Hermann Bahr
Theater
Hermann Bahr

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Zwölftes Kapitel

So hat Mohr mir seine Geschichte erzählt. Vier Abende sind wir in derselben Nische der Rüdesheimer Weinstube gesessen, bei jenem sanft und zärtlich durch die Kehle rinnenden Rauenthaler. Ein paar junge Maler kneipten in der anderen Ecke, an einem Tische war ganz allein ein alter Herr mit merkwürdigen grauen Augen; er hielt den Kopf in die Höhe und sah nach der Decke, diese großen grauen Augen schimmerten, er lachte innig vor sich hin und schien sich mit jedem Glase mehr zu verklären. Linde glitt manchmal das blonde Mädchen hin und her, eine dünne, hektische und schmachtende Person; meistens lehnte sie an der Kredenz ein wenig vorgeneigt, auf die Arme gestützt, die langen schlaffen Hände gefaltet, als ob sie beten würde. Eine unbeschreibliche Ruhe war in dem langen schmalen braunen Gemach, während er mir mit seiner leisen, traurigen, etwas monotonen Stimme erzählte. Erzählen ist eigentlich nicht das rechte Wort; ich möchte es eher referieren nennen. Wie ein genaues, ja ängstliches Referat über eine schwierige, heikle und sehr verwickelte Sache trug er mir seinen Bericht vor. Er strengte sich an, alles recht deutlich zu machen, er konnte sich gar nicht genug tun, es war ihm noch immer nicht recht. Immer ließ er mich fühlen, daß er eigentlich noch etwas auf dem Herzen hätte, etwas ganz anderes, sehr Wichtiges, ja das Eigentliche, das er aber mit aller Mühe doch nicht sagen konnte. Während er meinte, mich in die Begebenheiten seines Lebens sehen zu lassen, hatte ich das Gefühl, gleichsam nur ihre Schatten über eine graue, finstere Wand gespenstisch huschen zu sehen. So starke, ja heftige Linien er den Menschen und den Dingen, die er schilderte, zu geben sich bemühte, so schienen sie mir doch gar keinen Körper zu haben, sondern nur so wie Schemen zu schweben. Es war mir merkwürdig, wie einem solchen, bloß mit dem Verstande, ohne Instinkte lebenden Menschen alles, was in seine Nähe kam, gleich unter diesem austrocknenden Verstande sozusagen zu verdampfen, zu verdunsten, in vage Nebel zu entweichen begann, so daß ihm doch, wie begierig er mit heißen Armen nach dem Leben griff, immer nur am Ende Rauch und Ruß an seinen Händen blieb. An diese Wahrnehmung habe ich manchen Gedanken gebunden, sie hatte für mich einen großen Reiz. Ihn möchte ich gern auch andere vernehmen lassen, darum habe ich seine Geschichte, das »Abenteuer«, wie er es nannte, aufgeschrieben, und ich hätte gern seinen Ton getroffen. Ob es mir gelungen ist, weiß ich freilich nicht.


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