Louise Aston
Lydia
Louise Aston

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Zweites Kapitel

Das Bad Pr---t, welches eine weniger zahlreiche, aber mehr ausgewählte Gesellschaft, als die meisten deutschen Bäder in seinem lieblichen Thale zu vereinigen pflegte, hatte eine überaus reizende Lage am obern Abhange des Gebirges, an dessen Fuß es sich gleich einer Perlenschnur hinschlang. Dieser Vergleich war um so passender, als die meisten der kleinen, durch Gärten getrennten Häuser weiß angestrichen waren, was dem aus der Ferne kommenden Reisenden einen gar erquicklich heitern Anblick gewährte. Es besaß nur eine Straße, die, der Böschung des Gebirges folgend, in mancherlei Windungen zwischen Gärten und Häusern hinlief, und etwas aufsteigend zu dem höher gelegenen eigentlichen Bade hinführte, welches aus zwei Brunnenhäusern und den dazu gehörenden Nebengebäuden bestand und durch den großen Park, welchen wir schon im vorigen Kapitel kennen gelernt, von dem noch höher hinauf bis zum Kamm des Gebirges sich erstreckenden Gebirgswalde getrennt wurde. Landsfeld hatte sich bald nach der oben erzählten Scene von Cornelien getrennt. Er ließ sie im Kursaal und begab sich in den Park zurück, um einen Ausgang nach der Seite des Gebirges zu suchen. Denn er liebte es, auf den unwegsamsten höchsten Abhängen der Berge umherzuklettern, nur von sich und seiner Gefahr begleitet, in dem Bewußtsein, ein Paar hundert oder tausend Fuß erhaben zu sein über dem Menschentroß da unten. Fand er aber gar durch Zufall eine Stelle, von der er auf das Ameisentreiben der Ebene, etwa einen hervorspringenden Felsblock, von dessen Spitze er in's Thal schauen konnte, oder eine tiefe Schlucht, die seinem Blick einen schmalen Durchgang gewährte, so konnte er Stunden lang dort sitzen und beobachten und sich freuen, wie sie doch wirklich so klein seien, diese Menschen, und nicht verdienten, daß man sich mit dem Einzelnen anders beschäftigte, als um ihn zu einem Mittel zu verwenden oder ein Experiment mit ihm anzustellen. Er vergaß dabei freilich, daß, wenn diese kleinen Menschen, die er mit einiger poetischer Steigerung mit Ameisen – zuweilen auch wohl, wenn er gerade übler Laune war, mit Mistkäfern verglich, ihn dort oben zufällig erblickten, er ohne Zweifel von ihnen für eine Krähe oder sonst ein kleines Gethier gehalten werden würde, worin sie sich immer noch gerechter und toleranter bewiesen als er.

Langsam und gemächlich schlendernd nach Art anderer Spaziergänger – denn er wußte wohl, daß er in einem Bade durch Nichts so sehr die Aufmerksamkeit erregt hätte, als durch einen hastigen Gang – schlug Landsfeld die Richtung nach dem Rondel ein, was er, durch seinen vorzüglichen Ortssinn unterstützt, bald erreichte. Er schritt durch den kleinen Durchgang und blieb an der Bank stehen, auf dem das von ihm belauschte Paar gesessen hatte. Darauf setzte er sich selbst und versank in ein tiefes Nachsinnen. Der Kopf sank ihm auf die Brust, über der er die Arme verschlungen hielt; sein Blick ruhte starr und theilnahmslos auf dem Bassin, aus dessen stets bewegter Oberfläche dann und wann ein Goldfisch seinen kleinen rothen Kopf neugierig oder um Luft zu schöpfen herausstreckte. Außer dem einförmigen Plätschern des Springbrunnens, dessen herabfallender Wasserstrahl durch eine schön gearbeitete marmorne Muschel aufgefangen wurde, von der das Wasser in eine zweite größere einfloß, um endlich von dem Bassin aufgenommen zu werden, hörte man keinen Laut. Die Sonne durchglänzte nur noch die höchsten Gipfel der Bäume, denn obwohl es noch nicht spät war, nahte der Abend diesem Thale doch früher als selbst den tiefer gelegenen Gegenden, weil das in Westen sich hineinziehende Gebirge die Strahlen der neigenden Sonne abschnitt.

Eine Viertelstunde schon mochte Landsfeld in der bezeichneten Stellung gesessen haben, ohne daß irgend eine Bewegung verrieth, daß Leben in ihm sei, hätte nicht ein fast unmerkliches krampfhaftes Zucken der rechten Hand, die der linke Arm umfaßte, einen Beweis vom Gegentheil gegeben.

»Auch dieß Weib« – murmelte er zwischen den Zähnen, indem er aufsprang. Er warf einen forschenden Blick umher, als fürchtete er beobachtet zu werden. Sein Gesicht war noch bleicher als sonst, aber in seinen Augen brannte eine dunkle verzehrende Glut. Wie um die ihn störenden Gedanken zu verscheuchen, strich er sich das über die Stirn herabgefallene Haar aus dem Gesicht und richtete sich frei und hoch auf.

Als er sich noch einmal nach dem eben verlassenen Sitz umwandte, als wollte er noch einen letzten Abschiedsblick auf ihn werfen, fiel ihm ein weißes Blatt in die Augen, welches wahrscheinlich zwischen den Fugen der Bank durchgefallen und beim Fortgehen von einer der hier früher anwesenden Personen vergessen worden war. Rasch nahm er es auf. Es war ein Billet, wie es schien von einer Damenhand geschrieben. Die Adresse fehlte. Landsfeld sah nach der Unterschrift.

»Lydia« – sagte der Baron. »Das ist ein Wink des Schicksals. Nun bei Gott, der soll mir nicht umsonst gegeben sein.« Er schickte sich zu lesen an, als er plötzlich inne hielt, und, das Billet zu sich steckend, an einer Stelle, die dem kleinen Durchgange gegenüber lag, zwischen den Bäumen durchbrechend verschwand.

Einen Augenblick später erschien an dem Durchgange der junge Mann, welchen wir unter dem Namen Arthur Berger kennen gelernt haben. Er schien etwas zu suchen, denn er bückte sich unter die Bank, die so eben der Baron verlassen hatte, ging dann noch mit zur Erde gerichteten Blicken um den Teich herum und verließ endlich auf demselben Wege das Rondel. Landsfeld trat aus seinem Versteck hervor. Ein triumphirendes Lächeln lag auf seinen Zügen.

»Ich werde Dich lehren, Freund, in meinem Gehege zu jagen« sagte er, ihm nachsehend. »Unbegreiflich bleibt es mir doch, daß Alice mich um diesen blonden Schäfer aufgeben konnte. Aber sie sollen es Beide büßen« – setzte er mit einem Ausdruck innerlicher Wuth hinzu, der seinen Zügen einen wahrhaft unschönen Charakter verlieh.

Mit schnellen Schritten verließ er jetzt den Platz und schlug durch den immer dichter werdenden Park, ohne die gebahnten Fußwege, die in großen Krümmungen einander durchkreuzten, zu berücksichtigen, die Richtung nach dem Gebirge ein. Bald hatte er die Grenze des Parks, die durch eine dichte Hecke und einen hinter demselben strömenden Arm des Bergstroms gebildet wurde, erreicht. Mit kräftiger Hand bog er die Dornsträucher auseinander, um sich einen Durchgang zu verschaffen, und stand am Ufer des Flüßchens, das hier ziemlich reißend und durch mehrtägigen Regen höher als gewöhnlich angeschwollen war. Er war deshalb gezwungen, einige hundert Schritte stromaufwärts zu gehen, wo ein mächtiger Baumstamm, der theils vom Alter, theils vom Sturm gefällt zu sein schien, sich wie eine natürliche Brücke über das unter ihm dahin rauschende Wasser gelegt hatte. Indeß war der Uebergang nicht leicht. Denn durch die Feuchtigkeit von der Borke entblößt, bot die nach Oben gekehrte Seite des Stammes nur eine halbrunde, schlüpfrig glatte Fläche dar, welche zu betreten mit nicht geringer Gefahr verbunden war, da bei dem geringsten Fehltritt ein Sturz in das, wenn auch nicht tiefe, doch mit einer Menge scharfer Felstrümmer besäete Flußbett unvermeidlich war. Landsfeld wurde jedoch von keinem Gefühl weniger beherrscht als von der Furcht. Im Gegentheil suchte er gerade solche Schwierigkeiten mit einer Art von Liebhaberei auf, theils weil er in ihrer Ueberwindung die Aufregung fand, die er zum Gefühl seiner Lebenskraft brauchte, theils auch darum, weil sein Selbstgefühl durch den Gedanken erhoben wurde, daß tausend Andere an seiner Stelle davor zurück schrecken würden. Denn das Gefühl der Superiorität war dasjenige, welches bei ihm der größten und kräftigsten Nahrung bedurfte. Hätte er bei solchen Gelegenheiten Zuschauer gehabt, so würde er ohne Zweifel von dem Versuch abgestanden sein, denn Nichts erschien ihm erbärmlicher als ein leichtsinniges Renommiren. Auch achtete er die Menschen, die mit ihm nicht wetteifern konnten, viel zu wenig, um ihren Beifall nicht widerwärtig, ja selbst demüthigend zu finden. Anders wäre es vielleicht gewesen, hätte er sich von Jemandem belauscht und bewundert gewußt, der im Glauben stand, von ihm nicht bemerkt zu werden. In solchem Falle nahm er den Triumph wohl mit, da keine Demüthigung damit verbunden war. Auch hätte er dann nach der That nie zugestanden, von dem Lauscher gewußt zu haben, vielmehr versichert, daß er sie gewiß unterlassen hätte, wenn er sich nicht allein geglaubt.

Mit sicherem Fuß und festen Blick betrat er den schlüpfrigen Pfad und ging ruhig, ohne Zögern und ohne Schrecken hinüber. Ohne einen Blick zurück zu werfen, stieg er nun bergan. Nach halbstündigem Steigen gelangte er auf einen schmalen, wohl nur von Hirten betretenen Fußsteig, der ihn in kurzer Zeit auf des Berges höchsten Punkt führte.

Eine herrliche Aussicht bot sich hier seinen Blicken dar. Vor ihm lag in goldig blauen Duft gehüllt der Kamm des Gebirges, der von Norden nach Süden sich hinziehend in den Strahlen der eben von den höchsten Gipfeln verschwindenden Abendsonne erglühte. Mit gekreuzten Armen betrachtete Landsfeld das feierliche schöne Schauspiel des sinkenden Gestirns, das noch einen letzten Abschiedsblick und Kuß auf die allmählich zur Ruhe versinkende Erde zu werfen schien. Die Tage seiner Jugend dämmerten in seiner Erinnerung auf mit allen ihren reinen Freuden, mit allen schuldlosen Genüssen und harmlosen Spielen. Damals auch war er auf dem Gebirge seines Vaterlandes umhergeklettert, damals auch fühlte er dies innerliche Sehnen, auf den höchsten Spitzen zu stehen und herabzublicken auf die Thäler, wenn sich die Schatten auf sie lagerten, während die Gipfel und er selbst auf ihnen noch von der dunkelsten Glut der Sonne erleuchtet wurde. Damals auch kannte er keinen größeren Schmerz als den, daß er die höchsten, schneebedeckten Gipfel nicht erreichen konnte, die weit, weit hinter ihm noch lagen und ihm in ihren weißen Häuptern bald zu winken, bald zu höhnen schienen. Damals und heut! –

Welche Bilder hatten sich seitdem durch seine Seele gedrängt, welche Reihe von Gedanken seinen Geist bestürmt! – Jene Bilder waren verblichen und verstümmelt, jene Gedanken hatten sich selbst verzehrt, oder waren von andern verzehrt worden, von scharfen, bittern, schmerzlichen Gedanken, die seine Brust ausgehöhlt und sein Herz verdorrt hatten.

Aber die Erinnerung weckte die Leichen in seiner Brust und in seinem Herzen. Wie Schatten zogen sie vor seinem innern Gesicht her, die heitern Bilder, die ihn traurig und die düstern, die ihn bitter stimmten. Ein unendliches Gefühl des Alleinseins ergriff ihn; eine Seele wollte er haben, in die er sich ergießen, aus der er Hoffnung und Trost schöpfen könnte.

Hoffnung, worauf? Trost, wofür?

Noch war in Landsfeld die Sehnsucht nach dem lebendigen Ideal nicht untergegangen. Ja, in dieser Erinnerung an seine Jugend selbst konnte er die Gewähr dafür schöpfen. Aber er sagte zu sich: ›Wohl ist die Erinnerung das ewig mit sich selbst ringende, ewig an sich selbst zweifelnde Bewußtsein des Ideals, aber gepaart mit der Ueberzeugung, daß seine Erreichung unmöglich sei. Denn warum wäre sie sonst schmerzlich, auch bei sogenannten guten Menschen? Sie ist nicht die Vorstellung eines wirklich gehabten Genusses, sondern das zwecklose Idealisiren desselben, das unwahre, selbsttrügerische Reinigen desselben von allem Materiellen, Unbequemen, Hinderlichen, Unangenehmen, – kurz Schlackenartigen, von dem jeder Genuß seinen Theil und jeder Schmerz den seinigen hat, denn kein Genuß ist ohne Sinnlichkeit und kein Schmerz ohne Egoismus. Darum stimmt uns eine Erinnerung nicht traurig, weil wir fühlen, daß es nichts Wirkliches ist, was wir verloren, auch nicht froh, weil wir fühlen, daß die Vergangenheit eine ewige ist, sondern wehmüthig: – Und was liegt mehr darin, als eine jämmerliche Inkonsequenz, die ohnedies sich durch ihre Sentimentalität lächerlich macht?‹ – »Mit der Hoffnung bin ich fertig« – fuhr er nach einer Pause, in der er unverwandt nach dem immer tiefer sich färbenden Gebirgskamm gesehen, als erwartete er noch ein Zeichen von dorther, das seine Hoffnung noch einmal belebte, fort – »und der Trost, der mir werden soll?« Er lächelte bitter – »den werde ich mir selber erringen. In der Trostlosigkeit der Andern werde ich meine Ruhe finden. – O Alice, du hast mich fürchterlich bestohlen.«

Er wandte sich um. Eine Thräne, vielleicht von dem Strahl der jetzt völlig verschwundenen Abendsonne in sein Auge gelockt, zitterte in seiner Wimper. Mit Unmuth wischte er sie ab und sah hinab in das Thal. Das Bad lag vor ihm. Er schritt weiter auf dem Rücken des Berges, zur Rechten den Gebirgskamm, der nur noch wie eine graue Nebelmasse am Horizonte lag, zur Linken unter sich den Park und dahinter die weiße Häuserreihe des Bades, die sich bis zu dem Punkte hinzog, wo der Berg sich in's Thal hinabsenkte. Er stieg herab. Am letzten Hause, dessen Dach sich fast unter den hohen mächtigen Kastanienbäumen, die es umgaben, versteckte, blieb er einen Augenblick stehen.

»Wir wollen sehen, Lydia, ob Du mir den Glauben an Weiblichkeit wirst wiedergeben können. Du wirst eine harte Probe zu bestehen haben, armes Kind. Aber ich kann sie Dir nicht ersparen. Möge Dein guter Engel geben, daß Du fest bleibst, so will ich Dich verehren und zu Dir beten.« Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche und nahte sich dem hellerleuchteten Fenster, das von außen mit einem Blumenbrett versehen war, worauf verschiedene Gewächse in zierlich weißen und rothen Töpfen standen.

An dem hellen Scheine des Lichts schrieb er mit Bleifeder ein paar Worte auf das weiße Blatt, wickelte darin das Billet, welches er heute im Rondel gefunden hatte, hinein, und schob Beides zwischen zwei Blumentöpfe, überzeugt, daß die liebliche Bewohnerin des Hauses, wenn sie am andern Morgen ihre Lieblinge versorgen würde, es finden müßte.

Noch einen Blick warf er in das Fenster und entfernte sich dann schnell, um sich nach seiner Wohnung zu begeben, die einige hundert Schritt tiefer in's Dorf hineinlag.

»Es hat Jemand nach Ihnen gefragt, Herr Baron« – sagte sein Bedienter, indem er seinem Herrn den rothsammetnen Schlafrock reichte.

»Ein Herr oder eine Dame?«

»Ein Herr. Er würde wieder kommen, meinte er. Hier ist die Karte.«

»Arthur Berger« sagte der Baron für sich. »Gut. Das Spiel hat begonnen. Jetzt heißt es geschickt die Karten mischen.«

Von dem weiten Spaziergange ermüdet und den mancherlei Aufregungen ermattet, warf Landsfeld sich in die Ecke des Sophas, um durch einige Augenblicke der Ruhe die Klarheit und Ruhe des Geistes wieder zu erlangen, welche er zum Empfange des erwarteten Besuchs nöthig zu haben glaubte.

»Karl« – sagte er zu seinem Bedienten, der eben beschäftigt war, einen brennenden Fidibus an die Cigarre zu halten, deren aromatischen Duft sein Herr mit sybaritischem Behagen einzog, indem er die Füße auf dem untergeschobenen Tabouret ausstreckte.

»Was befehlen der Herr Baron?«

»Du hast heute Abend und morgen früh Deine fünf Sinne zusammen zu nehmen.«

»Sehr wohl, Herr Baron.«

»Weder auf ein gutes Trinkgeld noch auf eine hübsche, schnippische Kammerzofe Jagd zu machen.«

»O, Herr Baron.« –

»A propos, Karl. Ich glaube bemerkt zu haben, daß Du Dir schon ein Liebchen angeschafft hast. Wie stehts damit?«

»Seit gestern schon? Der Herr Baron scherzen?«

Landsfeld fixirte ihn.

»Also nicht? hm, das thut mir leid« – sagte er vor sich hinmurmelnd.

»Das heißt, gnädiger Herr – ich könnte wohl sagen – ich wünschte vielleicht – hm, hm!!« –

»Hast Du den Schnupfen?«

»Nein, ich wollte nur sagen, daß ich hier in der Nähe, da am Ende des Dorfes unten ein allerliebstes Kind –«

»Allerliebstes Kind?« – fragte Landsfeld, sich halb aufrichtend. – »Bist Du des Teufels, Karl? Du unterstehst Dich? –«

»Der Herr Baron befahlen doch« – erwiederte kleinlaut der erschreckte Diener, einen Schritt zurücktretend.

»Du hast Recht,« sagte Landsfeld sich besinnend und in seine frühere bequeme Stellung zurücksinkend. »Fahr nur fort, – fahr fort in's Teufels Namen!« befahl er, als Jener zögerte. »Du brauchst keine Furcht zu haben. Also das allerliebste Kind –«

»Ja sehen Sie, – gnädiger Herr, als ich da so herunterschlenderte, um – um –«

»Um die Gegend etwas anzusehen,« half gutmüthig der Baron nach.

»Richtig, um mir die Gegend etwas anzusehen, da war ich schon bis an's Ende des Dorfs gekommen – und wollte eben wieder umkehren –«

Der Baron lachte. »Denn außer dem Dorfe gab es natürlich für Dich keine Gegend mehr, nicht?«

»Nun gut. Also da kam aus dem letzten Häuschen, wissen Sie, links, wo die großen Kastanienbäume vor der Thüre stehen –«

»Schon gut.«

»kam eine junge Dame heraus, mit einer Gießkanne in der Hand. Aber sie mußte wohl kein Wasser drin haben, denn sie drehte sich wieder um und rief in's Haus hinein: Linchen, Linchen! – Schön, dachte ich bei mir, jetzt wirst du was zu sehen kriegen. Und richtig. Ein allerliebstes Kind.«

»Wie sah denn die Dame aus?«

»Ja, danach habe ich nicht gesehen. Aber Linchen –«

»War noch eine andere Dame dabei?«

»Ja, eine alte, wahrscheinlich die Mutter der jungen.«

»Wahrscheinlich? woraus schließt Du das?«

»Nun, sie nannte sie liebes Kind und Lydia. Es mag wohl ihr Vorname gewesen sein – ein kurioser Vorname – aber das –«

»Ich glaube, es hat geschellt; sieh' einmal nach, Carl. – Ist es der Herr von vorhin, so wird er mir angenehm sein. – Noch Eins. Besorge zwei Flaschen Rothwein und drei Gläser.«

»Sie wollen sagen: zwei Gläser.«

»Thue, was ich Dir befohlen; und schnell.«

Ein Paar Sekunden später trat Berger ein. Landsfeld sprang vom Sopha auf und ging ihm einige Schritte entgegen.

»Ich habe bedauert,« sagte er mit freundlicher Urbanität im Ton und Wesen, »daß Sie mich schon einmal vergeblich aufgesucht. Darf ich fragen, was mir die Ehre Ihres Besuchs verschafft?«

Hätte die geringste Andeutung von Spott oder Ironie im Tone des Barons gelegen, so würde dieß absichtliche Ignoriren des heutigen Vorfalls ein Grund mehr für Berger gewesen sein, auf den frühern Geliebten Alicens erbittert zu sein. Als er diesen daher mit ruhiger, unbefangener Höflichkeit sich entgegen treten sah, wußte er Anfangs nicht sogleich die rechten Worte zu finden und gerieth fast in Verlegenheit. – Der Baron konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, welches durch die Leichtigkeit dieses neuen Triumphs seiner Geistessuperiorität unwillkührlich hervorgelockt wurde. Berger bemerkte es und erlangte dadurch seine verlorene Fassung wieder. Mit ernstem Ton wandte er sich an den Baron:

»Mein Herr, Sie haben heute Morgen mich und noch mehr die Dame, deren Begleiter zu sein ich die Ehre hatte, beleidigt –«

Landsfeld verbeugte sich schweigend.

»Ich habe kein Recht, nach dem Grunde dieses Betragens zu fragen, obwohl ich gestehen muß, daß es mir um so auffallender war, als ich mich nicht erinnere, jemals das Vergnügen Ihrer Bekanntschaft gehabt zu haben.«

»Da bin ich glücklicher gewesen. Denn ich bin der festen Ueberzeugung, daß ich, obwohl unbewußt, schon lange der Ehre theilhaftig war, von Ihnen gekannt zu sein.«

Berger erröthete.

»Ich irre wohl nicht, wenn ich bei Ihnen die Absicht, zu beleidigen, voraussetze?«

Landsfeld verbeugte sich abermals, als ob ihm eben die größte Schmeichelei gesagt worden.

»Sie sind bereit, mir Genugthuung zu geben?«

Abermalige Verbeugung.

»Bestimmen Sie gefälligst die Waffen.«

»Erlauben Sie mir eine scheinbar indiskrete, aber, wie ich Sie auf mein Ehrenwort versichere, in der wohlmeinendsten Absicht gestellte Frage. – Sind Sie auf Säbel eingeschlagen?«

»Nein, – weshalb?«

»So wollen wir Pistolen wählen.«

»Herr Baron, ich hoffe, daß Sie mit neuen Beleidigungen bis nach der Tilgung der ersten warten werden. Was soll diese Schonung und Großmuth bedeuten?«

»Mein lieber Herr« – sprach der Baron mit herzlichem Ton – »Sie irren sich in mir. Ich will Ihnen die Gründe sagen, weshalb ich Pistolen vorziehe. Der Säbel ist meine Lieblingswaffe. Wählte ich ihn, so würden Sie den Mangel an Kunst in der Führung durch die Methode zu ersetzen suchen, die man Naturalisiren zu nennen pflegt. Sie würden blind darauf los schlagen. Unter solchen Umständen ist Hundert gegen Eins zu wetten, daß Einer von uns lebensgefährlich verwundet wird.«

»Glauben Sie denn, daß wir ein Possenspiel aufführen wollen?«

»Das nicht. Aber ich bekenne Ihnen aufrichtig, daß ich weder Lust habe, einen Stich in den Leib zu bekommen, noch Ihnen einen ähnlichen Liebesdienst zu erweisen.«

Das Gespräch wurde durch das Eintreten des Dieners unterbrochen, der seinem Herrn einige Worte leise ins Ohr flüsterte.

»Gut.« – sagte der Baron – »Ich lasse bitten, im Vorzimmer einige Augenblicke zu verziehen. – Sieh' zu, Carl,« fügte er leiser hinzu – »daß dieser Herr nichts bemerkt. Wenn er fort ist, werde ich rufen.«

»Ich muß gestehen« – sagte Berger zum Baron – »daß Sie eine eigenthümliche Anschauung dieser Angelegenheit haben. Weshalb schlagen wir uns denn?«

»Das frage ich Sie. Ich sehe keinen Grund dazu. Aber da Sie behaupten, von mir beleidigt zu sein, so bin ich bereit, Ihnen das Vergnügen zu machen, vorausgesetzt, daß wir es Beide nicht mit zu großen Opfern bezahlen.«

»Sie sind ein merkwürdiger Mensch« – bemerkte Berger, der nicht wußte, was er dazu sagen sollte, da er sich vergeblich Mühe gegeben hatte, der Sache ein feierliches Ansehen zu geben, und sein ganzes Vorhaben jetzt fast lächerlich fand. Am liebsten wäre er ganz davon abgestanden, wenn er die Sache nicht noch zu verschlimmern gefürchtet hätte. Außerdem gab es noch einen Gedanken in seiner Seele, der ihn davon zurückhielt. Alice. Nicht als wenn er durch dieses Duell, selbst wenn es glücklich für ihn enden sollte, einem Wunsche von ihr zu genügen geglaubt hätte. Im Gegentheil hatte Alice alle Mittel ihrer Ueberredungskunst aufgeboten, um ihn davon abzubringen, und hatte zuletzt nur geschwiegen, als er sie fragte, ob sie den Gedanken ertragen könnte, ihren Geliebten öffentlich und vor ihren Augen entehrt und beschimpft zu sehen. Hauptsächlich und der vielleicht ihm selbst nicht ganz klar im Hintergrunde seines Bewußtseins schlummernde Grund aber war der Ehrgeiz, vor den Augen seiner Geliebten auch mit andern Waffen, als denen der Liebe, seine Mannhaftigkeit zu beweisen. – Einen Augenblick schwebte ihm zwar das Bild der harmlosen Lydia vor, aber so fest und tief war er bereits in den Liebesbanden Alicens verstrickt, daß die Erinnerung an die Wonne, welche er in ihren Armen gefunden, jenes vorwurfsvolle Bild schnell in ihm verwischte.

»Gut« – sagte er nach einer Pause, während deren er von Landsfeld, der dem Gange seiner Gedanken gleichsam mit den Augen zu folgen schien, scharf beobachtet wurde – »ich nehme Ihren Vorschlag an. Auch steht mir ja ohnehin keine Wahl zu. Bestimmen Sie das Weitere.«

»Dreißig Schritt Distance und zehn Schritt Barrière, wenn's Ihnen so recht ist. Wir wechseln Jeder zwei Schüsse, ob zugleich', ob nach einander, will ich Ihnen überlassen. Im letzteren Falle bleibt derjenige, welcher den Schuß gethan, stehen, während der Gegner das Recht hat, bis an die Barrière vorzuschreiten.«

»Und die Sekundanten?«

»Ich glaubte, da Sie Ihren eigenen Cartelträger abgaben, würden Sie auch in Verlegenheit um einen Sekundanten sein?«

»In der That, ich wüßte nicht –«

»Nun wohl. Was bedürfen wir der Zuschauer. Auch ich habe keinen Bekannten hier, der mir diesen Dienst leisten könnte. Aber was meinen Sie dazu, daß wir unsere beiden Damen, die ohnehin schon Zuschauer der Scene gewesen sind, welche unseren Kampf hervorgerufen hat, bäten, diese Funktion zu übernehmen. Daß sie sich darauf verstehen und ihre Sachen gut machen werden, dafür bürge ich Ihnen.« –

Der letzte Zusatz berührte Berger unangenehm, da er eine Anspielung auf die frühere genaue Bekanntschaft des Barons mit Alicen enthielt. Indeß gab er freudig seine Zustimmung, weil er dann unter den Augen Alicens kämpfen würde.

»Nun bleibt noch die Zeit und der Ort zu bestimmen übrig.«

»Morgen in der Frühe um 6 Uhr, wenn's Ihnen gelegen ist. Wozu langer Aufschub?«

Berger eilte seiner Wohnung zu, um noch einen Brief an Lydia zu schreiben – und dann in die Arme Alicens.

Einen Augenblick blieb Landsfeld, nachdem ihn Berger verlassen, regungslos auf derselben Stelle sitzen. Dann stürzte er schnell ein Glas Wein hinunter und sprang auf. Nach einigen raschen Gängen durch das Zimmer trat er vor den Spiegel und studirte einige Sekunden die Züge seines Gesichts. Das Resultat seiner Forschungen schien nicht allzugünstig zu sein.

»Verdammte Bewegung« – murmelte er vor sich hin, »die ich noch immer nicht bemeistern kann. Was ist doch die menschliche Willenskraft für ein erbärmliches Ding, wenn sie trotz aller Uebung nicht einmal diesen Linien und Falten gebieten kann, daß sie eine beliebige Form und Wendung nehmen, gleichviel ob es im Innern stürmt oder Windstille ist. Und was bewegt mich so, was weckt in meiner Brust die schlummernde Windsbraut, daß sie die Blutwogen durch die Adern peitscht, als sollte die rothe Brandung alle Ufer durchbrechen? – Ein Weib – nur ein Weib! Richard, wie klein bist du. Fühlst du es nicht, daß es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist? Hüte dich vor dem Cothurn, Alicen gegenüber; sonst bist du verloren. – Und doch, zwanzig Kugeln will ich lieber mit dem blonden Schäfer über dem Schnupftuch wechseln, als einen Kampf der Verstellung mit Alicen wagen. Genug der Reflexionen. Es ist die höchste Zeit zum Handeln. – Carl!« – rief er mit lauter und ruhiger Stimme. –

Die Thüre öffnete sich. Landsfeld war überrascht, als er statt seiner frühern Geliebten eine männliche Gestalt über die Schwelle schreiten sah. Ein zweiter schärferer Blick überzeugte ihn jedoch, daß er sich in seiner Erwartung nicht getäuscht habe. Es war Alice. Sie war in Männerkleidern, über die sie einen weiten, faltigen Mantel geworfen. Schweigend wies Landsfeld auf das Sopha. Sie ließ den Mantel fallen und stand vor ihm da in jener geschmackvoll phantastischen Tracht, die Landsfeld für sie in Venedig nach eigener Erfindung hatte fertigen lassen und in der sie so oft mit ihm Ausflüge auf die Lagunen gemacht.

Eine dunkelblaue, kurze, mit goldenen Schnüren besetzte Sammetkasawaika, die, durch einen schmalen goldenen Gürtel gehalten, den schlanken Leib umschloß, reichte bis zu dem vollen biegsamen Hals hinauf, der von einem einfach, aber sehr fein gestickten Brüsseler Kragen umschlossen war, und sich glatt, aber ungezwungen über das blaue Kleid legte. Weite und faltenreiche weiße seidene Beinkleider fielen bis auf den zartgebauten Fuß herab, welcher in einem kleinen schwarzen Sammetstiefel steckte.

Als sie die Wachsmaske abnahm, die ihr Gesicht bedeckte, wäre ein Maler vielleicht überrascht worden durch die Bemerkung, daß die Schönheit ihrer Züge keinesweges der Anmuth und antiken Grazie ihrer Formen entsprach, denn sie zeichneten sich weder durch Regelmäßigkeit, noch durch eine besonders auffallende geistige Harmonie aus. Zwar war Alles in diesem Gesicht klein und zart, aber zugleich von so eigenthümlichem Schnitt, daß dadurch, und durch die Mischung von Sanftheit und Energie in ihren strahlenden Augen, alle ihre Züge einen etwas unbestimmten, proteuischen Charakter annahmen. Wenn auch die erste jugendliche Frische dieses Gesicht bereits verlassen hatte, so war es doch von großer Weiße und Feinheit der Zeichnung und gewann durch die an beiden Seiten es beschattenden kurzen braunen Locken einen höchst interessanten Ausdruck.

Sie legte die Maske auf den Tisch und folgte der Einladung des Barons, welcher ihr mit großer Ruhe eine Cigarre bot und ein Glas Wein präsentirte.

»Du hast mich erwartet, Richard?« – fragte sie mit dem ihr eigenthümlichen mollartigen Tone, indem sie die Cigarre in Brand setzte.

»Woraus schließest Du das?« – sagte der Baron schnell, weil sein Selbstgefühl sich durch den scharfen Blick Alicens, welche seine Ruhe richtig zu beurtheilen verstand, verletzt sah.

Sie wies auf die drei Gläser. Landsfeld biß sich auf die Lippen.

»Ich habe Cornelien erwartet« – sagte er.

»Ich wünsche guten Appetit, mein Herr« – lachte Alice, indem sie den Baron mit seinen eigenen Worten persiflirte. »Das war kein kluger Streich von Dir, Richard« – fuhr sie mit melancholischer Stimme fort – »den armen Berger so zu kränken; und inhuman ohnehin.«

Landsfeld zuckte die Achseln.

»Du kennst ja mein aufbrausendes Wesen, Alice. Du hättest mich nicht so früh aus Deiner Schule entlassen sollen, denn wo hätte ich die Humanität besser und praktischer lernen können, als bei Dir?«

»Du bist bitter, Richard. Hast Du so wenig Erhabenheit der Seele, um dem guten Arthur sein kurzes Liebesglück nicht zu gönnen, und was mehr ist – so wenig Stolz, um in ihm einen wirklichen Nebenbuhler zu sehen? Du bist eifersüchtig, mein Freund, und das ist schmachvoll.«

»Du bist hinterlistig, meine theure Freundin, und das ist mehr als schmachvoll, es ist –«

»Sprich nicht aus, Richard, ich bitte Dich. Ich weiß ohnehin Alles, was Du mir sagen kannst, und erwiedere auf dies Alles nur Eins:

Entweder warst Du ein blinder Thor, als Du mich liebtest, denn ich habe Dir meine Ansichten über die Autonomie der Liebe nie verhehlt, ja ich bin überzeugt, daß Du mich dieser Freiheit wegen selbst geliebt hast – oder Du bist ein eitler Egoist, der nur dann für allgemeine Ideen sich enthusiasmiren kann, so lange er sich als den Mittelpunkt dieses Universums weiß.«

»Vielleicht bin ich Beides, Alice« – sagte der Baron mühsam lächelnd, da er sich getroffen fühlte.

»Was gedenkst Du zu thun? Berger hat Dich gefordert?« sagte Alice nach einer Pause.

»Wir werden uns morgen in der Frühe schlagen. Er wird Dich bitten, ihm zu sekundiren.«

»Das wird nicht gehen. Denn ich habe Cornelien gefordert; wir duelliren uns um dieselbe Zeit.«

Landsfeld schlug ein schallendes Gelächter auf. – »Das ist ja eine wundervolle Idee. Und Cornelia hat die Forderung angenommen, natürlich.«

»Ich habe noch keine Antwort, aber ich zweifle nicht daran.«

»O, sie muß. Ich will sogleich an sie schreiben.«

»Du kannst sie ja morgen abholen, wenn's Zeit ist.«

»Es ist wahr. Womit schlagt ihr euch?«

»Auf Hieber. Es war dies eben auch ein Grund, weswegen ich so spät noch zu Dir komme. Kannst Du mir ein Paar besorgen?«

»Leider besitze ich solche nicht, aber ein Paar kurze Stoßrappiere stehen zu Deiner Disposition.«

»Gut, – doch – was gedenkst Du zu thun mit Berger?«

»Es thut mir leid, Deine Unruhe nicht beschwichtigen zu können. Du wirst es morgen selbst sehen.«

»In der That bin ich in Unruhe um ihn. Denn er ist ein Mensch von seltener Reinheit und Tiefe des Gemüths. Du solltest ihn näher kennen lernen, Richard. Ich wette, Du würdest ihn liebgewinnen.«

»Möglich« – sagte der Baron kalt.

»Kennst Du noch diesen Anzug?« – fragte Alice, indem ein plötzliches Feuer in ihren Augen aufloderte.

»Wie oft hat Dich der blonde Schäfer darin bewundert?« gegenfragte Landsfeld, indem er seine Lippen zu einem sybaritischen Lächeln zwang, das jedoch nicht völlig frei von Bitterkeit war.

»Nie« – erwiederte Alice melancholisch – »aber ich werde mich morgen darin schlagen.«

Es lag eine solche Wahrheit in der tragischen Ruhe, mit der Alice diese Worte aussprach, daß selbst Landsfeld einen kurzen Schauer fühlte. – Alice legte sich in die Ecke zurück und schloß die Augen.

Sie bot einen verführerischen Anblick dar.

Er warf einen langen, glühenden Blick auf sie. Sein Herz pochte. Er hatte dies Weib übermenschlich geliebt, er war ein Gott in ihren Armen gewesen. Jetzt war nur noch die Wahl, ob er den Göttersitz, von dem sie ihn selbst um eines Andern Willen verstoßen – ihn verstoßen, wieder einnehmen oder ihn zertrümmern müsse. Es war ein Augenblick des gewaltigsten Kampfes, indem alle Mächte seiner Seele gleich Titanen gegen den Olymp seiner Energie auftürmten. – Seine Lippe zitterte, sein Auge glühte und eine fahle Blässe bedeckte sein Gesicht. Er stand auf. Alice öffnete die Augen, halb träumerisch, halb verlangend war ihr feuchter Blick auf Landsfeld gerichtet. – Aber der Kampf war in ihm bereits ausgekämpft. Seine Lippe zitterte nicht mehr und seine Züge hatten ihren gewöhnlichen Ausdruck und ihre natürliche Farbe wieder erlangt. Nur in seinen Augen loderte noch die Glut des innern Ringens nach.

»Es ist spät, Alice« – sagte er mit großer Besonnenheit. »Ich habe noch zu thun. Und auch Du –.« Er vollendete nicht die Bitterkeit, welche auf seinen Lippen lag, als er Alicen erblassen und in einen Strom von Thränen ausbrechen sah.

»So ist es wirklich aus?« – sagte sie nach einer Weile, indem sie sich erhob. »O Richard. Jetzt, wo mein Stolz sich zwischen uns gelagert hat, kann ich Dir sagen, daß es nur eines Wortes von Dir bedurft hätte, um jedes andern Glückes außer des von Dir mir gewährten zu entsagen. – Vielleicht aber ist's besser so.« –

Sie warf den Mantel um und legte die Maske vor das Gesicht.

»Auf Wiedersehen morgen früh, oder vielmehr heute früh, denn Mitternacht ist wohl längst vorüber. Lebe wohl, Richard.« Sie reichte ihm die Hand. »Laß uns ohne Groll scheiden. – Du hast mir sehr, sehr wehe gethan, aber ich schwöre es Dir bei Gott – nein, das ist eine Redensart – bei der Seele meines Kindes – das Du so oft auf Deinem Schooße gewiegt, ich werde Dich nie, nie hassen können. Denn Du bist der einzige Mann, den ich als Mann kennen gelernt. Lebe wohl.«

Ehe noch Landsfeld ihren Abschiedsgruß erwiedern konnte, hatte sie bereits das Zimmer verlassen. Er öffnete das Fenster. Eben trat sie auf die Straße. Ihr faltenreicher schwarzer Mantel, unter dem zuweilen die weißen Beinkleider hervorblickten, flatterte noch lange im Scheine des hellen Mondlichtes und verschwand endlich den Blicken des Nachsehenden.

Landsfeld trat vom Fenster zurück. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er einen quälenden Gedanken davon verscheuchen. Dann richtete er sich hoch auf. Ein Siegeslächeln schwebte auf seinen Lippen, aber ein reineres als jenes höhnische Lächeln triumphirender Schadenfreude, das seinen Mund verzerrte, als er das Billet Lydia's gefunden.

»Ich will eine Entscheidung« – sagte er im lauten Selbstgespräch – »der letzte mögliche Beweis muß geprüft werden. Soll ich mich ewig mit der quälenden Ungewißheit foltern, ob es sich lohnt, an die Menschen zu glauben oder nicht? Soll ich immer wieder aus der Seelenruhe gleichgültiger Verachtung aufgestört werden durch die heuchlerische Hoffnung, es sei doch wohl ein Irrthum von mir, mit jeder Wahrheit in der Menschenbrust abschließen zu wollen? – Ich will Gewißheit haben, ich will ganz versöhnt sein mit den Menschen – und ich bin es, sobald ich Einen finde, von dessen Wahrheit ich so fest überzeugt bin, daß auch die Möglichkeit eines Zweifels undenkbar wird – oder ich will für immer das Recht haben, überall Schein zu sehen! – Darum, Alice, mußten wir uns trennen, Du giebst mir nur halben Glauben, bei Dir wird meine Sehnsucht nach der lautern und ungeschminkten Reinheit des weiblichen Herzens nur brennender und qualvoller. Aber Du kannst diesen Durst nicht löschen; und ich will nicht länger dürsten; wie der Wanderer in der Wüste suche ich nach der grünenden Oase – ich will nicht länger suchen. Noch einen Schritt will ich thun, noch einer Spur will ich folgen. Führt auch diese mich nur in die Irre, so will ich sagen:

Es giebt keine Quelle der Wahrheit in dem Weibesherzen.«

Er setzte sich, um ein Billet an Cornelien zu schreiben, worin er ihr sagte, daß sie sich um 5 Uhr früh bereit halten sollte. Er siegelte es und rief seinen Diener.

»Carl, Du gehst sogleich nach dem Gasthof zum weißen Strauß, weckst den Portier, wenn er schon schläft, und giebst ihm dieses Billet mit der Weisung, es entweder gleich oder noch vor Sonnenaufgang an seine Adresse zu geben.«

Dann schrieb Landsfeld noch einen andern Brief, an Lydia, worin er sie bat, sich um das etwaige Ausbleiben ihres Verlobten nicht zu ängstigen. Er gab als Grund das Duell an, da sie doch möglicher Weise durch einen Dritten davon hören könne, und dann ihre Unruhe noch größer sein würde; versicherte ihr aber auch zugleich auf sein Ehrenwort, daß er fest entschlossen sei, seinem Gegner kein Haar zu krümmen. Sie könne folglich ohne Sorge sein. Der Ton des Briefes ging in keiner Weise über die Forderungen conventioneller Höflichkeit hinaus.

Ohne eine Andeutung über die Gründe des Duells zu geben, stellte Landsfeld das Motiv seiner Mittheilung auf kein persönliches Interesse für die Empfängerin, sondern stellte als solches einfach seine Pflicht als Mensch und Ehrenmann hin, und vermied es, über seine Betheiligung und seine Gesinnung in Rücksicht auf diesen vorliegenden Fall auch nur entfernt zu berühren.

Als er mit dem Schreiben und der Schließung des Briefes fertig war, hatte sich auch bereits sein Diener des Auftrags an Cornelia entledigt.

Er hatte die Letztere noch sprechen können, und das Billet selbst übergeben.

»Sie würde zu jeder Stunde bereit sein, da sie sich gar nicht zur Ruhe begeben würde« – war ihre Antwort.

»Jetzt kannst Du ein Paar Stunden schlafen. Um vier Uhr mußt Du bereit sein, mich auf einem Spaziergange zu begleiten. Gute Nacht.«


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