Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Zweiter Band
Berthold Auerbach

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Drittes Kapitel.

»So gib mir doch endlich Antwort,« sagte Bruno zu seiner Schwester. »Bist du bereit?«

»Ach, bitte, ich war zerstreut. Was sagtest du?«

Bruno sah seine Schwester groß an: Irma hatte in der That nicht gehört; sie rätselte über das Benehmen des Königs. Er hatte ihr offenbar in der gehaltensten Weise zu verstehen gegeben, doch er in Regierungshandlungen sich von niemand beeinflussen lasse. Irma fiel es jetzt ein, daß der Ton ihres Briefes aus dem Kloster doch sehr ungehörig war; sie dankte im Innersten dem edlen großen Manne, der ihr etwas zu vergeben hatte und so schön vergab. Sie dankte ihm doppelt, daß er sich durch ihr kindisch heißes Drängen nicht bestimmen ließ; sie selbst war zweifelhaft, was zu thun sei, und ihr erstes Denken, daß der Staat wohl verpflichtet sei, ein bindendes Gelübde zu verhindern, erschien ihr jetzt wieder als das gerechte.

»Bitte,« wiederholte sie gegen ihren Bruder, »wünschest du etwas von mir?«

»Du mußt mich morgen begleiten,« sagte Bruno. »Wir verreisen; ich habe bereits Urlaub und die Königin wird dir auch solchen geben.«

»Mit dir verreisen? Wohin?«

»Zu meiner Verlobung.«

»Doch nicht –«

»Allerdings, mit der Schwester des Königs, nenne es Halbschwester, oder Viertelschwester! Baronesse Arabella von Steigeneck freut sich, dich kennen zu lernen.«

Irma schaute nieder. Das war ja die älteste Tochter der vom hochseligen König in den Adelstand erhobenen Tänzerin. Sie sprach vom Eindruck, den diese Verbindung beim Vater machen mußte; aber Bruno scherzte wohlgelaunt: er und seine Schwester hätten sich ja vom Vater getrennt, der die Marotte hegt, ein gemeiner Bürgerlicher sein zu wollen. Bruno fühlte, daß dieser Ton Irma verstimmte, und ging in einen andern über, indem er darlegte, wie unfrei und hart es sei, eine so liebenswürdige Dame, wie Baronesse Arabella, die aus königlichem Blut stammt, einiger Unzuträglichkeiten wegen gering zu achten. Er traf eine anklingende Saite, indem er es, abgesehen von persönlichem Wunsche, als Pflicht Irmas darstellte, Arabella vorurteilsfrei und mit Freundlichkeit entgegen zu kommen. Er schloß mit der Wendung:

»Du bist so liebevoll gegen die einfältige Bäuerin, die Amme des Kronprinzen. Es ist wohlfeil, Humanität zu üben gegen Menschen aus dem Volke; zeige sie auch hier! Hier findet sie schönere und bedeutungsvollere Anwendung.«

»Es freut mich, dich auf solchen Gedanken zu finden,« erwiderte Irma und sah ihren Bruder mit erheitertem Blicke an.

Bruno frohlockte. Er hatte den richtigen Köder gefunden. Er fand aber auch in der That einen flüchtigen Genuß im Gespräche über Erhebungen des Menschengeistes zu wahrem Edelsinn. Irma war willig zu der Reise, und als sie sich bei der Königin beurlaubte, und auch diese in leisester Andeutung ein Befremden über die Heirat Brunos kundgab, zeigte sich Irma als so eifriger Anwalt der Humanität, daß die Königin nicht umhin konnte, ihr zu sagen:

»Sie sind und bleiben ein tiefedles Herz.«

Irma küßte mit Inbrunst die dargereichte Hand.

Man reiste ab. Neben Brunos beiden Privatdienern und dem Jockey Fritz, dem Sohne Baums, reiste auch Vater Baum mit, er ist eben immer und bei allem dabei.

Auf dem Wege war Bruno voll sprudelnder Laune. Wie ein Feinschmecker liebte er auch gemütliche Scenen; er spielte vortrefflich Klavier, und auch bisweilen ein sentimentales Adagio; sentimental erschien ihm Irma. Bald aber hatte er genug des schmelzenden Tones und in seine keck scherzende Weise übergehend, rief er:

»Ich bin besser als die ganze Kavalierswelt um uns her. Du lächelst? Du denkst, was muß das für eine Kavalierschaft sein, wo du der bessere bist? – Ja, Schwesterchen Krimhilde, und doch ist es so. Ich gestehe mir ganz ehrlich, daß ich diese Dame nur heirate, um möglichst flott zu leben. Bin ich nun nicht besser als alle, die in diesem Verhältnis etwas heucheln würden?«

»Wenn du das besser nennst, allerdings; aber ich glaube doch, du schämst dich nur deiner Liebe, du möchtest nicht für sentimental gelten.«

»Danke, du bist eine tiefe Menschenkennerin.«

Es war Bruno erwünscht, daß seine Schwester an seine wirkliche Liebe glaubte; das gibt seinem und ihrem Benehmen viel mehr natürlichen Halt. Er lächelte sehr verschämt und errötete.

Die Baronin Steigeneck wohnte in einem kleinen Städtchen in dem Schlosse, das ehemals der Ruhesitz einer Schwester des letztverstorbenen Königs gewesen.

Man kam auf dem Schlosse an. Auf der großen Mauer, von der es umgeben war, stand ein schöner Pfau, der die Luft weit umher mit seinem Geschrei erfüllte.

Die Zimmer für Irma und ihren Bruder waren bereit. Man kleidete sich um. Bruno erschien in Paradeuniform mit seinen Orden. Man wurde nach dem Salon der Baronin Steigeneck geführt. Zwei Diener öffneten die Flügelthüren. Die Baronin in ausgesucht einfacher Kleidung ging dem Geschwisterpaar bis an die Thür entgegen und verbeugte sich sehr zierlich. Bruno küßte sie und umarmte dann seine Braut, eine schöne volle Gestalt. Er stellte sie seiner Schwester vor, Irma umarmte und küßte sie.

Das Schloß war mit Pracht, freilich mit etwas bunter und greller, ausgestattet; es war mehr Schaustellung als Wohnlichkeit darin. Das lebensgroße Bild des hochseligen Königs paradierte im großen Saal.

Irma war anfangs erschreckt, als sie die alte Baronin sah. Im Boudoir der Baronin hingen noch die Bilder, die sie als jugendlich üppige Tänzerin zeigten; sie war eine reizend schöne Erscheinung gewesen, und als Psyche, als Eros, als Geisterkönigin abgebildet, in kühnen Attitüden – und jetzt diese schwerfällige Gestalt mit den gewaltsam gespannten Mienen. Ihre Hauptbeschäftigung war Kartenspiel: Irma sah hier zum erstenmal im Freien unter Bäumen und beim Gesang der Vögel stundenlang Karten spielen. Was wären viele Menschen, wie unausfüllbar ihr Leben, wenn es keine Spielkarten gäbe. –

Singen und Musizieren, denn auch die Baronesse Arabella sang schön, fröhliches Tafeln und Ausfahrten in die Umgebung füllten die Stunden heiter aus, Irma konnte nicht umhin, sich immer die Diener anzusehen und sich in deren Gedanken zu versetzen, wie es solchen Menschen zu Mute sein muß, was sie eigentlich denken, daß sie einer solchen Herrin dienen; aber sie sah hier die gleiche Ehrerbietung wie am Hofe, und im Städtchen stand bei den Ausfahrten alles still und zog den Hut ab, denn die Baronin brachte Leben und Geld in das Städtchen. Alles in der Welt, auch Ehrerbietung ist zu kaufen.

Drei Tage vergingen rasch. Die Baronin Steigeneck hielt einen kleinen Hof, dem Anschein nach sehr bescheiden; ein alter, aber äußerst beweglicher französischer Legitimist war die besondere Zierde dieses Hofes und es wurde ausschließlich französisch gesprochen.

Die förmliche Verlobung wurde bald durch den Notar festgesetzt, den Bruno aus der Residenz mitgebracht; er hatte seine gemessenen Instruktionen und die alte Baronin hatte einen schweren Stand. Es waren da so verteufelt festgenietete Paragraphen über Todesfall und Trennung. Bruno hatte sich gesichert. Die Baronin sprach schäkernd über Liebe und wie sie solchen Enthusiasmus in der Gegenwart gar nicht mehr vermutet hätte; Bruno stimmte ein, und beide wußten doch, daß alles sich nur ums Geld handle.

Arabella war eine wohlerzogene Dame, und dabei von jener Bildung, die sich von Lehrern kaufen läßt, Arabella sang, zeichnete, sprach drei fremde Sprachen, die sie auf Geheiß der Mutter paradieren lassen mußte – aber in allem merkte man das Angelernte. Auch gelesen hatte Arabella mancherlei, wenn man indes von diesem und jenem Buche sprach, wollte sie es nicht kennen, denn da und dort kamen Verhältnisse vor, die auf sie, auf ihre Mutter Anwendung haben konnten.

Irma war überaus freundlich gegen ihre Schwägerin, und Bruno dankte ihr mit aufrichtiger Herzlichkeit. Dennoch war's Irma innerlich bang. In diesem Hause herrschte ein eigener Zauberbann, es ist wie im Märchenlande, die Menschen gehen herum und lachen und scherzen, singen und spielen, aber ein einziges Wort dürfen sie nicht nennen; wird das genannt, so versinkt das Schloß mit all seinen prunkenden Herrlichkeiten, und das Wort heißt: »Vater.«

Irma aber mußte gerade hier am meisten an ihren Vater denken. In der Stille begann sie einen Brief an ihn zu schreiben; sie schaute sich um, als sie auf ihrem Zimmer sitzend die Worte schrieb: »Lieber Vater!« Sie hielt es für ihre Pflicht, sie konnte es füglicher als Bruno, dem Vater diese Verlobung anzuzeigen, und seine Humanität für die mit Glücksgütern ausgestattete Unglückliche anzurufen. Noch nie hatte sie so viele Briefanfänge zerrissen und ins Feuer geworfen; sie brachte den Brief nicht zu stande und faßte schließlich den Vorsatz, erst von der Sommerburg aus an den Vater zu schreiben. Aber ein Verlangen, von Eltern zu sprechen, konnte sie nicht los werden, und als Baum jetzt einen Auftrag an sie brachte, hielt sie ihn auf mit der Frage:

»Baum, haben Sie Ihre Eltern noch?«

»Nein.«

»Haben Sie dieselben lange gekannt?«

Baum antwortete hustend mit vorgehaltener Hand: »Meinen Vater gar nicht und meine Mutter ... meine Mutter ... wurde mir schon lange entrissen.«

Unter der vorgehaltenen Hand biß sich Baum auf die Lippen und wagte endlich äußerst behutsam die Worte auszusprechen:

»Darf ich fragen, gnädige Gräfin, warum Sie mich das fragen?«

»Ich habe ein Verlangen, die Lebensschicksale derer zu kennen, die ich persönlich kenne.«

Baum nahm die Hand vom Munde weg und sein Gesicht war wieder glatt, ausdruckslos.

In den Tagen, welche man auf dem Schlosse der Baronesse Steigeneck blieb, war alles stets in maßvollster Haltung. Nur ein einziges Mal fühlte sich Irma verletzt, denn die alte Dame – man nannte sie gnädige Frau – erklärte den Bräutigamszustand für die albernste aller Konvenienzen; das Natürlichste und Angemessenste wäre, sofort in der Stunde der Verlobung zu heiraten.

Eine eigentümliche Veränderung ging dabei in den Mienen der alten Dame vor; Irma erschrak vor dem Ausdrucke dieses Gesichtes, und dieser Schreck blieb, so daß Irma innerlich schauderte, als die Baronin sie beim Abschied umarmte und küßte.

Irma saß schon lange im Wagen, als Bruno endlich kam und nochmals seiner Braut, die am Fenster stand, Kußhände zuwarf.

Als man davon fuhr und Irma wieder mit ihrem Bruder allein im Wagen saß, sagte sie laut und mit wunderbarem Ausdrucke:

»O Vater, Vater!«

Sie atmete tief auf, als ob ein Zauberbann von ihr genommen wäre.

»Was hast du?« fragte Bruno.

Irma wollte ihm nicht sagen, was sie empfand, sie entgegnete nur:

»Sobald wir wieder im Schlosse angekommen sind, müssen wir dem Vater schreiben, oder es wäre besser, du reisest zu ihm. Laß dich, wenn's sein muß, von ihm schelten; er bleibt doch der Vater und er wird dir wieder gut sein und alles Geschehene anerkennen.«

»Es ist besser, wir schreiben,« meinte Bruno.

»Nein!« rief Irma und faßte seine beiden Hände, »du mußt es Arabella zulieb thun.«

»Ihr zu lieb.«

»Ja, ich wünsche ihr das beste Glück; ich möchte, daß sie im Leben auch einmal Vater sagen könnte.«

Bruno zuckte zurück. Nach einer Weile sagte er: »Laß uns leise sprechen. Ich glaube, du weißt, wie du mich ins Tiefste getroffen. Arabella konnte nicht Vater sagen, sie wird es auch jetzt nicht können. Du bist stark genug, Irma, der vollen Wahrheit ins Antlitz zu schauen. Was knüpft das unauflösliche Band zwischen Vater und Kind? Nicht die Natur allein, auch die Geschichte. Unser Vater hat durch Ablegung unsres Standes Vater und Mutter und die große Reihe unsrer Ahnen verleugnet. Er hat die feste strahlende Kette zerrissen, die uns durch ihn an unser Geschlecht schloß. Wir haben den unterbrochenen Zusammenhang wieder aufgenommen, aber der Vater ist dadurch von uns getrennt, er hat sich selbst von uns geschieden. In dem Sinne wie du es meinst, können auch wir nicht Vater sagen.«

Irma wurde blaß. So hatte sie sich's noch nie gedacht und sie hatte nie geahnt, daß Bruno sich auf einen Gedanken stützen könnte; sie glaubte, sein Leben stände nur auf Leichtfertigkeit, Jetzt erst sah sie die tiefe Kluft. Sie wollte erwidern, daß der Vater ja allem Edlen getreu sei, das die Besten der Vorfahren ihm überliefert, und wie er nur die äußerliche Bevorzugung des Standes abgelegt. Aber zum erstenmal fühlte sie, daß sie dem Bruder nicht stand halten könnte. Sie selbst hatte sich ja auch vom Vater getrennt. Sie schwieg. Stundenlang fuhr man lautlos dahin.

Die beiden kamen auf der Sommerburg an. Irma dankte jedem, der ihr zur Verlobung ihres Bruders Glück wünschte, äußerst verbindlich. Sie hatte eine eigene Befangenheit vor dem Hofjuwelier, der mit zahlreichen Schmuckkästchen auf das Schloß entboten war. Sie sollte in Gemeinschaft mit Bruno einen reichen Schmuck für die Braut auswählen; sie that es, aber sie willfahrte nicht, den Schmuck sich anprobieren zu lassen; ihr Kammermädchen mußte sich nacheinander mit vielen Schmuckstücken behängen lassen, und schließlich wurde ein reicher Diamantenschmuck gewählt und sofort an die Braut geschickt.


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