Berthold Auerbach
Das Landhaus am Rhein / Band I
Berthold Auerbach

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Zehntes Capitel.

Aus dem schattigen, dicht bestandenen Park, dessen Rand noch mit schönen stämmigen Weißtannen bepflanzt war, trat man in ein Gewirre von Obstpflanzungen, die auf einer Fläche von mehreren Morgen Feldes sich wahrhaft zauberisch darstellten. Die Beete waren mit kleinen, fast wie Taxusgebüsche zwerghaft gehaltenen Birnen- und Apfelbäumen eingefaßt. Der Stamm war kaum zwei Schuh hoch gehalten, während die Auszweigungen an Drähten so ausgelegt waren, daß hüben und drüben oft dreißig Schuh lange Aeste festgebunden waren. Das blühte jetzt an allen Enden und stand dabei so geregelt, daß der gewaltig bindende und bildende Menschenwille sich zeigte, der die Natur zum freien Kunstwerk oder auch zu einer zwerghaften Verkünstelung gebracht hatte.

Wohl geordnet standen dann Bäume von mannichfaltigsten geometrischen Formen. Da waren Bäume in Kreisformen und Vierecken, andere, die von unten bis zur Spitze nur vier Zweige hatten, die in gemessenen Zwischenräumen nach den vier Himmelsgegenden gerichtet waren. An die Mauer angelehnt waren Bäume, die Stamm und Zweige in Sternform oder schief legen mußten, wie ein Basaltlager. Alles war im besten Gedeihen.

Sonnenkamp berichtete, daß man die Zweige knicke, um den Saft nicht zu Holzbildung in Stamm und Ast sich verbreiten zu lassen; Alles müsse der Frucht dienen.

»Sie haben wol auch Mitleid mit diesen geknickten Zweigen?« fragte er ironisch lächelnd.

»Die natürliche Form der uns bekannten Obstbäume –«

»Ja wohl,« fiel Sonnenkamp ein, »die Menschen sind Gefangene des Vorurtheils! Findet Jemand Unschönes, Gewaltsames darin, daß man den Weinstock allsommerlich dreimal kappt? – Niemand will schöne Form vom Weinstock, sondern nur reiche Frucht; so soll es auch beim Obstbaum sein. Sobald man zu oculiren begonnen, war der Weg vorgezeichnet; wir sind nur consequent. Der Zierbaum soll Zierbaum, der Fruchtbaum Fruchtbaum sein, Alles gradaus. Dieser Apfelbaum soll solche Aeste und nur so viel Aeste haben, daß er Früchte tragen kann und zwar so große als möglich; vom Obstbaum will ich kein Holz, sondern Frucht.«

»Aber die Natur –«

»Natur! . . . Natur!« spottete Sonnenkamp. »Neun Zehntel dessen, was man Natur nennt, ist nichts als Dressur und selbstgemachte Phantasterei. Naturgeist und Volksgeist sind die beiden Götzen, die Ihr Philosophen Euch gemacht. Es gibt keine Natur, es gibt kein Volk, und wenn es beide gibt, so haben beide gewiß keinen Geist.«

Erich war betroffen von dieser herausfordernden Sprachweise, Sonnenkamp lenkte jetzt über und sagte:

»Der rechte Mann der Erziehung wäre der, der auch die Menschen so erziehen könnte, wie ich diese Bäume: zum nächsten Zweck, nichts Ueberflüssiges, keine Umwege. Das, was man Natur nennt, ist eine Fabel; es gibt keine Natur, wenigstens unkenntlich wenig. Bei uns Menschen aber ist Alles Gewohnheit, Erziehung, Ueberlieferung.«

»Die Herren von der Tradition,« konnte Erich endlich zu Worte kommen, »nennen uns Männer der Wissenschaft Gottesleugner: einen Naturleugner habe ich bis jetzt weder gekannt, noch je nennen hören. Vielleicht könnte man sagen, daß Diejenigen, welche die Gesetze unseres Lebens aus der Offenbarung herleiten, die Natur leugnen, oder vielmehr verwerfen.«

»Ich bin kein Gelehrter und vor Allem kein Theologe,« brach Sonnenkamp rasch ab. »Alles ist Schicksal. Wir haben Raupenfraß im Walde; da steht neben einem kahl benagten Eichbaum ein anderer ganz frisch – warum? Das wissen wir nicht. Und sehen Sie hier diese Bäume. Ich habe einen Einblick in die Oekonomie dessen gethan, was man Natur nennt; da müssen tausend Lebenskeime verkommen, damit Einer sich entfalte, und das ist im Menschenleben nicht anders.«

»Ich verstehe,« sagte Erich. »Alles Lebende hat etwas Aristokratisches im Gegensatz zum Verkommenden; die zur vollen Frucht sich entwickelnde Blüthe ist reich, die kümmerliche arm. Meinen Sie es so?«

»Zum Theil,« erwiderte Sonnenkamp etwas müde. »Ich wollte nur sagen, daß ich den Mann nicht mehr suche, weil ich nicht glaube, ihn zu finden, den Mann, der meinen Sohn so erziehen könnte, daß er gradaus zu dem käme, was ihm beschieden ist.«

Still wandelten die Beiden geraume Zeit wieder durch den blühenden Garten.

Auf einer Tafel, die über der Mauer des Obstgartens hervorragte, stand geschrieben:

»Warnung. In diesem Garten ist Selbstschuß und Fußangel.«

Erich schaute nach Sonnenkamp um und dieser sagte lächelnd:

»Ihr Blick fragt mich, ob die Tafel dort Wahrheit verkündet? So ist's. Die Menschen glauben nicht mehr, daß man den Muth hat, das zu thun. Halten Sie sich stets auf dem Wege neben mir.«

Sonnenkamp vergnügte sich an der Betroffenheit Erichs. Und doch war es Lüge, es lag weder Fußangel nach Selbstschuß im Garten.

Man war im sogenannten Nizza angekommen, bei dem im pompejanischen Stile angelegten Säulengange, der sich tief in die zweite Terrasse des Nutzgartens einlegte.

»Nun will ich Ihnen mein Haus zeigen,« sagte Sonnenkamp, drückte an eine kleine Thür, die durch einen unterirdischen Gang führte, und geleitete seinen Gast nach dem Wohnhause.


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