Hermann Bahr
Theater
Hermann Bahr

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Zehntes Kapitel

Ich fing nun an meinem Stücke zu schreiben an. Ich hatte ja einen Termin, ich brauchte Geld, und es war auch die beste Lösung. So konnte ich nicht weiter leben. Ich vertrug den ganzen Ton bei Mascha im Hause nicht mehr. Ich wollte auch nicht brechen: denn ich fühlte doch, daß ich sie immer noch liebte. Meine Gedanken gingen hin und her, ich zweifelte an allem, ich wußte nichts mehr. Ich hatte das Bedürfnis, meine inneren Stimmen nicht mehr anzuhören und mich zu beschäftigen. Gab ich mich noch länger meinen streitenden Gedanken hin, so fühlte ich, daß ich mich am Ende ganz ins Ungewisse verlieren und mir nicht mehr zu raten wissen würde. Es war am besten, ich zwang mich zur Arbeit, sperrte mich ein und wies alle Zweifel und Versuchungen ab. So saß ich denn nun Tag für Tag in unserem Idyll in der Salesianergasse und schrieb und schrieb. Ich hatte ja schon manches notiert, Anekdoten aus den Chroniken, allerhand Pittoreskes oder Charakteristisches und auch Bemerkungen über Mascha, die ja doch mit ihrer leuchtenden Grazie in der Mitte der Handlung stehen sollte. Fehlte mir auch eine feste und verläßliche Fabel, so traute ich mir doch die Routine zu, die Stücke zu einem Ganzen zu fügen und die Lücken der Handlung durch angenehmes Detail zu verstopfen. Es gab so viele Gebräuche und liebliche Sitten jener Zeit, und ich hoffte, daß das Publikum gern und neugierig bei seiner Vergangenheit verweilen würde. Ich habe mich ja auch nicht getäuscht; alle Episoden des Stückes haben sehr gefallen. Wäre nur die Handlung nicht gar so dünn gewesen, und hätte ich die Augustine gestalten können! Aber das wollte mir nicht gelingen, ich hatte es ja selbst gefühlt, die anderen brauchten es mir nicht erst zu sagen. Ich habe Mascha zeichnen wollen. Das Unbeschreibliche ihrer kleinen, zaghaften und wie eine Libelle schwebenden Person hatte ich darstellen wollen. Was ich an ihr liebte, das sollte die reinste Gestalt annehmen. Mir fällt immer wieder ein, was Shakespeare eine seiner Frauen sagen läßt: »es stand ein Stern am Himmel, der tanzte, als ich geboren wurde«. Das war es: die milde Heiterkeit eines von aller irdischen Schwere freien, wie ein süßer Ton gleitenden Wesens. Aber ich fing zu spät an. Ich erinnerte mich wohl noch, was ich damals empfunden hatte, aber mein Gefühl war trübe geworden.

Ich saß den ganzen Tag und schrieb. Die alte Marie holte mir das Essen. Gegen Abend ging ich gern in den stillen Gassen der Landstraße nachdenklich spazieren. Abends war ich meistens bei ihr. Wir wurden eine leichte Verstimmung nicht los, wir sprachen sie nicht aus, aber es war uns leichter, wenn wir nicht allein waren. Sie hatte in dieser Zeit viel zu tun. Sie sollte den Puck spielen. Ich war es froh. Ich fürchtete mich vor einer zärtlichen und leidenschaftlichen Stunde. Ich glaube, es ist ihr auch so gegangen. Wir hatten beide das Gefühl, daß zwischen uns etwas zerbrochen war. Wir wollten es uns nicht merken lassen. Ich dachte immer noch: wenn nur erst mein Stück fertig ist, dann wird alles wieder wie damals, nach meiner ersten Premiere. Vielleicht hatten wir dann auch den Mut, uns zu entscheiden, alles abzubrechen und fortzugehen. Ich konnte dann meine Frau und mein Kind anständig versorgen, und dann sollten die Leute reden, was sie wollten! Wir entflohen und vergruben uns in einem Winkel: dann lebte jenes selige Gefühl gewiß wieder auf.

Die Arbeit tat mir sehr wohl. Ich wurde ruhiger. Freilich gab es Stunden, wo ich mich quälte: das Stück gefiel mir nicht, alles war kalt. Dann lag ich auf dem Sofa und dachte hin und her. Vielleicht hatte ich gar kein Talent, vielleicht log ich mich nur an und um die ganze Mühe war's am Ende schade. In solchen Verdüsterungen glaubte ich an gar nichts mehr und da lernte ich auch die Eifersucht kennen. Ich bin nie eifersüchtig gewesen, aber jetzt kam zuweilen eine wilde Angst über mich, ich sprang auf, rannte zu ihr, lachte mich selber aus und war doch erst ruhig, wenn ich dort war. Ich hatte keinen Verdacht, es galt keiner bestimmten Person. Es war nur so eine dumpfe Hitze in mir, eine unbeschreibliche Angst, sie zu verlieren, eine heftige Gier, die mich trieb.

Ende Januar brachte ich dem Direktor das Manuskript, er las es sofort und schlug mir einige Änderungen vor, unwesentliche Kürzungen; sonst sprach er sich nicht aus, er meinte nur: »Das Theater ist ja doch bloß eine Lotterie und Sie sind ja jetzt g'rad' in der Mod'!« Wir besetzten es gleich: die Harfenistin sollte natürlich Mascha sein, der bald höhnische, bald melancholische, immer groteske Henker war für Merz geschrieben, bei der finsteren Figur des schwarzen Studenten, der ja der Tod sein soll, hatte ich an Otto gedacht. Dann handelte es sich um die Dekorationen. Ich wollte das phantastische Bild eines alten Wien geben, das nie existiert hat und doch die eigentliche Wahrheit wäre. Dem Direktor schien das zu gefallen, aber es war schwer für den Maler. Tagelang haben wir mit Fritz Kautsky beraten. Die Skizzen befriedigten mich nicht; es war noch immer nicht das, was ich wollte. Der Direktor wurde schon ungeduldig, in vierzehn Tagen sollte das Stück sein, ich mußte mich beeilen. Da setzte ich mich denn endlich hin und schrieb ein ganzes Buch, jede Dekoration im Detail genau schildernd. Ich schrieb immer fort, der Tag verging, es dunkelte schon, ich machte Licht und wollte nicht aufhören. Ich war wohl etwas müde, mich hungerte, aber ich gab nicht nach, ich wollte heute noch fertig werden. Ich achtete die Zeit nicht und schrieb immer fort. Ich konnte mir gar nicht genug tun, es wurde eine ganze Dissertation. Es war zwei Uhr in der Nacht, als ich endlich schloß. Aber nun litt es mich nicht zu Hause. Ich hatte Hunger und hätte nicht schlafen können, so aufgeregt war ich; niemals hatte ich den Sinn meines Stückes und die Poesie, die es sucht, inniger gefühlt. Ich ging fort, es war eine sehr schöne Nacht, kalt, aber trocken und hell, die Sterne glänzten. Ich warf den Brief an Kautsky in einen Kasten, dann trat ich in ein kleines Cafe, das noch offen war, aß und sah in den Zeitungen die Notizen nach, die der Direktor jetzt täglich über mein neues Werk verschickte. Er war von einer unerschöpflichen Phantasie. Täglich wußte er die Neugierde anders zu reizen, ohne doch eigentlich etwas zu verraten. Ich las lange. Endlich wurde das Lokal gesperrt. Man stellte die Sessel auf die Tische und löschte das Gas, ich mußte gehen. Aber ich wollte noch nicht nach Hause, ich hatte keine Ruhe. Ich fühlte mich so wach, so rege, so nervös und es trieb mich noch zu gehen, weit zu gehen, unbekümmert, wohin ich kommen würde, nur meinen inneren Stimmen lauschend, die brausten und schwollen. So ging ich einsam vor mich hin, großer Gefühle voll, und ohne es zu achten, ohne es zu wollen, ich dachte wirklich gar nicht an sie, ich hatte nur mein Stück im Gemüt, stand ich auf einmal vor ihrem Hause. Ich merkte es selber erst, als ich schon vor dem Tore war. Unwillkürlich blieb ich da von selber stehen, wie ein Pferd vor seinem Stall. Ich mußte lachen, als ich es merkte. Nun sah ich hinauf. Da wunderte ich mich; sie hatte noch Licht. Es war doch schon gegen fünf. Die anderen Zimmer waren dunkel, nur in ihrem Schlafzimmer brannte noch Licht. Ich trat vom Trottoir auf die Straße, um besser zu sehen. Ein Fenster war offen, leise bewegte den Vorhang der Wind. Er war nicht ganz zu, die Stange schlug an, ich sah ein rotes Licht. Einen Moment stand ich so, dann rannte ich weg. Ich hatte Angst, ich könnte etwas Schreckliches tun: so zornig war ich. Ich lief, bis ich keinen Atem mehr hatte; ich mußte etwas verschnaufen. Ich setzte mich auf eine Bank vor dem Volksgarten, nahm den Kopf in die Hände und fing laut zu weinen an. Viele Zeit verging, dann besann ich mich und kam zu mir. Nun sagte ich mir freilich, daß es töricht war. Was war denn geschehen? Was hatte ich denn gesehen? Was wußte ich denn? Daß sie Licht hatte? Vielleicht lernte sie. Vielleicht war es die neue Rolle in meinem Stück. Vielleicht – es gab doch tausend Gründe. Aber der Gedanke, daß sie vielleicht – nein, ich fühlte, daß mich das zerbrechen würde! Nur das nicht, nur das nicht! Ich wußte ja jetzt erst, wie ich sie liebte! Fremde furchtbare Mächte rissen sich in mir von der Kette des Verstandes los, ich fürchtete mich vor mir selbst. Umsonst sagte ich mir, daß es ja töricht war. Es half alles nichts. Ich wußte es. Ich hatte die innere Gewißheit. Aber ich wollte auch eine äußere haben. Ich wollte Beweise. Ich überlegte. Was sollte ich tun? Langsam ging ich nachdenklich zu dem Hause zurück. Sollte ich eintreten? Und was dann? War es wahr, so ließ man mich doch einfach ruhig läuten. Einstweilen konnte sie ihn verstecken. Sollte ich die ganze Wohnung durchsuchen. In jedem Kasten, hinter jeder Wand? mich wie in einem Vaudeville betragen? Mich ekelte. Nein. Ich wollte keine Szene machen. Ich wollte es ja nur wissen, nur wissen.

Ich stand wieder unter ihrem Fenster und sah nach dem roten Licht; wieder ging ich fort, wieder trieb es mich hin. Es dämmerte schon leise, schwere Wagen kamen, Leute liefen, man sah mich an, ich konnte nicht länger hier stehen. Nun fühlte ich auch erst, wie müde ich war, zum Umsinken müde. Aber es ließ mich nicht fort. Ich ging bis an die nächste Ecke, rief einen der verschlafenen Einspänner an und hieß ihn an ihrer Wohnung vorüber, aber auf der anderen Seite der Straße fahren. Ein paar Schritte über ihrem Hause, aber drüben, ließ ich ihn halten und warten. Von dort konnte ich genau auf ihr Fenster sehen, das immer noch in jenem rötlichen Lichte schimmerte, während sich der Vorhang leise im Winde bewegte. Wie lange ich so gesessen sein mag, weiß ich nicht mehr. Ich fühlte nichts, ich dachte nichts, ich regte mich nicht; ich sah nur immer zu dem rötlich schimmernden Licht hinauf und hörte die Stange im Winde klopfen. Plötzlich schien mir ein Schatten zu gleiten, dann wurde der Vorhang emporgezogen, ich sah ihre Hand. Sie trug den langen faltigen roten Rock, den ich so gut kannte, und fröstelte ein wenig. Sie zog ihn fester an, beugte sich vor und ließ ihre Zigarette paffen. Nun wurde unten das Tor geöffnet, Merz trat heraus. Er ging bis in die Mitte der Straße, drehte sich dann nach dem Fenster um und ließ sich in seiner grotesken Weise auf die Knie. Schlafe süß, mein Täubchen, schlafe süß, hörte ich ihn mit Koloraturen girren, indem er dazu den Regenschirm wie eine Mandoline im Arm hielt und mit seiner mageren Hand an den Stangen zupfte. Sie lachte und warf ihm Küsse zu. Dann gab sie ihm ein Zeichen, noch zu warten, verschwand und brachte ihre kleine Puppe her, die Mischi. Sie streckte sie vor, ließ sie kniren und mit den Händen grüßen. Er nahm den Zylinder ab und trommelte einen Wirbel. Dann erhob er sich und ging pfeifend fort, indem er sich noch manchmal umsah und lustig nach ihr winkte. Sie blieb am Fenster, bis er verschwunden war, tat noch ein paar langsame tiefe Züge, warf die Zigarette auf die Straße, zog den Vorhang zu und schloß. Nun verlosch das rote Licht.

Dann fuhr ich nach Hause.

Ich kann mich nicht erinnern, daß ich jemals in meinem Leben besser geschlafen hätte. Ich fiel wie ein Sack hin und lag, ohne zu träumen, in einer tiefen Betäubung da. Es war spät am Nachmittag, als ich endlich erwachte. Ich setzte mich auf, wußte erst gar nichts und hatte Mühe, mich nach und nach zu besinnen. Da war mein erster Gedanke, ich schäme mich, es zu sagen, aber es ist so gewesen: mein erster Gedanke war an mein Stück. Wenn ich mit ihr brach, was wurde dann aus meinem Stück? Ich kannte sie genau: sie war dann imstande und warf mir die Rolle hin. Was geschah dann mit meinem Stück? Später würde sie sich freilich wieder versöhnen lassen, aber es konnten Monate vergehen, dann war die gute Zeit vorbei, es mußte auf den Herbst verschoben werden und ich konnte doch nicht warten! Ich konnte nicht; ich brauchte ja Geld! Wenn ich klug war, ließ ich mir einfach nichts merken. Nach der Premiere – ja, nach der Premiere mochte ich sie züchtigen und mich rächen.

Das ist mein erster Gedanke gewesen. Ich kleidete mich rasch an und ging eilig fort. Instinktiv fühlte ich, daß ich jetzt nicht allein sein durfte. Nur jetzt nicht allein! Ich fürchtete mich vor mir selbst. Ich wußte ja doch, daß der Gedanke an mein Stück nur eine innere List war, um das Drohende zu beschwichtigen. Sei gescheit, denk an das Stück, sagte ich mir in einem fort. Ich ging zum Direktor, fragte allerhand, fuhr dann zu Kautsky, ob meine Sendung richtig angekommen war, dann in einige Redaktionen, um ihnen für ihr Interesse zu danken, saß im Cafe' und trieb mich die halbe Nacht mit Bekannten herum. Ich hatte ihnen erzählt, ich hätte einen Roman vor, der die Wiener Lebewelt schildern sollte, und sei eben daran, mir die Typen zu suchen. So gingen wir erst zum Ronacher, dann durch allerhand verrufene Häuser, endlich in ein wüstes Lokal, in Ottakring draußen. Aber endlich mußte ich doch heim.

Nun brach es erst in mir los. Es war eine furchtbare Nacht. Ich konnte nicht schlafen. Es schrie und tobte wild in mir. Ich wollte auf, fort zu ihr, um sie zu zerren, zu schleifen, zu stoßen, zu treten, zu vernichten. Wie ich sie peinigen könnte, war jetzt meine Begierde. Peinigen, martern, foltern, bis sie ächzen und stöhnen würde – ja, ächzen und stöhnen und wehklagen wollte ich sie hören. Früher würde ich nicht wieder ruhig werden.

Ich sprang aus dem Bett an das Fenster und ließ die nasse Luft über mich wehen, um mich nur ein bißchen zu kühlen. Aber es brannte in mir fort. Nun zündete ich Licht an und rannte durch das Zimmer. Ich stieß auf Dinge, die ihr gehörten. Da war ein feines mattgelbes Tuch, das sie gern trug, mit ihren lieben unruhigen Fingern an den langen schmalen Fransen spielend. Ich nahm es, zerrte es, biß es, trat es und spuckte es an. Eine wahre Wut kam über mich, das ganze Zimmer anzuspucken, zu beschmutzen, zu besudeln, den Stuhl, auf dem sie gesessen hatte, den Boden, auf dem sie gegangen war, alles, alles. Ich war wie ein Rasender. Dann erblickte ich in der Ecke hinter den Blumen ihre Büste. Ah, wie ich diese Blumen gepflegt hatte, den ganzen Winter! Nun riß ich sie weg, daß die Töpfe in Scherben zerfielen, knickte die Stengel und verstreute die Erde im Zimmer. Dann stieg ich auf einen Stuhl, um die Büste von dem Postament zu heben, nahm sie und legte sie auf den Boden. Sie war sehr schwer, aus Marmor. Ich schlug ihren Kopf auf die Erde, stieß mit dem Fuß auf sie, sie blieb fest. Ich lief nach der Küche, nahm die Hacke und fing an, sie zu spalten. Ich gab nicht nach: die Stücke waren mir noch immer zu groß, in Pulver hätte ich sie am liebsten zerrieben, zu Staub sollte sie werden. Einige steckte ich in den Ofen, andere trug ich auf den Herd, andere warf ich zum Fenster hinaus. In die Winde wollte ich ihr Andenken zerstreuen. Nichts sollte von ihr bleiben.

Endlich war ich fertig. Ich hatte keinen Atem mehr, mit solcher Gewalt hatte ich zugeschlagen. Erschöpft mußte ich mich setzen. Und nun schrie es in mir: warum, warum? warum war das geschehen, das doch nicht geschehen konnte? Da saß ich und sann und konnte es nicht begreifen, auch heute noch nicht. Das ist das Fürchterliche.

Warum? warum? Eine Frau von so zärtlicher Leidenschaft gibt sich einem anderen hin – und welchem anderen! Einem Tiere! Immer sah ich den wüsten, widerlichen und grinsenden Merz vor mir. Ich kann mir vorstellen, daß ich den Betrug, das Schmähliche der Lüge verwunden hätte. Aber es hätte ein Mann sein müssen, nicht ein Affe. Glauben Sie nicht, ich sei in meiner Eitelkeit gekränkt gewesen! Nein, ich weiß, daß das mit dem Wert eines Mannes nichts zu tun hat. Wäre es irgend ein dummer, nichtiger, aber schöner Kerl gewesen, ich hätte es ihr verzeihen können. Es hätte mich geschmerzt, ich wäre unglücklich gewesen, aber es hätte mir doch ihr Bild nicht genommen, das edle Bild jener seligen Stunden. Aber daß ich sie in den Armen dieses höhnischen, klappernden, alles parodierenden, immer Grimassen schneidenden, immer sich verstellenden Komödianten sah, das, das, nein das konnte ich nicht begreifen! Er nahm sie mir ja nicht bloß für die Zukunft weg, er nahm mir auch unsere Vergangenheit weg, meinen ganzen Besitz. Dieses zärtliche, innige, wie die holdeste Musik durch das Leben gleitende Geschöpf, und so ein Clown! Ich glaube, wenn es sich gar nicht um mich, sondern um einen anderen gehandelt hätte, es wäre dasselbe gewesen. So ein Tier, so ein wüstes, schmutziges Tier! Schändlich obszöne Visionen von Faunen mit Nymphen verfolgten mich. Es war nicht Schmerz, es war Ekel, Ekel vor ihr, Ekel vor dieser ganzen widerlichen, ja teuflischen Welt.

Acht Tage ging ich nicht zu ihr. Ich zögerte noch immer, was ich denn eigentlich tun sollte. Ja, ich wäre gern hin, um sie zu züchtigen; etwas Ungeheures hätte ich ihr antun, vor allen Leuten hätte ich sie auf der Gasse beschimpfen, ohrfeigen, treten mögen, dann wäre mir wohl gewesen. Aber ich dachte an mein Stück, mein Stück! Und es regte sich auch eine leise Hoffnung in mir, der ich mich wohl schämen muß. Ich hoffte, nach der Premiere alles vergessen zu können. War doch nach der Premiere meines ersten Stückes mein ganzes früheres Leben verloschen, wie weggeblasen, ah, jenes Gefühl, jenes Gefühl! Ich flog nur so mit ihr zum Himmel auf. Wenn ich das noch einmal haben könnte! Vielleicht, vielleicht! Ich glaubte an meine Premiere, ich hoffte auf meine Premiere.

Nach acht Tagen schrieb sie mir, ich möchte doch zu ihr kommen, sie sei mit der Rolle fertig und würde gern allerhand mit mir besprechen. Ich konnte nicht gut anders, ich mußte hin. Es war ein schwerer Gang. Ich wußte nicht recht, wie ich mich betragen, was ich sagen sollte. Ich hatte eine solche Wut auf sie. Aber ich redete mir zu. Es war unklug, jetzt eine Szene zu machen. Mein Stück, mein Stück! Und doch – ich kann mich ja nicht verstellen. Endlich ging ich hin. Ich mußte nachher selber lachen. Es war gar keine Gefahr. Mit irgend einer fremden Dame, die ich seit zwei Minuten kannte, hätte ich nicht ruhiger, nicht sachlicher sprechen können. »Servus, das ist g´scheit, daß du da bist! Ich kenn´ mich nämlich bei ein paar Sachen, offen gestanden, noch gar nicht aus.« So empfing sie mich, hielt mir mechanisch die Wange zum Kuß hin und fing gleich vom Detail der Rolle an, fragte klug, hatte manche Bedenken und redete so sachlich, daß ich ganz vergaß, bei einer Frau zu sein, und eher das Gefühl hatte, einem verständigen Kameraden meine Absichten zu erklären. Sie war wieder in der unweiblichen Periode der Besessenheit von ihrer Rolle; was nicht zu dieser gehörte, schien dann in ihr verloschen. Ich hätte das Gespräch gern auf Merz gebracht; es reizte mich, ihr Gesicht zu sehen. Ich fragte sie um ihre Meinung, ob ihm die Rolle liege. »Aber freilich, riesig!« sagte sie, »das Verbummelte so einer verschlampten Existenz, da wird er ja großartig sein! Und dann in der Liebesszene – na, du wirst schon sehen: so als sentimentaler Pavian ist er unwiderstehlich. Schau nur um Gottes willen, daß wir nicht zu viel Proben haben! Fünf, höchstens sechs, mehr verträgt er nicht. Wie er einmal den Text kann und sicher ist, wird sogleich wieder der Wurstel in ihm lebendig, schließlich ist er ja doch nichts als ein Wurstel!«


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