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Siebzehntes Capitel.


Mit einem Herzen voll freudiger Genugthuung kehrte Georg zu seiner Mutter zurück. Er sehnte sich, ihr seine Entschlüsse, seine Hoffnungen mitzutheilen, er war glückselig in dem Gedanken, sie in die so schmerzlich aufgegebene, ihr über Alles theure Heimath zurückführen zu können, ihr dieselbe durch seine und Wendula's Liebe zu schmücken, ihren Lebensabend zu einem heitereren und sorgenloseren zu machen, als der vorhergehende Tag gewesen war.

Mit Thränen in den Augen und mit einer vor Rührung bebenden Stimme stattete er ihr seinen Bericht ab. Seine sichtliche Bewegung, seine unverkennbare Freude glitt nicht eindruckslos an der Mutter ab, ja, ein flüchtiger Blick derselben nach Wendula hin verstärkte die Wirkung, denn all' der feurige Eifer des Sohnes, seine warmen Liebesworte, sein stiller Herzensjubel spiegelten sich in den Zügen des Mädchens wieder.

Wendula hatte die Zeit der Trennung von Georg nicht durch müßige Sehnsucht nach ihm verloren. Sie hatte sie benutzt, ihm den schönsten Liebesbeweis zu geben, der, wie kein anderer, im Stande gewesen war, sein Herz zu beglücken, sie hatte versucht, das seiner Mutter zu gewinnen. Nicht im Sturm, nicht mit Gewalt, nicht durch Worte und Liebkosungen, sondern in jener stillen, fast unbemerkbaren Weise, die allein Einfluß auf ein so schroffes Gemüth zu erlangen im Stande ist.

Sie drängte ihr keine Aufmerksamkeit auf, sie erzwang nicht ihren Dank, sie erhob keinen der Ansprüche, zu denen ihr verwandtschaftliches Verhältniß sie in jedem andern Fall wohl berechtigt hätte. Sie stand ihr mit einer Demuth und einer Würde gegenüber, die ihr die Achtung der stolzen Frau gewann, und jedes unwillkürliche Zeichen wärmerer Gesinnung, das zuweilen aus dem verschlossenen Gemüth der Großmutter hervorbrach, wurde in kindlichster Weise und ohne ein verrätherisches Zeichen von Ueberraschung aufgenommen, das leicht ähnliche Regungen hätte verscheuchen können. Nur die größte Unbefangenheit konnte Frau Artefeld's Mißtrauen besiegen, konnte die Geister beschwören, die sich immer und immer wieder zwischen die gebeugte Frau und Jeden drängen mußten, der ihr Unrecht und ihr Unglück kannte.

Wendula's Zorn war längst entschwunden, sie fühlte nur tiefes Mitleid mit ihr, und aus dieser Empfindung, verstärkt durch den Gedanken: »Es ist Georg's Mutter, die so tief gebeugt ist, und lebte mein Vater jetzt, er würde zu ihr eilen und Alles vergessen und ihr helfen, sie stützen und trösten,« aus dieser Empfindung und diesem Gedanken erwachte allmählich ein immer wärmeres Verlangen, in die Tiefe dieser verschlossenen Seele zu dringen, die Härte zu besiegen, die Dunkelheit zu bannen und ihr, die nie wirklich glücklich war, noch einen Schimmer dieser Gottesgabe zu retten.

Man mag oft vor Menschen stehen mit dem Gedanken, es ist unmöglich, sie lieb zu haben, greift man aber die schwere Aufgabe anders an, sagt man sich nichts weiter als: mache sie glücklich, sie, die Du nicht lieben kannst, und folgt man dem Gedanken mit warmem Entschluß und kräftiger That, so ist, ehe wir es ahnen, das Herz dabei, und das Glück, das wir schaffen wollen, findet in der Liebe, die wir nicht empfinden konnten, nun erst recht seinen Grund und Boden.

Das Herz war es auch, was aus Frau Artefeld's Augen leuchtete, als sie Georg's Mittheilungen lauschte, und bestätigte jeden Wunsch, jede Hoffnung, die er im Vollgefühl kindlicher Liebe aussprach.

Mit ungewöhnlich weicher Stimme, die erst im Verlauf ihrer Worte wieder zu ihrer gewohnten kalten Festigkeit zurückkehrte, sagte sie: »Gott segne Dein Vorhaben, mein Sohn, aber auf mich rechne dabei nicht. Ich gehe nicht nach Breslau zurück. Mein Haus ist eingestürzt. Baue Dir das Deine, Du hast eine Herrin für dasselbe, mich brauchst Du nicht.«

»Willst Du meinetwegen Georg nicht begleiten?« fragte Wendula mit bebenden Lippen. »Bin ich schuld, daß Du sein kindliches Herz zurückweist? Ich glaube,« fuhr sie mit gehobener Stimme fort, »ich glaube, ich könnte es jetzt ertragen, ihn zu lassen, jetzt, wo ich weiß, daß er mein ist!«

Georg umfaßte erschrocken die Geliebte, sie aber fuhr mit zaghafter Schüchternheit fort:

»Ich habe Dir einst sehr harte Worte gesagt, verzeih sie mir, wie Gott mir den Irrthum verzeihen möge, der sie mich sprechen ließ. Ich meinte meines Vaters Sache zu führen. Ich weiß jetzt, daß es in unrechter Weise geschah,« fuhr sie erregt fort, »nicht seinen Zorn, nicht die Rache für empfangene Kränkung hat mein Vater auf mich vererben wollen, sondern die versäumte Liebe. Vor Deiner von meinen geringen Worten niedergeschmetterten Gestalt, angesichts des drohenden Todesengels, lernte ich erst die Botschaft des Todten verstehen. O, nicht auszudeuten würde die Reue, die Gewissensqual sein, wärest Du aus dem Leben geschieden, und ich hätte Dir mit keinem andern Bewußtsein nachblicken können als dem befriedigter Rache. Nein, nein, ich bin meines Vaters Rächerin nicht, ich bin seine Tochter, und was ihm im Leben versagt blieb, das Herz seiner Mutter, laß es mich für ihn erobern, laß dies meine Lebensaufgabe, meine Freude, meinen Stolz sein, laß mich Dich lieb haben, für mich und für meinen Vater!« – Sie hatte die letzten Worte mit bebender Stimme gesprochen, sie stand da mit flehenden Augen und hochklopfender Brust. Frau Artefeld widerstand der rührenden Bitte nicht.

»Komm,« sagte sie mit gepreßter Stimme, »komm an mein Herz, Wendula, Du bist eine brave Tochter, Du führst Deines Vaters Sache, ach, hätte Dein Vater die meine geführt! Doch er ist todt und Alles, was uns entzweite, ist im Sturm des Schicksals untergegangen. Es war also wohl des herzzerreißenden Zwistes nicht einmal werth. Wir wollen's vergessen, wollen Alles, Alles vergessen. Kannst Du mich lieb haben, Kind, so thu's,« brach sie plötzlich von innerer Bewegung überwältigt los, »vielleicht ist wirklich Liebe das Beste. Komm, komm her, und liegt Dir etwas an dem gequälten, gekränkten, zerbrochenen Herzen der alten Frau, nun so nimm meins, denn ich habe Dich lieb und Du bist es werth, daß Georg Dich mir abtrotzte!«

Sie öffnete die Arme, aber nicht nur Wendula stürzte hinein, auch Georg drängte sich in die Umarmung. Es wurde kein Wort gesprochen, kein Dank gesagt, kein Gelübde ausgetauscht, es war nur eine kurze Minute, in der die Drei sich umschlossen hielten, aber sie löschte viel Zorn, viel Haß und Bitterkeit aus, sie trug einen Lichtstrahl hinein in die ferne Zukunft, hell genug, um siegend neuem Dunkel zu begegnen und bei neu aufgerichteten künstlichen Scheidemauern die Erinnerung an den Augenblick zu bewahren, wo sie sanken, wo ein starres, kaltes Herz sich seiner innerlichsten Schätze bewußt ward und die stolzen Lippen zwang, das schönste menschliche Fühlen einzugestehen.

Frau Artefeld war die Erste, die ihre ruhige Fassung wiedergewann. Sie drängte die Kinder mit sanfter Entschlossenheit von sich ab und sagte:

»Wir wollen nicht unnütz weich sein, eine augenblickliche Gefühlserregung kann an einmal gefaßten, durch die Vernunft gebotenen Entschlüssen nichts ändern. Deinetwegen ist's also nicht, Wendula, mein Kind, daß ich dem Zusammenleben mit Euch entsage, aber ich kann nicht nach Breslau zurück. Es ist wider meine Natur, meine Empfindung. Ihr müßt mich verstehen, mich gewähren lassen. Ich kann einen Palast mit einer Hütte vertauschen, aber ich wohne in keinem eingestürzten Hause. Ich möchte keinen Menschen mehr sehen, und nun soll ich dorthin, wo Jeder mich kennt, wo Jeder mit Blick und Wort mir sagen kann: das und das hast Du gewollt, sieh, was nun daraus geworden ist!«

»Mutter,« sagte Georg sanft, »ist denn nicht doch Alles so geworden, wie Du es gewollt hast? Für das Haus Artefeld hast Du gelebt, ihm galt Dein Denken, Dein Arbeiten, steht es nicht unangefochten da? Und hat es nicht gerade durch die Erschütterung die es traf und die es überwand, die Festigkeit seines Fundamentes bewiesen? Auf die Ehre des Namens hast Du gehalten, es kann's Keiner wagen, sie anzutasten, unbefleckt ging sie aus dem Sturm hervor. Mich einst an der Spitze des Hauses zu sehen, war das Ziel Deiner Gedanken, Deiner Wünsche, ich stehe jetzt an der Spitze desselben, ich habe den Beruf ergriffen, den Du für mich gewählt, ich bin Kaufmann und fühle das volle Gewicht, die volle Verantwortlichkeit der mir übertragenen Pflichten. Mutter, das ist aber noch nicht Alles. Du hast mich auch glücklich sehen wollen, nicht nur ein Haus, auch eine Häuslichkeit wolltest Du mir geben, nicht Deine Liebe allein, auch die eines theuern Weibes sollte mich beglücken. Mutter, auch das ist ja erreicht. Ich bin glücklich, unendlich glücklich, hier steht ja mein Weib, mich zu lieben und mir die holde Häuslichkeit zu schaffen, die mein Haus zum Tempel machen soll. Wo ist denn noch eine Lücke, ein unerfüllter Wunsch, eine vergebliche Arbeit, ein verfehltes Leben?«

Mit unbeschreiblicher Spannung hatte Frau Artefeld den Worten Georg's zugehört, immer mehr fielen die Schuppen von ihren Augen, während er sprach.

»Was ich that, war nichts, es verrückte das Ziel,« sagte sie, von der Gewalt innerer Ueberzeugung ergriffen, in einer Aufregung der Gefühle, die einen Augenblick vor keinem Geständniß zurückbebte, »hätte Gott nicht in die Hand genommen, was ich verwirrte, so läge Alles zertrümmert am Boden: Ehre und Glück, Gegenwart und Zukunft.«

»Gott die Ehre!« sagte Wendula feierlich, »er hat es besser gemacht, als wir Alle.«

»Gott die Ehre!« wiederholte Frau Artefeld noch in derselben leidenschaftlichen Aufregung, »und mir der Gedanke an ein verfehltes Leben!«

Sie barg ihr Gesicht in den Händen, ein krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihren ganzen Körper, aber nur einen Augenblick dauerte der Kampf, dann ließ sie die Hände sinken und sagte in wiedergewonnener Ruhe:

»Gott segne Euch, meine Kinder, Gott helfe Dir in Deinem schweren Unternehmen, laß uns jetzt von Geschäften sprechen.«

Sie ließ sich nun von Georg genau den Stand der Verhältnisse auseinandersetzen und bestimmte darnach die Summe, auf die sie zu ihrem Lebensunterhalt Anspruch machte. Sie war gering, aber keine Bitte Georg's bewog sie, mehr zu nehmen.

Vergebens sagte er: »Es ist ja Alles Dein, Mutter.«

»Nein,« entgegnete sie, »es gehört der Handlung, und Gott behüte mich, dieser mehr zu entziehen, als durchaus nöthig ist.«

Ebenso scheiterte ein nochmaliger Versuch, sie von ihrem Entschluß, Breslau nie wieder zu sehen, abzubringen.

»Verlangt nichts Unmögliches von mir,« sagte sie gepreßt, »denkt an meine Jahre, da fängt man nicht von vorn an; was man im Winter säet, geht nicht mehr auf, die verlorene Ernte zu ersetzen, da muß man sich sein Ruheplätzchen suchen, so fern vom Spott der Welt wie möglich.«

Dabei blieb sie, ja sie schnitt jede Gelegenheit zu weiteren Erörterungen ab, indem sie wieder zu der ernsten, selbstbewußten Haltung flüchtete, die immer ihr Harnisch gewesen, jetzt aber mehr berechnet war, um sie vor sich selbst zu schützen, als vor Anderen.

 

Noch einmal trat sie als Haupt der Familie auf und ordnete gleichsam ihr Haus. Sie bestimmte den Tag zu Georg's und Wendula's Hochzeit, die, ebenso wie die Victor's, im stillsten Familienkreise gefeiert wurde. Damit hörte das Zusammensein in Putbus auf.

Das junge Paar ging nach Breslau, Richters nach Elbing zurück, sie selbst hatte zu ihrem künftigen Aufenthaltsort eine der kleinen, im schlesischen Gebirge gelegenen Städte gewählt, miethete sich dort eine Wohnung, richtete sich auf's einfachste ein und war entschlossen, dort den Rest ihrer Tage zu verleben. Von ihren ehemaligen Dienern nahm sie keinen mit, sie entließ sie alle bis auf den alten Gebhard, dessen Bitten, bei ihr bleiben zu dürfen, sie zwar auch zurückwies, den sie aber doch, von seiner Treue gerührt, Georg's Fürsorge empfahl und den Wunsch aussprach, dieser möge ihn zum Lohn für zwar selbstverständliche, aber doch immer auf Erden seltene Dankbarkeit im Hause behalten, ein Wunsch, der den lebhaftesten Wiederhall in Georg's Herzen fand.

Mit dieser letzten, auf die Vergangenheit bezüglichen Handlung schloß Frau Artefeld diese für sich ab, so vollständig, daß sie auch keine der ihr dienenden Personen in ihre neue Heimath mitnehmen wollte. Ja, sie dachte sogar daran, ganz allein zu bleiben und jeder dienenden Hausgenossenschaft zu entsagen, aber da meldete sich die alte Dorothee, die auf ihrer Irrfahrt nach Victor diesen endlich in Breslau aufgefunden, dort von dem Schicksal der Frau Artefeld gehört und darauf hin ihren Plan gefaßt hatte.

Warum sie zu ihr gehen und der alten Frau, auf die sie zeitlebens mit Abneigung, ja mit halber Verachtung geblickt hatte, ihre Dienste anbieten wollte, sagte sie Keinem. Wußte es ja doch Niemand als Victor und sie selber, daß sie es gewesen war, die der vom Gipfel des Glückes Herabgestürzten gleichsam den ersten Stein in den Weg geschoben hatte.

Von jenem Tage an, an dem sie den unglückseligen Brief geschrieben, war es bergabwärts mit Frau Artefeld gegangen. Dorothee meinte, jetzt sei es ihre Sache, neben der Gefallenen auszuharren, der eine Grube zu graben sie zuerst nach dem Grabscheit gegriffen habe. Ihr Entschluß erfüllte Georg mit unsaglicher Freude, aber er sowohl, wie Victor, zweifelte an der Annahme.

Aber die Alte fing es schlau an, ihr Anerbieten so darzustellen, daß Frau Artefeld darin nur einen Art der Dankbarkeit für viele derselben erwiesene Wohlthaten zu erblicken glaubte. Unter diesem Vorwande und in der Form eines ihr von Frau Artefeld gebrachten Opfers erhielt sie die Erlaubniß, die Einsamkeit der früheren Prinzipalin ihres Bruders zu theilen und zu erheitern, so viel es in ihren Kräften stand und so lange ihre hohen Jahre es erlaubten.

So war denn Frau Artefeld sehr bald in ihrem neuen Asyl heimisch und hatte mit dem ersten Tage ihre Lebensweise geordnet. Sie schloß Alles aus, was noch einen näheren Zusammenhang mit der Welt hätte vermitteln können. Von der Höhe, auf der sie einst gestanden, hatte sie das selbstbereitete Schicksal herabgestürzt, und noch strenger als die himmlische Vergeltung trat sie gegen sich auf, als sie sich, dem Glück der Kinder fern bleibend, zur Einsamkeit verdammte.

Aber sie hielt den Entschluß wenigstens eben so fest, als sie Alles im Leben festgehalten hatte, bis ein höherer Wille es ihr entriß. Auf schroffe Naturen wirkt Einsamkeit nicht mildernd, nicht sänftigend, auch bei Frau Artefeld war es nicht der Fall, und je mehr die Eindrücke der letzten Zeit in allmähliche Vergessenheit geriethen, um so mehr trat ihre eigenthümliche Charakterrichtung wieder hervor, um sich an Kleinigkeiten zu reiben und zu stoßen. Ganz leicht machte sie der guten Dorothee die Sühnung nicht, die diese sich auferlegt, aber die Alte ermüdete nicht, und da sie es nicht versäumte, sie jederzeit als Autorität anzuerkennen, so gelang es ihr, manchen Einfluß auf ihre strenge Herrin zu gewinnen und ihn zum Besten dieser, wie zum eigenen Nutzen und Frommen anzuwenden.

Von ihren Kindern empfing Frau Artefeld häufig Briefe, und es war ihre Hauptbeschäftigung, diese mit kaufmännischer Pünktlichkeit und in kaufmännischem Styl zu beantworten, wenn sie auch nie auf das Bezug nahm, was sie über die wachsende Blüthe des Hauses mittheilten. Da, wo der Zusammenhang einmal für sie zerrissen war, knüpfte sie ihn nicht wieder an, und was nicht durch sie bestand, existirte auch nicht für sie. Sie vermied Alles, was sie an frühere Zeiten erinnern konnte, sie sprach auch nie mehr ein Gefühl des Bedauerns über die Vergangenheit oder gar eine Empfindung der Reue, des Eingeständnisses aus.

Was sie empfinden mochte, steht dahin, aber es kamen noch mehr solche Erregungen über sie, die ihr gewaltsam das Wort entrissen.

Alle ihre Gefühle waren wieder durch die kalte, äußere Ruhe in Bann gehalten, mit der sie ihre Würde vor sich und den Menschen wahrte und ihnen und sich ihre Kraft bewies. Sie gestattete sich kaum die Freudenthränen bei der Geburt ihrer Enkel. Der Wunsch, sie zu sehen, erschütterte nicht ihren Entschluß, nie wieder dorthin zurückzukehren, wo ihre Bedeutung im Strom des Lebens untergegangen war.

Selbst an dem Besuch ihrer Kinder, welche die einzigen waren, die ihre Einsamkeit unterbrachen, empfand sie nicht die Herzensfreude, mit der man sonst das Zusammensein mit den nächsten Angehörigen begrüßt.

Sie war nicht gleichgültig gegen Georg geworden, aber sie fühlte immer wieder den unwillkürlichen Zug zu Wendula, der sie bei dem ersten Begegnen mit derselben wenigstens mitleidig für ihr Opfer gestimmt hatte, die Hingebung Beider errang immer wieder den Sieg über ihr Herz, aber es blieb doch nur ein halber, denn sie konnte es nie überwinden, daß Georg ohne sie glücklich war, konnte es nie verschmerzen, daß für Wendula der Himmel gegen sie in den Streit gezogen war und sie besiegt darniedergeworfen hatte, und so sehr sie sich auch nach den Kindern zu sehnen glaubte, wenn sie fern waren, so athmete sie doch immer wieder erleichtert bei der Abreise derselben auf.

In dieser Unmöglichkeit völligen Selbstvergessens, die jede reine Freude an dem Glück Anderer ausschloß, in diesem unüberwundenen Stolz, der sie Allem fern hielt, was ihr Alter hätte schmücken und verschönern können, erwuchs ihr eine härtere und dauerndere Strafe, als die war, der sie einst beinahe erlag. Für die Thränen, für das verlorene Lebensglück, für die gebrochenen, irre geleiteten Herzen Derer, die ihr Dünkel, ihre Herrschsucht, ihr absoluter Wille, ihr Verkennen menschlicher Freiheit, ihr Zurückweisen wirklicher Liebesansprüche dem tiefsten Weh überantwortete, büßte sie durch ihre selbstgewählte Herzenseinsamkeit durch ihr armes Leben, ihr freudenleeres Alter.

 

Was sollen wir nun noch über die anderen, dem Leser vielleicht lieb gewordenen Personen unserer Geschichte sagen, was können wir sagen, was nicht Jeder zu errathen im Stande wäre? Ueber ihr äußeres Schicksal steht uns keine Voraussicht zu, über das innere hat Jeder den Schlüssel selbst.

Lorchen heirathete ihren Candidaten, und da er sie, so wie sie war, so lieb gewonnen hatte, um in Treue und Geduld zehn Jahre auf sie zu warten, kann man wohl dreist annehmen, daß sie glücklich mit ihm geworden ist und daß es dem kleinen Pfarrhause nirgends an Licht fehlte, um siegend den unvermeidlichen Schatten des Lebens entgegenzutreten.

Röschen heirathete nicht. Sie hatte es sich, wie wir wissen, von jeher so vorgenommen und hielt um so eher ihr Wort, als sie nie in Versuchung geführt wurde, es zu brechen, aber sie hielt Wort in unverändert guter Laune, und damit ist immer etwas Wesentliches zu ihrem Lobe gesagt.

Sie blieb bei Vaterchen, Mutterchen, Hannibal und der gelben Kaffeemaschine, derselben, die die Reise nach Häringsdorf mitmachte und als Familienstück eine Rolle im Hause spielte. Wollen wir sehr weit in die Zukunft schauen, die Dinge dem natürlichen Lauf nach berechnen, so können wir annehmen, daß sie Vaterchen, Mutterchen und auch Hannibal überlebte, dagegen aber von der gelben Kaffeemaschine überlebt wurde, aus der jetzt Gott weiß wer, wahrscheinlich aber doch ein Abkömmling Lorchens und ihres blonden Freundes, den belebenden Trank schlürfen mag.

 

Und Georg und Wendula? Victor und Flora?

Wer zweifelt daran, daß der Himmel blau ist und blau bleibt, wenn auch zuweilen Wolken daran emporsteigen und Nebelschleier ihn verhüllen?

So ist es auch mit dem Leben solcher Menschen, deren Glück auf himmlischem Grunde erbaut ist. Böse Wetter ziehen daran vorüber, Nebel verhüllen das Licht, aber ihre Atmosphäre bleibt klar, ihr Himmel blau, und unbeirrt schreiten je weiter auf ihrer Bahn.

Wer wird aber zweifeln, daß unsere beiden Paare glücklich waren, daß auf sie all' der Segen herniedergeströmt ist, der Richard und Elisabeth versagt blieb, daß sie glücklich geworden sind im wahren Sinn des Wortes, daß ihr Glück keine Störung, sondern nur die rechte Weihe erhalten habe durch die Prüfungen und Hindernisse, an denen das Leben nun einmal reich ist, die aber, richtig verstanden und überwunden, zuletzt doch nichts sind als die äußerliche Folie für tief innere Schätze!

 

Ende.

 

Druck von G. Pütz in Naumburg a./S.

 


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