Achim von Arnim
Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Achim von Arnim

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Funfzehntes Kapitel

              Geschichte des Mohrenjungen

Pripert war ein mächtger Herzog
Von dem großen Volk der Pirpen,
Saß auf einem hohen Schlosse
Bei dem dunklen Karpfenteiche,
Wo die braunen Frösche hüpfen;
Seine Schwester hieß Fikette,
Fidibus sein schlankes Weibchen.
Als die Schwester in den Jahren,
Wo sie könnte sich vermählen,
Denn verliebt war sie schon lange,
Fordert er von seinen Ständen
Ihre Ausstattung ganz schleunig,
Samt und Seide wie gewöhnlich,
Und die Stände bringen beides.
Doch nachdem er es befühlet
Scheint ihm beides also köstlich,
Daß er es gern selbst behielte,
Um sich einen neuen Schlafrock
Statt des alten, der zerrissen,
Zu der Cour daraus zu schneidern;
Und die schöne junge Schwester
Sendet er nun als Äbtissin
Nach dem großen Fräuleinstifte,
Daß sie es nicht fordern könne.
»Samt und Seide sind jetzt teuer«
Sagte ihr der gute Bruder;
»Kommen gar viel fremde Prinzen,
Wie es bei der Werbung möglich
Geht mehr Hafer, Weißbrot, Kuchen
Auf an einem einz'gen Tage,
Als du ißt im ganzen Jahre;
Auch die alten Livereien
Sind dann nötig umzuwenden,
Mancher Knopf geht da verloren,
Mancher Flecken kommt beim Essen:
Darum ist es mehr geraten,
Daß du bleibest unvermählet.«
Traurig fährt Prinzeß Fikette
Nach dem alten Fräuleinstifte,
Doch gedenkt sie, da zu finden
Holde liebliche Freundinnen,
Denen sie sich kann vertrauen;
Ach was findet sie für alte
Ausgedürrte, ausgeschriene,
Gelbe Tabaksschnupferinnen,
Die im ewigen Gezänke
Ihr das Blau im Aug abstreiten;
Alle fluchten, wie die Landsknecht,
Kommen stets zu spät zum Singen;
Keine wollte Brot anschneiden,
Keine das Gebet hersagen.
Wenn sie dann in ihren Nöten
Zu dem tapfern Stiftshauptmann
Hat gesendet ihre Diener,
Da begann erst recht die Fehde,
Und der Hauptmann war noch fröhlich,
Wenn er ohne Nägelmale
Zu der Tür hinaus geflüchtet;
Sicher fand er Reihen Zähne
In dem Rocke fest verbissen,
Ziegenhaarige Perücken,
Lappen Flor in seinen Händen;
Ach es sind zu alte Sünder,
Um sich jemals noch zu bessern!
Zählt zusammen ihre Jahre,
Steigen sie zu vielen tausend
Bis zu Medern und Assyrern,
Und Methusalem dagegen
Ist ein elend junges Bürschgen.
Also war der Stamm beschaffen,
Also war ihr reines Leben;
Denn unheilger ist wohl nimmer
Auf der Erd ein Stift gewesen,
Und geplagter war auch keines.
»Sagt was spotten denn die Männer
Über uns die alten Jungfern
Also frech von allen Seiten,
Ist es nicht die Schuld der Männer,
Unser Wille war es nimmer!«
Also seufzte manches Fräulein,
Das recht tückisch war genecket,
Wenn die Knaben aus dem Städtchen
Mit den flinken Blaseröhren
Ihren Kater niederschossen,
Der zum Nachbarhaus geschlichen,
Auf den Dächern kühnlich irrte.
Gab es Schnee, so standen morgens
Weiße Männer vor dem Fenster;
Jeder Baum, der in der Nähe,
Ward bezeichnet mit Skandalen,
Und die Früchte weggestohlen;
Und für so viel stete Leiden
Was war die Entschädigung?
Keine reichen Nadelgelder,
Keine Leckerein beim Schmause,
Gleiche Kost an jedem Tage,
Täglich Ziegenfleisch und Erbsen,
Damit war das Stift dotieret: –
Schwere Kost für alte Magen!
Darum suchte jedes Fräulein,
Ihre mächtgen Portionen
Heimlich solchen zu verkaufen,
Die dafür was Leckres brachten;
Darum schlichen viele Leute
Abends durch des Stiftes Garten,
Um zu tauschen, um zu kaufen
Ziegenfleisch und gelbe Erbsen,
Heimlich, daß doch die Äbtissin
Nichts von dem Erwerbe wisse.

Arme, arme Fürstentochter!
Die in ihren frühen Jahren
Mit so manchem schönen Pagen
Ein Versteckens oft gespielet,
Und nach ihrem frohen Sinne
Sie genecket und geküsset.
Ach noch denkt sie an den Einen,
Der so oft am gläsern Wagen
Neben ihrem Sitz gehangen
Und mit seiner heißen Liebe
Ihr das Spiegelglas behauchte,
Bis er ihr darin verschwunden!
Ach er ist nicht ganz verschwunden!
Seit er ist herangewachsen,
Reitet er nach der Parade
Täglich bei dem Stift vorüber,
Als ein prächtiger Dragoner
Mit dem Degen an der Seite,
Mit der Feder auf dem Hute,
Mit den schönen blanken Stiefeln,
Mit der weißen Kraus am Hemde,
Mit der hohen schwarzen Binde,
Mit dem Rock Vergißmeinnicht,
Mit den Wangen Milch und Blut,
Mit dem schwarzen Knebelbarte;
Kommt geritten, sie begrüßend
Seinem Pferd hat er gelehret,
Sich zu bäumen und zu wiehern,
Daß der Puder weit aufflieget,
Hat er ab den Hut genommen –
Also weicht er von dem Stifte
Wie ein schönes Wolkenbild.
Alle Nächte denkt sie seiner,
Wenn das Dunkel Frieden stiftet,
Und kein Blick sie mehr belauschet,
Wenn sie wandelt in dem Garten,
Süßes Schmachten in dem Herzen,
Holde Töne auf den Lippen,
Denen sie sich gern vertrauet,
Weil sie nicht als Zeugen dienen,
Sondern alsogleich versinken
Wie der Traum, der sie geschaffen.
Leise singt sie ihre Lieder,
Wie die Quellen zu den Veilchen,
Und im Hauche dieser Veilchen
Scheint der Liebling ihr zu nahen,
Mit dem Degen, mit dem Hute,
Mit der Krause, mit den Spornen,
Mit dem Zopfe, mit dem Puder;
Und mit ausgespannten Armen;
Wie mit Segeln zu dem Hafen,
Stürzt sie in den Arm des Teuren:
Und da sind es leere Lüfte,
Eine Hand, die faßt die andre;
Traurig singt sie leise flüsternd:

Gesang der Äbtissin

Soll ichs mir wie Strahlen denken,
Wie die Veilchen ferne düften
Und den Lüften
Doch die nahe Wollust schenken?
Will der Wind sie zu mir lenken,
Muß ich denken
Meiner Lieb in allen Sinnen,
Träumend ihn in Liebe grüßen;
Ihn zu küssen
Mein' ich und mich einzuspinnen
In des Vielgeliebten Armen;
Süß Erwarmen!

Seine Lippen Hiazinthen
In dem frischen runden Schnitte
Und die Mitte
Ist ein Kelch, den zu ergründen
Tausend schöne Worte dienen!
Welch Erkühnen!
Alle möchte ich ergreifen,
Ihn zu finden unter allen;
Ich muß fallen
In ein wüstes leeres Schweifen!
Wiederum ein Jahr vergangen
Im Verlangen!

Etwas muß der Mensch doch lieben.
Süßer Duft, du mußt vor allen:
Mich umwallen,
Flieh die Blumen, die betrüben,
Weil von jenes Frühlings Scherzen
Zeugen schwärzen;
Süßer Duft, nimm mein Vertrauen,
Denn zu hart sind die Gespielen
Den Gefühlen,
Daß sie nie die Liebe schauen;
Lieblos sich dem Himmel geben;
Ist ihr Leben.

Alles hab' ich dir gegeben
Schönes fernes Bild im Herzen,
Lust und Schmerzen,
Nahe endlich, nimm mein Leben! –
Wie die Reben niederhängen
In den Gängen,
Die ich sonst um feste Bäume
Mit der eignen Hand geschlungen!
Ach umschlungen
Hab' ich oft, o süße Träume,
Diesen Baum, der dir geweihet,
Tief erfreuet! –

Also sang die Frau Äbtissin,
Glaubt den dunklen Stamm zu fassen,
Den sie dem Geliebten weihte,
Doch von ihrer Glut getäuschet
Hat sie einen Mann umfasset,
Der da heimlich sich gestellet,
Als ob er ein Baum gewesen,
Daß sie ihn nicht möchte sehen.
Und sie meint, sie täte Wunder
Und belebte liebend Bäume;
Das ist Schwärmerei nicht Sünde,
Denn sie war sonst sehr moralisch;
Doch zu groß ist dieses Wunder
Für die liebekranke Seele!
Ist der Baum zum Menschen worden,
Kann sie ihm doch nicht entziehen,
Was ihm schon als Baum so eigen,
Ihrer Liebe schönen Glauben;
Und so sehen wir hier wieder,
Daß die Phantasie verbunden
Mit der Wahrheit falschem Bilde
Sei wie Pulver in der Bombe,
Die von Unschuld aufgelesen,
Wie alt Eisen in das Feuer
Wird geworfen und zersprenget
Schuld und Unschuld, falsche Wahrheit,
Wahre Phantasie und falsche.
Daß der Mann kein Baum gewesen
Muß sie endlich doch wohl glauben,
Daß es aber der Geliebte,
Prächtig glänzende Offzierer,
Dem wie Milch und Blut die Wangen,
Glaubt sie mit demselben Glauben.

Traurig und verlangend schmachtet
Die Prinzessin nach zwei Monden,
Müde ärgerlich sie fühlet,
Sich in ihrem Stift verschlossen,
Und in ihrem Innern treibet,
Was wohl nicht verschlossen bleibet.
Kühnheit haben schwangre Frauen
Und Entschluß in den Gefahren;
Die Prinzessin setzt sich nieder
An den Schrank von bunten Masern,
Schneidet eine Pfauenfeder,
Schreibt dem Herzog, ihrem Bruder.

Die Äbtissin an den Herzog

Bruder, du hast mich verschlossen
In dem alten Fräuleinstifte
Um die Ausstattung zu sparen,
Samt und Hafer, und das Weißbrot,
Von den Ständen mir geschenket.
Sieh zur Strafe von dem Himmel
Bist du ohne Kind geblieben,
Das er mir zur Straf bescheret;
Doch es stammt von einem Helden,
Also wirds ein Held auch werden,
Darum seid geneigt dem Rate,
Den ich euch in Demut gebe.
Euer Reich fällt heim den Fremden,
Und mein armes Kind muß sterben,
Und ich geh in Schand verloren,
Wenn ihr diesem Rat nicht folget,
Nicht mein Kind, in Schuld empfangen,
Mild zu eurem Kind annehmet.
Eure Frau, die Herzoginne
Muß sich stellen guter Hoffnung
Und ich komme dann im Schlosse
Heimlich nieder: Gott wird helfen!
Und mein Kindlein wird getragen
Heimlich zu der Herzoginne,
Als ob sie es hätt' geboren.
Denkt darüber nach in Liebe
Und dann seid ihr überzeuget,
Fühlet recht den Willen Gottes,
Wie er Böses gut hier mache,
So verzeihet der Äbtissin.

Als der Herzog dies gelesen,
Schloß er sich in seinem Zimmer
Ein mit Ärzten und mit Räten
Und nach dreien schweren Tagen,
Wo sie ohne Schlaf verhandelt,
Ist der kühne Plan gebilligt
Und mit ihnen angeordnet,
Wie er leichtlich auszuführen.
In dem Schlosse, wo er thronet,
Nach dem Astronomen Turme
In der Mitt vom Karpfenteiche,
Tragen sie den Thron, den weichen,
Als Geburtsstuhl ihn zu richten;
Aus dem astronomischen Werkzeug
Wird die Zange bald geschmiedet
Und im Spiegelteleskope
Sei die Wiege für das Kindlein.
Als dies alles angeordnet,
Setzt er sich zum Tisch von Pappe,
Der mit dem Goldpapier bezogen,
Schreibt mit einer Kasuarfeder.

Der Herzog an die Äbtissin

Pripert Magnus, Herzog aller
Groß und kleinen Karpfenteiche,
Euch entbietet Gruß und Gnade! –
Schwester seid ihr ganz des Teufels,
Doch es sei euch dies verziehen,
Möchte euch nicht gern erschrecken,
Könnte eurer Frucht sonst schaden;
Euer Vorschlag ist genehmigt
Wegen eurer klugen Listen,
Und ihr sollt ins Kindbett kommen
Auf dem Astronomen Turme;
Heimlich reiset ihr zur Hauptstadt,
Als ob ihr zum Bade reistet
Wegen eines innern Übels
Von der schlechten Kost im Stifte;
Schreiben ist nicht meine Sache,
Sprechen läßt sich alles besser,
Ich bin wohl affektionieret.

Also hat sie ungesäumt
Sich zur Reise angeschicket.
Und die Fräuleins alle möchten
Mit ihr ziehen nach dem Bade,
Doch sie läßt sie all zurücke.
Nächtlich kommt sie nach dem Schlosse,
Wird vom Leibarzt hingeführet
Nach dem hohen Schmerzensturme.
Ach wie viele müß'ge Stunden
Sind ihr nun von tausend Uhren,
Die im ganzen Hause ticken
Vorgerechnet, wo sie müßig
Legt im Schoß die schönen Hände,
Und sie will Kalender machen,
Schauet kalkuliert und rechnet
Mit den Ärzten ganze Tage.
Während sie so eng verschlossen
Trägt die Herzogin die Zeichen
Ihrer guten Hoffnung mühsam:
Wird begrüßt von allen Ständen,
Die nach dem Gelusten fragen,
Was sie wünsche, was sie fordre.
Äpfel, indiansche Nester
Marzipan und Pfeffernüsse,
Alles wird herbeigeschaffet,
Alle Edlen sind in Sorgen,
Alle Landeskirchen beten
Um die glückliche Befreiung.
Doch die Herzogin viel lieber
Wär befreiet von dem Panzer,
Den die Ärzte ihr bereitet,
Ihr den schlanken Wuchs verstellend:
Denn sie war so zart gewachsen,
Wie ihr Name es bezeichnet;
Wie ein Fidibus für Pfeifen
Schien sie sonst im weißen Kleide.
Mit den kranken roten Wangen.
Stolz ging jetzt der dicke Herzog
Auf und nieder in dem Schlosse,
Strich sich seine goldne Weste,
Meinte, daß ein jeder sehe
Nun auf ihn, weil bald ein Kindlein
Würde auch nach ihm genennet;
Denn nach allen Glückwünschungen
Meinte er sich wirklich Vater,
Sprach von nichts als von der Ehre,
Von der Würde eines Vaters,
Von der Mühe es zu werden;
Gnädig ließ er sich die Hände
Küssen von der Herzoginne,
Tat, als wenn er Vater wäre
Aller Kinder in dem Reiche.

Endlich naht der Tag der Freude,
Alle Telegraphen spielen,
Kanonier mit brennenden Lunten,
Und der Herzog wie ein Puthahn
Kullernd in dem ganzen Hause,
Und die Herzogin verlegen.
Und die Ärzte ängstlich laufend,
Daß man ihren Weg nicht sehe
Nach dem Astronomenturme;
Und die alten Fraun vom Hofe
Sehr erbittert, daß man ihnen
Allen Zutritt hat verschlossen;
Jede hat ein volles Dutzend
Lieblicher Historien
Aus dem Rauch dazu genommen,
Und nun müssen sie einander
In der Kürze alles sagen,
Weil es kalt ist auf den Treppen, –
Der Effekt ist ganz verloren.

Endlich seht das große Zeichen
In den tiefen nächt'gen Stunden,
Und der Marschall mit dem Schnupftuch
Winket zweimal aus dem Fenster,
Von den Fackeln wohlbeleuchtet
Also ist ein Prinz geboren,
Und die Kanoniere schießen,
Daß die Scheiben aus den Fenstern,
Menschen aus den Türen fliegen;
Und es gibt ein frohes Jauchzen
Daß die Frösche in dem Teiche
Nicht alleine nächtlich singen.
Als das Wappen eingebrennet
Unserm Prinzen an den Hüften,
Daß man ihn nicht mög vertauschen,
Merkt man eine eigne Farbe
In der Haut, die schwer zu nennen,
Doch das ist gar oft an Kindern
Die erst neu zur Welt gekommen,
Eins ist grün, das andre bläulich,
Das vergeht in wenig Wochen.
Als die Glückwünschung empfangen,
Und die Taufe ist verrichtet,
Und noch vierzehn Tage später
Dauert unsers Herzogs Freude.
Doch da wird der Prinz viel schwärzer
Als des Herzogs Dintenfinger,
Den er braucht zum Unterzeichnen,
Und der Herzog sieht mit Schrecken,
Daß es sei ein Mohrenjunge,
Was noch keiner von den Ärzten
Hat gewagt, ihm zu verkünden.
Und der Herzog will verzweifeln,
Beißet sich auf seinen Finger
Und der schmecket gar nach Dinte;
Und die Herzogin erboset,
Daß ihr guter Ruf könnt leiden,
Wütet ein auf die Prinzessin, –
Doch es muß verheimlicht werden.
Traurend wird des Thrones Erbe
Bei dem Volke tot gesaget,
Und ein Affe wird geschlachtet
Von den beiden flinken Ärzten,
Wohlrasiert und angezogen,
Mit dem Mirtenkranz und Degen,
In ein kleines Sarg geleget,
Schwach beleuchtet ausgestellet,
Und mit großem Leichenzuge
Beigesetzt in der Kapelle.

Ach du Ärmste der Prinzessen,
Wie viel Schimpf mußt du ertragen,
Heimlich wirst du ausgekiffen
Von der bösen Herzoginne,
Und du sehnst dich nach dem Stifte.
Kinderlos bleibt so der Herzog,
Doch genügte ihm am Ruhme,
Daß ein Kind von ihm entsprossen;
Nur zum Schein hat er gescholten
Die Äbtissin, daß sie frevelnd
Sich mit Heiden abgegeben.
Sie beschwört die eigne Unschuld,
Will doch nicht den Vater nennen,
Weil sie ihn nicht hat gesehen,
Weil sein Leben ihr noch teuer,
Hat ers Kind gleich angeschwärzet.
Sie erzählt nur wie im Garten
Sich belebte jener Nußbaum,
Meint, daß sie sich hab' versehen
An der Nacht, die gar zu dunkel,
Oder daß, wie grüne Schale
Von den Nüssen schwärzt die Finger,
So auch dieses Kind des Nußbaums
Sei in seiner Haut geschwärzet,
Und man hätt' es schwefeln sollen,
Doch das ist nun viel zu späte: –
Als sie ganz gesund zur Reise
Kehrt sie heim zum Fräuleinstifte,
Alle Lieb ist ihr vergangen
Seit sie Sternenkunst getrieben;
Und sie hält sich zu den andern
Schwätzend, spielend, zankend, putzend.

Bei dem Landvolk aufgezogen,
Unbewußt, woher er stamme,
Wächst der kleine Mohrenjunge
Und durch seine Wundergaben,
Alle Nachbarn fast erschrecket.
Während noch die andern Kinder
Mit ihm spielen ihres Gleichen,
Wer gestohlen konnt er wissen,
Wer zu Nachte umgegangen,
Wer vom Morgen abgepflüget,
Welcher Schneider in die Hölle
Hat gepeitschet große Lappen,
Welche Kühe würden kalben,
Welche Tauben sich verfliegen,
Alles wußt er zu erraten,
Und der Kuckuck war vor allen
Ihm gewogen mit dem Rufen.
Wie ein rechtes Meereswunder,
Wurde dieser schwarze Flecken
In der Ehre der Prinzessin
Rings im Lande vorgezeiget;
Also kam er auch zum Stifte,
Machte schamrot alle Fräuleins,
Daß sie ihn ermorden wollten.
Doch er bittet, eh er sterbe,
Daß ihn höre die Äbtissin
Ganz allein in ihrem Zimmer,
Was sie endlich ihm gewähret,
Ahndend daß es sei ihr Knabe;
Und da zeigt er ihr sein Wappen,
Das ihm eingebrannt so frühe
Und zu löschen ist vergessen,
Er begrüßet sie als Mutter.
Und sie frägt ihn freundlich küssend
Trotz der aufgeworfnen Lippen:
»Da du alles kannst erraten,
Sage mir, wer war dein Vater?
War es nicht der Herr Offzierer,
Der so oft vorbei geritten
Mit den Wangen rötlich weißlich«
Und der Knabe spricht mit Lächeln:
Nimmer nein, es war ein Pauker,
Cipripor, das war sein Name,
Bei dem Regiment Dragoner
Wovon jener war der Oberst-
Sicher habt ihr ihn gesehen,
War ein Mohr, ein schwarzer Teufel,
Und der Teufel war im Vater,
Als er euch in schönem Dunkel
Überraschte und besiegte;
Also teuflisch sind die Kräfte,
Die er mir damit verliehen;
Doch weil ihr in reiner Unschuld
Seid gefallen von dem Guten,
Nur von Einbildung befangen,
Wohl so sind mir alle Kräfte
Nun zum Guten hingewendet. –
Nun erzählt er ihr ausführlich,
Wie der Vater, wenn es dunkel,
In des Stiftes Garten kommen,
Ziegenfleisch und gelbe Erbsen
Von den Fräuleins einzuhandeln,
Was zu reichlich war dotieret:
Und so hab ihn da Frau Mutter,
In dem Wahnsinn alter Liebe,
Schmachtend ihn im Kuß umfangen,
Hab geglaubt es sei der Oberst.
Das sei gar nicht zu verwundern,
War doch seine Stimm nicht schwärzer,
Als von allen andern Männern,
Trug er doch so gut den Degen
Und die Feder auf dem Hute,
Schwere Stiefeln, Klapperspornen,
Und die Binde und die Krause,
Wie der schönste Stabsoffzierer.
Die Moral ist nun gewesen:
Dieser kleine Mohrenjunge,
Der mit recht beredter Zunge,
Jetzt geschützt von der Äbtissin,
Trat zu ihren alten Fräulein
Und mit rechtem scharfen Besen
Aus den Winkeln der Gemüter
Hat gefeget weltlich Leben.
Die Äbtissin schickt ihn heimlich
Zu dem Herzog, der gealtert
Jetzt nun gar nichts denken konnte,
Sondern alles unterschrieben
Seine besten Freund' ließ hängen,
Wenn nur zu der rechten Stunde
Ihm das Mittagsmahl bereitet.
Und der Herzog läßt ihn kommen,
Frägt ihn lächelnd, was er könne,
Ob er auf dem Seile tanze,
Oder Kartenkünste mache,
Ob er unverbrennlich wäre?
Alles dreies macht der Knabe,
Und der Herzog wählt ihn gnädig
Sich zum ersten Staatsminister,
Und will gerne mit ihm reden
Von der wahren Staatsverfassung.
Wie ein Buch spricht da der Knabe,
Doch der Herzog hat noch nimmer
Acht gegeben, was gesprochen;
Und der Knabe kann auch singen,
Nun verstehet ihn der Herzog,
Aber ich verschweig dies Liedchen,
Denn es riechet gar zu mystisch.
Es beweiset die Verwandlung
In dem Kopf des alten Herzogs,
Weil er sei der Stein der Weisen,
Der Metalle kann verwandeln,
Daß zum Chaos alles kehre.
Als der Herzog dies vernommen,
Wird ihm bange und beklommen,
Sieht wie schon in den Gedanken,
Alles Runde sich verwandelt
Und die Krone ihm als Mühlrad
Und als Suppendeckel scheinet,
Während viele listge Feinde
Nach der einen Krone trachten,
Die auf seinem Haupte wackelt.
Klüglich nimmt er an den Jungen,
Sich zum Hof und Staatspropheten,
Daß er ihm die Krone halte:
Der nun alles weiß was künftig
Bringt die Welt gar bald zum Ende.
Und so endet mein Gedicht.

Die ungemeine, fast männliche Lebhaftigkeit und Freimütigkeit der kleinen runden Dame hatte alle Zuhörer überrascht; fast schien sie der kleine Mulatte selbst zu werden. Prediger Frank warf heimlich die Frage auf: Woher es komme, daß niemand einen Anstoß an der Erzählung genommen habe, während sie eine andre Frau in gemischter Gesellschaft schwerlich nacherzählen könne. – Das kommt von der lauten metallenen Stimme unsrer Freundin; was sich so laut sagen läßt, ist sicher sehr unschuldig gemeint, sagte der Graf eben so laut, was in der Welt geschehen ist, auch wieder zu erzählen, nur in der rechten Art, denn wenn sich Gott nicht geschämt hat, es zu dulden, warum wir? – Die kleine Runde, statt sich darauf einzulassen machte allerlei Tierstimmen so geschickt nach, daß mehrere erschraken; überhaupt wußte sie ihr Wesen mehr durch Unerschüttlichkeit als durch Witz zu behaupten, und die andern mußten sich drein finden. Fräulein Walpurgis, die sich schon während der Geschichte des Mohrenknaben wieder bei der Gesellschaft eingefunden hatte, suchte diese luxurierende Lustigkeit, in der sich ihre Freundin leicht übernehmen konnte, wie eine Parze abzuschneiden; sie zog aus einer weißatlassenen mit Zypressen und Urnen gestickten Brieftasche ein Paket Papiere heraus und sagte: Man sollte nicht allein die Übel protestantischer Stifter rügen, wo die Ehelosigkeit freilich kein Verdienst sei, auch die katholische Zeit ihres Klosters habe andre Nachteile gehabt, das allzu hohe Anrechnen dieses Zustandes habe zu leerem Stolz auf eine vorgebliche Heiligung geführt, wo sogar krankhafte Zustände für Heiligung gegolten. – Der katholische Geistliche gab ihr darin recht und machte die Nonnen aller Art lächerlich. Frank verteidigte sie. – Der Graf sagte: Ich glaube die Religionssysteme tauschen sich aus. – Fräulein Walpurgis erzählte nun, daß sie alte Briefe in ihrem Kloster gefunden, welche eine Mohrin angingen die von einem frommen Einsiedler bekehrt, eine Nonne geworden wäre, und einen recht grellen Gegensatz zu jener Mohrengeschichte darstellten. Der Graf nahm die Papiere und wollte sie vorlesen, aber der Prediger Frank fiel schon nach dem ersten Briefe der Sammlung sehr laut ein, indem er seine ganze Aufmerksamkeit auf die heilige Gewalt richtete, die ein Mann auf ein Mädchen ausüben könnte, das selbst noch keine Anlage zur Heiligkeit habe, und erzählte darüber viele Beispiele von Lavater, den er gekannt hatte; er führte diese Wirkung auf eine allgemeine Regel zurück, möglichst viel und eigentümlich auf andre zu wirken, um ihnen alle Zeit zur Gegenwirkung abzuschneiden, wenigstens die Besonnenheit dazu; nun sei aber nichts eigentümlicher im Menschen als die heilge Äußerung, also beschäftige und verwirre diese andre Leute am meisten; sie habe immer die Wirkung eines Einfalls und lasse am wenigsten einen Plan im Betragen durchscheinen, der jedem Mädchen besonders verhaßt wäre. – Der katholische Geistliche, der sich Xaver nannte bewunderte den Scharfsinn Franks; er versicherte ihm, daß er wohl ein hundert Kunstgriffe aller Art wisse, um die Leute der Religion zu unterwerfen und während er ihren innern Glauben schärfe, schaffe er allmählig, wenn auch nur alle fünf Jahre etwas von den alten törichten Glaubenslehren weg. – Aber, fragte der Graf ernsthaft, ist denn unsre Religion, die so viel auf Erden gewirkt, größtenteils nur eine Sammlung alter Torheiten? – Die beiden Prediger entwickelten im Wettstreite ihrer Menschlichkeiten so viele Mysterien daß die kleine runde Stiftsdame das Zeichen gab, zu einem allgemeinen Gelächter, das immer stärker anwuchs, trotz all List des Einen, trotz aller Menschen- und Weiberkenntnis des andern.


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