Achim von Arnim
Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores
Achim von Arnim

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Zweite Abteilung
Reichtum

Erstes Kapitel

Geschichte der beiden Gräfinnen in der Abwesenheit des Grafen Karl. Klelia reist nach Sicilien

Das Schloß und die übrigen Lebensverhältnisse unsrer beiden armen Gräfinnen hatten sich während dieses Winters durch die Freigebigkeit des Grafen, der ihnen auf dem bekannten Wege durch den Gastwirt beinahe seinen ganzen Wechsel sendete, und nur das Notdürftigste für sich behielt, bedeutend bequemt und verschönert. Gegen die Bitten der eingezogenen Klelia hatte Dolores ein Paar Zimmer des besten Stockwerkes in Ordnung gebracht, zwar möglichst sparsam mit altertümlichen Zimmergeräte aus dem fürstlichen Schlosse, das eben versteigert wurde, aber doch anständig genug, um wieder Gäste zu empfangen. Sie fühlte seit den sechs Wochen, deren sie in des Grafen Gesellschaft froh geworden ein Bedürfnis der Geselligkeit; sie erneute die alten Bekanntschaften mit den vornehmen Stadtbewohnern, da fand sie manchen jungen Mann recht schön angewachsen, dem sie schon als Kind geneigt gewesen; diese mochte sie nicht vermeiden und ihre Gläubiger ließen sich nicht abweisen und so fanden sich oft unerwartet die Zimmer ganz voll, sie aber war der schöne Mittelpunkt aller dieser Bemühungen. Klelia war wohl auch schön zu nennen, aber der ganze Ernst ihrer Erscheinung rückte sie über die Ansprüche des größeren Haufens hinaus; keiner wagte sich ihr mit einer leeren Schmeichelei, oder mit einem bloßen Flickworte der Unterhaltung zu nähern, darum fand sie mancher zu kalt, zu gescheit und wenig unterhaltend. Dolores stellte gern jede Sonderbarkeit recht grell aus, sie fühlte sich erleichtert, wo sie dem allgemeinen Sinne für das Passende und Gefällige auf eine ungemeine Art getrotzt hatte; die Männer kannten ihren Vorteil über jedes Mädchen der Art, sie mußte ihnen viel ärgere Sonderbarkeiten durchgehen lassen; beides war der frommen Klelia verhaßt, ja sie würde die Gesellschaften vielleicht ganz gemieden haben, wenn ihre Gegenwart der Schwester nicht wohltätig gewesen wäre, um die verschiedenartigen Menschen in Zaum zu halten. Diese verschiedenartigen neuen Eindrücke, welche die Gesellschaft auf die Gräfin Dolores machte, verdrängten den Grafen immer mehr aus ihren herrschenden Gedanken; ihre Briefe zeigten davon keine Spur, die Feder führte sie unbewußt immer wieder in die alte Gegend zurück und dem Grafen war alles herrlich, was ihn daran erinnerte. Ihr Gefühl schlug überhaupt hell und laut an nach der Art wie es berührt wurde, aber der Nachklang dieser Klocke ging in den nächsten Schlag des Hammers über und vermischte sich damit; die Zärtlichkeit, die der Graf in ihr erweckt hatte, überraschte sie jetzt in der Nähe jedes liebenswürdigen Mannes; nun fühlte sie sich freilich so an ihn gebunden, daß sie dies zu keiner eigentlichen Äußerung kommen ließ, aber junge Leute in unsern Tagen verstehen sich schon auf Blicke, und also machte sie ihnen wenigstens falsche Hoffnungen und des Grafen Bild verschwand allmählig so weit, daß sie ihre Karikatur aufsuchen mußte, um sich seiner zu erinnern. Eine schöne fromme Seele ist wie das Tüchlein der heiligen Veronica, auf welchem das Bild des Geliebten ohne Malerkunst in ewiger Treue abgedrückt bleibt, alles ist ihr reine Erinnerung von ihm, unverschönert, denn das bedarf er nicht, unverhäßlicht, denn das leidet sie nicht; dagegen erscheint eine leichte Weltseele als ein Spiegel, der freilich alles Nahe, das Schöne und Häßliche mit einer Lebendigkeit faßt, daß es ganz davon aufgenommen scheint, aber nur das Sichtbare berührt sie, jenseit eines schmalen Gebürges liegt ihr schon eine Ferne, die sie nicht verbinden kann, und über alles Vergangene fährt auslöschend eine Sündflut her. Wie treu bewahrte Klelia ihre Freundschaft zu dem Grafen, während ihn Dolores tagelang in ihren Umgebungen vergaß, und wie töricht legte sich der Graf, der Meinung seiner Mutter eingedenk, daß nie bloße Freundschaft zwischen verschiedenen Geschlechtern gefunden werde, jene Äußerungen warmer Freundschaft als eine unselige Liebe aus, die sich selbst nicht verstände und die er bekämpfen müsse. Diese kalten Briefe wirkten vielleicht mehr, als die äußerlichen Vorteile und die Rücksichten auf ihre Gesundheit, sie zur Annahme eines Vorschlags zu bestimmen, der sie ihrer Schwester und dem Grafen auf längere Zeit entriß. Eine ihrer Basen, die würdige Frau eines Schweizer-Obersten in Sicilien, war von ihrem Manne zu einer schnellen Abreise dahin bestimmt; da ihre Kinder gestorben, so wünschte er ein Paar seiner ärmeren Anverwandten sich zu gewöhnen, und in sein Haus zu nehmen, um ihnen den Mitgenuß seiner reichlichen Einnahmen und seines angenehmen Hauses zu schenken, wenn er ihnen gleich kein bedeutendes Vermögen hinterlassen könne. Sie machte den beiden Gräfinnen den Vorschlag, ihr Glück in jenen entfernten schöneren Klimaten zu versuchen. Wir wissen, was Klelia zu der Annahme dieses Vorschlages bestimmte, auch die schmerzliche Erinnerung an ihre Eltern und das Unerträgliche von fremden Wohltaten zu leben, hatten Anteil an dem Entschlusse; wie sehr erstaunte sie aber, als Dolores ganz rücksichtlos sich auch für die Mitreise erklärte. Das Fremdartige des Unternehmens reizte sie, daß sie viele, und viele von ihr sprechen würden; der blaue Himmel, die Musik, der Karneval, endlich die Kunstdenkmale, an denen sie ihr Malertalent ausbilden wollte, der ganze Feststaat, den tausend Beschreibungen um den Namen Italia gelegt haben, das alles rauschte vor ihr über, und die vernünftigen Vorstellungen der Schwester, eine nahe vorteilhafte Heirat mit einem geliebten Manne der bloßen Neugierde nicht aufzuopfern, gnügten ihr nicht davon abzustehen, die Obristin mußte ihr, nachdem sie die Umstände erfahren, den Platz in ihrem Wagen ausdrücklich versagen. Wir, die wir den Ausgang kennen, wünschen sie wäre dem Winke ihrer Natur gefolgt, der Natur, die sich in ihrer Sehnsucht und Laune selten ungestraft widersprechen läßt, denn sie allein weiß, was sie will, wir aber wollen, was wir nicht wissen.

Klelia reiste mit schwerem Herzen aus dem väterlichen Hause, Dolores hatte ihre Ermahnungen nicht anhören wollen, sie ließ ihr ein schriftliches Vermächtnis, das diese zerstreut und weinend über ihr Schicksal wohl durchlas, aber in keiner Hinsicht beachtete. Statt der Erinnerung zu folgen, allen den Gesellschaften zu entsagen, die ihrem künftigen Leben meist ganz unangemessen, suchte sie sich vielmehr für alle entbehrte italienische Luft zu entschädigen. Die Stadtbälle, die sie sonst aus gemeinsamen Stolze wie ihre Schwester verschmäht hatte, wurden ihr ganz notwendig; sie wollte sich eben so in Kleidern auszeichnen, wie sie durch Schönheit hervor leuchtete, und so verschwendete sie sehr schnell, was der Graf sich abgespart, und was die Obristin ihr verehrt hatte. Auch ihre Lust am Reiten kam ihr wieder; sie wußte, wie verhaßt dies dem Grafen an Frauen war, der darin einen besondern Trotz gegen die öffentliche Meinung ahndete, die an kleineren Orten Deutschlands gewöhnlich hinter den Reiterinnen herlacht und jeden kleinen Unglücksfall mit Spott wiederholt und vergrößert. Natürlich schrieb sie ihm nichts von dem allen, sie suchte die einsamen Stunden eines allgemeinen Überdrusses auf, wo die Sehnsucht nach seinem vertraulichem Umgang ihr wiederkehrte, um ihm so schmachtend, so süßtraurend zu schreiben, wie eine Braut des Himmels; es war das gar keine absichtliche Verstellung, sie hätte aber wahrlich keine andre Zeit dazu finden können und in den Stunden war es ihr Ernst. Eins unterscheidet das reine Gemüt und das große Talent, die Einheit seines ganzen Daseins, mannigfaltig wie Gottes Welt. Das kleinliche Gemüt ist gleich dem besten Menschenwerke aus widersprechenden Stücken zusammengesetzt, unter denen manches herrlich sein kann, aber es muß aus dem Zusammenhange herausgerissen sein, um ganz gewürdigt zu werden.


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