Louise Aston
Lydia
Louise Aston

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Zwölftes Kapitel

Als Berger so unvermuthet in das Zimmer getreten war, blieb Lydia anfangs von Schreck gelähmt ruhig auf dem Sopha sitzen. Sie glaubte in einer heillosen Täuschung befangen zu sein und fuhr unwillkührlich mit der Hand über die Augen, um das vermeintliche Schattenbild ihrer Phantasie zu verscheuchen. Aber vergeblich. Als sie die Hand von den Augen nahm, fiel wiederum ihr Blick auf die unheimliche Gestalt ihres ehemaligen Verlobten.

»Ich bin's wirklich, Lydia« – sagte Berger langsam, indem er einen Schritt auf sie zutrat. Lydia stieß beim ersten Laute seiner Stimme einen leisen Schrei aus; dann sagte sie mit fremdem und kaltem Tone:

»Sie haben sich wohl in der Thüre, vielleicht gar im Hause geirrt, mein Herr.«

»Nichts weniger. – Wie sollte ich auch irren können, ich habe Sie ja erwartet.«

Lydia erbleichte, aber noch immer war sie über die eigentliche Lage, in der sie sich befand, vollkommen unbewußt.

»Ich wüßte nicht, wie Sie mich hier sollten erwartet haben. – Ich muß Sie bitten, sich zu entfernen, da ich jeden Augenblick zu meiner Freundin gerufen zu werden hoffe.«

Berger lachte.

»Mein Herr, was soll das Alles bedeuten?« – sagte jetzt Lydia mit wirklicher Angst. »Wo ist Frau von Rebenstock? Ich will zu ihr.«

»Bemühen Sie sich nicht.« – Er hielt eine Weile, während welcher er sich zugleich an ihrer Angst und ihrer Schönheit zu weiden schien, inne. Dann trat er noch einen Schritt vor und sagte mit hochmüthigem Tone:

»Hier werden Sie keine Freundin, sondern nur einen Freund sehen, der Freund bin ich.«

Lydia schloß die Augen, denn die ganze Umgebung schien sich plötzlich mit ihr im Kreise zu drehen. Als sie sie wieder öffnete, war Berger verschwunden. »War es doch nur ein Traum?« – fragte sie sich. Ihre Gedanken verwirrten sich immer mehr. Ihr war, als sei sie plötzlich in ein Labyrinth geraten, in dem sie weder Aus- noch Eingang wüßte. So saß sie eine lange Zeit, den Kopf auf die Hand gestützt, am Fenster und starrte bewegungslos auf den Fleck, wo vorhin Berger gestanden. Dann sprang sie auf und eilte nach der Thüre. Aber wie erstarrt blieb ihre Hand auf der Klinke liegen, als sie die Thüre von der andern Seite verriegelt fand. Da tauchte zum erstenmale der furchtbare Gedanke an die Wahrheit in ihr auf. – Sie war hintergangen – durch Betrug hierher gelockt – verrathen, verlassen von Allen – schutz- und machtlos. Ein kurzer, aber durchdringender Schrei entfuhr ihrer beklemmten Brust, dann sank sie leblos vor der Thüre zu Boden.

Einige Minuten darauf trat Cornelia ein.

»Bleiben Sie zurück, Berger« – sagte sie rückwärts sprechend, als sie Lydia erblickte, indem sie den linken Arm wie abwehrend nach hinten streckte.

»Was ist mit ihr geschehen?« – fragte dieser – »ist sie entflohen?«

»Nein, wenigstens ihr Körper nicht.« – Ein cynisches Lächeln begleitete diese Worte.

»Lassen Sie mich hinein« – rief Berger, sie auf die Seite schiebend. »Himmel, sie ist todt!« – setzte er erbleichend hinzu, als auch er Lydiens ausgestreckten Körper vor sich sah.

Cornelie knieete nieder und legte ihr Ohr an die linke Seite Lydiens. Berger harrte in tiefem, angstvollem Schweigen auf ihre Antwort.

Endlich erhob Cornelia ihren Kopf und sagte: »Diesmal kommen Sie mit dem bloßen Schrecken davon. Sie ist nur in Ohnmacht gefallen, doch helfen Sie mir, es ist keine Zeit zu verlieren.«

Berger richtete Lydia empor und umfaßte sie mit seinen Armen. Er zitterte heftig, als er durch die von Cornelien geöffnete Thüre schreitend sie eine Treppe höher in ein anderes Zimmer trug, wo er sie auf ein Sopha niederlegte.

»Jetzt entfernen Sie sich, Berger.«

Er warf noch einen Blick auf die bleichen Züge seiner ehemaligen Braut und entfernte sich schweigend. Cornelie schloß die Thüre hinter ihm ab, und lösete Lydiens Kleider. Die ideale Form dieses schönen Leibes, die seelenvolle Harmonie des Ganzen, welche ihr daraus wie lebendige Poesie entgegen leuchtete, übte einen wunderbaren Eindruck auf das verhärtete Gemüth Corneliens. Sie konnte ihr Auge von diesem Anblick nicht losreißen. Da störte ein leises Klopfen sie aus ihrem tiefen Sinnen auf.

»Berger« – rief sie wie erwachend aus, indem sie unwillkührlich eine Bewegung machte, als wollte sie schützend zwischen ihn und sein Opfer treten. Aber schnell besann sie sich.

»Was will ich denn? Freilich, freilich. Dieser Jammermensch verdient es nicht. – Aber ist meine Rache nicht desto größer? Jetzt sollen Sie erfahren, Herr Baron, was es heißt, um das Ziel seiner Hoffnungen betrogen werden.«

Schnell warf sie einen Mantel über Lydia und öffnete die Thüre. Wie erstaunte sie, als anstatt Bergers ihr Alicens hohe Gestalt entgegen trat. Ohne einen Blick auf die erbleichende Cornelia zu werfen, trat Alice zu dem Lager Lydiens, welche eben die Augen aufschlug. Sie sah die beiden Frauen verwundert an. Beide Gesichter waren ihr nicht unbekannt, aber sie konnte sich nicht entsinnen, wo sie sie schon gesehen.

»Wo bin ich?« fragte sie mit schwacher Stimme. »Was ist mit mir geschehen?«

»Beruhigen Sie sich« – nahm Alice das Wort. »Sie sind bei Freunden.«

Das Wort »Freund« rief Lydia plötzlich die kurze Scene mit Berger zurück. Sie fuhr empor und sagte leise, mit scheuem Blick umhersehend:

»Ist er fort?« – Als sie Niemand außer den beiden Damen erblickte, fiel sie wieder ermattet zurück und sagte fast lächelnd und die Augen vor Ermattung schließend: »Also war es doch nur ein Traum.«

Berger, der das Gespräch gehört hatte, klopfte abermals. Alicens Herz schlug hörbar, während Cornelia nach der Thüre ging. Berger trat stürmisch herein.

»Jetzt oder nie gilt es zu handeln« – sagte Alice zu sich, indem sie rasch ihren Dolch zog und den Schlüssel der Thüre, durch die Berger eingetreten war, umdrehte und abzog. Ehe es die andern Beiden verhindern konnten, hatte sie eben so schnell ein Fenster geöffnet und ein paar Worte hinausgerufen. Da begriff Berger, warum es sich handelte. Wie ein Tiger sprang er auf sie zu, aber ruhig hielt sie ihren Dolch ihm entgegen. Als die beiden Schuldigen die Schritte eines Mannes auf dem Korridor hörten, da überzog eine Leichenblässe ihre Gesichter. »Fort« – rief Alice mit gebietender Stimme, als Cornelia instinktartig auf die Thüre zueilte, während Berger, zitternd vor Wuth und Angst, mitten im Zimmer wie angebannt stehen blieb. Ruhig ging Alice auf die Thüre zu, öffnete und verschloß sie hinter sich, als sie das Zimmer verlassen.

»Komm, Richard« – rief sie, seine Hand im Dunkeln ergreifend. »Doch halt – schwöre mir, ihn nicht zu tödten.«

»Ich werde den Schwur nicht halten können« – erwiederte er dumpf.

»Du wirst es, wenn Du willst. Schwöre!«

»Ich schwöre es Dir.«

»Gut.«

Es war in der That die höchste Zeit. Gegen Alicens Erwartung wollte Berger die wenigen Augenblicke, aus einer Art von Verzweiflung und im Bewußtsein, daß die nächsten Minuten ihm den Tod bringen konnten, nützen. – Er trat vor Lydia und sah diese mit verwilderten Blicken an.

»Was wollen Sie von mir?« – fragte sie erbebend.

»Dich selbst. – Weißt Du nicht mehr, wie Du mich von Dir gestoßen, als ich zu Deinen Füßen um Verzeihung flehte, in einen Abgrund. Du hast mein Leben vergiftet. – So will ich das Deinige vergiften.«

»Willst Du mich morden?« – Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Morden?« – sagte Berger lachend. »Nein. Ich will Dich nicht morden. Mein sollst Du sein, ganz mein!«

»Mein sein, ganz mein« – wiederholte sie mechanisch; sie dachte an ihre Brautnacht und an die Worte, welche damals Richard zu ihr gesprochen.

Wie damals die rosenfarbene Ampel, so warf jetzt der Mond ein magisches Licht durch das Zimmer. Ihre Sinne verwirrten sich. Convulsivisch hob sich ihr Busen, fieberhaft glänzte ihr Gesicht. Sie war dem Wahnsinn nahe.

Als Berger sich über sie beugte – fühlte er eine starke Hand auf seine Schulter, welche ihn rücklings in eine Ecke schleuderte.

»Verruchter« – schrie Landsfeld – »Du hast es gewagt –«

Er konnte nicht mehr sprechen. Seine keuchende Brust rang vergeblich nach einem Laute. Endlich rief er mit donnernder Stimme: »Hinaus, wenn ich Dich nicht ermorden soll!«

Berger gehorchte. Die Frauen folgten ihm.

»Ich habe noch eine Schuld an Dich abzutragen, Arthur« sagte Alice, »deshalb magst Du gehen, obgleich ich das Versprechen gegeben, Dich nicht fortzulassen. Jetzt sind wir quitt. Lebe wohl.« Sie schloß ihm die Thüre zum Corridor auf. Er stürzte hinaus.

Landsfeld war, nachdem Berger das Zimmer verlassen, schweigend und todesmüde vor dem Lager Lydiens niedergesunken, die beim ersten Laute seiner Stimme aus ihrer unnatürlichen Scheinohnmacht in wirkliche Bewußtlosigkeit zurückgefallen war. Nach einer langen Pause hob er den Kopf empor; ein unaussprechlicher Schmerz lag in seinen Zügen. Mit Mühe erhob er sich und setzte sich neben sie.

»Lydia« – sagte er mit sanfter Stimme. »Geliebte, erwache!«

Wie durch ein Zauberwort öffnete sie ihr Auge. Mit einem lauten Schrei sprang sie auf an seine Brust und umschlang ihn krampfhaft.

»Ich wußte ja, Du konntest mich nicht verlassen, Richard« – sagte sie endlich mit einem wunderbaren Lächeln auf den bleichen Lippen.

Ein langer tiefer Seufzer hob Landsfelds Brust. »So kam ich noch zur rechten Zeit« – sagte er zu sich selbst, indem er aufstand und die Thüre öffnete. »Alice! – Alice – ich danke Dir.« Ein Thränenstrom entstürzte seinen Augen.

Alice zitterte. »Laß es gut sein, Richard. – – Führe mich jetzt zu ihr.« – Lydia reichte ihr weinend die Hand.

»Wo ist Cornelia?« – fragte er.

»Auf ihrem Zimmer, es ist das letzte am Corridor.«

Als er die Thüre öffnete und ins Zimmer trat, wurde er durch den Anblick, der sich ihm darbot, in Verwunderung gesetzt.

Cornelia saß auf dem Sopha, ein aufgeschlagenes Buch vor sich, in dem sie aufmerksam zu lesen schien.

»Ihr Plan ist diesmal gescheitert, verehrte Freundin« – sagte er mit der kalten Ironie, welche ihm gegen Cornelia geläufig war.

»Diesmal« – erwiederte sie lakonisch.

»Hätten Sie Lust, einige Jahre die innere Einrichtung eines jener wohlthätigen Staatsinstitute kennen zu lernen, die man im gewöhnlichen Leben Zucht-, respektive Spinnhäuser nennt?«

»Für den Fall, daß Sie, verehrtester Freund, Sehnsucht danach haben, Ihre Frau Gemahlin an den Pranger der öffentlichen Meinung zu stellen, mit Vergnügen.«

Landsfeld biß sich auf die Lippen.

»Was hat Sie zu dieser That veranlaßt?« – fragte er ernst.

»Zuerst die reine Idee selbst. Sie müssen gestehen, daß sie zu pikant ist, um nicht zur Ausführung zu reizen. Dann – doch wozu soll ich Sie mit meinen Gründen unterhalten?«

»Es wäre mir doch interessant.«

»Wenn ich Ihnen wirklich damit ein Vergnügen mache, von Herzen gern. Also, wenn Sie es denn wissen wollen« – sie stand auf und sagte, ihm starr in's Gesicht blickend, mit jenem Ausdruck der Wuth, den sie schon bei ihrem ersten Zusammentreffen mit Landsfeld im Bade gezeigt hatte, leise: »Rache!«

»Gegen wen, wenn ich fragen darf?« – sagte er kalt.

»Gegen Sie; oder halten Sie mich etwa für so bornirt, um jene Fabel zu glauben, die Sie mir in Pr---t erzählten? so albern, um nicht zu wissen, daß Sie, Sie allein Schattenfrey von meinem Wege in Italien entfernten?«

»Sie irren sich, verehrte Freundin« – erwiederte er mit derselben kalten Ruhe. »Ich war es nicht. Hab' ich nicht mit Schattenfrey Sie selbst in Venedig aufgesucht?«

»Ja, als Sie wußten, daß ich es bereits verlassen.«

»Sie sind in einem beklagenswerthen Irrthum, Cornelia.«

»Beklagenswerth? für Sie, das geb' ich zu, und es freut mich, daß Sie das erkennen; aber für mich? daß ich nicht wüßte.«

Er war im Begriff, noch etwas zu sagen; indeß besann er sich und wandte sich nach der Thüre.

»Sie können das Haus verlassen, Cornelia.«

»Ich weiß es, aber ich fühle keine Lust dazu.

Dagegen aber muß ich Sie ersuchen, es so bald als möglich zu verlassen. Denn ich habe hier über meine Gesellschaft zu entscheiden.«

»Das Weib besitzt eine göttliche Unverschämtheit« – sagte er halblaut und ging hinaus.

Als er zu Lydia kam, fand er sie bereits völlig angekleidet neben Alicen auf dem Sopha sitzen. »Bist Du stark genug, mein theures Kind, um die Fahrt nach Hause zu ertragen?«

»Zu Allem bin ich stark genug, nur nicht um länger hier zu bleiben.«

»So will ich Alles in Bereitschaft setzen. Wo ist Gertrud?«

»Ich weiß es nicht.«

Alice ging hinaus und kam bald mit ihr zurück. Sie hatte ruhig wartend in einem der unteren Zimmer gesessen, verwundert, daß sich Niemand um sie bekümmerte. Sie wurde sogleich nach einem Wagen geschickt. In einer Stunde waren alle Vier in Berlin. Hier trennte sich Alice von ihnen, weil sie, wie sie sagte, zu angegriffen sei, um nicht der Ruhe zu bedürfen. Landsfeld führte Lydia sogleich in ihr Schlafzimmer, indem er Gertrud beauftragte, sie bei der Forsträthin zu entschuldigen.

»Wie ist Dir, meine Lydia?« – fragte er liebevoll, indem er sich neben sie auf das Sopha setzte.

»Richard, es war ein Augenblick, wo ich fühlte, daß ich dem Wahnsinn nahe sei. – Jetzt ist mir besser. Ich bin ruhig sogar, denn ich habe Dich wieder. Das Erlebte ist nur noch wie ein Traum, oder wie eine lange Vergangenheit in meinem Gedächtniß. Ich bin nur verwirrt und abgespannt, aber nicht unwohl. – Morgen wirst Du mir Manches erklären müssen, Richard; aber heute nicht – heute nicht mehr.«

Landsfeld beobachtete sie mit ängstlichem Schweigen. Als Gertrud kam, stand er auf. »Gute Nacht, theure Lydia.« – Sie reichte ihm ihren Mund, auf den er einen herzlichen Kuß drückte.

»Was soll ich ihr zur Erklärung sagen?« – fragte er sich, als er allein auf seinem Zimmer war, in dem er mit langen Schritten auf- und abging. »Sie wird mich nicht verstehen. – Sie muß Zeit haben, sich zu erholen.«

Ein Klopfen störte ihn in seinen Reflexionen. Es war Gertrud. »Was giebt's?« – fragte er erschreckend über den Ausdruck von Angst in ihren Zügen. »Ist meine Frau unwohler geworden?«

»O nein, gnädiger Herr. – Aber die gnädige Frau Mutter –«

»Meine Schwiegermutter? – Was ist mit ihr?«

»Sie wird vielleicht kaum den morgenden Tag erleben.«

»Das wolle der Himmel nicht« – sagte Landsfeld ernst. »Ihre Angst wird wohl die Gefahr etwas übertreiben, Gertrud.«

»Ach nein, gnädiger Herr« – erwiederte die Alte, sich die Thränen mit der Schürze trocknend. »Der Herr Doktor haben es auch gesagt. Er ist noch bei ihr. Sprechen Sie selbst mit ihm.«

»Das würde das Maaß von Lydiens Leiden voll machen« – sagte Landsfeld laut zu sich selbst sprechend.

»Bitten Sie den Herrn Doktor auf einige Augenblicke zu mir zu kommen« – sagte er zu ihr.

»Ist wirklich Gefahr, lieber Freund« – sagte er zu diesem – »sprechen Sie ohne Hehl.«

»Ja, es ist Gefahr und sehr große. Sie müssen sich auf Alles gefaßt machen. Eine Krisis, die ich schon lange befürchtet, ist eingetreten. Es kann sehr schnell zu Ende sein.«

»Ich danke Ihnen. Gehen Sie, ich bitte dringend, zur Kranken zurück. Bieten Sie Alles auf, was in Ihren Kräften steht. Das Leben meiner Frau steht mit auf dem Spiele. Denken Sie daran. Ich werde Ihnen morgen erklären, was ich damit sagen will.«

Es gehörte eine körperlich wie geistig so riesenkräftige Natur dazu, wie sie Landsfeld besaß, um den ungeheuren Anstrengungen der letzten 24 Stunden nicht schon erlegen zu sein. Aber jetzt war auch seine Kraft erschöpft. Bis zum Tode ermattet, war er nicht mehr im Stande, selbst die eigene kritische Lage, den ganzen Umfang der Gefahren, die sein ganzes Lebensglück in diesem Augenblick bedrohten, zu ermessen. Er sank unausgekleidet auf das Sopha, und verfiel in einen tiefen, todtähnlichen Schlaf, aus dem ihn erst gegen 6 Uhr ein lautes Pochen an seiner Thüre erweckte.

Karl trat ein. – »Gnädiger Herr – erschrecken Sie nicht – es ist ein Unglück –« Landsfeld bedeckte sich das Gesicht mit den Händen. »Die gnädige Frau Mutter –«

»Ist todt?«

Karl antwortete nicht, aber er trat zu seinem Herrn und küßte seine Hand. »Sie müssen nicht den Muth verlieren, gnädiger Herr; wenn Sie ihn verlieren, wer sollte ihn dann noch behalten?«

Diese einfachen Worte enthielten eine Wahrheit, die ihren Eindruck auf Landsfeld nicht verfehlte. Er drückte seinem treuen Diener die Hand und sprang auf. –

Als er in Lydiens Schlafgemach und an ihr Lager trat, sah sie ihn mit großen Augen an, ohne etwas auf seinen Morgengruß zu erwiedern. Auf ihrem Gesicht flammte eine brennende Röthe.

»Was ist Dir, Lydia?« – fragte er, von neuen Ahnungen erschreckt.

»Nicht wahr« – erwiederte diese – »Therese wird sich freuen, wenn ich sie besuche. Warum soll ich auch nicht? Richard hat mich selbst dazu aufgefordert.«

Sprachlos starrte Landsfeld auf die Phantasirende. Dann verließ er das Zimmer, um den Arzt aufzusuchen, als dieser ihm auf dem Corridor begegnete.

»Sie wissen es schon, Herr Baron?« – fragte er.

»Ich weiß es« – sagte Landsfeld tonlos. »Aber kommen Sie. Ich glaube meine Frau bedarf jetzt mehr, als irgend ein Anderer Ihrer Hülfe.«

Sie traten zusammen an Lydiens Bett. Schweigend legte der Arzt den Finger auf ihren Puls.

»Es ist ein nervöses Fieber« – sagte er endlich. »Vorläufig noch keine Gefahr, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten.«


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