückl der schlechten Kreatur das Herz noch schwer machen!«

»Angeschmiert hast du dich selber,« gab Wolfgang zur Antwort, »und das Lumpenstückl hast du auch allein ausgeführt. Bin ich nicht viel besser dran, weil ich nichts von deinen Heimlichkeiten wissen wollte? Ich habe jetzt meinen Vierundzwanziger noch und auch meine gesunden Füße.« – – 21

 


 


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