Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Zweiter Band
Berthold Auerbach

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Zweites Kapitel.

»So? bist schon fleißig?« sagte Hansei, da er in die Küche trat; er hatte das Kind auf dem Arm, das nur mit dem Hemdchen bekleidet war.

»Guten Morgen, guten Morgen miteinander,« rief Walpurga glückselig, und in jedem Ton und jeder Silbe lag ein Ausdruck, als ob sie alles mit Liebe speisen und sättigen könnte.

»Guten Morgen, mein Kind!« rief sie. Das Kind streckte ihr die Arme entgegen, aber sobald sie nach ihm griff, wendete es wieder das Gesicht und legte sich an die Schulter des Vaters.

»Hab Geduld mit ihm, es kennt dich noch nicht recht,« sagte Hansei. »So ein jung' Kind ist eigentlich nur erst ein Stückle Vieh; das kennt die Mutter nicht, wenn sie nicht bei ihm blieben ist.«

Als wollte das Kind die erniedrigende Weisheit des Vaters widerlegen, wendete es sich wieder um, starrte in das Feuer, rundete seinen kleinen Mund und blies, wie wenn man Feuer anbläst.

»Die Großmutter hat's das gelehrt,« sagte Hansei. »Es kann noch viele Kunststücke. Die Großmutter hat noch nie so lang geschlafen, wie heute; es ist, wie wenn sie spüren thät, daß sie nicht mehr den ganzen Karren ziehen muß. Es ist ihr zu gönnen. Ja, deine Mutter, braver hat's noch keine Frau auf der weiten Welt gegeben.«

»Hat's gegeben? Gibt's denn nicht mehr?« Walpurga erschrak bis ins Herz von diesem Worte.

Die Mutter war gestern so glückselig über die ganze Welt hinaus gewesen, wer weiß, ob nicht die Freude sie getötet hat. Das Glück ist so groß, wer weiß, ob nicht was Schlimmes geschehen muß, denn es ist nie etwas ganz auf der Welt.

Diese Gedanken überflogen Walpurga rasch und sie zitterte.

»Ich will nach der Mutter schauen,« sagte sie, und ging nach der Kammer. Hansei folgte ihr mit dem Kinde. Als die Mutter jetzt erwachte, sagte sie: »So? Also wecken muß man mich? Bin ich denn noch ein junges Mädchen, das, wenn der Holunder blüht, lang schläft und träumt? Ja, jetzt fällt mir ein; was ich geträumt hab': ich bin wieder jung gewesen und Magd auf dem Freihof drüben über den Bergen, und dein Vater ist gekommen und es ist Sonntag gewesen. Wir sind miteinander hinauf zu meinem Bruder in der Pechhütte, unterwegs haben wir gesungen, und wie wir da am Bach sind, wo der Holunder blüht und der Vater mir von drüben die Hand gibt, daß ich gut herüberspringen kann, da habt ihr mich geweckt. Ich spüre seine Hand noch in der meinen.«

»Gottlob, daß Ihr aufgewacht seid,« schaltete Walpurga ein. Die Mutter lächelte und fuhr fort:

»Jetzt Walpurga, bitt ich dich nur um Eins. Wenn dir's nicht zu viel ist, gib mir ein paar Gulden, ich möcht' noch ein einzigmal heim, wo ich auf die Welt gekommen bin und gedient hab', und wo mein Bruder wohnt, und möcht' ein paar Groschen haben, um sie armen Leuten zu schenken, die noch dort sind.«

»Ja, Mutter, das sollt Ihr haben, so viel Ihr begehrt. Wir haben's ja, gottlob.«

»Ich möcht' nur wissen,« sagte die Mutter, »warum ich heut nacht von meiner Heimat geträumt hab'?«

»Das ist leicht zu wissen,« sagte Hansei, »vor ein paar Tagen ist ja davon die Rede gewesen, der Holzschnitzer aus Eurem Ort hat's erzählt, daß der Freihofbauer sein Anwesen verkaufen möcht'. Ja, wer das kaufen könnte!«

»Siehst du?« sagte die Alte, »siehst du, Walpurga, was dein Mann für ein Ketzer und Traumdeuter geworden ist? Das hat er alles vom Gemswirt gelernt. Jetzt machet aber, daß Ihr hinaus kommt und gebt mir mein Kind! Komm, du Gemsenzicklein! Hopsa, tanz einmal!«

Sie sang dem Kinde zu, und wie ein Vogel wohlig ins Nest fliegt, so streckte sich das Kind vom Arme des Vaters zu der Großmutter.

Die Eheleute gingen hinaus und das Kind lag bei der Großmutter und die beiden waren glückselig mit einander.

»Jetzt will ich die Kühe melken,« sagte Hansei draußen.

»Du?«

»Ja, wer sonst? Die Mutter kann nicht alles.« »Nein, laß jetzt mich das.«

Walpurga ging mit ihrem Mann in den Stall. Sie wollte ihm das Geschäft abnehmen, aber es ging nicht, und Hansei sagte:

»Ist auch nicht nötig, jetzt wird die Sache anders. Wenn du Wirtin bist, haben wir wenigstens zwei Mägde, und die können melken, und noch sechs Kühe kann man zu den unsern einthun, und noch eben so viel auf die Vogelfang-Alm, dazu haben wir das Recht, und da kannst du buttern und käsen und machen, was du magst.«

Hansei sprach diese Erklärung in die Kuh hinein, während er molk. Er wollte vorerst nicht sehen, was seine Frau für ein Gesicht dazu macht, und gehört hat sie nun die Sache; später läßt sich schon weiter davon reden.

Walpurga wollte eben etwas darauf sagen, da öffnete sich die Stallthür, ein Mädchen, das einen Kuchen auf einem großen Brette trug, trat ein, that das Tuch ab und sagte:

»Einen schönen Gruß von meinem Meister, dem Gemswirt, und da schickt er das als Willkomm für die Frau.«

»Einfältiges Ding!« rief Hansei und stand rasch auf, er sah wunderlich aus mit dem angeschnallten Melkkübel. »Einfältiges Ding! den Kuchen trägt man nicht in den Stall, trag ihn in die Stube und sag daheim schön Dank, und der Herr Gevatter soll uns bald die Ehre geben, oder auch wir kommen zu ihm, vielleicht noch vormittags. So, jetzt geh!«

Walpurga gedachte der Mahnung ihrer Mutter, die Dinge nicht auf einmal ändern zu wollen. Sie nahm sich vor, zuerst alles ohne Dreinreden an sich kommen zu lassen und davon Einsicht zu nehmen; es wird sich dann zeigen, was man thun will.

Hansei molk weiter und Walpurga sprach nichts.

Die Welt bleibt nicht so ruhig und allein, wie am Morgen im See, man muß aber auch bei sich selber bleiben, wenn's um einen herum lärmend hergeht.

Als Hansei gemolken hatte und die beiden Kübel rechts und links in Händen hielt, sagte er zu seiner Frau:

»Was sagst du dazu?«

»Das ist viel und schöne Milch.«

»Ich meine, was sagst zum Gemswirt?«

»Es ist recht anständig, ich erkenn's dankbar; wir wollen sehen, daß wir's wettmachen.«

»Ist nicht nötig, den Kuchen müssen wir schon teuer bezahlen. Aber wir sind auch nicht dumm, wirst schon sehen, Walpurga, ich weiß auch, wo Bartel den Most holt.«

»Und hast bis jetzt nur kein Gefäß gehabt, um zu schöpfen,« entgegnete Walpurga lachend.

»Du bist aber gescheit!« stimmte Hansei in das Lachen. »Nein, was sie gescheit ist!« sagte er zu den Kühen gewendet; er mußte vor Lachen die Milchkübel abstellen; wenn man ihn wie einen Kreisel um und um gedreht, es hätte ihm nicht wirbeliger sein können. Solch ein Sprichwort ist wie ein Stock in der Hand, und ist's nicht wunderlich, wenn der plötzlich Zweige bekommt?

Daß Walpurga an das gewohnte Wort etwas Neues anknüpfte, gab ihm eine Ahnung, wie seine Frau in der Fremde eine andre geworden. Endlich sagte er:

»So ist's, jetzt hab' ich die Melkkübel. Ja, wenn ich mit dem König hätte reden können, da hättest du bald erfahren, daß der Hansei auch nicht gerad einer von den Dümmsten ist.«

»Das weiß ich schon lang, da brauch' ich keinen König dazu.«

Beim Frühstück war Walpurga glücklich, als das Kind sich einige Löffel Brei von ihr reichen ließ; auf ihren Schoß aber ging es noch nicht, es schrie und jammerte, wenn sie es nehmen wollte.

»Hast du zusammengerechnet, was wir eigentlich alles in allem besitzen? Von dem Geld, was du geschickt hast, ist kein Groschen weggekommen, heißt das, fünfzehn Gulden hab' ich doch davon genommen, ich hab' mir eine Jagdflinte gekauft.«

»Ist ganz recht,« sagte Walpurga, und mitten in aller Traulichkeit faßte sie den Gedanken, daß sie das Gold, das sie zuletzt von Irma bekommen, Hansei nicht übergeben wolle. Sie wußte nicht, warum ihr das in den Sinn kam, sie hatte eine gewisse Bangigkeit vor dem Golde, das ihr so wunderlich zugekommen war; sie hatte es selbst noch nicht angesehen. Ueberdies hatte sie das Gefühl, daß sie in trockenen Zeiten vielleicht noch etwas bringen müsse. Es kann gut sein, wenn nicht alles gleich da ist. Sie versprach, noch vor Mittag alles zusammen zu rechnen und jammerte, daß sie keinen Schrank habe, wohin sie all die schönen Sachen packen könnte, die sie in der Kiste mitgebracht.

»Ich meine, du packst gar nicht aus,« sagte Hansei, »das thust du erst, wenn wir in unserm Wirtshaus sind; da sind Kisten und Kasten genug.«

Walpurga schwieg. Hansei sah sie scharf an, aber Walpurga schwieg beharrlich.

»Warum sagst du gar nichts zu der Sache?« fragte er endlich.

»Weil du sie mir noch nicht ordentlich gesagt hast. Jetzt gib her, was meinst du eigentlich?«

Hansei berichtete, wie alle Menschen sagten, es sei das Gescheiteste, wenn er vom Gemswirt das Wirtshaus kaufe; eine bessere Wirtin könnte es ja auf der Welt nicht geben, und eine Einkehr werde man haben, dergleichen es landaus landein nicht gäbe, und das Schild wolle man umändern, das sei ein kluger Streich, der zieht am meisten, es heißt nicht mehr: »Zum Gemsli«, sondern »zur Königsamme« oder »zur Prinzenamme«; es sei schon ein Maler da, der wolle Walpurga auf das Schild malen, wie sie den Prinzen auf dem Arm hat. Das werde ein Gelaufe geben, man werde nicht Tische und Stühle genug haben, und von allen Seiten werde es Geld regnen. Der Kauf sei billig, der Gemswirt habe einen anständigen Preis gemacht. »Das sagen alle Menschen,« schloß Hansei, »jetzt red auch du, du hast zuerst da mit zu reden.«

»Ich frage nichts darnach, was alle Menschen sagen,« begann Walpurga, »sag mir ehrlich: hast du den Kauf schon fest abgeschlossen? Wenn das ist, hab' ich nichts mehr zu reden. In Unehren werd' ich dich nicht hinstellen. Du bist der Mann, dein Wort gilt.«

»Das ist brav! Das ist rechtschaffen! Wenn nur das alle Menschen gehört hätten.«

»Was liegt dir dran, was die Menschen hören?«

»Ja, die dummen Menschen meinen, ich müßte jetzt unterducken, weil das Geld von dir herstammt. Also ehrlich gesagt, der Kauf ist noch nicht abgeschlossen; ich hab' alles drauf ankommen lassen, ob du auch willens bist.«

»Und wenn ich Nein sage, wärst du bös? Sag, gib Antwort! Warum redest du jetzt nichts?«

»Schau, grausam verdrießen thät's mich doch.«

»Ich sag' nicht Nein,« beruhigte die Frau. »Von wem das Geld herstammt, das wollen wir jetzt gleich ausmachen, davon wird nicht mehr geredet, nie und nimmer. Du hast auch dafür leiden müssen, so lang allein, das vergess' ich dir nicht, das sei sicher. Aber wie gesagt, ich sag' nicht Nein. Wir sind Mann und Frau und bereden und beschließen alles miteinander. Schau, wenn das Geld uns Unfrieden bringen sollte, möchte ich lieber alles in den See werfen und mich hinterdrein stürzen.«

Walpurga weinte, und Hansei sagte stotternd:

»Um Gotteswillen, wein jetzt nicht! Es drückt mir das Herz ab, wenn du weinst. Versündige dich nicht. Zehn Wirtshäuser sind es nicht wert, daß du weinst. O lieber Gott! Am ersten Morgen weinen! Da hast du meine Hand drauf; es geschieht nichts, wo du nicht mit gutem Willen dabei bist.«

Walpurga reichte ihm die eine Hand, und mit der andern trocknete sie die Thränen, die ihr das übervolle Herz erleichtert hatten. Man hörte draußen Besuch kommen. Walpurga ging schnell in die Kammer, niemand sollte davon merken, daß sie geweint hatte. Drin in der Kammer that sie das Gold Irmas in einen Kissenüberzug und versteckte es. Ein Goldstück war daneben gefallen, sie hob es vom Boden auf und betrachtete das geprägte Bild des Königs. Solch ein König ist doch mit seinem Kopf überall. Wenn er nur auch mit seinen Gedanken überall sein und alles schlichten könnte! Das kann aber kein Mensch, das kann nur Gott ... Wie leben die jetzt dort im Schlosse? Was wird aus ihnen allen? Ist denn seit gestern nur ein einziger Tag?

Lange saß Walpurga traumverloren, bis sie schwer aufseufzend inne wurde, daß niemand auf der Welt dem andern in Gedanken immer nachgeben kann. Sie mußte jetzt auch für sich sorgen.

Es kamen nach und nach viele Nachbarn und Freunde, alle wollten Walpurga bewillkommnen. Hansei sagte mit Unruhe, sie käme gleich, sie sei nur in der Kammer. Endlich trat Walpurga ein, strahlend vor Freude und Wohlsein.

Jedes bewunderte ihr gutes Aussehen, pries ihren großen Namen und beteuerte, daß man sich mit ihrem Glücke freue, wie wenn es ein eigenes wäre.

Walpurga dankte von Herzen. Der große Kuchen des Gemswirts war bald verzehrt, denn sie wartete jedem auf.

»Wie geht's denn der alten Zenza?« fragte Walpurga.

»Schau einmal, wie gut die ist! Denkt sie an die alte Hudlerin! Ja an der und an ihrem Früchtl hast du deine Gutheit verschwendet,« hieß es hin und her und es wurde berichtet, daß die Zenza mit ihrem Sohne und der schwarzen Esther aus der Gegend weggezogen sei, man wisse nicht recht wohin, die Wurzhütte oben auf der Windenreute stehe leer.

Nun kamen auch Bettler aus dem Dorfe und von weit umher. Es mußte sich schnell verbreitet haben, daß Walpurga zurückgekehrt sei und eine ganze Kiste voll Gold mitgebracht habe.

Walpurga vernahm staunend, wie zahlreiche Verwandte sie in der Gegend habe. Da waren viele mit ihrem Vater verwandt, nur den Grad konnte man nicht genau angeben, und die Bettler zankten miteinander, denn der eine bestritt dem andern die Verwandtschaft. Walpurga verteilte an alle kleine Gaben. Sie gingen mißmutig davon. Diese Gabe war ja kaum des Weges wert, und auf Straßen und Waldwegen wurde viel geschimpft auf Walpurga, die sei jetzt stolz und geizig; aber bald waren wieder neue Bettlerscharen da, es war, wie wenn man Weizen unter Sperlinge wirft, es kommen immer wieder neue hinzu.

»Nimm die Peitsche,« rief plötzlich eine laute Stimme von der Straße her, »nimm die Peitsche und jag das Bettelpack davon!«

Der Gemswirt kam, geleitet von seinen beiden Jagdhunden Dächsel und Mächsel, und diese gaben auch ihre Stimme zu dem Ausruf ihres Herrn, bis ein Bettler dem einen Hunde einen Tritt gab, daß er laut aufwinselte. Der Gemswirt fluchte nun noch mehr, aber Walpurga ging hinaus, bat ihn mit ziemlich entschiedenem Tone, die Leute hier bei ihr gewähren zu lassen und verteilte an alle Anwesenden doppelte Gaben. Sie entging auch dadurch der ersten zutraulich gönnerischen Begrüßung des Gemswirts. Sie wußte noch nicht recht, wie sie sich zu ihm stellen solle. Er war offenbar der Verführer Hanseis. War sie sofort böse mit ihm, konnte das zu vielen Widerwärtigkeiten führen und sie verlor jeden Einfluß; sich aber zur Freundlichkeit zwingen, ward ihr ebenfalls schwer.

Drin in der Stube fragte der Gemswirt Hansei:

»Hast du ihr alles gesagt?«

»Ja freilich.«

»Und ist sie einverstanden?«

»Sie sagt, was ich thue, ist ihr recht.«

Walpurga trat in die Stube, und der Gevatter rief, ihr die Hand entgegenstreckend, jetzt nochmals:

»Willkommen! und meinen Glückwunsch zur Gemswirtin dazu!«

»Für das erste dank' ich, das zweite kann ich noch nicht annehmen; zuerst muß mein Mann Gemswirt sein.«

»Hui!« rief der Gevatter, »gescheit! ausstudiert! vornehm! manierlich! Siehst du, Hansei? Hab' ich's nicht immer gesagt: Du hast eine Frau, die könnte Königin sein?«

»Wenn mein Mann König wär', warum nicht?«

Der Gemswirt schlug auf den Tisch und lachte so laut über den prächtigen Witz, daß die beiden Hunde bellten und sein Lachen mit ihrem Beifall begleiteten. Der Gemswirt zeigte den andern Besuchern, daß man nicht überlästig sein dürfe. Er ging bald davon, die andern mit ihm.


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