Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Zweiter Band
Berthold Auerbach

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Dreizehntes Kapitel.

Hansei eilte nach der Anlande. Da stand das ganze Dorf und dabei die vollzählige Musikbande. Der Sohn des Schneider Schneck, der bei der Taufe des Kronprinzen unter den Kürassieren gestanden, befehligte und ordnete die Abschiedsfeier. Der Schneider Schneck, der seine Baßgeige strich, sah Hansei zuerst herankommen, und rief mitten in die Musik hinein:

»Der Freihofbauer Hansei und seine Herzallerliebste sollen leben – hoch und dreimal hoch!«

Alles rief hoch! und hoch! in den erwachenden Tag hin. Die Musik blies einen Tusch und Böllerschüsse wurden gelöst, die dröhnend von den Bergen wiedertönten.

Der große Kahn, in dem sich schon der Hausrat, die beiden Kühe und die Hühner befanden, war mit Kränzen aus Tannen- und Eichenzweigen geschmückt; mitten im Kahn stand Walpurga und hielt mit beiden Händen ihr Kind hoch über sich und ließ es hineinschauen in die Freundeszahl und in den morgenglühenden See.

»Einen schönen Gruß von meinem Meister,« sagte ein Knecht des Grubersepp, der ein schneeweißes Füllen am Halfter führte, »und das schickt er Euch zum Angedenken.«

Der Grubersepp war nicht unter den Versammelten, er liebte den Lärm nicht, er blieb eine einsame, in sich lebende Natur; aber er schickte doch etwas, das nicht nur an Geldeswert von Belang war, sondern auch das ehrenvollste Erinnerungszeichen, denn ein Füllen schenkt der Großbauer seinem davonziehenden jüngeren Bruder. Hansei erschien jetzt vor der ganzen Welt, das heißt vor dem ganzen Dorfe, als der jüngere Bruder des Grubersepp.

Die kleine Burgei im Schiff jauchzte hellauf, als sie das schneeweiße Füllen sah, das in den Kahn gebracht wurde; das Kind und das Füllen sahen einander groß an.

Der sechsjährige Gruberwaldl stand neben dem Schimmelfüllen und streichelte es immer und sagte ihm leise Worte, die niemand hörte, und das Füllen wieherte in den jungen Tag hinein.

»Willst mit auf den Freihof und mein Knecht sein?« fragte Hansei den Gruberwaldl.

»Ja, wenn Ihr mich mitnehmt, rechtschaffen gern.«

»Schau, was das für ein Bub ist,« sagte Hansei zu seiner Frau. »Ja, ein Bub.«

Walpurga antwortete nicht und machte sich mit dem Kinde zu schaffen.

Hansei reichte allen die Hand zum Lebewohl, seine Hand zitterte; er vergaß aber doch nicht, in die Tasche zu greifen und der Musikbande zwei Kronenthaler zu geben.

Endlich stieg er ein und rief:

»Ich dank' euch, ihr Gefreundeten alle! Vergesset unsrer nicht, wie wir eurer nicht vergessen. Lebet wohl und gesund! Behüt euch Gott miteinander!«

Walpurga und die Mutter weinten.

»Nun voran in Gottesnamen!« hieß es; die Ketten wurden gelöst, der Kahn stieß ab. Nochmals erscholl helle Musik, Jauchzen, Jodeln und Böllerknallen vom Ufer her, dann glitt der Kahn still über den See. – Die Sonne brach in voller Pracht hervor.

Die Großmutter saß da und faltete die Hände, alle waren still. So fuhr man lange dahin. Nur das Schimmelfüllen wieherte nochmals der Heimat zu.

Walpurga war es, die zuerst das Schweigen unterbrach.

»Du guter Gott, wenn nur die Menschen einander im Leben halb so viel Liebe erzeigten, wie sie einem anthun, wenn man gestorben ist oder auswandert,« sagte sie.

Die Mutter, die noch mitten in einem Gebet war, schüttelte den Kopf; sie endete aber schnell ihr Gebet, dann fiel sie ein: »Das kann man gar nicht verlangen. So im Alltag will sich's nicht geben, das Herz in die Hand zu nehmen; aber ich hab' dir's immer gesagt, halte das fest: die Menschen sind doch gut, wenn auch manche schlechte darunter sind.«

Hansei schaute auf seine Frau, die so vielerlei Gedanken auf alles hat; das kommt doch davon, weil sie in der Fremde gewesen. Aber auch ihm war das Herz voll, freilich ganz anders; er sagte:

»Ich kann mir gar nicht denken,« er atmete tief auf und steckte die Pfeife wieder ein, die er eben hatte anzünden wollen – »ich kann mir gar nicht denken, wo all die Jahre hin sind, die ich da verlebt habe und was ich alles durchgemacht habe. Schau, Walpurga, da trüben geht der Weg nach meinem Heim. Ich kenne jede Höhe und jede Senke. Dort liegt meine Mutter begraben. Und schau, da drüben der Berg, da stehen die Kiefern, der Berg war ganz kahl, die Bergschinder haben ihn abgeholzt zu Franzosenzeiten, und wie stämmig sind jetzt die Bäume, die meisten davon hab' ich gepflanzt. Ich war ein kleiner Bub von elf, zwölf Jahren, da hat mich der Forster gedingt; er hat überall Boden hinbringen lassen und Moos an die Schrofen, und da hab' ich im Frühjahr von morgens sechs bis abends sieben Uhr die Pflänzlinge eingesetzt; meine linke Hand ist mir fast erfroren, in einem Kübel hab' ich immer nassen Lehm haben müssen, um den an die Wurzeln zu thun: gering an Kleidern bin ich auch gewesen, und nichts als ein Stück Brot den ganzen Tag, und so am Morgen bis ins Mark hinein gefroren, am Mittag fast verbraten von der Sonnenhitze an den Felsen – das war hart. Ja, ich hab' eine harte Jugend gehabt, es hat mir gottlob nichts geschadet; aber vergessen will ich's nicht, und rechtschaffen arbeiten wollen wir und den Armen geben, was wir können. Ich hätt's nie geglaubt, daß ich einmal einen einzigen Baum und eine Handbreit Erde mein eigen nennen könnt', und jetzt hat mir Gott so viel gegeben. Wir wollen's verdienen.«

Hansei blinzelte mit den Augen, es stach ihn etwas drin, er drückte den Hut tiefer in die Stirn; jetzt, wo er sich auswurzelte, ging es ihm durch den Sinn, wie vielfach eingewachsen in der Gegend er war durch seiner Hände Arbeit und durch Gewohnheit; er hatte wohl manchen Baum umgehauen, aber er wußte auch, wie schwer er ausgestockt wird.

Das Füllen ward unbändig. Der Gruberwaldl, der mitgefahren war, um es zu halten, war nicht stark genug; ein Schiffer mußte ihm beispringen, um zu helfen.

»Bleib bei dem Füllen,« rief Hansei, »ich nehme das Ruder.«

»Und ich auch,« rief Walpurga, »wer weiß, wann ich wieder dazu komme. O, wie oft bin ich da über den See gefahren, allein, mit dir und meinem Vater selig.

Hansei und Walpurga saßen nebeneinander und führten die Ruder in gleichem Takt; es war beiden wohl, daß sie etwas zu thun hatten, um die innere Herzbewegung auszuarbeiten.

»Es wird mir bang sein nach dem Wasser,« sagte Walpurga. »Ohne den See kommt mir das Leben so trocken vor. Ich hab's in der Stadt gespürt.«

Hansei antwortete nicht.

»Auf der Sommerburg ist auch ein Teich, und da schwimmen Schwäne darauf herum,« sagte sie wieder, und erhielt noch immer keine Antwort. Sie schaute um, es stieg ein Arges in ihrer Seele auf: Dort im Schlosse, wenn sie etwas sagte, wurde es stets beachtet. In wehmütigem Tone klagte sie:

»Es wäre doch besser gewesen, wenn wir im Frühjahr aufgezogen wären, da wächst man bester ein.«

»Mag sein,« erwiderte Hansei endlich, »aber ich muß jetzt im Winter Holz schlagen. Walpurga, wir wollen einander das Lehen leicht machen und nicht schwer. Ich krieg' meine Last und kann nicht noch dich dazu tragen, mit deinen Schloßgedanken.«

Walpurga fuhr auf: »Ich will den Ring da, den mir die Königin geschenkt hat, in den See werfen, zum Zeichen, daß ich gar nicht mehr ans Schloß denke,« »Das ist nicht nötig, der Ring ist ein schönes Geld wert und ist auch ein ehrsames Andenken. Du mußt das auch so können.«

»Ja, bleib du nur so getreu und stark.«

Die Mutter stand plötzlich aufrecht ihnen gegenüber, in ihr Antlitz trat ein seltsamer Glanz und sie sagte:

»Kinder, haltet das Glück fest, daß ihr so seid. Ihr seid miteinander durch Feuer und Wasser gegangen, denn Feuer ist gewesen, wie ihr in lauter Freude und Liebe waret und die Menschen mit euch so gut und freundlich; und durchs Wasser seid ihr gegangen, wie es euch am Herzen genagt, daß die Menschen so bös; da ist euch das Wasser bis an den Hals gegangen und ihr seid nicht ertrunken. Jetzt seid ihr über alles hinaus und wenn ich einmal sterbe, so weinet nicht; was ein Mutterherz von Glück bekommen kann auf der Welt, ich hab's gehabt durch euch.«

Sie kniete nieder und schöpfte mit der Hand Wasser aus dem See und spritzte davon Hansei und Walpurga ins Gesicht.

Hansei und Walpurga ruderten still weiter und sprachen kein Wort mehr. Die Mutter aber legte ihr Haupt auf ein zusammengebundenes Bett und schloß die Augen. Ein wunderbarer Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Nach einer Weile öffnete sie die Augen wieder, schaute strahlenden Blickes auf die beiden und sagte:

»Singet! seid lustig! Singet das Lied, das der Vater und ich so oft miteinander gesungen. Den einen Vers, den guten.«

Hansei und Walpurga führten die Ruder und sangen dabei:

»Wir beide sein verbunden
Und fest geknüpfet ein,
Glückselig sein die Stunden,
Wann wir beisammen sein.«

Sie wiederholten den Vers oft und oft, und zwischendrein jauchzte das Kind und wieherte das schneeweiße Füllen.

Gesang und Jauchzen wurden plötzlich unterbrochen, denn ein junger Schiffer schrie:

»Da schwimmt etwas! Es ist ein Mensch! Jetzt ist der Kopf oben, jetzt, seht ihr's dort? Da sind die langen kohlschwarzen Haare, die auf dem Wasser schwimmen: da hat sich jemand ertränkt oder ist verunglückt!«

Alle im Schiff sahen auf den Punkt hin, es wogte auf und nieder, es schien ein Menschenantlitz zu sein, das manchmal emportauchte und wieder untersank. Alle waren starr und Hansei rieb sich die Augen: war's Einbildung, war's Wirklichkeit? Er glaubte das Gesicht der schwarzen Esther erkannt zu haben, wie es sich einmal emporhob und wieder untertauchte im Wasser. – Es schwamm weiter und weiter, und jetzt sank es unter, und man sah nichts mehr.

»Es ist nichts,« meinte Walpurga, »es ist nichts; wir wollen unsre Freude nicht verderben lassen, unser Glück nicht.«

»Du bist ein einfältiger Bursch,« schalt der alte Schiffer den Gefährten. »Es ist nichts als ein toter Rabe oder ein andrer Vogel gewesen, der auf dem Wasser geschwommen ist. Wer wird denn gleich so etwas sagen?« setzte er leise hinzu. »Wenn wir jetzt ein schlechtes Trinkgeld kriegen, bist du schuld. In der hellen Glückseligkeit, in der die da sind, hätten wir wenigstens einen harten Thaler gekriegt. Siehst du, wie jetzt der Hansei in seinem Geldbeutel wühlt? Er sucht nach kleiner Münze; daran bist du schuld!«

Hansei hatte in der That, ohne daß er wußte warum, seinen Geldbeutel herausgezogen und suchte darin. Er war so verwirrt von dem, was er gesehen hatte ... es ist doch Wahrheit gewesen ... aber es kann doch nicht recht sein ... gerade jetzt, heut, wo alles vergeben ist und vorbei, und ich hab' doch nicht gesündigt. –

Um seine Besinnung wieder zu finden, zählte er mehrere Geldstücke zusammen. Das brachte ihn wieder zurecht; er kann zählen, jetzt ist er wieder bei Besinnung. Er hatte das Ruder wieder abgegeben, und machte sogar mit Kreide eine Rechnung auf der Sitzbank, die er aber schnell wieder verlöschte.

»Da ist das andre Ufer!« rief er aufschauend und that seinen Hut ab. »Jetzt sind wir bald drüben! Ich sehe schon die Wagen und die Rosse und den Ohm Peter; ich sehe schon unsern blauen Schrank.«

»Himmel!« rief Walpurga und das Ruder in ihrer Hand blieb unbewegt. »Himmel, wer ist denn das dort ... die Gestalt? Ich kann darauf schwören, daß ich in dem Augenblick während dem Singen daran gedacht hab', wenn nur meine gute Gräfin Irma uns so auf dem Kahn bei einander sehen könnte! Die wäre glücklich, wenn sie das sähe. Und jetzt ist's mir gewesen, wie wenn – –«

»Ich bin froh,« unterbrach sie Hansei, »daß wir an Land kommen; »wir werden sonst noch alle ganz wirbelsinnig.«

Weit am entfernten Ufer rannte eine Gestalt umher, auf und ab. Die Gestalt in wallendes Gewand gehüllt, zuckte plötzlich zusammen, als ein Windstoß einen vollen Musikklang hinübertrug; sie sank nieder und kauerte am Ufer. Jetzt, da das Lied erschollen, richtete sich die Gestalt wieder auf, floh, und duckte unter im Röhricht.

»Hast du nichts gesehen?« fragte Walpurga nochmals.

»Ja freilich – wenn's nicht Tag wäre und wenn's nicht Aberglaube wäre, möcht' ich denken, es sei die Seejungfrau.«

Der Kahn landete. Walpurga sprang zuerst heraus; sie eilte nach dem Röhricht, fort von den Ihrigen, und dort hinter den Weiden sank ihr die Gestalt um den Hals und brach zusammen.


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