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Alpenlied

1789.

Ich wandre durch ein Land so froh,
(Ach! ich vergess' es nimmer)
Ich find' es tief, ich find' es hoch,
Und lustig ist es immer.

Auf jedem Berg ist Himmelsglanz!
In jedem Thal ist Segen;
Und überall Gesang und Tanz
In Sonnenschein und Regen.

O Freunde! wenn ihr wüßtet dort,
Wie Freud' auf jeder Wiese,
Wie Friede blüht an jedem Ort
In diesem Paradiese!

Wo Menschen Menschen grüßen nur,
Nur Brüder Brüder sehen,
Wo Freiheit, du, und du, Natur,
Wie Zwilling-Schwestern gehen!

Wo weder Läuferstab noch Kron'
Die schöne Welt verzieret!
Wo Gott allein sitzt auf dem Thron,
Und Gott allein regieret!

O ferne Freunde, wüßtet ihr,
Wie schön es ist hier oben,
Ihr eiltet all' hinauf zu mir,
Im Freien Gott zu loben!

Wie trau'rt man doch so klein und bang
Im Schatten von den Dächern!
Wie schweigt der Scherz und der Gesang
In schimmernden Gemächern!

Dort lacht die List der Einfalt Treu',
Gewalt der Ohnmacht Klagen;
Die Pracht thut viel, und sonder Scheu
Darf Reichthum Alles wagen.

Wie ist man aber frei und froh
In Schatten von den Bergen!
Man singt: In dulci jubilo!
Und scherzt, trotz allen Zwergen.

Ja, Zwerge sind's, die sich nur groß
Auf fremden Schultern heben,
Und denen in der Freiheit Schooß
Nicht Thaten Größe geben.

Hier lacht der Mäßigkeit Genug
Des schwelgenden Zuvielen;
Und gleiche Brüder an dem Pflug
Sind Kindern gleich in Spielen.

Hier waltet weder Gram, noch Spott,
Kein Würger und kein Späher;
Hier sind die Menschen näher Gott,
Und Gott den Menschen näher.

O ferne Freunde, wüßtet ihr,
Wie hier ist gut zu leben;
Auf Alpen würdet ihr mit mir
Dem Himmel näher schweben.

Dann würde dein Genuß, Natur!
Mir jede Wunde heilen.
O, könnt' ich deine Wonnen nur
Mit den Geliebten theilen!

*


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