Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band I
Berthold Auerbach

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Zweites Capitel.

Es war am Sonntag in der Frühe, als Erich Herrn Sonnenkamp im Garten begegnete und gefragt wurde, ob er mit zur Kirche gehe. Erich erwiderte, er stehe außerhalb der Confession und wolle keinen Act der Heuchelei begehen; als Zeichen der Achtung für eine fremde Confession könne er wol zur Kirche gehen, aber man würde es ihm hier anders deuten.

Sonnenkamp schaute ihn wie prüfend an; aber diese Gradheit schien doch Wirkung zu üben, denn er sagte:

»Gut; man weiß gleich, wie man mit Ihnen dran ist.«

Der Ton war doppelartig, aber Erich deutete ihn in gutem Sinne.

Als Alles zur Kirche gegangen war, saß Erich allein; er schrieb an seine Mutter.

Die Glocken im Dorfe läuteten und Erich schrieb, wie er die hohe Berufung erfasse, ein Menschenkind, das mit der viel wirkenden Macht des Reichthums ausgerüstet sei, den rechten Weg zu führen. Und unter dem Glockenton kam plötzlich die Erinnerung an jene Geschichte aus dem Evangelium, wie der reiche Jüngling zu Jesus kommt. Er wußte Anrede und Antwort nicht mehr genau, er suchte in der Bibliothek Rolands nach einer Bibel, fand aber keine; und doch war's ihm, als könne er nicht weiter, bis er jenes Begebniß wieder genau wisse.

Er ging hinab in den Garten; hier traf er den Gärtner, das sogenannte Eichhörnchen, der ihm auf die Frage, ob er eine Bibel habe, eine bejahende Antwort gab. Unter salbungsvollen Worten, daß es ihm heute nicht möglich sei, nach der Stadt in die protestantische Kirche zu gehen, holte er seine Bibel und Erich ging damit auf sein Zimmer.

Er schrieb nicht weiter, er las lange; dann saß er, den Kopf in die linke Hand gestützt und starrte drein, bis Roland aus der Kirche kam und das Gebetbuch aus der Hand legte. Als Erich jetzt die Hand faßte, die das Gebetbuch weggelegt hatte, zuckte ihm die Frage durch die Seele: Wirst du dem Jüngling ein ähnliches Festes und Erhebendes als Ersatz geben können?

Roland sagte:

»Du hast Dir eine Bibel geholt?« und daß sich dies durch den Gärtner bereits im ganzen Hause verbreitet habe.

»Kennst Du das hier?« fragte Erich und legte Roland die Stelle vom reichen Jüngling vor.

Roland las, und als Erich ihn fragte, was er dazu denke, sah Roland ihn starr an; er hatte offenbar die Schwere des Räthsels, das sich hier darlegte, nicht erkannt. Erich vermied es, ihm schon jetzt die Bedeutung desselben zu erklären. Ein Samenkorn liegt in erster Zeit regungslos in der Erde, bis es durch einwirkende Kräfte erweckt wird. Erich wußte, daß in diesem Augenblicke ein solches Samenkorn in die Seele des Jünglings gefallen war. Er wollte ruhig der Zeit harren, bis es keimt und aufgeht.

Er willfahrte Roland, mit ihm dem Major entgegenzugehen, der allsonntäglich zu Tische kam. Unter den Nußbäumen an der Straße wandelten sie eine Strecke dahin, dann ging es bergauf durch die Weinberge. Bei einem großen Stück Landes, wo lauter helle Pfähle standen, sahen sie den Major, den wir bereits aus Wolfsgarten kennen gelernt; er war heute in voller Uniform mit seinen sämmtlichen Orden.

Während die angesehenen Bewohner der Gegend sich zum Hause Sonnenkamp mit großer Zurückhaltung benahmen, war der Major die Fahne der Vornehmheit für dieses Haus; Frau Ceres war besonders beglückt, daß ein Mann mit so vielen Orden ihr so freundlich huldigte.

»Haben Sie ihn schon?« rief der Major Erich zu. »Halten Sie ihn nur fest im Zaum.«

Auf den Weinberg deutend, sagte er:

»Uebers Jahr bekommen wir – heißt das Herr Sonnenkamp – da den ersten Wein. Haben Sie schon einmal Jungfernwein getrunken?«

Erich verneinte und der Major erklärte, daß man das erste Erträgniß eines Weinberges so bezeichne.

Der Major schleppte nicht nur das linke Bein nach Art der Tamboure, sein Gang war auch wie beständiges Stürzen und Sichaufrechterhalten, er blieb alle paar Schritte stehen und schaute lächelnd um. Er lächelte Jedem zu, der des Weges kam. Warum sollten die Menschen immer ein trübes Gesicht sehen und das Unangenehme davon haben, daß er nur schwer gehen kann?

Er fragte nun Roland, ob die Mutter bereits wieder aufgestanden sei. Denn Frau Ceres brachte jeden Sonntag das nicht geringe Opfer, schon um neun Uhr aufzustehen, und was nicht minder viel heißen will, in einer einzigen Stunde ihre Toilette zu vollenden und dann mit der Familie zur Kirche zu gehen; dafür holte sie jedesmal den versäumten Schlaf nach, indem sie sich vor Tische noch einmal vollständig zu Bette begab und dann erst die eigentliche Sonntags-Toilette machte.

Als man wieder auf der ebenen Landstraße anlangte, begegnete ihnen der Architekt, der ebenfalls zu Tische kam; er gesellte sich zu Erich, während Roland mit dem Major ging. Die Männer mußten alle noch einmal die Hunde Rolands in Augenschein nehmen, bevor man sich im Balconsaale versammelte. Hier trafen sie bereits den Doctor und den Pfarrer bei Herrn Sonnenkamp.

Kaum war Erich kurz vorgestellt, als Frau Ceres im Prachtgewande erschien. Der Major reichte ihr den Arm, die Diener schoben die Flügelthüren zurück, man ging durch mehrere Zimmer in den Speisesaal.

Zur Linken der Frau Ceres erhielt der Major, zu ihrer Rechten der Pfarrer seinen Platz, neben diesem Fräulein Perini, worauf der Arzt, Sonnenkamp, der Architekt, Roland und Erich ihre Plätze einnahmen.

Heute sprach der Pfarrer laut das Tischgebet.

Das Gespräch war anfangs für Erich vollkommen unverständlich, denn es war von Personen und Verhältnissen die Rede, die er nicht kannte. Das große Weinhandlungshaus, dessen Sohn mit Prancken die schönen Pferde eingekauft, wurde viel besprochen. Der Chef hatte in einem seiner stromaufwärts liegenden Keller eine Weinversteigerung abhalten lassen, bei welcher enorme Preise erzielt worden. Es hieß, er wolle das Geschäft ganz aufgeben, um nach der Residenz zu ziehen, denn der gewandte alte Herr suche sich mit großer Beflissenheit dem Hofe bemerklich und beliebt zu machen.

»Ich traue ihm den Wahnwitz zu, daß er nach dem Adel strebt,« rief der Doctor.

Herr Sonnenkamp, der eben ein Stück fein zubereiteten Fisches nach dem Munde geführt hatte, hustete heftig und wurde so roth im Gesichte, daß alle Tischgenossen um ihn bangten; er beruhigte sie indeß bald und erklärte, er habe nur unvorsichtigerweise eine Gräte verschluckt.

Der Major fand es unpassend, daß der große Weinhändler sich von der Regierung als Candidat für das Abgeordnetenhaus aufstellen ließ, und zwar gegen einen Mann wie Herr Weidmann. Erich ward aufmerksam, da dieser Name jetzt wieder genannt wurde; es war immer wie ein unnennbares Ehrengefolge, wenn dieser Name erschien. Der Doctor fuhr fort: der Weingraf wolle offenbar nur seinen Ehrgeiz und sein Bestreben befriedigen, sich der Regierung beliebt zu machen, und das gelänge ihm, obgleich er wisse, daß er unterliege, denn er erscheine dadurch in der Oeffentlichkeit als eine Stütze der Regierung.

»Nun, Herr Pfarrer,« fragte er geradezu, »für welchen Candidaten wird die Geistlichkeit stimmen?«

Der Pfarrer, eine große schlanke Gestalt mit weißen Haaren und wunderbar glänzenden Augen, die unter dichten Brauen scharf und ruhig umschauten, vereinte Würde und Gewandtheit in seinem Benehmen. Er hätte gern geschwiegen, nun aber sagte er, die linke Hand bewegend, an der er Daumen und Zeigefinger zusammenlegte – daß gegen die bürgerliche Tüchtigkeit Weidmanns durchaus nichts einzuwenden sei.

Der Doctor schien sich diese ablehnende Antwort gefallen zu lassen. Der Major aber hob mit großer Bestimmtheit den edlen Charakter Weidmanns hervor, der siegen müsse.

Der Major sprach immer mühsam und wurde purpurroth bis zu den weißen Haaren hinauf, wenn er nicht blos zu seinem Nachbar, sondern zur ganzen Tischgenossenschaft sprechen mußte.

»Sie reden als Bruder Freimaurer,« neckte ihn der Arzt.

Der Major sah ihn grimmig an und schüttelte verweisend den Kopf: über solche Dinge scherzt man nicht – aber er schwieg.

Sonnenkamp erklärte, daß er, obgleich steuerzahlender Bürger dieses Landes, doch gar nicht wähle; er sei an große Verhältnisse gewöhnt und betrachte sich und sein Haus in Deutschland überhaupt nur als Gast.

Der Blick Erichs und des Doctors begegneten sich, dann sahen Beide auf Roland. Was wird aus einem Kinde, dem man sagt, der Staat, in dem Du lebst, geht Dich gar nichts an?

Der Arzt hatte einmal angefangen, den Major zum Gegenstande der Neckerei zu machen, und ließ nun nicht mehr davon ab. Der Arzt, als der Joviale bekannt und beliebt, war schon vom frühen Morgen an aufgeheitert, gleich Einem, der eben von wohlbesetzter Tafel aufsteht; sein Ton war überaus belebt und nahm sich seltsam aus gegen das schwerfällige Gebahren des Majors, der sich die Scherze gern gefallen ließ. Es erschien ihm als Menschenpflicht, seinen Nebenmenschen auch passiv zu dienen, und seine Mienen sagten stets: Kinder, seid lustig, meinetwegen auch über mich!

Der Pfarrer stand dem unterdrückten Major bei, aber es war schwer zu erkennen, ob er es nicht blos that, um die Neckereien in Gang zu halten; denn der Major lächelte verlegener zu seinem Beistande, als gegen seinen Angreifer. Der Pfarrer sprach im Beginne immer wie behaglich erzählend, dann aber im Flusse der Rede sandte er treffende Pfeile nach allen Seiten, dabei bewahrte er unverändert feine und verbindliche Manieren und verlor keinen Augenblick die Würde des geistlichen Ansehens aus den Augen; besonders hatte er gewisse begütigende Bewegungen mit seinen schönen feinen Händen. Die Augen von Fräulein Perini schienen immer größer zu werden und sich am Anblicke zu sättigen, indem sie den Geistlichen betrachtete und ihm gleichsam mit den Augen zuhörte. Nur konnte sie ein Mißbehagen nicht unterdrücken, wenn der Pfarrer nach Art der schnupfenden Clerisei das blaue leinene Taschentuch in einen Ball zusammenlegte und im Flusse der Rede hin- und herbewegte. Sie athmete freier auf, wenn er das entsetzliche blaue Tuch in die Tasche steckte.

Gegenüber dem ungeschlachten und kurz angebundenen Wesen des Arztes bewahrte Fräulein Perini eine vornehme Duldung; er seinerseits behandelte Fräulein Perini als eine Art Collegin, denn sie war nicht ohne medicinische Kenntnisse. Er hatte einen besonderen Respect vor ihr, da sie ihn noch nie über eine Kränklichkeit zu Rathe gezogen hatte. Sie lebte äußerst mäßig; bei den großen Gastereien und dem täglichen reichlichen Gastmale genoß sie nur sehr wenig, sie schien keinerlei Bedürfnisse zu haben, sie schien ein Naturell, das nur zum Dienst, zur Gefügigkeit für Andere da war. Doctor Richard, als vielbewährter und gesuchter Arzt, hatte das Recht, wenig Umstände zu machen; er war der ebenso liebenswürdige als verwöhnte Tyrann der ganzen Gegend und des Sonnenkamp'schen Hauses insbesondere. Bei Tische war er gesprächig, er aß wenig, trank aber desto tüchtiger. Er lobte die Weine, er kannte sie alle, ihren Entwicklungsgang und ihre Reife. Er fragte nach einem längst gepflegten, Sonnenkamp ließ davon bringen; der Arzt fand ihn noch wild, unartig und ungezogen. Bei mancher Speise blickte Herr Sonnenkamp zweifelhaft auf den Doctor, dieser rief ihm aber dann zuvorkommend zu:

»Essen Sie nur, es schadet Ihnen nichts.«

»Nicht wahr? Trinken wäre eigentlich das Beste auf der Welt?« scherzte Sonnenkamp.

»Schade,« rief der Doctor, »daß Sie den »kostbaren Borsch« nicht gekannt haben, der hat einmal das große Wort gesagt: Das Dümmste auf der Welt ist, daß man das Essen nicht auch trinken kann.« Zu Erich gewendet fuhr er fort:

»Ihr Freund Prancken ist auf unsere Rheinlande nicht gut zu sprechen, aber diese Verstimmung ist ein Acclimatisirungs-Katarrh, den Jeder bei uns durchmachen muß. Ich hoffe, daß Sie ihn schneller verwinden. Sehen Sie, solch eine Flasche Wein – Alles was Poesie, Schauspiel, bildende Kunst uns vorzaubert, steckt da drin; der Trinkende empfindet, daß er nicht blos das gemeine Lastthier ist; nicht Jeder weiß von der Schönheit, die in solch einer Flasche verkorkt ist, braucht es auch nicht zu wissen, aber er spürt's; er wird in Wahrheit des Schönen voll.«

»Wenn nur die Spiritusfälschung nicht wäre,« schaltete der Architekt ein.

»Ja wohl,« rief der Doctor laut; »wir hatten früher in unserer Gegend äußerst selten Fälle von Säuferwahnsinn, die jetzt so häufig sind; das kommt nicht vom Wein, sondern vom Spiritus, der darin ist. Verstehen Sie etwas vom Wein?« wendete er sich wieder zu Erich, wie als natürlicher Präsident ihm das Wort ertheilend.

»Noch nicht.«

»Und Sie haben doch wahrscheinlich auch schon Trinklieder gedichtet. Da heißt es immer: schenket ein, laßt uns fröhlich sein, wir wollen fröhlich sein, wir waren fröhlich gewesen, und nach der ersten Flasche können die Herren nicht mehr auf ihren gereimten Füßen stehen.«

Ein Blick auf Roland schien den Doctor zur Besinnung zu bringen; es war nicht gut, Erich sofort in die Neckerei zu ziehen. Er wendete daher das Gespräch und veranlaßte Erich, indem er ihn mit besonderer Freundlichkeit »Herr Collega« nannte, Allerlei aus dem Universitäts- und Soldatenleben zu erzählen. Der Major athmete auf, er wurde nun in Ruhe gelassen und konnte seine Aufmerksamkeit ungestört den Speisen und Getränken widmen. Unter der Serviette, die er mit zwei Haften an den Schultern befestigt hatte, öffnete er seine Uniform. Es ist gut, daß Fräulein Milch mir eine schöne weiße Weste bereit gelegt hat, die darf sich sehen lassen, dachte er. Er stand im besten Einverständniß mit den Dienern, es bedurfte kaum eines Augenwinkes gegen Joseph, und dieser wußte, wenn der Wein gewechselt wurde, ihm auch immer gleich von seinem Leibburgunder einzuschenken.

Jetzt vergaß der Major das Trinken. Das Gespräch hatte eine glückliche Wendung genommen, indem Erich von der Genfer Convention zum Schutze der im Kriege Verwundeten sprach. Das war für den Pfarrer, für den Arzt und den Soldaten ein guter Sammelpunkt; eine Weile herrschte nur zustimmendes und ergänzendes Gespräch am Tische.

Mit starker Stimme rief der Major, daß Männer, die sich nicht nennen wollen, die ursprünglichen Gründer dieser wie aller humanen Einrichtungen seien. Leiser als sonst seine Art war, sagte der Arzt zu Erich, wie der Major alles Gute, was in der Welt geschehe, den Freimaurern zuschiebe; wer sich wohl mit ihm verhalten wolle, dürfe nie darüber spotten.

Mit einer Wärme und Begeisterung, die allgemein ansprach, hob Erich hervor, daß wir stolz sein dürfen, solch eine Einrichtung in unserm Jahrhundert aus dem reinen Grunde der Humanität auferbaut zu sehen, und selbst der Pfarrer schien erfreut, als Erich hinzusetzte, die christliche Religion habe in aufopfernder Hingebung bei der Krankenpflege eine Hoheit bewährt, wie sie keine Vorzeit und keine andere Weltbetrachtung je so rein und groß bewiesen.

Rolands Augen waren andächtig auf Erich gerichtet, bis er geendet hatte; dann schaute er mit Stolz um und gewahrte die glänzenden Blicke der Tischgenossen; er sammelte sie gleichsam für seinen Lehrer ein.

Man stand wohlgemuth vom Tische auf, es war eine Art Segnung über die Speisen gekommen. Frau Ceres erhob sich und ihr folgend die ganze Gesellschaft. Der Pfarrer betete still. Der Major kam auf Erich zu und drückte ihm die Hand. Mit gepreßter Stimme sagte er:

»Sie sind es bereits, Sie müssen noch die Zeichen lernen.«

»Sehen Sie,« rief der Doctor übermüthig, »sehen Sie, die Haare unseres Majors sind weißer geworden.«

Und in der That schien es so, denn das Angesicht des Majors war beständig so geröthet, daß sich die Farbe desselben nie zu erhöhen schien; jetzt stachen die weißen Haare noch schärfer von dem durch den Wein und die Reden belebten Antlitze ab.

»Die Haare des Majors sind weißer geworden,« hieß es allgemein, und das verlegene Lächeln, das stets auf seinen Lippen war, ging ebenfalls in lautes Lachen über.


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