Achim von Arnim
Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Achim von Arnim

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Nach einiger Zeit wurde von Anselmo, dem Mönche der die fabelhafte Geschichte des Prinzen nach sicilianischer abergläubiger Art vorgetragen hatte, die Nachricht gebracht, der Prinz wünsche die Fürstin zu sprechen, er hätte ihr etwas Geheimes zu eröffnen. Die Fürstin schlug es ihm aber für immer ab, seit sie sich in so heimliche Verbindung verstrickt hatte, mied sie alle heimliche, wahrsagende Menschen, Kartenleger, Zigeunerinnen, selbst die Sybillenhöhle bei Marsalla. Bald darauf glaubte man den Prinzen in der Nähe verkleidet gesehen zu haben; der Graf wollte ihn deswegen besuchen, er verschob es aber so lange, bis es zu spät war – Der Prinz schickte ihm nach einiger Zeit einen schön gemalten Stammbaum, der seine Verwandtschaft mit der Fürstin bewies. – Der Graf hörte zuweilen bei der Fürstin ein wunderliches ängstliches Geräusch – wohl dem, der im Bösen die geheime Warnung versteht, ihr schien es ein leerer Schrecken. Einmal stand die Gräfin dicht hinter ihr; sie hatte nichts kommen hören, weil sie über des Grafen Schulter lag, der vor den Mineralien saß und ordnete, kleine Zettel anklebte, und im Anschauen verloren war. Die Fürstin schrie auf; sie meinte es wäre wieder jenes Geräusch, das sie umgebe, und der Graf strafte zärtlich seine Frau, wie sie so erschrecken könne; wirklich ist das Leisegehen eine Art Falschheit oder Bosheit, aber die Gräfin war laut aufgetreten, der Graf war nur in den Mineralien, die Fürstin in ihm vertieft. Aber ist es nicht bedeutend, wenn uns zufällig das Bekannte durch seine unerwartete geliebte Nähe erschreckt? Die Gräfin hing diesem Gedanken nach; ihr war als hätte sie etwas sehr Ähnliches, was sie dort erblickt, in früherer Zeit gelesen; sie suchte unter ihren längst vergessenen deutschen Büchern nach, und fand im vierzigsten Teile von Wallers sämtlichen Schriften folgende Versuchungsgeschichte bei seinen mineralogischen Wanderungen, die wir als eine Darstellung Italiens hier auch wohl dulden mögen, wenn sie gleich unsre Geschichte unterbricht. Was ist uns denn in einer Geschichte wichtig, doch wohl nicht, wie sie auf einer wunderlichen Bahn Menschen aus der Wiege ins Grab zieht, nein die ewige Berührung in allem, wodurch jede Begebenheit zu unserer eigenen wird, in uns fortlebt, ein ewiges Zeugnis daß alles Leben aus Einem stamme und zu Einem wiederkehre. Warum sind doch die Leser meist so ungeduldig, warum muß ich hier Ereignis auf Ereignis zusammendrängen und von der liebevollen Erziehung der Kinder, wie Dolores und Klelia sie ihnen geben, muß ich ganz schweigen, um mich nicht in unendlicher Betrachtung zu verlieren. Überschlagt nicht diese lehrreichen Verse.


Elegie aus einem Reisetagebuche in Schottland

                  Genug seh ich im Geist, so oft die unendlichen Wellen
Halten den Himmel im Arm, halten die taumelnde Welt;
Seh ich die klingenden Höhlen des nordischen Mohrenbasaltes,
Glaub ich die Erde gestützt auf den Armen der Höll;
Dann, dann sehne ich mich in deine hellschimmernde Arme
Weißer Kararischer Stein, kühlend die schwülige Luft,
Denk ich der Treppen und Hallen von schreienden Menschen durchlaufen
Keiner staunet dich an, jedem bist du vertraut.
Sage Vertraulichkeit mir, du innere treu mir gehegte,
Was zum Norden mich trieb, ach und du schweigest beschämt.
Meine Begleiter, die rufen sich Geister des Fingal im Echo,
Und ich denke mich fern, hin nach südlichem Land,
Liege am Felsen gestreckt mit zierlich gebundenem Tagbuch,
Und verlange vom Geist, daß er was Gutes bescher!
Fingal, das klinget schon wieder so hell, mir wird doch so trübe,
Frierend wähn ich mich alt, Jugend verlorene Zeit!
Dreht sich die Achse der Welt? Wie führt mich Petrarka zu Fingal,
War es doch gestern ich mein; daß ich nach Genua kam.
Ja dort sah ich zuerst das Meer, das nun mehr mir grauet,
Weil es vom Vaterland mich, von den Freunden mich trennt;
Damals von der Bochetta herab in des Frührots Gewühle
Sah ich die Hoffnung darauf, weichlich im schwebenden Bett,
Nicht am Anker gelehnt, nein sorgenlos schlummernd, sie dreht sich,
Daß die Schifflein so weiß, flogen wie Federn davon;
Lässig band sich vor mir die Göttin das goldene Strumpfband,
Zweifelnd daß frühe so hoch steige der lüsterne Mensch.
Und so stehend und ziehend am Strumpfe sie lebte und schwebte
Wie ein Flämmelein hin über die spiegelnde Welt.
Fiametta! ich rief, mir schaudert, sie faßte mich selber,
Ja ein Mädchen mich faßt, lächelnd ins Auge mir sieht
»Ich bins!« sagte sie peitschend den buntgepuschelten Esel,
Daß aus dem ledernen Sack schwitzte der rötliche Wein:
»Esel, du kennst schon den Weg zum Markte der glänzenden Hauptstadt,
Mit Laternen zur Nacht stiegest du gestern erst hier.«
»Lieber, was willst du? sie fragt, du riefest mich eben bei Namen?«
Wenn sie nicht Blicke verstand, Worte die wußt ich noch nicht!
Der Beschämung, sich freuend sie strich mir die triefenden Haare,
Tau und Mühe zugleich hatten die Stirne genetzt,
Wie ein Bursche der Schweiz ich schien ihr nieder zu wandeln,
Um zu suchen mein Glück und sie wollte mir wohl.
Als sie den Stein erblicket den sorglich in Wissenschafts Liebe
Auf den Händen ich trug, daß der Anbruch nicht leid,
Rötlicher Feldspat es war mit köstlich großen Kristallen,
Wie er nirgends als dort schmücket den alten Granit;
Ei da lachte sie laut, und riß mir den Stein aus den Händen,
Warf ihn über den Weg, daß er zum Meere hinrollt,
Und dann spielte sie Ball, sich freuend meiner Verwirrung
Mit der Granate die schnell kehrte zu Ihr aus der Luft;
Nicht der schrecklichen Eine, die rings viel Häuser zerschmettert
Doch die feurige Frucht, mystisch als Apfel bekannt.
Und ich sprach ihr in Zeichen so zärtlich ich immer vermochte
Küßte die innere Hand, warf dann mein Küßlein ihr zu.
Und sie verstand mich doch wohl? O Einverständnis der Völker
Das aus Babylons Bau blieb der zerstreueten Welt,
Suchte doch jeder den Sack beim brennenden Turm und fragte
Also blieb auch dies Wort, Sack all den Sprachen gesamt.
Ob der Esel auch eilte so schnell mit dem Sacke hernieder,
Doch die Liebe versteht, jegliche Zeichen geschwind,
Die sie niemals gebraucht im Blick in guter Gebärde
Sei es in südlicher Glut, sei es auf nordischem Eis.
Folgend dem trabenden Esel, sie blickte sich um so gelenkig,
Die Granate entfiel, und ich ergriff sie geschickt;
»Kühle vielliebliche Frucht, einst Göttern und Menschen verderblich,
Wohl du fielest auch mir, zauder ich, wo ich gehofft?«
Doch ich zögerte noch, gedenkend an Helena traurend,
An Proserpina dann, beide erscheinen mir eins
Mit der Eva, da wollt ich die Frucht verscharren der Zukunft,
Daß nur dies Heute was mein, bleibe vom Frevel befreit,
Daß ich dem Zufall vermag zu treiben die Kerne in Äste
Daß ich dem Zufall befehl, daß er die Blüte verweht.
Aber da mocht ich nicht wühlen im Boden voll zierlicher Kräuter,
Jegliches Moos noch so zart, drängte sich üppig zum Tag.
Zweifelnd ging ich so hin, sie schwand mir, da stand ich am Meere
Fern mich weckte ihr Ruf, daß ich nicht stürze hinein.
»Nein zu seicht ist die Küste, sie würde nicht bergen den Apfel,
Nur die Tiefe des Meers birgt ein unendlich Geschick.«
Also kam ich zum Meere und sahe die Fischer am Fischzug,
Springend durch kommende Well, ziehend ein bräunliches Netz,
Rot die Mützen erschienen wie Kämme von tauchenden Hähnen,
Fischer in Mänteln ganz braun, schrieen als jagten sie die.
Andere stießen halbnackt ins Meer die schwarze Felucke,
Trugen die Leute hinein, die nach Genua ziehn.
Ach da entschwand mir die Schöne hinter den grünenden Bergen,
Zweiflender stand ich nun da, alle dort gingen zu Schiff
Auch mich trugen sie hin, ich dacht nur des Apfels des Bösen
Und des unendlichen Meers, das mich zum erstenmal trug.
Wie sie enthoben das Schiff, begann bei dem Schwanken und Schweben
Daß mir das Herz in der Brust, recht wie vom Heimweh zerfloß;
Durch die fließenden Felsen erscholl dann ein liebliches Singen
Ich verstopfte das Ohr, war vor Sirenen gewarnt.
Bald belehrte ich mich, es sang ein Weiblein im Schiffe,
Das im Mantel gehüllt deckte vier Knaben zugleich,
Wechselnd die Hände bewegt sie im Takt wie Flügel der Windmühl,
Und als Zigeunerin singt, wie sie Maria begrüßt;
Sagt die Geschick ihr voraus des heiligen Kinds, das sie anblickt,
Als es im Kripplein noch lag, Öchslein und Eslein es sahn;
Zeigt ihr den himmlischen Stern, dem Hirten und Könige folgen,
Alles das sah sie sogleich an den Augen des Herrn;
Auch das bittere Leiden, den Tod des Weltenerlösers,
Hebt er den Stein von der Gruft, von der Erde den Leib. –
Alles Verderben mir schwand, ich sahe das Böse versöhnet,
Statt zur Tiefe des Meers, warf ich den Kindern die Frucht,
Die begierig zugleich all griffen und fingen sie doch nicht,
Denn sie fiel in den Schoß, der sie alle gebar.
»Engel versöhnt ihr das Herz das tief arbeitende Böse,
O so versöhnt auch die Frucht und vernichtet sie so.«
Dankend die Mutter sie nahm, hellsingend sie öffnet die Schale,
Nahm mit der Nadel heraus jeglichen einzelnen Kern:
Wie im Neste die Vöglein, also im Mantel die Kinder
Sperren die Schnäbel schon auf, ehe ihr Futter noch nah,
Also sie warten der Kerne mit offenem Munde zur Mutter
Und die Mutter verteilt gleich die kühlende Frucht.
Doch da tobte herab ein Sturm aus schwarzem Gewölke,
Weil es den Teufel verdroß, daß ich die Frucht ihm entwandt!
Wälze dich schäumendes Meer, ich habe die Frucht dir entzogen,
Nichts vermagst du allhier, schaue die Engel bei mir;
Stürze die Wellen auf Wellen, erhebe dich höher und höher,
Du erreichest uns nicht, höher treibst du uns nur.
Schon vorbei dem brandenden Leuchtturm schützt uns George,
Der in sicherem Port zähmet den Drachen sogleich! –
Liebliche Ruhe des Hafens nach wildem Gesause der Stürme,
Dann erst siehet man ein, wie es auf Erden so schön!
Wie von Neugier ergriffen, so heben sich übereinander
Grüßend der Straßen so viel, drüber erhebt sich Gebirg,
Höher noch Heldengetürm, da wachet der Festungen Reihe,
Schützet uns gegen den Nord und wir schweben im Süd.
Ei wie ist's. Ich glaubte zu schauen und werde beschauet,
Amphitheater erscheint hier die Erde gesamt:
Spiel ich ein Schauspiel euch vor ihr bunten Türken und Mohren,
Daß ihr so laufet und schreit an dem Cirkus umher?
Kommen von Troja wir heim, am Ufer die Frauen und Kinder,
Kennen den Vater nicht mehr, freuen sich seiner denn doch?
Also befreundet ich wandle auf schwankendem Boden und zweifle,
Aber sie kennen mich bald, bald erkenne ich sie.
Fingal und Fingal, da riefs schon, muß ich erwachen in Schottland
Bin ich noch immer kein Held, bin ich noch immer im Traum?
Muß heimkehren zur Erdhütt, keinen der Menschen versteh ich,
Muß mir schlachten ein Lamm, rösten das lebende Stück,
Mehl von Hafer so auch mir backen zum Brote im Pfännchen,
Und des wilden Getränks nehmen vieltüchtige Schluck.
Wanderer Mond ach du schreitest die stumpfen Berge hinunter,
Nimmer du brauchest ein Haus, dich zu stärken mit Wein;
Alle die Wolken sie tränken dich froh mit schimmernden Säften
Ja dein Überfluß fällt, tauend zur Erde herab.
Nimmer du achtest der gleichenden Berge und Gräser und Seen,
Denn im wechselnden Schein, du dich selber erfreust;
Siehe mein Leiden o Mond durch deine gerundete Scheibe,
Schmutzig ist Speise und Trank, was ich mir wünsche das fehlt.

Die Gräfin las diese Verse mehrmals und gewann dadurch mehr Zutrauen zu dem Grafen in seinem Verhältnisse zur Fürstin. Wie viel edler ist er als Waller, dachte sie; zum erstenmal fühlte sie auch ein Bewußtsein als sei ihr Fehler in ihren Kindern abgebüßt. Heiliger Gott, was hast du den Dichtern für Kraft verliehen in der Welt.

Der folgende Tag war der dreizehnte Geburtstag des frommen Johannes. Dolores wurde in der Erinnerung jener früheren Zeit wieder sehr gerührt, noch mehr aber durch die Abwesenheit dieses Sohnes, der sein Kloster in dem letzten Jahre nicht verlassen durfte; sie betete lange in der Schloßkapelle und es schien ihr, als wenn ihre Bitte ihn zu sehen, gewährt werden müßte. Wirklich trat Johannes mit zweien Ordensgeistlichen, kurz nach ihrer Zurückkunft ins Zimmer, in den Kreis ihrer Kinder, die beschäftigt waren ihm die gewohnten Geburtstagsgeschenke, prächtige Blumensträuße mit schönen Bändern, Zeichnungen, Verse einzupacken, um ihm alles nach dem Kloster zu senden. Alle liefen mit Jubel auf ihn zu, besonders eine Schwester Hyolda, mit der er sonst eine besondere Vertraulichkeit gehalten; aber den ersten Kuß schon verhinderte die Verwunderung, wie er sich verändert habe. Er war nicht gewachsen, hatte aber in dem letzten Jahre seiner Abwesenheit seine männliche Bildung ganz beendigt; der Kirchendienst und die Frömmigkeit hatten die starre Heftigkeit in ihm vernichtet; er drückte niemand mehr an sein Herz daß er aufschrie und stieß keinen von sich, daß er weinte; mit einer anständigen Güte, die den Geschwistern als Kälte erschien, begrüßte er alle. Hyolda war untröstlich, sie weinte, daß er sie nicht mehr liebe und verließ rasch das Zimmer. Johannes fragte nach dem Vater; der war aber schon sehr früh in Geschäften ausgeritten. Die Ordensgeistlichen hatten unterdessen der Mutter erzählt, daß Johannes durch seine frühe Reife in Kenntnissen, Sitte und Heiligkeit heute die Priesterweihe sich erworben habe; sie war entzückt über die Gnade des Himmels die ihr ein so wunderbares Kind verliehen; sie schlichtete den Streit der Geschwister über ihn, indem sie allen anbefahl, ihn als ein geheiligtes Mitglied des Ordens mit ihren kindischen Grillen zu verschonen. Keines von den Kindern wußte recht zu begreifen, wie der Johannes, den sie alle so genau zu kennen glaubten, nun plötzlich etwas anderes geworden; er suchte ihnen alles in Liebe und Güte deutlich zu machen, fand aber noch weniger Berührungen wie sonst wenig Mitteilung mit ihnen, machte sich deswegen von ihnen los und schlich in den Garten zu seinen ehemaligen Anlagen. Mit Wehmut fühlte er da, daß sie alle wie ein fremdes Werk, wie eine ferne Zeit vor ihm lagen, und kam in solchen Gedanken an den Fluß Skamander, der den herzoglichen Garten durchschneidet, indem er sich über Felsen herabstürzt. Er setzte sich ans Ufer, und hörte an dem entgegengesetzten eine schöne Stimme, die ein Duett zwischen zwei Diskantstimmen, Mutter und Tochter, worin er sonst die eine der Mutter häufig mit Hyolda gesungen, mit wunderbarem Ausdrucke einsam anstimmte.

        Die Stimme Waldge Hügel, grüne Auen,
Frühlingsheimat, heimlich Glück,
Freude, endlich euch zu schauen
Freude strahlet ihr zurück.
Mit dem schönen Tenor, den er bekommen und im Kirchendienste ausgebildet hatte, sang er seine Gegenstrophe.
Sieh wie dein befriedigt Lächeln
Ziehet übern grünen Wald
Und die Winde dich umfächeln,
Alles dir entgegen schallt.
Jetzt schrie die Sängerin auf, und trat am andern Ufer aus dem Gebüsche hervor: es war Hyolda, sie erkannte ihn jetzt, grüßte und sang weiter
Wie der Frühling wieder waltet
Neugestaltet ist mein Glück.
Er antwortend: Weiße Blüte sich entfaltet
Hell in deiner Unschuld Blick.
Hyolda Unschuld findet hier den Frieden.
Johannes Frieden finden hier die Müden.
Hyolda Alle Waffen sanken nieder
In der warmen stillen Flur,
Ewge Feinde wurden Brüder
In der himmlischen Natur.
Johannes Keiner kann sich mehr begreifen,
Was ihn hielt in Stahl so fest,
Nun sie leicht durch Wälder schweifen
Baut die Taub im Helm ihr Nest.
Hyolda Als wenn gar nichts wär geschehen
Sieht das neue Grün uns an.
Johannes Pfauen stolz die Farben drehen,
Sehn die bunten Nelken an.
Hyolda Diesen Baum hab ich gepflanzet,
Diese Blumen rings gesät.
Johannes Die der Schmetterling umtanzet
Und den Duft zum Himmel weht.
Hyolda Unvergänglich ist Vertrauen.
Johannes Sehnsucht kennen nur die Frauen.
Hyolda Blätter dringen zu dem Himmel,
Worte dringen aus dem Mund,
Selge Fülle, froh Gewimmel,
Grün ist Hoffnung, Freude bunt.
Johannes Wie die Farben nieder sinken
Von dem Himmel Tagelang,
Alle Wesen froh sie trinken,
Hoffnung such ich oben bang.
Hyolda Und ich muß hier niedersinken,
Hier an meiner Rasenbank,
Betend zu dem Himmel winken:
Bleibt der Vater denn noch lang?
Johannes Alte Priester, heilge Bäume,
Alte Freunde, bleibt ihr stumm?
Hyolda Hörst du nicht der Vögel Träume,
Und der Bienen Summ, Summ, Summ?
Johannes Nein, der Vater müßte kommen,
Daß mich freute der Gesang,
Bienenfleiß wär mir willkommen,
Daß der Tag mir nicht so lang.
Hyolda Mach uns beide nicht beklommen,
Frühlingsluft macht schon so bang.
Beide Wie in den gewohnten Orten
Mir des Vaters Bild noch weilt,
Also mein ich, daß von dorten
Er schon grüßend zu uns eilt,
Süße Täuschung, schnell verschwunden
Hast uns doch mit Lust umwunden.
Hyolda Süße Täuschung wie im Bache,
Ich dein Bild verdoppelt sah.
Johannes Schwimmend Auge, wache, wache,
Wenn der Vater mir bald nah.
Hyolda Wenn es doch recht bald geschähe,
Sag es Kuckuck in dem Wald.
Beide Kuckuck rufend in der Nähe
Wie von Vaters Stimme schallt!
Schmerzen wußt ich zu ertragen,
Aber diese Freude nicht,
Frühling hilf mir Freuden tragen,
Daß mein Herz davon nicht bricht.

Wirklich hatte sich der Graf an der Seite des Johannes leise herangeschlichen und Kuckuck gerufen; er umarmte ihn bei diesen Worten und drückte ihn an sein Herz. Alle Kinder liebten ihn wunderbar; er war zu gleicher Zeit ihres gleichen und ihnen so überlegen, ging in alle ihre Freuden ein und wußte alle zu einer Hauptwirkung zu führen; mit stummer Freude küßte er den lang entbehrten Sohn. Wir müssen uns von einer leidenschaftlichen Bewegung der zärtlichen Hyolda jetzt nicht erschrecken lassen, sie hielt sich nicht am andern Ufer, sie sank in den Strom um zu Vater und Bruder zu gelangen; sie konnte nicht schwimmen, aber ihre Sehnsucht und der Strom trugen sie dienend an eine tiefere Stelle aufs Land, als der Vater, der es zu spät bemerkte, sich eben ins Wasser stürzen wollte, sie heraus zu heben. Es war in dem ganzen Ereignis zu viel Schönes, zu viel Glück; er konnte ihr keinen Vorwurf machen. Nachdem sich alle dreie ihrer Vereinigung herzlich gefreut hatten, so schickte er Hyolda fort um die Kleider zu wechseln; er selbst ging mit Johannes zu der Fürstin, die mit ihrer Würde, ihrer Annehmlichkeit diesen Sohn so wie die andern Kinder für sich einnahm, ihn auch durch das Geschenk einer herrlichen Madonna hoch beglückte. Er sprach gern mit ihr, und doch sehnte er sich nach dem Kloster zurück; was ihn erfreute schien ihm ein vergänglicher Rausch gegen jene feste Ruhe seiner Seele, die ihn dort erfüllte. Jetzt wurde er zur Herzogin gerufen, die von einer Fahrt zurückgekommen, ihn mit Liebe empfing, mit Andacht hörte und aus innerster Seele zu ihm sprach. Sie gab ihm in dieser einsamen Stunde seine Erhebung über die Ereignisse der Welt zurück; sie sprachen mit einander viel Herrliches über die Stufen der geistigen Erhebung und über geistige Führung; sie verstanden einander ganz und darum kann es einem anderen ohne Entheiligung nicht mitgeteilt werden. Glücklich die Seele, die ihr Bestimmtes gefunden. Am Schlusse ihres einsamen Gespräches wünschte Klelia, daß Johannes ihr eine Messe in ihrer Schloßkapelle lesen möchte. Er tat nach ihrem Wunsche; sie selbst spielte die prächtige Orgel, deren unerwarteter mächtiger Ton alle Bewohner des Schlosses, auch Dolores dahin zog. Johannes las mit hohem Sinne und Anstande; nie war eine Mutter seliger, als Dolores, kein Vater glücklicher als Karl; aber wie schmerzlich war der Abschied, als Johannes nun wieder für ein Jahr scheiden mußte. – Wir sehen uns wieder, wer weiß wie! rief ihm die Gräfin nach. Johannes ging ernst und ohne Umschauen aus der Türe. Der Schreiber begleitete ihn und seine beiden Ordensgeistlichen weiter als alle andern. Johannes erzählte ihm unbefangen den ganzen Tag, verweilte mit Rührung bei dem Vorfalle mit der Schwester, den dieser begierig ergriff um daraus eine Geschichte zu bilden, wie er sie in seinem weltlichen Sinne lieber erlebt hätte. Wir wollen sie den Weltleuten zu Gefallen mitteilen.


Getrennte Liebe

                Zwei schöne liebe Kinder,
Die hatten sich so lieb,
Daß eines dem andern im Winter
Mit Singen die Zeit vertrieb,
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Höret ihr immer den Doppelschall.

Der Winter bauet Brücken,
Sie beide hat vereint,
Und jedes mit frohem Entzücken
Die Brücke nun ewig meint;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Wohnten die Eltern getrennt im Tal.

Der Frühling ist gekommen,
Das Eis will nun aufgehn,
Da werden sie beide beklommen,
Die laulichen Winde wehn;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Stürzen die Bäche mit wildem Schall.

Was hilft der helle Bogen,
Womit der Fall entzückt,
Von ihnen so liebreich erzogen,
Zum erstenmal bunt geschmückt;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Höret sie klagen getrennt im Tal.

Die Vögel über fliegen,
Die Kinder traurig stehn,
Und müssen sich einsam begnügen
Einander von fern zu sehn;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Kreuzen die Schwalben mit lautem Schall.

Sie möchten zusammen mit Singen,
So wie der Vögel Brut,
Den himmlischen Frühling verbringen,
Das Scheiden so wehe tut;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Sehn sie sich endlich zum letztenmal.

Der Knabe kriegt zur Freude
Ein Röckchen wie ein Mann,
Das Mädchen ein Kleidchen von Seide
Nun gehet die Schule an;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Gehn sie zum Kloster bei Glockenschall.

Sie sahn sich lang nicht wieder,
Sie kannten sich nicht mehr,
Das Mädchen mit vollem Mieder,
Der Knabe ein Mönch schon wär;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Kamen und riefen sie sich im Tal.

Das Mädchen ruft so helle,
Der Knabe singt so tief;
Verstehen sich endlich doch schnelle,
Als alles im Hause schlief;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Springen im Mondschein die Fische all.

Froh in der nächtgen Frische,
Sie kühlen sich im Fluß,
Sie können nicht schwimmen wie Fische,
Und suchen sich doch zum Kuß;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Reißen die Strudel sie fort mit Schall.

Die Eltern hören singen
Und schaun aus hohem Haus,
Zwei Schwäne im Sternenschein ringen
Zum Dampfe des Falls hinaus;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Hören sie Echo mit lautem Schall.

Die Schwäne herrlich sangen
Ihr letztes schönstes Lied,
Und leuchtende Wölkchen hangen,
Manch Engelein nieder sieht;
Diesseit und jenseit am Wasserfall
Schwebet wie Blüte ein süßer Schall.

Der Mond sieht aus dem Bette
Des glatten Falls empor,
Die Nacht mit der Blumenkette
Erhebet zu sich dies Chor;
Diesseit und jenseit am Wasserfall,
Grünt es von Tränen nun überall.


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