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Neuntes Capitel.


Wendula hatte schwere Tage verlebt. Obgleich sie am Morgen vor Georg's Abreise wußte, daß er nicht kommen könne, daß sie seines Anblickes entbehren müsse, daß der Platz unter der Buche, unter der er zu sitzen pflegte, leer bleiben würde, verließ sie trotzdem das Gefühl der Erwartung nicht. Ihre Augen schweiften alle Augenblicke den Weg entlang, auf dem sie ihn kommen zu sehen gewohnt war, wie mit magnetischer Kraft fühlte sie sich zu seinem Platz unter der Buche hingezogen, wenn sie auch nichts that, als sie träumerisch anschauen und ihr die Grüße zuwinken, die sonst Georg dort empfing.

Sie erfüllte ihre Obliegenheiten ohne an das zu denken, was sie that, vergaß die Hälfte und verrichtete die andere schlecht.

»Ich werde dem verliebten Dinge den Kopf zurechtsetzen,« sagte Frau Wallner zu Rosetten, »jetzt ist doch deutlich zu sehen, was die Glocke geschlagen hat. Hatte ich recht oder nicht, wenn ich behauptete, daß all' ihre Ziererei und ihr Getändel mit dem Hahn und ihre Geschäftigkeit hier draußen nur dem jungen Burschen galt, sie mag leugnen, so viel sie will. Ja, ich habe auch manchen Blick seinerseits belauert, manchen zudringlichen, unverschämten Blick. Ich hätte mich nicht so ansehen lassen, als ich jung war, aber jetzt freilich sind die jungen Mädchen anders.«

»Ach, Mutter, die sind zu keiner Zeit anders gewesen,« behauptete Rosette, »ich habe es recht gern gehabt und Du auch, und es hat es Jede gern, wenn man sie mit Bewunderung ansieht, das ist ein ganz unschuldiges Vergnügen, das können wir der armen Wendula gönnen.«

»Wenn's nur das Ansehen wäre!« entgegnete Frau Wallner, »aber so wie sie heut ist, so zerstreut, so gedankenvoll, so ganz unbrauchbar, sollte man glauben, sie hätte sich nicht damit begnügt, sich nur ansehen zu lassen. Sie haben bestimmt mit einander gesprochen, und gerade daß sie es hier nie thaten, erweckt meinen Verdacht. Ich habe zwar nie in meinem Leben eine heimliche Liebesgeschichte gehabt, ich hatte nie nöthig mein Herz zu verstecken, aber denken kann ich mir solche Geschichten schon. Eine hübsche Hexe ist die Wendula und die Jugend ist leichtsinnig.«

Rosette versuchte noch, im Namen der Liebe und Jugend, sowie in der vollen Ueberzeugung von Wendula's Unschuld, ein Fürwort für diese einzulegen, aber es half ihr nichts, half ihr nicht einmal, daß sie dem Mädchen verstohlen zuflüsterte, sie möchte sich ein wenig zusammennehmen, die Mutter lege ihr ihre Zerstreutheit übel aus.

Wendula nahm sich zwar zusammen, aber Frau Wallner, die sich seit einigen Tagen schon in Reflexionen über die eigene bewährte Tugend und die fehlende Moralität Anderer erging, konnte den Erguß ihrer Gefühle nicht hemmen. Sie brach die Gelegenheit vom Zaun und rügte die nächste Vergeßlichkeit Wendula's mit höhnenden Worten, indem sie ihr geradezu vorwarf, in den jungen Menschen verliebt zu sein, und sie schlecht machte, ihr Herz an Jemand gehängt zu haben, der sich aus ihr nicht das Mindeste mache, komme und gehe, ohne sie nur anzusehen, und jetzt ohne Gruß abgereist sei, was sie noch dazu recht unhöflich gegen sich und Rosetten finde.

»Es ist zwar wenig an solchem Abschiedswort gelegen, aber es gehört sich doch, und wenn man ein gebildeter Mensch sein will, sollte man es nie versäumen,« sagte sie. »Aber wahrscheinlich hatte er gemerkt, wie er Dir den Kopf verdrehte, vielleicht hat er ihn Dir auch absichtlich verdreht, ich weiß ja nicht, wie ihr zusammen gestanden habt,« fuhr sie giftig fort, »und da that er wohl besser, sich mit einem polnischen Abschiede zurückzuziehen. Man lacht gern mit einem hübschen jungen Mädchen zusammen, aber wenn man gehen will, thut man es so, daß man die Abschiedsthränen wenigstens nicht sieht.«

»Ich weiß nicht, was Sie wollen,« entgegnete Wendula, geärgert durch die Alte und kaum wissend, was sie sagte. »Es ist weder von Lachen noch von Weinen die Rede, und wenn der, von dem Sie so schlecht und herabsetzend sprechen, heut ging, so kommt er doch morgen sicherlich wieder, und Sie werden sehen, wie er's gemeint hat!«

»So, also so weit sind wir schon, wir haben uns schon Versprechungen geben lassen, die natürlich nicht gehalten werden! Er wird ein Narr sein und sie halten!« fuhr Frau Wallner auf, und nun brach ein Unwetter los, gegen das der gestrige Sturm nichts als ein sanftes Windeswehen war.

Wendula bebte zurück vor den Verleumdungen, mit denen Georg, den Vorwürfen, mit denen sie überschüttet wurde.

Mit einem verächtlichen Lächeln hatte sie Beides zurückweisen wollen, aber das Lächeln schwand, und sie biß die Lippen fest auseinander, um nicht aufzuschreien über die Mißhandlung in Worten, die ihr zu Theil wurde.

In schmählichster Weise hörte sie ein Gefühl profaniren, von dem sie geglaubt, es müsse Menschen in Engel verwandeln, glühende Röthe der Scham überflog ihr Antlitz, brennende Thränen stürzten ihr aus den Augen, wie um Hülfe flehend sah sie die Frau an, die so unbarmherzig dies Unschuld in den tiefsten Staub herabzog.

Rosette versuchte zu vermitteln.

»Laß sie, Mutter,« sagte sie, »sieh sie doch an. Du mußt ja sehen, daß Du ihr unrecht thust. Sie ist unschuldig, sie ist höchstens betrogen, und es wird sich ja zeigen, ob der junge,Mann zurückkommt oder nicht.«

Wendula warf ihr einen dankbaren Blick zu, aber Rosettens Worte hatten die Sache nur schlimmer gemacht.

Da regte sich endlich der Zorn in Wendula's Seele, ein edler Zorn, und gab sie ihm auch nicht in Worten Raum, so schoß er doch Blitze aus ihren Augen, zog ihre Stirn in Falten und gab der Art, mit der sie den Kopf emporhob und auf ihren Feind herabsah, so das Gepräge der Verachtung daß Frau Wallner's Tücke nur gesteigert wurde.

»Sieh mich nur so giftig an, als wolltest Du mich mit den Blicken todtstechen,« höhnte die Alte, »ich fürchte mich nicht vor Dir und kann Dir meine Ermahnungen nicht ersparen, wenn sie auch Dein tückisches Gemüth zur Rache reizen sollten.«

»Gott im Himmel schütze mich vor schlechten Gedanken und Empfindungen,« stöhnte Wendula, »aber es ist wahr, Sie hasse ich beinah, Ihnen könnte ich Böses wünschen und gelegentlich auch thun.«

Sie stürzte aus dem Zimmer in ihre Kammer, warf sich dort auf ihr Bett und weinte heiße Thränen des Zornes und des Kummers.

Je glücklicher sie in den vergangenen Tagen gewesen war, um so tiefer verletzten sie die häßlichen, sündhaften Empfindungen, die im Augenblick ihr Herz überwältigten. In den Himmel hatte sie reinen Blickes geschaut, und Frau Wallner's Worte zeigten ihr den Abgrund zu ihren Füßen.

Aber allmählich beruhigte sich der aufgeregte Sturm, Ruhe und Besonnenheit kehrten zurück und gaben der gekränkten Seele des Mädchens die gewohnte Schwungkraft wieder.

Was konnte Frau Wallner denn von Georg und ihr, von seiner und ihrer Liebe wissen! Alle ihre Anschuldigungen und Vorwürfe entsprangen ja nur einem boshaften Herzen, einem gemeinen Geiste. Nein, bei Gott, sie hatte sich ihrer Liebe nicht zu schämen, es wäre Sünde gewesen, der kindlichen Seele Georg's auch nur einen vorübergehenden verrätherischen Gedanken zuzutrauen.

Sie that es auch nicht. Sie liebte ihn mit voller Zuversicht, sie glaubte an ihn, sie wollte noch nichts davon wissen, daß Liebe je etwas zu vergeben haben könne, daß sie eben so schön, ja fast noch schöner sei im härenen Hemd der Barmherzigkeit, als in dem strahlenden, von keinem irdischen Staube berührten Lichtgewand unangetasteter irdischer Herrlichkeit.

Aus ihrem Himmel hatten die rohen Worte der Frau Wallner sie doch gerissen, die Unbefangenheit des Herzens war dahin, die in unbewußter Unschuld den weltlichen Gesetzen der Schicklichkeit ahnungslos Trotz bietet.

Sie nahm es sich fest vor, heut Abend zum letzten Mal mit Georg im Walde zusammenzutreffen, ihn zu bewegen, sie zu verlassen, wenn er ihr nicht die Einwilligung seiner Mutter bringe oder entschlossen sei, sie ohne dieselbe zu seiner Frau zu nehmen.

War sie sein Weib, dann kehrte sie sich an nichts, dann konnte keine böse Rede, kein verleumderischer Gedanke sie antasten, sie war sicher im Schutz seiner Liebe, sie hatte allen Anfeindungen ein heiliges Recht entgegenzustellen. Selbst seine Mutter konnte sie ihrem Himmel nicht entreißen, und was bedeutete ihr Segen gegen die Allgewalt der Liebe!

Mit dem Gedanken brachte Wendula ihren Zorn, ihre Unruhe zum Schweigen, stillte ihre Aufregung und gewann Ruhe und Kraft, zu den Geschäften des Tages zurückzukehren.

 

Die Försterei war an dem Nachmittag sehr besucht und Wendula wurde mehr denn je in Anspruch genommen. In tiefstem Schweigen that sie, was ihr zu thun oblag, und die heitere Klarheit, die in letzter Zeit ihr Antlitz verschönte, war dahin. Sie sah blaß und verweint aus, düstere Wolken lagen auf der Stirn, und ein tiefer Zug um ihren Mund, die kindliche Form desselben entstellend, verrieth Trotz wie Kummer. Es war ihr unsaglich verhaßt, hier die gefällige und gehorsame Dienerin zu spielen, es zuckte manchmal in ihren Fingern, als könne sie die Lust nur mühsam bewältigen, die Tassen zusammen zu werfen und fortzueilen, Gott weiß wohin. Alle Augenblicke wurde sie gefragt, ob ihr etwas fehle, eine Frage, die sie mit einem kurzen, rauhen Nein beantwortete.

Frau Wallner, die wie immer die freundlichste Dienstfertigkeit an den Tag legte und schon unter den häufig wiederkehrenden Gästen ihre besonderen Bekannten und Gönner hatte, die sich gern von der gutmüthigen Alten allerlei vorschwatzen ließen, gab hier und da mit Achselzucken und Kopfschütteln eine Erklärung für Wendula's verstörtes Wesen.

»Du lieber Gott, Jugend hat keine Tugend,« antwortete sie auf die an sie gestellten Fragen. »Man muß Geduld haben. Immer freilich geht's nicht, daß man fünf gerade sein läßt. Wir haben doch einmal Elternpflichten an dem Mädchen zu üben, wenn wir auch keinen Dank dafür erwarten und empfangen.«

»Das hübsche Kind ist wohl schwer zu behandeln?« fragte eine der Kaffee trinkenden Damen.

»Sie sieht sehr finster aus,« bemerkte eine Andere, »man scheut sich oft, ihre Dienste zu verlangen, mit so widerwilliger Miene leistet sie dieselben. Nach meinem Geschmack ist diese finstere Schönheit nicht.«

»Wie der Mensch ist, so sieht er aus,« antwortete Frau Wallner mit ihrem besten Lächeln und seufzte dann: »Man hat seine liebe Noth!«

»Sie gutes, altes Mütterchen, ich dächte, mit Ihnen könnte man gar nicht in Zwiespalt gerathen,« sagte die Erste wieder.

Frau Wallner lächelte geschmeichelt, warf dann einen raschen Blick nach Wendula hin und sagte so leise und zögernd, als würde es ihr recht schwer, die Anklage auszusprechen:

»Und doch hat sie heut noch die Faust gegen mich geballt und mir gesagt, sie könne sich keine größere Freude denken, als mir Böses zu thun.«

»Gott erbarm' sich!« stöhnte der Chor.

Wendula bekam manches anzügliche Wort zu hören, als sie sich dem Tisch näherte, um die Tassen abzuräumen, aber sie hatte kein Ohr für die Moral, die man ihr brockenweise hinwarf. Sie bezog auch alle die Sentenzen über die Werthlosigkeit der Schönheit, die natürliche Verderbtheit der Jugend, über die Undankbarkeit von Waisenkindern und dergleichen gar nicht auf sich, oder kümmerte sich wenigstens nicht darum. Sie hatte nur zwei Gedanken: Georg und Befreiung aus Verhältnissen, in denen man die unschuldigsten und besten Empfindungen ihres Herzens mit Füßen trat, in denen man sie zu gehässigen Gefühlen und Worten zwang.

Sie dankte Gott, als der Abend kam, die Schatten länger, der Wald düster und still wurde und Frau Wallner im Hause die Fensterläden schloß.

Mit befreitem und dennoch bangem Herzen trat sie diesmal die nächtliche Wanderung an, scheuer als je zurückblickend, ob auch Niemand ihr Fortgehen bemerke. Sie glich dem Nachtwandler, der mit geschlossenen Augen sicher an jeder gefahrdrohenden Stelle des Weges vorübergeht, während der Erwachte oft gerade dem verfällt, was er meiden will.

Sie war auch aus dem Schlaf geweckt, dem süßen Kinderschlaf, nun lag die Welt so ganz anders vor ihr, als sie dieselbe in ihren Träumen geschaut.

»Mein Gott, begehe ich denn ein Unrecht?« fragte sie leise, die Augen nach Oben richtend. »Darf ich ihm denn nicht meine Seele hingeben, sein Eigenthum sein mit jedem Gedanken, jeder Regung, jedem Wunsche des Herzens?«

Der helle Sternenhimmel blitzte sie an, sie schlug die Augen nicht nieder vor dem Gotteslicht, sie fühlte sich freigesprochen von der Schuld.

»Nein, meine Liebe ist kein Unrecht,« sagte sie und eilte weiter.

Sehr bald hatte sie die Höhe erreicht, warf sich auf der Stelle, wo sie sonst mit Georg zu sitzen pflegte, in's Gras und lehnte ihre heiße Stirn an eine der Buchen, durch deren dichtes Laubdach die Sterne nur verstohlen auf das arme Kind herabsahen, das seine Liebe und Sehnsucht, seinen Schmerz und seinen Groll in die stille Nacht hinaustrug, um sie vor der Mißhandlung der Welt zu retten.

Die Nacht war mild und warm, Alles rings träumerisch still. Das Meer nur rauschte tief unten in flüsterndem, geheimnißvollem Geistertone. Es war so still, daß Wendula die Thurmuhr der kleinen Kirche schlagen hörte, die von ihrer fernen Höhe herüberzuwinken schien, ein von Menschenhand errichteter Tempel in den göttlichen des Waldes, zur Andacht rufend, hinabschauend auf die unruhigen Wogen, wie auf die unruhige Welt zu ihren Füßen, allen Schiffern auf dem Meer des Lebens ein sichtbares Symbol unvergänglichen Glückes und wirklichen, unantastbaren Heils.

Alles Warten hat etwas Peinvolles, und weder geistig noch körperlich findet der Wartende Ruhe. Jedes Geräusch schreckt uns aus der kindlich bewahrten Haltung empor, und die aufgeregten Sinne nehmen Dinge wahr, die oft nur in der Einbildung existiren.

So hatte auch Wendula bald wieder ihr Haupt emporgerichtet, weil, sie meinte, Georg's nahende Schritte zu vernehmen, aber immer wieder ließ sie es getäuscht sinken.

Immer wieder war es entweder das Meer, dessen leises Brausen sie irre geführt, oder der Wind, der in den Blättern flüsterte, oder es war der vorüberrauschende Flügelschlag eines einsamen Vogels, der ihr Herz heftiger schlagen machte.

Unendlich langsam schlich die Zeit dahin. Wendula zählte die Viertelstunden, die ihr die Thurmuhr des kleinen Kirchleins mahnend durch die Nachtstille zurief. Als es Zwölf schlug, erhob sie sich.

»Er kommt nicht mehr,« sagte sie unwillkürlich laut und fuhr vor dem Tone der eigenen Stimme zusammen, deren tiefer Klagelaut so geisterhaft das Schweigen um sie her unterbrach. Bis jetzt hatte Wendula nur an Georg gedacht; als sie es aufgeben mußte, ihn zu sehen, wurde ihr bange. Sie fühlte auf einmal ihre Einsamkeit, die undeutlichen Gebilde um sie her ängstigten sie, sie schaute mit Zagen in den dunkeln Wald, dachte mit Grauen an den Rückweg. Sie wollte sich selbst verhöhnen, denn ihrer kräftigen Natur waren sonst all' die Gefühle fremd, als die Folgen erschöpfter oder erregter Nerven dem Geiste Willenskraft und klares Verständniß rauben; sie wollte dagegen kämpfen und konnte sie doch nicht völlig besiegen. Es überkam sie wie Gespensterfurcht.

Ha! und war es denn nicht ein Gespenst, das jetzt, als sie sich umwendete, vor ihren entsetzten Blicken, unheilbringend, emporstieg? Dort, in der Richtung, in der die Försterei lag, schwebte es über dem Walde das drohende Schreckbild, arbeitete sich zischend und zornsprühend aus dem dunkeln Mantel qualmenden Rauches empor. Flammender Purpur zuckte durch die dichte Masse, und ein Sprühregen leuchtender Funken, in den Laubkronen der Buchen zerstiebend, jagte die schlafenden Vögel aus dem Nest, die geblendet und in blinder Furcht hineinflatterten in die Gluth oder entsetzt und mit lautem Klagegeschrei flohen vor dem wuthschäumenden Gespenst einer mitternächtigen Feuersbrunst.

Mit einem Angstruf stürzte Wendula die Anhöhe hinab. Auf den Pfad nicht achtend, Blumen und Gras rücksichtslos zertretend, durch Gestrüpp und Büsche sich drängend, eilte sie in fliegender Hast vorwärts, als gehöre sie mit zu der wilden Jagd, die auf feuriger Lohe, durch Qualm und Dampf dahintobte über den friedlichen Wald.

Athemlos langte sie vor der Försterei an. Erstickender Rauch quoll ihr entgegen, aus dem Dach des Schuppens schlugen die hellen Flammen empor, züngelten und leckten wie feurige Schlangen an den dünnen Wänden des Gebäudes hernieder, und der klägliche Ton des geängstigten Viehes drang wie ein verzweifelter Ruf, wie eine flehende Bitte um Hülfe in ihre Seele.

Erst von dem Tone waren Frau Wallner und Rosette erwacht, und in dem Augenblicke, als Wendula auf den Platz gestürzt kam, öffnete Erstere die Läden und rief entsetzt:

»Gerechter Gott, Feuer! Rosette, Feuer! Feuer! Das Haus brennt, wir haben es schon über dem Kopfe!«

»Nein, nein, der Schuppen ist's, der brennt, das Haus ist noch unversehrt, aber die Kühe, die armen Kühe!« rief Wendula dagegen und eilte zum Stall. Sie stieß die Thür auf, sie drang ein trotz des qualmenden Rauches, der ihr den Athem fast raubte, sie stürzte auf die Thiere zu, klägliches Gebrüll tönte ihr entgegen, ihr Herz bebte bei dem Tone, aber vergebens blieben alle ihre Rettungsversuche, vergebens liebkosende Worte, vergebens Schläge, nur Gewalt würde es vermocht haben, die geängstigten Thiere aus der Stumpfheit der Furcht emporzureißen. Wendula war aber allein und ihre Kraft nicht ausreichend.

Frau Wallner war um die Kinder beschäftigt, Rosette in's Dorf gestürzt, Hülfe zu holen.

Brennende Thränen stürzten aus Wendula's Augen, sie war außer sich in dem Gedanken, das arme Vieh so elend umkommen lassen zu müssen, mußte aber von dem Wunsch abstehen, es zu retten. Qualm und Hitze waren zu groß, auch krachte es schon verrätherisch in dem dünnen Gebälk des Gebäudes.

Erst als Wendula verzweifelnd die Rettung aufgab, wendete sie ihre Aufmerksamkeit dem Hause zu, das zwar noch nicht von dem Feuer ergriffen, aber doch ernstlich bedroht war.

»Kommst Du endlich, hast Du Deine Sachen hübsch in Sicherheit gebracht, beliebt es Dir, uns jetzt zu helfen?« rief ihr Frau Wallner drohend entgegen, aber die Drohung hatte die entgegengesetzte Wirkung, Wendula eilte noch einmal zurück. Sie hatte nichts von ihrem Eigenthum gerettet, nicht einmal daran gedacht, daß dasselbe bedroht sei, aber durch Frau Wallner's Vorwurf daran erinnert, fiel ihr plötzlich des Vaters Bibel ein. Es war das einzige, das theuerste Andenken, was sie von ihm besaß, sollte es den Flammen geopfert werden? Nein, die Bibel mußte sie retten. Sie stürzte zurück, und. wenn auch geblendet durch die Flammen und halb erstickt durch Rauch und Hitze, in ihre Kammer.

Es war das Werk eines Augenblickes, dann erschien sie wieder, das theure Buch in den Händen, und instinctmäßig dem Bereich der Flammen enteilend, sank sie halb ohnmächtig und athemlos an der Schwelle des Hauses nieder, taub für die höhnenden Scheltworte, die Frau Wallner verschwenderisch über sie ausschüttete

Jetzt kam auch die Hülfe vom Dorfe her, aber noch ehe sie erschien, war Alles vorbei, das Wehgeheul der Thiere im Flammentode erstickt, der Schuppen zusammengestürzt, es war nichts mehr zu thun, als ihn völlig niederzureißen und die Brandstätte zu bewachen, daß nicht noch neues Unglück entstehe. Die gänzliche Windstille hatte größeres Unheil verhütet. Dem Wohnhause war nichts geschehen, als daß einige Fensterscheiben von der Hitze zersprungen, und die dem Schuppen zunächst stehenden Bäume zeigten verkohlte Aeste und Zweige. Nur vom Schuppen war, als der Morgen strahlenhell anbrach, nichts mehr übrig als rauchende Trümmer, geschwärzte Balken, und der Brandgeruch, der weithin über den Wald zog, verkündete die tragische Begebenheit der Nacht.

Mit verweinten Augen und blassem, überwachtem Gesicht stand Wendula in der Küche, den Leuten, die Hülfe gebracht, einen stärkenden Morgentrank zu bereiten, aber die zitternden Füße versagten ihr oft den Dienst, und sie mußte sich recht gewaltsam zusammennehmen, um nicht jeden Augenblick in neue Thränen auszubrechen. Sie konnte den Jammerton nicht vergessen, der ihr aus dem Schuppen entgegengetönt, nicht den kläglichen Anblick der hülflosen Geschöpfe, die so elend in den Flammen umgekommen waren. Ach, und ihr schöner Hahn, den sie so lieb gehabt, der ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, der so zahm gewesen und den Georg so manches Mal zu sich gelockt und geliebkost hatte, der war auch verbrannt!

Auch drinnen im Zimmer sah man überall die Spuren der wüsten, schreckensvollen Nacht. Noch hatte Keiner daran gedacht, die Ordnung wieder herzustellen, die Sachen lagen noch so umher, wie Frau Wallner sie in ihrem blinden Schreck und Rettungseifer aus den Behältnissen gerissen hatte.

Mit betrübter Miene saßen Mutter und Tochter bei einander, Willfried, der sich nicht hatte bewegen lassen, wieder zu Bett zu gehen, um, wie die Geschwister, den versäumten Schlaf nachzuholen, kauerte dicht an die Mutter geschmiegt neben ihr am Boden, ihr Kleid angsthaft festhaltend, immer dieselbe flehentliche Bitte wiederholend: sie möchte doch das helle Licht auslöschen und die Kühe still machen, weil er sonst gar nicht schlafen könne und doch so müde sei.

Vergebens versicherten Mutter und Großmutter, daß es ja schon lange nicht mehr brenne, daß es nur das Tageslicht sei, das so hell scheine, und daß die Kühe ja gar nicht mehr brüllten – der arme Knabe schüttelte den Kopf dazu, und die irren Augen vorwurfsvoll auf die Beiden richtend, sagte er:

»Ich sehe und höre es doch, lügt doch nicht! Löscht das Licht aus, der Vater schlägt mich, wenn es noch brennt.«

Es war eine wahre Noth mit dem Knaben. Der helle Tag und die Gegenwart von Menschen beruhigen wohl sonst die aufgeregte Phantasie eines Kindes, und freundliche, beschwichtigende Worte verjagen die Furcht. Ein Wahn läßt sich vertreiben, aber der Wahnsinn hält hartnäckig fest an den selbstgeschaffenen Schreckbildern, und wenn Willfried auch zum Schweigen gebracht wurde durch Einschüchterung und Drohung, seine wild und angsthaft umherirrenden Augen verriethen doch die Gegenwart der Gespenster.

»Mutter, Du hast das Feuer heraufbeschworen!« klagte Rosette. »Du hast den Teufel an die Wand gemalt, als Du sagtest, es wäre kein Unglück, wenn der Schuppen abbrennte.«

»Du bist wahrhaftig närrisch,« entgegnete diese, »was denkst Du Dir denn! Wenn der liebe Gott auf solche Worte hören wollte, hätte er viel zu thun. Worte haben den Schuppen nicht angezündet, ich weiß aber wohl, wer es gethan hat!«

Rosette fuhr zusammen und umfaßte ihren Knaben, der eben wieder den Kopf in ihren Schooß barg, mit leisem Stöhnen die innere Angst verrathend.

»Die dort hat es gethan,« flüsterte Frau Wallner, nach der Küche deutend.

»Glaubst Du?« fragte Rosette leise, tief aufathmend, als befreie diese Annahme ihr Herz von einer unsaglichen Last. »Wendula ist zwar sonst so vorsichtig, sie leidet es nie, daß die Kinder jemals ein Streichholz anfassen, aber es kann auch dem Vorsichtigsten ein Unglück begegnen. Ach Gott, ich hatte schon andere schreckliche Gedanken!«

»Sie ist es gewesen, sie allein, und aus Unvorsichtigkeit hat sie es nicht gethan,« fuhr Frau Wallner fort. »Hast Du ihre Drohung von gestern vergessen und die bösen Augen, die sie dazu machte? In denen leuchtete schon der Feuerbrand, der ihrer Rache dienen mußte. O, sie ist ein tückisches Geschöpf, und das faßt wohl schnell einen bösen Entschluß und führt ihn eben so schnell aus.«

»Nein, Mutter, das hat sie nicht gethan,« fuhr Rosette fast heftig auf, »so schreckliche Dinge darfst Du nicht von ihr denken. Wahrhaftig, man wird doch nicht gleich eine Brandstifterin und wenn man noch so sehr geärgert worden ist!«.

»Geärgert?« wiederholte Frau Wallner, »wer hat sie denn geärgert? Ich etwa? Am Ende bin ich noch gar schuld daran!«

»Nein, nein, liebe Mutter, verzeih,« bat Rosette, »ich meine nur, wir wollen jetzt doppelte Nachsicht üben, weil wir bisher so wenig geübt haben!«

»So! und es soll ihr durchgehen, daß sie uns das Haus über dem Kopf anzündet und uns zu Bettlern macht?« fuhr Frau Wallner heftig auf. »Wahrhaftig, da müßte ich nicht Ich sein. Etwas Gutes hat wenigstens das Feuer gehabt, es wird Deinem Manne die Augen öffnen über den Störenfried.«

»Es ist undenkbar,« behauptete Rosette auf's Neue, »sie ist nicht schlecht. Zudem, wie sollte sie es angefangen haben?«

»Nichts leichter als das,« sagte Frau Wallner, »ein paar brennende Streichhölzer oben unter das Dach gelegt –«

Willfried richtete sich auf.

»Ich habe die Streichhölzer nicht angefaßt,« sagte er ängstlich. »Wendula hat es verboten und nahm sie fort.«

Frau Wallner sagte: »Ich weiß es, mein Sohn, Du bist ein artiges Kind, Du thust nichts, was Dir verboten ist.«

»Wendula darf ich aber einen Possen thun,« sagte Willfried mit zuversichtlichem Tone. »Mutter hat es erlaubt.«

Rosette wurde leichenblaß.

»Gott, strafe nicht so hart meine leichtsinnigen Worte!« sagte sie leise.

Frau Wallner wendete sich wieder zu dem Knaben.

»Du mußt jetzt zu Bett gehen und schlafen,« sagte sie streng. »Er muß,« fügte sie zu Rosetten gewendet hinzu, »damit er diese unsinnigen Gedanken verschläft«

»Komm, mein Sohn, ich werde Dich zu Bett bringen, ich bleibe bei Dir,« beschwichtigte Rosette Willfried's sichtliche Angst.

»Wird es aber auch dann nicht mehr so hell sein, und hören die Kühe auf zu brüllen, wenn ich schlafe, und bleibst Du gewiß bei mir, Mutter?« flehte der Knabe. –

 

In Häringsdorf hatte das Unglück in der Försterei große Theilnahme erweckt. Wie auf einer Wallfahrt strömte die Menge dorthin. Jeder wollte die Brandstätte sehen, wollte hören, wie das Feuer ausgekommen, wer Schuld dabei habe, kurz wie der Verlauf der Sache gewesen sei.

Rosette verbarg sich vor all' den unwillkommenen Besuchern. Sie verließ Willfried's Bett nicht, der, anstatt einschlafen zu können, sich unausgesetzt mit den Schreckbildern der vergangenen Nacht beschäftigte und durch kein Zureden und kein Scheltwort davon abzubringen war.

Frau Wallner stand also allein der Theilnahme wie der Neugier Rede. Sie erzählte, was sie wußte. Vom Gebrüll der Thiere erwacht, hatte sie die Läden aufgestoßen, den brennenden Schuppen und Wendula völlig angezogen vor demselben stehen sehen, die ihr dann »Feuer! Feuer!« zugerufen hatte.

Der Erzählung folgte eine Fluth von Fragen.

»Hatte denn Jemand in dem Schuppen geschlafen?«

»Ja, Wendula,« antwortete Frau Wallner.

»Und sie hatte nicht gleich das Feuer bemerkt, nicht gleich um Hülfe rufen können? Das arme Mädchen, wie erschrocken mußte sie gewesen sein!«

»Sie hatte doch noch Zeit gehabt, sich fix und fertig anzuziehen, ja, ich glaube, wenn ich nicht die Fensterläden aufgestoßen und die Bescheerung gesehen hätte, würde sie auch erst noch ihre Sachen gerettet haben, ehe sie um Hülfe rief,« meinte Frau Wallner. »Je nun, ich will ihr keine Sünde daraus machen, es ist sich Jeder selbst der Nächste.«.

Die Fragenden stutzten.

»Am Ende ist ihre Unvorsichtigkeit an dem Feuer schuld, vielleicht hat sie das Licht brennen lassen.«

»Sie hat gar keins gehabt, sie geht in dieser Sommerszeit immer ohne Licht zu Bett,« versicherte Frau Wallner und fuhr dann fort: »Allem Anschein nach hat es auf dem Boden zuerst gebrannt. Wäre das Feuer in Wendula's Kammer ausgebrochen, so hätte der Stall, der nur durch eine Bretterwand von derselben getrennt ist, gleich zuerst brennen müssen, aber als ich, von dem kläglichen Gebrüll geweckt, die Läden ausstieß, schlugen die Flammen oben zum Dach hinaus. Ich glaube, es ist angelegt.«

»Aber von wem? Haben Sie einen Verdacht?«

Frau Wallner seufzte und faltete die Hände.

»Das Mädchen wird es doch nicht gethan haben?«

»O, es wäre zu gräßlich, ich will so etwas Schlimmes nicht eher von ihr glauben, als bis ich es weiß,«.entgegnete Frau Wallner. »Wahr ist es, daß sie nicht viel taugt, daß mein Schwiegersohn sie sehr verzogen hat, daß ich gestern noch genöthigt war, sie sehr hart zu schelten, und daß sie wie eine Furie vor mir stand und mir alles mögliche Böse wünschte. Aber es ist doch noch zweierlei, Jemandem in der Heftigkeit Böses wünschen, oder es ihm selber zufügen.«

Mit bedenklichen Mienen und Kopfschütteln wurde der Bericht angehört.

»Zeigt sie denn Reue, Gewissensangst?«

»Ich weiß nicht, sie weint und sieht wie ein Geist so blaß und verstört aus, es geht ihr an's Herz, daß ihr Liebling, der Hahn, verbrannt ist. Ach, möchte er es schon sein, lebten nur die Kühe noch! Wie sollen wir den Verlust überwinden!«

Und nun folgte eine Aufzählung aller erlittenen Verluste. Der schlimmste war immer der des Viehes. Noch dazu hatte nur eine der Kühe ihnen gehört, die andere war noch nicht einmal bezahlt.

»Und versichert ist nichts, gar nichts!« klagte Frau Wallner. »Ich habe meinen Schwiegersohn schon hundertmal gebeten, es zu thun, aber er ist so genau, er scheut immer die Ausgabe. Er ist jetzt nicht hier, er wird Freude haben, wenn er zurückkehrt, und wir armen Frauen werden es entgelten müssen. Mein Gott, was werden wir nur anfangen! Ich bin schon unten im Dorfe gewesen, Milch und Sahne einzukaufen, denn lassen wir die Kaffeewirthschaft eingehen, dann ist Alles vorbei.«

 

Die Lage der armen Leute schien wirklich sehr traurig. Der Kummer der guten alten Frau, die sonst immer ein so heiteres Gesicht zeigte und jetzt nur mit unterdrückten Thränen sprach, ging Allen zu Herzen, und das Mitleid begnügte sich nicht mit theilnehmenden Worten.

Noch an demselben Tage wurde der Vorschlag zu einer allgemeinen Collecte laut, und einige der angesehensten Badegäste übernahmen es sogleich, selbst herumzugehen und Beiträge einzusammeln. Zwar ist diese Art öffentlicher Wohlthätigkeit nicht ganz in christlichem Sinne, nach welchem die linke Hand nicht wissen soll, was die Rechte giebt, aber sie ist wenigstens in sofern zweckentsprechend, als die Armen sich nicht schlecht dabei stehen. Wie viele Menschen es auch giebt, die jederzeit und ohne jede Ostentation bereit sind, die schöne christliche Pflicht der Wohlthätigkeit zu üben, die nicht Zeit, nicht Opfer, nicht Mühe scheuen und das milde Auge wie die helfende Hand überall haben, wo die Noth ihrer bedarf, so wandern doch auch gar Viele in gedankenloser oder harter Gleichgültigkeit durch die Welt, befriedigt, wenn sie nicht selber Entbehrungen zu leiden haben, und die eigenen Bedürfnisse erst wiederholt berechnend, ehe es ihnen einfällt, daß auch ein Anderer etwas brauchen könne.

Aber auch diese, ja diese hauptsächlich müssen heraus aus ihrem Versteck, wenn die Bettler in schwarzem Frack und weißen Handschuhen oder die Samariterinnen im seidenen Kleide und der Sammetmantille kommen, zu wohlthätigem Zweck die Eitelkeit und Menschenfurcht zu brandschatzen und Namensunterschriften zu sammeln, um die Werke der Barmherzigkeit, von denen der Arme und der liebe Gott eigentlich allein etwas wissen sollten, nebenbei noch der Welt zu verkünden.

Es kommt meist sehr viel bei solcher Gelegenheit zusammen, und die Thaler rollen aus der Börse, aus der die Groschen oft nicht den Weg herausfinden, wenn es gilt, sie einfach in die ausgestreckte Hand eines schmutzigen Bettlers zu drücken. Die Armen stehen sich nicht schlecht dabei, aber es ruht doch nur ein einseitiger Segen auf dieser Barmherzigkeit.

»Thue das Gute und wirf es in's Meer,
Sieht es der Fisch nicht, so sieht es der Herr,«

sagt ein altes Sprichwort, aber auf die Subscriptionslisten zu wohlthätigen Zwecken kann man den Spruch nicht schreiben, da paßt er nicht hin.

 

Frau Wallner war für den Schreck der Nacht reichlich entschädigt, als sie noch am Nachmittag desselben Tages vernahm, daß sie Aussicht auf dreifachen Ersatz hätte, und kam wieder darauf zurück, im Stillen das Feuer als ein Glück zu preisen, das nicht allein aus aller Noth geholfen, nein, das auch noch Wendula, die verhaßte Wendula aus dem Hause treiben werde und müsse.

Sie hatte es sich allen Ernstes halb und halb eingeredet, Wendula habe den Brand angestiftet, aber wenn auch dazwischen der Gedanke in ihr aufkam, sie könne ihr unrecht thun, so beschwichtigte sie ihn damit, daß sie zu sich sagte: »Ist sie unschuldig, so wird es sich ja zeigen, aber im Hause wird sie doch nicht bleiben wollen, dazu ist sie zu stolz, und so sind wir sie los, Gottlob!«

Dem Mädchen war es natürlich nicht eingefallen, daß auch nur der Schatten eines Verdachtes auf sie gelenkt werden könne. Erst als die Herren vom Gericht aus Swinemünde kamen und sie es mit anhören mußte, wie Frau Wallner's Reden darauf berechnet waren, sie zu verdächtigen, ja als sie, wie die ganze Hausgenossenschaft, einem Verhör unterworfen wurde, erst da begriff sie mit tiefer Entrüstung, um was es sich handle.

Mit stolzer Verachtung wies sie die Anklage von sich, mit der Miene empörter Unschuld fügte sie sich der Nothwendigkeit, die ihr vorgelegten Fragen zu beantworten. Sie zwang sich zur Ruhe, und keine der vielen Kreuz- und Querfragen vermochte es, einen Widerspruch in ihren wahrheitsgetreuen Bericht zu bringen. Unbefangen gestand sie es ein, die Zeit bis zur Mitternachtsstunde im Walde zugebracht zu haben, » allein,« sagte sie, Frau Wallner's Bemerkungen darüber nur mit diesem einen Wort und einem offenen Blick niederschlagend.

Ihr ganzes Verhalten, sowie das Resultat der Untersuchung bot nichts dar, den gegen sie angeregten Verdacht zu bestärken, bot nicht den mindesten Anhalt, eine Anklage darauf zu gründen; noch mehr zu ihren Gunsten sprach Rosettens Zeugniß, die mit einer fast an Angst grenzenden Aufregung wiederholt ihre Ueberzeugung von Wendula's Unschuld aussprach.

Die Herren verließen die Försterei mit dem Bedeuten, daß durchaus nichts gegen das junge Mädchen zu unternehmen wäre, daß das Feuer wohl schwerlich böswillig angesteckt, sondern wahrscheinlich Folge einer begangenen Unvorsichtigkeit sei, daß man es der Zeit, dem Zufall überlassen müsse, die Art der Entstehung desselben herauszubringen.

Trotz der völligen Freisprechung von dieser Seite, trotz Rosettens lebhaft geäußerter Freude darüber, und trotz oder vielleicht wegen Frau Wallner's Versicherung auf die Frage der Badegäste, daß eben nichts bewiesen werden könne, daß, allem Anschein nach, Wendula unschuldig, daß es ja auch schwer sei, an eine so tiefe Verderbtheit bei einem so jungen Geschöpf zu glauben, und daß sie sich wenigstens nicht entschließen könne es zu thun, blieb ein Makel an dem Mädchen haften.

Jeder prüfende, jeder forschende, jeder mitleidige Blick, der sie traf, berührte den wunden Punkt in ihrem Herzen, gerade wie ein Fleck um so schärfer in's Auge gefaßt wird, wenn er sich von einem weißen Gewande abhebt. Wer das Gewand anhat, mag noch so unschuldig an dem Fleck sein, er sieht doch in jedem Blick einen Vorwurf, hört in jeder Frage darnach einen Tadel heraus.

So ging es Wendula, sie kam sich, der allgemeinen Aufmerksamkeit gegenüber, wie geächtet vor. Sie konnte sich nicht entschließen, im Hause zu bleiben, in dem die Kinder sie mit ängstlichen, scheuen Blicken betrachteten, Frau Wallner sie mit anzüglichen Reden verfolgte und selbst Rosette, obgleich sie sich ihr bei dieser Gelegenheit freundlich gezeigt, sichtlich bemüht war, sie sich fern zu halten, und es ihr nicht gestattete, ihr an Willfried's Lager, dessen Phantasien immer fieberhafter, immer wilder wurden, Beistand zu leisten.

Verwiesen von der ungastlichen Schwelle und doch gebannt an sie, entschlossen, nie mehr einen Fuß darüber zu setzen, und doch nicht fähig, sie gänzlich zu fliehen, denn Georg mußte sie hier ja suchen, sank sie, Verzweiflung und Zorn im Herzen, auf einen der geschwärzten Balken- der Brandstätte nieder. Dort blieb sie sitzen, die Augen gesenkt, die Stirn in tiefe Falten gezogen, erstickenden Jammer im Herzen und dennoch hoffend, hoffend auf Georg und für ihn die Thränen zurückdrängend, die ihr wie ein Felsen auf der Brust lagen.

Sie hatte die gefalteten Hände auf dem Schooß ruhen, sie hielten krampfhaft die kleine Bibel, ihr einziges gerettetes Eigenthum, als sei die Berührung dieses an Trost und Liebe so reichen Schatzes schon hinreichend, sie vor Angriffen des Hasses, vor verzweiflungsvollen Gedanken zu schützen.

Stunde auf Stunde verrann, zahlreiche Besucher suchten die Försterei auf, sie rührte nicht Hand, nicht Fuß, sie blieb auf derselben Stelle sitzen, unzugänglich für jede Frage; sie starrte vor sich hin, ein Bild des Kummers, des gekränkten Stolzes, des bösen Gewissens, je nach dem, was man in ihr zu sehen geneigt war.

Sie wäre am liebsten weit fortgegangen, hätte gern dem Hause, in dem sie doch nur eine widerwillige Aufnahme gefunden, für immer den Rücken gekehrt, aber sie wartete ja auf Georg. Er mußte mit dem Dampfschiff des Abends kommen, mußte von der Geschichte hören und zu ihr eilen, gleich, ohne Besinnen. Wer sonst denn konnte sie aus dieser ungerechten Schmach, aus dieser tiefen Verlassenheit emporheben, wenn nicht er?

So ging der Tag zu Ende, der Abend kam, aber Georg erschien nicht. Der Platz war längst leer von Gästen geworden, sie harrte noch immer auf ihn, auf eine Botschaft wenigstens, sie blieb auf der wüsten Stätte sitzen, sie zu empfangen. Sie hielt ihre einsame Wacht, wie ein verlorener Posten, ausharrend, bis das Geschick sich erfülle.

»Wirst Du die Nacht draußen bleiben?« fragte Frau Wallner, als es dunkler und dunkler wurde, ohne daß Wendula sich von ihrem Sitz erhob.

»Ja,« sagte diese ruhig.

Die Alte sah sie forschend an, ihr wurde bange. Die steinerne Ruhe des Mädchens kam ihr unheimlich vor, freundlicher wiederholte sie ihre Aufforderung, in's Haus zu kommen.

»Nie wieder!« war die einzige Antwort, die sie empfing.

Nun legte Frau Wallner sich auf's Zureden.

»Wenn Du unschuldig bist, was hast Du uns zu scheuen?« sagte sie. »Du thust Dir selbst Schaden durch Dein finsteres, verschlossenes Wesen, die Leute müssen glauben, Du habest etwas Böses gethan. Ich will's ja gern nicht glauben, obgleich die Umstände gegen Dich sprechen. Es mußte doch mein erster Gedanke sein, Du habest den Schuppen angezündet, da ich Dich beim Oeffnen des Fensters so ruhig vor demselben stehen und den Flammen zusehen sah. Auch fehlt das Bund Streichhölzer, das ich noch am Nachmittag gesehen und das Du, wie Willfried sagt, ihm fortgenommen hast.«

Wendula horchte auf. Sie hatte wirklich dem Knaben die Streichhölzer fortgenommen, nicht nur an dem Nachmittag, nein, schon öfter, denn der Knabe hatte seit einiger Zeit einen seltsamen Hang darnach, und wo sie auch das gefährliche Spielzeug versteckte, er hatte es immer zu finden gewußt.

Sie besann sich nur nicht darauf, wo sie es an dem Nachmittag hingelegt, ihr war der Kopf so voll gewesen, möglich war's, daß sie es ihm nur aus der Hand genommen und durchaus nicht unerreichbar für ihn aufbewahrt hatte.

Ihr fielen auch die seltsamen Fragen des Knaben wieder ein und der unheimliche Eindruck, den es ihr gemacht, als er sie gebeten, doch einmal ein Streichhölzchen in's Heu zu werfen, damit es brenne. Und nun lag das Kind krank, an den Folgen des Schreckes sagten sie, und sie hatte nicht zu ihm gedurft, ja Rosette hatte ihren Beistand zurückgewiesen mit einer Miene, in der sie Widerwillen gegen sich gelesen, die aber eben so gut Angst und Scheu bedeuten konnte.

Sie erhob das Haupt und sah Frau Wallner mit einem so tief ernsten, forschenden Blick an, als wollte sie ihr in die Seele schauen, aber sie schwieg. Man hatte sie einer schwarzen, verbrecherischen That beschuldigt und einer derselben vorangegangenen Drohung ihrerseits zu viel Gewicht gegeben, um eine rachsüchtige Handlung dadurch zu motiviren.

Man that ihr unrecht, sie war unschuldig, sie litt unsaglich unter der falschen Anklage, gut, so wollte sie sich denn hüten, eine ähnliche Uebereilung zu begehen. Das irrsinnige Kind freilich konnte Niemand verantwortlich dafür machen, selbst wenn Bosheit die Veranlassung der That war, aber Rosettens Schweigen über den Umstand bewies ihr, daß sie die Wahrheit, daß sie eine Entdeckung scheute, gleichviel weshalb!

Mochte sie das mit ihrem Gewissen berathen, mochte sie es verantworten vor Gott und sich selbst, ließ sie wissentlich einen Stein auf ein unschuldiges Haupt fallen.

»Wirst Du nicht kommen?« fragte Frau Wallner.

»Nein,« erklärte Wendula fest, »nicht einen Fuß setze ich mehr über Ihre Schwelle, zwischen uns ist es zu Ende für immer.«

»Nun, so bleib, wo Du willst, mehr Güte kann man Dir nicht erzeigen,« brummte Frau Wallner erzürnt und ging in's Haus zurück.


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