Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band I
Berthold Auerbach

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Dreizehntes Capitel.

Man war im Garten; Sonnenkamp sagte leichthin zu Erich, daß sich ein neuer Bewerber eingestellt habe, der vom letzten Lehrer Rolands, dem Kandidaten Knopf, warm empfohlen wäre; er befahl Joseph, den Fremden einzuführen.

Ein schlanker, sonnenverbrannter Mann trat ein. Er wurde der Gesellschaft vorgestellt; Erich wurde nur Hauptmann genannt, der Doctor war einstweilen zur Ruhe gesetzt. Der Fremde – er hieß Professor Crutius – war ein Studiengenosse des Kandidaten Knopf, war viel in der Welt umhergeworfen worden und zuletzt mehrere Jahre Lehrer an der Kadettenschule zu West-Point in der Nähe von Newyork gewesen. Er berichtete das mit großer Leichtigkeit, aber in etwas herber Betonung.

Sonnenkamp wollte die beiden Gelehrten ein Turnier ausführen lassen, dem er in Behagen zuschaute; aber es wurde vereitelt, da Erich dem Fremden nicht nur die Gelegenheit bot, sich in vortheilhafter Weise kund zu geben, sondern auch bescheiden von der reichen Welterfahrung des Mannes sich belehren ließ.

Der Fremde schien schnell zu ahnen, daß Fräulein Perini im Mittelpunkte dieses Hauses stand, und er fand mit ihr gute Anknüpfungspunkte. Crutius hatte eine amerikanische Familie nach Italien begleitet und war von Nizza aus in die neue Welt gekommen. Mit Unbefangenheit und Sachkenntniß schilderte er die Eigenthümlichkeiten eines amerikanischen Knaben aus der obern Schicht und wie man einen solchen behandeln müsse. Diese Darlegung war offenbar für Roland gegeben, der den Fremden staunend ansah.

Er ging zu seinem Vater und sagte leise aber bestimmt:

»Schick' ihn fort – ich will ihn nicht.«

»Warum?«

»Weil ich Herrn Erich habe und weil diesen da Herr Knopf geschickt hat,« entgegnete Roland und ging davon.

Der Fremde tastete im Gespräche hin und her, um die Stimmung zu erkunden, mit der man hier im Hause an Amerika denkt. Als Sonnenkamp mit großer Heftigkeit hinwarf, er wünsche Amerika einen Dictator, der die Zerfahrenheit und Unbotmäßigkeit zu Paaren treibe, sagte Crutius: es gäbe in der neuen Welt sehr Viele – sie wagten nur nicht es zu sagen – die innerlich die Sehnsucht und die Ueberzeugung hegten, daß Amerika der Monarchie entgegengehe.

Sonnenkamp nickte vor sich hin und pfiff wiederum unhörbar.

»Wo sind Sie abgestiegen?« fragte er plötzlich den Fremden.

Crutius nannte einen Gasthof des Städtchens.

»Da sind Sie sehr gut einlogirt.«

In den Mienen des Fremden zuckte es; er hatte offenbar erwartet, daß man sein Gepäck holen lasse und ihn zunächst als Gast im Hause behalte. Sonnenkamp dankte sehr höflich für den Besuch und bat den Fremden, genau seine Adresse anzugeben, damit man ihm schreiben könne. Die Hand des Fremden zitterte, da er ein sehr verbrauchtes Taschenbuch herausnahm und seine Karte abgab; er verabschiedete sich mit erzwungener Höflichkeit.

Sonnenkamp ersuchte Erich, seinen Collegen ein Stück Weges zu begleiten, und händigte ihm mehrere Goldstücke ein, die er dem bedürftig Erscheinenden in passender Weise übergeben möge.

Ist dies Vertrauen oder Dienst? fragte sich Erich, als er dem Fremden nachging.

Er holte denselben noch an der Mauer des Parks ein. Als Erich ihm sagte, daß er ebenfalls Lehrer sei, veränderten sich die Mienen des Professors.

»Ah,« rief er aus, »also auch ein Lehrer und wol mein Concurrent?«

Erich bejahte. Crutius sah ingrimmig drein, er war den freundlichen Ermunterungen des Hauptmanns, den er für einen Vertrauten des Hauses hielt, willig gefolgt; nun war das also auch ein Lehrer! Etwas vom Aerger über diese Täuschung knirschte er durch die Zähne.

Mit großer Zartheit brachte Erich das Anerbieten des Geldgeschenkes vor.

»Ha!« lachte Crutius. »Er kennt mich, er will mich beschenken, mich zu Dank verbinden und sich loskaufen!«

Erich sagte, daß er diese Ausrufungen nicht begreife.

»So?« höhnte Crutius. »Also eine Unschuld mit Hauptmannsrang? Und das läßt sich auch kaufen? Die ganze Erde ist eine Trödelbude. Was thut's? Die Höhle, wo der Tiger seine Beute verzehrt, ist sehr schön, sehr geschmackvoll; Maurerpolier und Tapezier können viel zuschmieren! Entschuldigen Sie, ich habe am Morgen Wein getrunken und bin das nicht gewöhnt. Gut, geben Sie her! Meinen allerunterthänigsten Gruß nach Villa Eden! Ein schöner Name!«

Ohne ein Wort der Erklärung faßte Crutius das Geld, griff an den Hut und entfernte sich mit raschen Schritten.

Erich kehrte nachdenklich zu Sonnenkamp zurück. Mit großer Zutraulichkeit hieß Sonnenkamp ihn zu sich setzen und fragte:

»Er hat das Geld genommen und sich natürlich kaum bedankt?«

Erich bejahte.

Bei all seiner Abgeschlossenheit schien Sonnenkamp doch eine gewisse Mittheilungslust zu haben und diese gegen einen Mann wie Erich walten zu lassen. Er erging sich in lustigen Betrachtungen, wie viele Existenzen auf eine Beute des Zufalls warten; man öffne nur einen Honigtopf, plötzlich seien Bienen und Wespen und Goldfliegen da, von denen man eine Minute vorher nichts gesehen. Dann fuhr er fort:

»Ich kann Ihnen einen Beitrag zu Ihrer Menschenkenntniß geben.«

»Von Herrn Crutius?«

»Nein, von Ihrem sehr bemitleideten Erdmännchen. Es ist eine Freude, was für ein geriebener Schelm das ist; ich wußte es längst, da er mit Geschick schwarze Walderde droben von der Höhe zu stehlen weiß; nun aber ist der Schaden, den er von der Hundedressur davon getragen haben will, nichts als Lüge. Ich habe das Roland bereits mitgetheilt, und es freut mich, daß er schon früh die Schlechtigkeit und Lügenhaftigkeit der Menschen kennen lernt.«

»Sie werden das Erdmännchen nun nicht mehr in Ihrem Dienste behalten?« fragte Erich.

»Im Gegentheil! Mich freut's, daß das putzige Männchen so viel Schelmerei hat. Ich wünschte, ich hätte ein halb Dutzend Gauner zur Hand, um Roland lehren zu können, wie man mit dem Gelichter verkehrt.«

»Das werde ich ihn nicht lehren können,« sagte Erich.

»Das sollen Sie auch nicht, Sie sind zu Andrem da.«

Erich sah die Menschenverachtung Sonnenkamps, sie erschien ihm als Folge des bewegten amerikanischen Erwerbslebens und um so mehr hoffte er ein Gutes zu wirken, indem er die Leitung Rolands übernahm.

Ein Diener meldete, daß Roland am Ufer auf Erich warte; er ging zu ihm und Roland löste den schönen Kahn und ruderte mit Erich hinaus auf den Strom, der jetzt dunkelgrün war. Die dichtbelaubten Inseln droben schienen wie aus der grünflüssigen Fläche des Wassers herauszuwachsen.

Ein frischer Wind trieb Kräuselwellen; Roland spannte das Segel auf und zeigte sich gewandt, das Element beherrschend; jede seiner Bewegungen war so voll Anmuth, daß Erich ihn mit frohem Blicke betrachtete.

Erich war auf dem Wasser ganz fremd, er gönnte Roland gerne den Triumph, ihn zu unterrichten, wie man das Fahrzeug nach Lust und Laune lenkt und wendet. Es war eine Fröhlichkeit in der Stimme Rolands, die man bisher noch nicht gehört hatte.

Mit aufgeblähtem Segel fuhren sie dahin und die hoch aufspritzenden Wellen schlugen klatschend an das Fahrzeug. Roland erzählte, daß der Kandidat Knopf ihn erst auf dem Wasser heimisch gemacht habe. Rudern, Segeln und Steuern und den Kahn im Kreise treiben, das habe Knopf besser verstanden als der geübteste Steuermann, ja besser als die Steuermännin, eine große, mächtige Frau, die eben jetzt Roland anrief, indem sie einen am Schleppschiff hängenden großen Kahn lenkte, während der Mann, eine nicht minder mächtige Gestalt, am Mastbaum lehnte.

Roland steuerte auf das Schleppschiff und hing seinen Kahn an das am Tau hängende Schiff, das die Steuermännin regierte. Sie plauderte mit ihm, sah aber beständig zurück, denn sie mußte Richtung inne halten. Als Roland weit genug hinauf gefahren war, löste er den Kahn ab und fuhr mit der Strömung zurück.

Erich lenkte das Gespräch auf den Kandidaten Knopf. Roland wollte nichts weiter von ihm erzählen und auch nicht von anderen früheren Lehrern; sie waren ihm offenbar gleichgültig, wie Kellner im Gasthofe, die gestern aufwarteten. Nur aus der Art, wie Roland einige Worte gesprochen, ließ sich erkennen, daß Kandidat Knopf seinen Zögling sehr geliebt haben mußte.

Die Rede kam auch auf das Erdmännchen; Roland nahm die Schelmenstreiche desselben sehr gleichgültig auf: er war der Ansicht, daß alle armen Leute Schelme seien.

Der Knabe hatte schon früh eine gewisse Weltverachtung gewonnen und schien Niemand und nichts zu haben, woran er unzertrennlich hing und dessen Gedenken ihn tiefer belebte. Nur mit seiner Schwester schien er inniger zusammenzuhängen, denn als er mit Erich nach der Villa ging, sagte er:

»Jetzt geht Manna mit Herrn von Prancken. Ich glaube, wenn sie kommt, wirst Du sie auch lieb haben.«


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