Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Zweiter Band
Berthold Auerbach

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Viertes Kapitel.

Irma gewann ihre Heiterkeit wieder und war der übermütige Kobold des ganzen Hofes, neckisch gegen alle, nur gegen Oberst Bronnen nicht; diesem allein zeigte sie sich stets ernst und gehalten. Sie ritt viel aus und begleitete oft den König auf die Jagd; auch andre Hofdamen meldeten sich gern dazu. Der beginnende Herbst machte die Tage frisch, und an reicher Mannigfaltigkeit fehlte es nie. Die Königin mußte zu Hause bleiben. Sie hatte Walpurga mit dem Kinde viel um sich und war überaus glücklich mit jeder neuen Regung der Kindesseele. Der Knabe kannte die Mutter bereits und wußte schon Zeichen des Verständnisses zu geben; sie bedauerte nur den unruhigen Geist ihres Mannes, dessen Natur immer neue Bewegung und gewaltsame Aufregung erheischte; er versäumte so viel schöne Seelenblicke des Kindes.

Es wurde jetzt oft im Walde und auf den Bergen gespeist, wohin die Speisen und Gerätschaften mittelst Maulesel schnell gebracht und ebenso wieder weggeschafft wurden. Es war dies eine Erfindung des Baron Schöning, auf die er sich nicht wenig einbildete, und es war in der That fast zauberisch überraschend, wenn plötzlich mitten im Walde oder auf einer Anhöhe mit schöner Fernsicht eine königliche Tafel gedeckt dastand, und ebenso plötzlich alles verschwunden war.

Seit seiner Rückkehr vom See benahm sich Baron Schöning gegen Irma mit besonderer Zartheit. Es war so viel Schonung und Rücksicht in seinem Benehmen, als hätte er Irma einen Korb gegeben, und nicht sie ihm, und in der That war es ihm jetzt, als wäre er der entschieden Verneinende gewesen; es kam ihm wie Wahnsinn vor, daß er je an den Heiratsantrag gedacht. Dabei machte jetzt der Baron den Versuch, sich etwas Würde beizulegen, natürlich mit großer Behutsamkeit, denn man darf sein eigenes früheres Benehmen doch nicht geradezu widerrufen. Damals, als er zu Irma sagte, der Hof glaube mit ihm zu spielen, während er mit dem Hofe spiele, war die kühne Wandlung noch nicht wahr, denn damals ging sie ihm erst auf.

Schöning, war eine seltsame Figur am Hofe. Er hatte sich anfänglich der Diplomatie widmen wollen, ging aber bald davon ab und wurde Landschaftsmaler, brachte jedoch auch hier nichts Rechtes zuwege, und es wurde nicht schwer, ihm eine Hofstellung zu verschaffen. Er ward Mitglied der königlichen Gartendirektion und Kanzleichef beim Hofmarschallamte, daneben natürlich auch Kammerherr.

In vertrauten Stunden und zu vertrauten Freunden – dies waren aber alle Männer und Frauen am Hofe – sprach er gern von seinem eigentlichen Berufe zur Kunst, den er nur um des Königs willen, den er über alles liebe, aufgegeben; das sei der Adel dem Monarchen schuldig, behauptete er. Eine Landschaft von ihm mit dem Heimatsee der Walpurga hing im Sommerschloß; das Bild war schön, böse Zungen aber behaupteten, einer seiner Freunde auf der Akademie habe die Landschaft, ein andrer die Staffage gemalt.

Auf den Gebirgsfahrten bewies nun Schöning besondere Aufmerksamkeit gegen Irma, und diese konnte ihren ganzen Mutwillen an ihm üben, denn das war am Hofe ausgemacht: ein Liebesverhältnis mit Schöning konnte man nicht haben, er war nur zum Spaß für alle da, und er verstand Spaß, sowohl ihn zu üben, als an sich üben zu lassen.

Oft hätte sich Schöning gern von den Ausfahrten zurückgezogen, er fühlte, daß es ihm nicht gelinge, die Würde zu erlangen, die er erstrebte. Aber er konnte nicht zurückbleiben, selbst vorgeschütztes Unwohlsein half nicht; wenn Schöning nicht bei den Ausfahrten war, fehlte ein Zielpunkt der Heiterkeit. Was wollte er thun? Er machte lieber gute Miene zum bösen Spiel und ging scheinbar freiwillig mit.

Schöning und Baum, so verschieden auch ihre Stellungen, waren unentbehrlich.

Baum galt für den beliebtesten Diener am Hofe; er hatte das Glück, überall und zu allem verwendet zu werden; wenn es eine Landpartie gab, wenn man im Walde speiste, bei einer Wasserfahrt, immer war Baum dabei, und wie Schauspieler sich kränken, wenn sie nicht genugsam beschäftigt werden und sich nicht in großen Rollen zeigen können, so sind auch die Lakaien eifersüchtig darauf, recht oft verwendet zu werden. Es verstand sich daher von selbst, daß Baum seine Günstlinge hatte, die er bei Gelegenheit dem Hofmarschall anpries, und diese folgten ihm wie einem natürlichen Oberen. Den Shawl der Königin, oder den Paletot des Königs wußte niemand so zu tragen, wie Baum; die Kleidungsstücke auf seinem Arme sagten fast: Ach, wie warm sind wir, wie weich und lind, befehlen die Herrschaften nur und wir sind bereit, Sie zu schützen und zu wärmen.

Die Abende waren heiter. Nach dem Thee ging man in der Regel in den innern Schloßhof, wo die Tiere, die man geschossen, auf den Boden gestreckt lagen, und betrachtete sie nochmals bei Fackelschein. Die Königin ging stets nur ungern mit, das geschossene Wild anzusehen, aber sie ging, um nicht sentimental zu erscheinen. Der König war wohlgemut durch das Jagdglück. Dann kehrte man wieder in die offenen Säle zurück, es wurde musiziert und gesungen, auch bisweilen vorgelesen und Karten gespielt, Irma war auch eine der besten Billardspielerinnen, die dem König manche Partie abgewann. Es war eine schmiegsame und biegsame Anmut, eine knospenhafte Gedrungenheit in allen ihren Bewegungen; wie sie sich über das Billard beugte, wie sie sich wendete, wieder umherging, die Queues in der Hand wie ein Wurfgeschoß – jede Stellung und Haltung war würdig von Künstlerhand festgehalten zu werden.

»Wie schön sie ist!« sagte oft die Königin zu ihrem Gatten. Er nickte und es gab viel Scherz in dem großen Billardsaal. Bevor man sich am Abend trennte, versammelte sich die engere Hofgesellschaft regelmäßig, nochmals wie zu gemeinsamem Ausruhen und zu gemeinsamer Erinnerung, denn an jedem Abend wurde die Chronik des vergangenen Tages vorgelesen. Baron Schöning führte diese Chronik schon seit Jahren, und zwar in Versen und, was noch besser mundete, im hochländischen Dialekt. Gräfin Irma kam darin sehr viel vor, sie hatte den Namen »Felsenjungfrau«; alle kleinen Ereignisse wurden da anmutig zugestutzt und mit einem milden Scherze versetzt, der bei der Kenntnis der Persönlichkeiten stets Heiterkeit erregte. Der König hieß in der Regel Nimrod oder auch Artus; auch der Hunde ward nicht vergessen und eine stehende Redensart hieß: »Die Nährmutter Walpurga hat viel gegessen und Romulus viel getrunken, die Tante Charpie, so hieß Mamsell Kramer, hat den Anfang ihrer Stammesgeschichte erzählt, das Ende aber noch nicht.«

Wenn die höchsten Herrschaften sich zurückgezogen hatten, blieb der Hofstaat noch in beliebigen Gruppen beisammen; Irma wandelte oft lange mit dem Leibarzt auf eine nahe Anhöhe oder in das offene Thal, Gunther lehrte sie Sternbilder kennen, und hier in stiller Nacht schloß er ihr die großen Gesetze alles Lebens auf, wie sich jeder Weltkörper in der Unendlichkeit bewegt, angezogen und abgestoßen, wodurch keiner den vollen Kreis beschreibt. Sie kamen dabei oft auf Irmas Vater zu sprechen, und der Leibarzt behauptete, Eberhard könne seinen Kreis streng vollenden, weil er sich vereinsamt habe; er selbst dagegen habe im Leben stehen müssen und könne nur eine elliptische Bahn ziehen, er sei Arzt, müsse auf andre wirken und könne sich der Wirkung andrer nicht entziehen. In die Geheimnisse der Unendlichkeit vertieften sich da der Mann und die Jungfrau, und sie vergaßen sich selbst, bis die Müdigkeit des Körpers sie gemahnte, heimzukehren und Ruhe zu suchen.

Irma sprach auch viel davon, wie sie im Winter oft bei der Familie Gunthers sein wolle; die junge Witwe mit ihrem Kinde wohnte wieder ganz beim Vater.

Irma ging fast nie zu Bette, bevor sie bei Walpurga gewesen. So leise sie auch eintrat, Walpurga fühlte jedesmal ihre Nähe und erwachte, wenn sie schon eingeschlafen war; meist aber wartete sie wachend. Dann saßen sie noch eine Weile bei einander und Walpurga hatte stets viel von ihrem klugen Prinzen zu erzählen, noch mehr aber von der guten Königin.

Die Tage wurden kürzer, die Abende länger: die Gärtner hatten viel zu thun, die abfallenden Blätter aus den Wegen zu harken, bevor jemand vom Hofe erwachte. Es hieß, daß man bald das Sommerschloß verlasse, um nach der Hauptstadt überzusiedeln.

Der König zog schon voraus dorthin. Er eröffnete in Person, umgeben von einem neuen Ministerium, dessen Präsident Schnabelsdorf geworden, den Landtag.

Der Leibarzt sprach gegen Irma sein Bedauern aus, daß der König einen folgenschweren Schritt gethan, indem er ein reaktionäres und streng kirchliches Ministerium berufen; er eiferte in gemessenen Ausdrücken, aber um so entschiedener gegen die Klosterromantik. Irma hatte nicht den Mut, zu bekennen, wie viel sie daran schuld sei, und sie tröstete sich, daß der König ja ausdrücklich und noch dazu im Beisein der Königin jede Beeinflussung abgewehrt hatte. Zum erstenmal aber stieg in ihrer Seele ein innerer Widerspruch gegen den Leibarzt auf, er galt ihr für unfrei, er hatte den Fanatismus des Unglaubens; der schöne Schmuck des Lebens, der Gemütsschwung, war ihm fremd und er verdammte sie gern mit den verketzernden Worten Romantik und Sentimentalität. Nur noch höher erschien ihr der König, wie er selbständig und fest gegen den Strom der Tagesmeinung steuert; das was sie einst im Briefe an Emmy ausgesprochen, wurde ihr immer klarer: nur ein König und solch ein Mann hat den umfassenden großen Blick und läßt sich von keinem Schulsystem einfangen; auch die Logik ist nur ein Teil des Menschengeistes, den ganzen Geist hat nur ein ganzer Mensch.

Selbst ein Freund und Mann wie der Leibarzt mußte zurücktreten und erschien klein gegen den einen.

Walpurga war wegen des abermaligen Umzuges voll Unruhe. Sie klagte Irma, daß dies doch ein schreckliches Leben sei: »Das ist ja ein immerwährendes Leben in der Kutsche und man wird nirgends recht fest und getreu; ich mein', es ist ungetreu, so zu kommen und zu gehen. Freilich, man treibt auch das Vieh von der Alm, wenn abgegrast ist, aber das liebe Vieh ist doch was andres als die Menschen, und mein Prinz dauert mich, daß er aus seiner Jugend nichts mitnehmen kann, wenn er älter wird; der kann nicht sagen: hier bin ich ganz daheim gewesen und da sind Bäume, die haben geblüht und Früchte getragen und dann ist Schnee darauf gefallen und dann ist's wieder Frühling worden. Und wenn das arme Kind das nicht hat, bei was ist es dann daheim?« Beim Frühstück erzählte Irma die Klage der Walpurga und sie fand dieses Sich-einleben in die Natur, die Treue gegen leblose Gegenstände tief ergreifend und poetisch; aber die Herren und Damen im Frühstücksaal begriffen gar nicht, was darin denn Poetisches sei, das sei ja nichts als Beschränktheit. Baron Schöning trat vermittelnd ein und erklärte, daß dies Kleben an der Scholle ein Glück für das Volk, denn nur hierdurch sei es möglich, daß einsame Höhen und Thäler bewohnt wären; die Macht der Angewohnheit sei nötig für das gemeine Volk; der freie Mensch aber müsse sich das abgewöhnen, dadurch werde er frei, und das nur sei poetisch, was wie Pegasus auf dem Boden des Lebens stehe, aber auch freie Schwingen habe, um aufzufliegen in die höhere Region des Aethers.

Schöning schaute um sich und wollte Beifall ernten für seine tiefe Bemerkung, aber was er mit so vielem Nachdruck vorgebracht, wurde kaum beachtet. Er hatte sich beständig zum Spaß für den Hof hergegeben, er jodelte etwas vor; nun hatte der Ernst, den er bringen wollte, keine Geltung mehr; es war fast, als wenn ein bekannter Komiker oder ein Naturbursch eine tragische Rolle spielen will. Schöning glaubte bei Irma besonderes Verständnis zu finden, aber auch sie war ihm heute nicht zustimmend; nur der Leibarzt knüpfte ein weiteres daran, indem er sagte, daß die ewige Reisestimmung der jetzigen Menschheit ein neues Moment in der Geschichte sei, das in diesem Maße kein früheres Geschlecht gekannt habe; das Geschlecht, das schon in der Wiege die Lokomotive pfeifen hört, würde ein andres sein, aber die wirkliche Poesie sterbe nie aus und jede Mutter lerne immer neu ihrem Kinde singen und die ewige Mutter Zeit werde die Kinder eines neuen Zeitalters auch neue Lieder singen lehren, anders lautend als die der Vergangenheit, aber nicht minder voll Tiefe und Innigkeit.

Die Königin nickte dem Leibarzt zu, und ihr ganzes Antlitz errötete, als sie sagte, sie stimme mit Walpurga überein, sie bliebe auch lieber an einem Ort und lebte sich da fest.

Sämtliche Herren und Damen sprachen mit lauter Bewunderung von der Königin, die so schön und innig rede; innerlich aber dachten viele: »Du bist ebenso einfältig wie die Walpurga.«

Als man von der Tafel aufgestanden, sagte die Königin zu Irma:

»Liebe Gräfin Irma, Sie müssen dergleichen nicht der ganzen Gesellschaft bei Tafel erzählen. Glauben Sie mir, es paßt nicht dahin: Die Gedanken der Walpurga sind wie frische Waldblumen; bricht man sie ab und bindet sie zu einem Strauß, so welken sie schnell; nur unsre künstlich gezogenen Blumen eignen sich zu Sträußen für den Salon, und am besten die aus Tüll und Gaze gefertigten. Erzählen Sie derartiges künftig nur mir allein,« bat sie schließlich.

Irma war glücklich über dies Einverständnis. Walpurga aber war zornig auf Irma, als ihr die Königin am Mittag berichtete, was sie von ihr gehört habe. Das geht nicht, man muß nicht alles wiedererzählen. Sie schämte sich jetzt, daß sie so einfältig sei und war scheu und zurückgezogen vor Irma, und als sie mit ihrem Prinzen allein war, sprach sie in die Kissen hinein: »Dir allein, du Wanderbursch, will ich künftig alles sagen. Du bist der Gescheiteste im ganzen Haus und der einzig Verschwiegene. Gelt, du sagst niemand etwas?«

Walpurga war voll Unruhe, der Umzug lag ihr immer im Sinn; erst Baum verstand es, sie einigermaßen zu beruhigen, er sagte:

»Sei doch gescheit! Was gehen dich die Möbel und die Bäume und alles hier an? Das bleibt für sich da. Du setzest dich in den Wagen und fährst in die Stadt, und dann bist du da und alles, was du brauchst, es gibt schon Hände und Füße genug, die das alles laufen machen.«

Walpurga ward ruhiger. Man wartete nur den ersten sonnigen Tag ab, und die Königin und der Prinz und Walpurga und das Gefolge fuhren nach der Residenz. Die Sommerburg war einsam und öde, die Blätter fielen auf die Wege im Park und wurden nicht mehr weggekehrt, die großen bunten Lampen auf der Veranda wurden in sicheres Gewahrsam gebracht, vor die großen Fenster wurden Strohdecken geheftet. Das Sommerschloß schlief dem Winter entgegen und derweil ging neues Leben im Residenzschloß auf.


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