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IV.

Ganz anders war die Stimmung in Abomey, als die Kunde von dem Ausgang der Schlacht dorthin gelangte und die Trümmer der Armee dort einrückten. Wie ein angeschossener Stier wüthete und tobte der König und Alles flüchtete vor seinem Blick. Niemand wagte sich bei Tag aus dem Hause, denn täglich geschah es, daß er Leute auf der Straße aufgreifen und sofort vor seinen Augen enthaupten ließ. Er schwur, furchtbare Rache an den Annagu's zu nehmen und ihr Geschlecht von der Erde zu vertilgen. Seine Amazonen sollten dies blutige Werk ausführen, zu welchem Zweck er den Befehl gab, alle weiblichen Regimenter aus den Provinzen nach Abomey kommen zu lassen. Bald waren neuntausend gleichmäßig gekleidete und vollständig gut bewaffnete, mit Musketen versehene Amazonen in der Residenz versammelt und alle Vorbereitungen zu dem Vertilgungskriege wurden eiligst getroffen. Solche Rüstungen konnten den Annagu's nicht lange unbekannt bleiben und auch sie trafen mit all ihren Kräften Anstalten, um dem racheschnaubenden Feinde abermals zu begegnen. Buardo erkannte zwar in der Bewaffnung der Amazonen deren große Ueberlegenheit über seine Truppen an, indem nur die bei Weitem geringere Zahl seiner Leute mit Schießgewehren versehen war, auch kannte er den Muth und die Kriegstüchtigkeit jener weiblichen Krieger; der glänzende Sieg aber, den er über ein so mächtiges Heer errungen hatte, gab ihm Vertrauen und Zuversicht in die Kraft seines Volkes, das ja für seine heiligsten Güter, für seine Freiheit und Unabhängigkeit und für sein Eigenthum und seine Lieben kämpften sollte. Er selbst ritt im Lande umher, stellte dessen Bewohnern die Folgen einer Unterwerfung unter die barbarische Tyrannei des Königs von Dahomey vor und forderte sie auf, mit ihm bis auf den letzten Mann die Selbstständigkeit ihres Landes zu vertheidigen. Allenthalben wurde er mit großer Begeisterung empfangen, im ganzen Lande griff man zu den Waffen und abermals wurde Zogalo der Sammelplatz der kampfbereiten Männer von Annagu. Ihre Zahl war diesmal auf beinahe fünftausend angewachsen, die nun theils in der Bergveste selbst, theils in nahe gelegenen Ortschaften untergebracht wurden und für deren gute Verpflegung der König Durasso es an Nichts fehlen ließ. Von Tag zu Tag sah man der Nachricht über das Anrücken des Heeres von Dahomey durch die an der Grenze ausgestellten Kundschafter entgegen, um dasselbe abermals in der Bergschlucht zu erwarten, wo man den letzten Sieg erfochten hatte. Man vernachlässigte aber nicht, die Stadt Zogalo in vollkommensten Verteidigungszustand zu setzen, man besserte den hundert Fuß breiten und acht Fuß hohen Dornenwall, der die Stadtmauer umgab, aus, so daß sich keine Lücke mehr darin befand, man stellte die Lehmstufen hinter der Mauer her, um von da über dieselbe und über den Dornenwall hinweg den angreifenden Feind beschießen zu können, man verstärkte die beiden Thore und machte Vorrichtungen, um sie zu verrammeln, und schaffte bedeutende Vorräthe von Lebensmitteln in die Stadt.

Auch in den Wohnungen des Königs war man eifrig beschäftigt, Vorkehrungen für den Fall einer Belagerung zu treffen. Die hohe Mauer, welche die Gebäude umgab, wurde in Stand gesetzt, eine große Anzahl von Gewehren wurde geladen und in Bereitschaft gehalten, und namentlich stellte man einen geheimen unterirdischen Gang sorgfältig her, der von des Königs Zimmer unter der Stadtmauer und unter dem Dornenwall hinführte und in bedeutender Entfernung von der Stadt in einem Walde ausmündete. In dichten Dornenbüschen im Dunkel des Waldes war der Ausgang versteckt und vor demselben war eine Hütte erbaut, von der das Volk glaubte, daß sie ein Zauberer bewohne, weshalb es Niemand wagte, in ihre Nähe zu kommen. Der Eingang zu diesem geheimen Wege war in einem der Gemächer des Königs, wo sich dessen Frauen aufhielten, mit einem schweren flachen hölzernen Kasten bedeckt, der sich in künstlicher Weise durch den Druck auf eine Feder bewegte, die nur der Familie Durasso's bekannt war. Der Kasten stand offen und wurde zum Aufbewahren von werthlosen Gegenständen, wie Decken, Matten und Tüchern benutzt, so daß Niemand den eigentlichen Zweck desselben vermuthen kannte. Aber nicht allein in der Wohnung des Königs gedachte man einer letzten verzweifelten Vertheidigung, in jedem Hause der Stadt ergriff man Maßregeln dafür, und alle Frauen und Mädchen schafften sich Waffen, um für ihren eigenen Herd zu kämpfen.

Plötzlich sprengten bei Sonnenuntergang mehrere Kundschafter mit der Nachricht in die Stadt, daß der Feind die Grenze des Landes erreicht habe und seine Gewehre über ihm in der Sonne blitzten, wie ein glühender Feuerstrom. Entschlossen, aber ernst, sammelten sich schnell die Streiter, denn ein Jeder von ihnen fühlte, daß sie einem Kampfe entgegengingen, der das Schicksal ihres ganzen Volkes entscheiden sollte. Weiber und Kinder hingen an ihren Männern, Vätern, Brüdern und Söhnen, um unter Thränen Abschied zu nehmen, doch nirgends wurde eine Klage laut, wohl aber hörte man die Tapferkeit der Männer von Annagu preisen und ihren Freiheitssinn, ihre Unabhängigkeit rühmen, die sie bis jetzt gegen jede fremde Macht bewahrt hatten. Mit einem donnernden Hurrah begrüßte die zum Sieg oder Tod entschlossene Schaar ihren geliebten jungen Führer Buardo, als er Arm in Arm mit Semona aus der königlichen Wohnung hervortrat und auf den Platz zu seinem Vater schritt. Tief bewegt, doch mit Stolz und Zuversicht auf seinen Sohn blickend, schloß der König ihn an seine noch kräftige Brust und rief, zum Himmel aufschauend, den Schutz der Götter auf ihn herab. Dann wandte sich Buardo zu den Frauen Durasso's und sagte seiner weinenden Mutter Lebewohl, und nun öffnete er seiner Semona die Arme zum letzten Abschied. Der wild schallende Hörnerklang riß ihn von ihrem Herzen, noch einmal preßte er seinen Mund auf ihre weichen Lippen, er sah ihre Thränen fallen, fühlte ihren Blick voll Schmerz und doch voll Muth und Hoffnung in seine Seele dringen und schwang sich dann mit überwältigten Gefühlen auf sein scharrend Roß. Fort schritt die entschlossene Schaar, und ihr nach zogen tausend heiße sehnsüchtige Wünsche für ihre glückliche siegreiche Rückkehr. Am Fuße des Berges harrten ihr schon die übrigen Truppenabtheilungen, Donnergrüße und Sturmmusik wurden ihr von den Waffenbrüdern entgegengesandt, und vereinigt setzte sich das ganze Heer, von Buardo geführt, und von dem Dunkel der Nacht umgeben, in Marsch. Das Schweigen, das auf diesen kräftigen Söhnen der Berge lag, bezeugte den schweren Ernst ihrer nächsten Zukunft, keiner von ihnen dachte an die Gefahr, die seiner eigenen Person drohte, nur ihr gesammtes Volk und dessen Freiheit, mit der es leben, oder untergehen wollte, hatten Alle vor Augen.

Ohne zu rasten, bergauf, bergab, über Felsen und loses Gestein und durch sumpfige bewaldete Niederungen, waren die Männer während der ganzen Nacht eilig vorwärts geschritten, als mit dem ersten Grauen des Tages mehrere Botschafter ihnen entgegenkamen und meldeten, daß der Feind noch einen halben Tagesmarsch von der zum Kampf erwählten Bergschlucht im Lager stehe und noch kein Zeichen zum Aufbruch gegeben habe. Demohngeachtet bestand Buardo darauf, im Marsch zu bleiben und die Ruhe, die seinen Truppen noch vor der Schlacht werden sollte, erst auf dem erwählten Kampfplatze zu suchen. Trotz der Ermüdung durch die nächtliche Wanderung, fügten sich seine Waffengefährten willig seinem Vorschlag und schritten unverdrossen vorwärts, bis sie endlich kurz vor Mittag den ersehnten Palmenwald erreichten. Ermattet und erschöpft sanken sie an den frischen Quellen in dem erquickenden kühlen Schatten des Waldes nieder und gaben sich der Erholung durch Speise, Trank und Schlaf hin. Boten kamen und wurden abgesandt, aber immer noch stand der Feind unbeweglich in demselben Lager. Der Abend kam, die Sonne versank und die Sterne blitzten über der dunkeln Bergschlucht, immer noch hatten die Amazonenschaaren von Dahomey sich nicht in Bewegung gesetzt. Eine tiefe Stille ruhte auf dem Thal, die nur durch das Geheul der reißenden Thiere unterbrochen wurde, welche sich hier beim Schmause an den in letzter Schlacht gefallenen Dahomey's versammelt hatten. Die Annagu's fühlten sich vollkommen ausgeruht und neu gekräftigt und es wurden viele Stimmen unter ihnen laut, dem Feind entgegenzugehen und ihn selbst anzugreifen; doch Buardo zügelte ihr Verlangen und zeigte ihnen das Thörichte eines solchen Unternehmens. Endlich gegen Morgen, noch ehe der Tag graute, kamen die ausgesandten Kundschafter angesprengt und meldeten, daß der Feind gegen Mitternacht sich in Marsch gesetzt habe. Schnell vertheilte Buardo nun abermals seine Streitmacht in dem Palmenwalde und an den Bergabhängen zu beiden Seiten der Schlucht, erinnerte seine Waffengenossen nochmals an den Preis, wofür sie kämpfen würden, und gab seine Anordnungen auch für den möglichen Fall, daß sie die Schlucht nicht behaupten könnten und der Uebermacht des Feindes weichen müßten. Dann sollten sie sich um ihn sammeln und sich kämpfend nach Zogalo zurückziehen. Er selbst blieb in dem Palmenwalde, um von dort aus den Angriff zu führen. Noch war es Nacht, die Streitermassen waren vertheilt und die Feuer in dem Walde erloschen. Alles war ruhig und nach und nach zitterte das Grauen des Morgens durch die Berge. Da tönte ein Rauschen und Klirren durch das Thal und bald wurden die schwarzen Massen der anrückenden Amazonen sichtbar. Näher und näher kamen die grimmen Weibergestalten, mit schußbereiten Waffen drangen sie in die Schlucht ein und ihre glänzenden, Unheil drohenden Blicke richteten sich auf die Bergwände zu ihren beiden Seiten. Jetzt erkannten sie hier und dort die sich verbergenden und auf den Schlachtruf ihres Führers harrenden Annagu's, und einzelne Schüsse gaben das Zeichen zum Beginnen des Kampfes. Da brach Buardo mit einem Kugelregen aus dem Walde hervor und stürmte an der Spitze seiner Schaar unter lautem gellenden Kriegsgeschrei auf die dichtgedrängten Reihen der Feinde. Zugleich stürzten seine Kameraden von den Bergen herab auf die kampfbereiten Amazonen und wurden von ihnen mit einem furchtbaren Gewehrfeuer empfangen. Buardo hatte beabsichtigt, durch den schnellen allgemeinen Angriff in der engen Schlucht den Gebrauch der Schußwaffen in den Reihen des Feindes zu vermindern und so dessen Ueberlegenheit zu schwächen; doch die Amazonen waren hierauf vorbereitet gewesen; wie die Antilopen sprangen mehrere Regimenter links und rechts an den Höhen hinauf und unterhielten nun von dort aus ein mörderisches Feuer auf die Annagu's, welche vergeblich auf die geschlossenen Massen der in der Schlucht verbliebenen feindlichen Truppen einstürmten und ihre Reihen zu durchbrechen suchten. Mit verzweifelter Wuth wogte der Kampf in dem Thale auf und nieder, und der Kugelregen fiel vernichtend von den -Bergen auf die tapfern Annagu's, die Schritt für Schritt nach dem Palmenwalde zurückgedrängt wurden und den Boden, von dem sie wichen, mit gefallenen Brüdern bedeckt ließen. Taufende von Leichen füllten die Schlucht, das Blut floß in Strömen und der Donner der Gewehre und das Klirren der Waffen ließ die Felsen zittern. Da gab Buardo das Zeichen zum Rückzug, schlug einen engen Fußpfad durch die Gebirge ein, auf dem der ihm nachrückende Feind seine Macht nicht entfalten und auf welchem er in der kürzesten Zeit Zogalo erreichen konnte. Bald gaben die Amazonen auch die Verfolgung auf diesem Wege auf und zogen sich auf die Straße zurück, während Buardo mit kaum noch dreitausend Mann der Bergveste zueilte.

Die Sonne war im Sinken, als die heldenmüthigen Streiter von Annagu den steilen Weg nach Zogalo erklommen und von den Einwohnern mit Schrecken und Entsetzen empfangen wurden. Erschöpft und todesmatt zogen sie in die Stadt ein, und Alt und Jung, Männer und Weiber bereiteten sich nun zu einem Kampf auf Leben und Tod vor.

Unter Thränen empfing Semona den verwundeten Heißgeliebten an ihrem Herzen, doch unverzagt und stark wies sie auf die Uneinnehmbarkeit der Feste und auf die Tapferkeit der Männer hin, die sie vertheidigen würden, und gelobte, an Buardo's Seite zu fechten und, wenn es sein müsse, zu sterben. Sie ging selbst mit ihm hinaus vor die beiden Thore der Stadt, wo über den schmalen, steilen Wegen, die zu denselben am Berge hinaufführten, schwere Felsblöcke aufgehäuft waren, um sie auf die stürmenden Feinde hinabzurollen; sie begleitete ihn auf die Wälle, wo er seine Männer aufstellte und sprach denselben Zuversicht und Muth ein, und geleitete die Frauen des Königs, welche Speisen, Peto und Palmwein trugen, zu den einzelnen Truppenabtheilungen, um die Lebensmittel und Erfrischungen unter dieselben zu vertheilen. Ein Jeder war auf seinem Posten und besonders zahlreich war die Mannschaft vor den beiden Thoren, welche die zwei Wege zu vertheidigen hatte, auf denen allein es Menschen möglich war, die Höhe der Stadt zu erklimmen. Der alte König selbst hatte sich mit dem Schwert umgürtet, welches er in so mancher blutigen Fehde siegreich geschwungen hatte, und neben dem Eingang in seine Gemächer standen viele prächtige Gewehre, womit er im letzten Nothfall den Corridor vertheidigen wollte, der zu den Zimmern seiner Frauen führte. Der Löwe folgte mit sichtbarer Unruhe den Schritten seines Herrn, und ließ von Zeit zu Zeit ein dumpfes Knurren hören, als erkenne er in den hastigen vielen ungewöhnlichen Anordnungen des Greises die drohende Gefahr, die ihn dazu veranlaßte. Oft, wenn Durasso in sich selbst versunken dastand und der mögliche unglückliche Ausgang des bevorstehenden Kampfes seine Gedanken belastete, schmiegte sich das königliche Thier mit seiner schwarzen lockigen Mähne an ihn an, schlug den mächtigen Schweif herüber und hinüber und blickte mit seinen klugen treuen Augen zu seinem Herrn auf, als wolle es ihn daran erinnern, daß es auch bereit sei, für ihn zu kämpfen. Dann klopfte der König das riesige Haupt des Löwen und dessen glatte geschmeidige Flanken und sagte bei solcher Gelegenheit:

»Ja, ja, Pascha, auch wir Könige sind vor dem Schicksal nicht sicher!«

Besonders, als die Dunkelheit einbrach, zu welcher Zeit das Thier gewohnt war, sein Abendfutter aus seines Herrn Hand zu empfangen, wurde es sehr ungeduldig, denn derselbe reichte ihm Nichts und sagte, seine Mähne schlagend, zu ihm:

»Wart, Pascha, vielleicht, vielleicht bekommst Du noch in dieser Nacht warmes Dohomeyblut zu trinken!«

 

Ende des zweiten Bandes.

 


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