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XIII.

Es war der erste Abend, seit Franval's Ankunft, den Lincoln mit seiner Frau allein zubrachte und der erste, seit ihrer Verheirathung, an dem sie das Abendbrot, so schweigsam zusammen einnahmen. Es lag eine Gewitterschwüle in ihrer Stimmung, eine Ahnung von nahendem Unglück, der sie sich beide scheuten Worte zu geben.

Die Negerin hatte den Tisch abgeräumt und Lincoln ging in Gedanken versunken mit den Händen auf dem Rücken in dem Zimmer auf und nieder, als Rosiana mit ihrem Töchterchen auf dem Arm und ihrem Knaben an der Hand zu ihm trat, damit er den kleinen Lieblingen den gewohnten Nachtkuß geben könne. Er herzte und küßte die Kinder, befahl sie, wie er immer zu thun pflegte, für die Nacht dem Schutze des Allmächtigen an und küßte dann Rosiana, die ihm lächelnd über die Stirn strich, als wollte sie die Wolke, die sich dort gelagert hatte, entfernen. Er sah ihr nach, wie sie mit den Kleinen in das anstoßende Gemach ging, um dieselben dort in ihre Bettchen zu legen, und begann dann mit einem schweren Athemzuge wieder die Stube auf und ab zu messen. Nach einer Weile kehrte Rosiana in das Zimmer zurück, stellte das ausgelöschte Licht neben die' brennende Lampe auf den Tisch und trat dann an Lincoln's Seite, indem sie ihren Arm um seine Schultern legte.

»Warum so ernst, Edward?« sagte sie, sich an ihn schmiegend, »soll Deiner Rosiana noch länger verschwiegen bleiben, was Dir so schwer auf dem Herzen liegt?«

»Es sind Besorgnisse, beste Rosiana, die eigentlich keinen Grund haben, und darum wollen wir auch nicht darüber reden. Wozu soll ich auch Dir das Herz schwer machen?«

»Ist es nicht härter für mich, die Sorge nur auf Deiner Stirn zu sehen, ohne sie selbst zu kennen? Du hast ja niemals ein Geheimniß vor mir gehabt, sei auch jetzt offen gegen mich, und laß mich auch Dein Leid mit Dir tragen, wie ich so unendlich vieles Glück mit Dir getheilt habe. Komm Edward, setze Dich zu mir auf das Sopha. Zwischen uns darf kein Geheimniß bestehen.«

Mit diesen Worten leitete Rosiana den geliebten Gatten zu dem Sopha, er mußte sich neben ihr niedersetzen, und indem sie ihren Arm um seinen Nacken legte und ihm bittend und herzinnig in die Augen sah, ergriff sie seine Hand und sagte: »Nun, Edward, nun rede offen.«

In diesem Augenblick ertönte die Schelle an der Hausthür. Eine eisige Kälte lief durch Lincoln's Glieder und sich aufrichtend, sagte er:

»Das kann Franval noch nicht sein.«

Die Negerin hatte die Hausthür bereits entriegelt, als Lincoln die Stubenthür erreichte, dieselbe öffnete und in den Corridor hinaus treten wollte. Als ob er ein Gespenst gesehen hätte, so prallte er in das Zimmer zurück und herein trat der ihm nur zu wohl bekannte Doctor Hunter, jene beiden Advocaten, die Lincoln heute hatte aus dem Gerichtshaus kommen sehen und der Sheriff.

»Im Namen des Gesetzes,« sagte Letzterer, »lege ich hiermit Beschlag auf die Mulattin Rosiana und auf ihre beiden Quadronenkinder und verhafte Sie, Herr Advocat Edward Lincoln, da Sie angeklagt sind, die Mulattin vor vier Jahren ihrem Eigenthümer, dem Pfarrer Nelson in Richmond gestohlen zu haben.«

Mit einem, durch Mark und Bein dringenden Schrei war Rosiana aus dem Sopha aufgeschossen,

flog mit einem Sprunge nach der Schlafstube, wo ihre Kinder ruhten, und hatte die Thür hinter sich verschlossen, noch ehe Hunter, der ihr nachsprang, dieselbe erreichte.

»Zurück von der Thür, bei Deinem Leben, Schurke!« schrie Lincoln dem Doctor zu, der sich gegen dieselbe warf, um sie mit Gewalt zu erbrechen, und richtete die Pistole auf ihn, die er aus dem offenstehenden Secretair genommen hatte.

Hunter aber, wie der Tiger, der seine Beute vor sich entfliehen sieht, schoß einen wüthenden Blick auf Lincoln und warf sich wieder mit solcher Gewalt gegen die Thür, daß dieselbe in ihren Angeln krachte. In demselben Augenblicke knallte die Pistole Lincolns und Hunter stürzte zusammen. Die ganze Handlung war das Werk weniger Momente und war geschehen, ehe der Sheriff und die beiden Advocaten Lincoln in den Arm fallen konnten.

Kaum hatte Rosiana die Thür hinter sich geschlossen, als sie ihren schlafenden Knaben aus dem Bettchen riß, ihn zum Fenster hintrug und ihn hinaus in den Garten fallen ließ, dann hob sie ihre Tochter auf ihren Arm, war mit einem Satze in dem Fenster und sprang mit dem Kinde in den Garten hinab. Mit nie gekannten Kräften hob sie nun auch den Knaben an ihre Brust und rannte fliegenden Laufes durch den Garten und auf dem Pfade nach dem Flusse hin, bis sie den Wald erreicht hatte, wo sie in dem ersten Buschwerk zu Tode erschöpft zusammensank. Die Nacht war finster, nur das Licht der hell blinkenden Sterne ließ den Pfad erkennen. Rosiana spähete und lauschte durch die Dunkelheit nach der Stadt hin und hielt bebend ihre weinenden Kleinen mit ihren Mutterarmen umschlungen. Bald aber fühlte sie sich wieder kräftig, die Angst jagte sie wieder auf, zu Power's mußte sie ihre Kinder bringen und wenn es ihr das Leben kostete. Die Lieblinge in ihren Armen, stürzte sie vorwärts durch den dunkeln Wald und wenn sie glaubte zusammenzubrechen, hauchte der Gedanke an die Häscher wieder neue Kräfte durch ihre Glieder. So erreichte sie das Ende des Waldes, da, wo Power's Feld sich an demselben hinzog, weiter konnte sie nicht, sie sank abermals nieder. Ihre Kinder umschlingend, faltete sie ihre kleinen Hände und betete, mit thränenschwerem Blick zum Himmel aufschauend, zu dem Allmächtigen, daß er ihr Kraft geben möge, das Haus des biedern Mannes zu erreichen, damit sie ihn und Franval um Hülfe anrufen könne.

Wiederholt versuchte sie, sich zu erheben, ihre Kniee brachen zusammen, ihre Füße wollten sie nicht weiter tragen. Sie weinte laut und drückte ihre Kinder fester an ihren Busen. Plötzlich hörte sie die laut lachende Stimme des alten Powers, wahrscheinlich war Franval im Begriff, sich von ihm zu entfernen. Rosiana mußte ihn noch dort treffen, die Verzweiflung trieb sie fort, sie raffte sich zusammen, ihre Füße trugen sie wieder, wieder hielt sie ihre Kleinen gegen ihren Busen gepreßt und stürzte wankend an der Einzäunung hin, bis sie nur wenige Schritte von Powers Haus entfernt war. Jetzt hörte sie Franval's Stimme, wie er den alten Leuten eine gute Nacht wünschte. »Franval, Franval!« schrie Rosiana mit der letzten Kraft ihrer Stimme und schwankte in den Lichtschein, der aus der offenen Thür des Hauses kam. Ihre Kinder, glitten aus ihren Armen an die Erde und mit dem halberstickten Ruf um Hülfe sank sie über dieselben hin. Ihr prächtiges Haar hatte sich gelöst, ihr Gewand war zerrissen und ihre Füße, von denen sie die Schuhe verloren hatte, waren von Blut gefärbt.

»Um Gottes Willen, was ist geschehen?« schrie Franval und sprang Rosiana zu Hülfe; zum Tode erschrocken, richtete er sie auf; sie wollte reden, die Stimme versagte ihr, ihr Blick aber sprach Entsetzliches aus und flehte den Freund um Beistand an. Dieser geleitete sie in die Wohnung des Pflanzers, während die beiden alten Leute in ihrer Bestürzung die weinenden Kinder ihr nachtrugen und dieselben durch Liebkosungen zu beruhigen suchten. Rosiana war in das Sopha gesunken und kämpfte lange Zeit mit der Entkräftung und den wiederkehrenden Anfällen von Ohnmacht, die Verzweiflung aber hielt ihre Seele in ihrem Körper zurück, bis sie endlich in einen Thränenstrom ausbrach und durch einzelne abgebrochene Andeutungen den Umstehenden mittheilte, was geschehen sei. Franval verstand sie nur zu wohl, Power und dessen Frau aber konnten sich nicht erklären, mit welchem Rechte man die Frau und ihre Kinder hätte verhaften wollen. Kaum hatte Rosiana ihrem Herzen Luft gemacht und erkannt, daß Franval sie verstanden hatte, als sie von Ermattung überwältigt zurück sank und in einen schlafartigen bewußtlosen Zustand verfiel. Madam Power mit der kleinen Virginia auf dem Schooße beruhigte den Knaben, der neben seiner Mutter auf dem Sopha lag und Franval winkte dem Pflanzer, mit ihm hinaus vor das Haus zu gehen.

»Sie sind Einer von Lincoln's treusten Freunden in dieser Gegend, Herr Power, und die Zeit ist gekommen, wo dessen wirkliche Freunde sich durch die That bewähren sollen,« redete Franval dort mit mahnender Stimme den Pflanzer an, indem er dessen Hand faßte. »Werfen Sie alle Vorurtheile, die Ihnen Gebrauch und Gewohnheit aufgedrungen haben, von sich und urtheilen Sie nach dem Rechte, welches Gott in Ihr biederes Herz gelegt hat. Rosiana ist Mulattin und ist vor vier Jahren als Sclavin mit Lincoln von Richmond geflohen.«

Eine berstende Granate hätte den Alten nicht mehr aus seiner nervigen eisernen Festigkeit bringen können, als die Worte Franvals, er stierte ihn mit offenem Munde und weit aufgerissenen Augen an, als ob er etwas zu Ungeheures gehört habe, als daß seine Gedanken es zu fassen im Stande gewesen wären.

»Schwarzes Blut – in Rosiana?« rief er mit gewaltsam gedämpfter Stimme, als scheue er sich das Geheimniß von seinen eigenen Lippen ausgesprochen zu hören. »Ja wohl, sie ist Mulattin, die gute, edle, liebenswürdige Frau ist Mulattin. Ist das ein solches Schreckenswort für Sie, alter Freund – ist die Frau Ihres Freundes Lincoln Ihnen darum weniger werth – die verehrte, geliebte, angebetete Frau, die nimmer eine Mühe scheute, der nie ein Opfer zu groß war, wenn es sich um einen Freundschafts-, einen Liebesdienst für Sie handelte – ist sie so schnell aus Ihrem Herzen vertrieben – ist Alles vergessen, was sie Ihnen gewesen, was sie für Sie gethan? Kommen Sie, alter ehrlicher Frontieremann, geben Sie mir Ihre Hand zum Schutz dieser schändlich und ungerecht Verfolgten, für Lincoln, für sein rechtmäßiges Weib und für seine lieben Kinder geben Sie mir Ihre Hand und nehmen Sie mir den festen Glauben nicht, den ich in Ihr braves Herz gesetzt habe.«

Diese Mahnung Franvals wirkte gewaltig auf das natürliche Rechtlichkeitsgefühl des Alten, er hob sich zu seiner vollen Größe auf, trat einen Schritt von Franval zurück und streckte ihm seine eiserne Rechte entgegen, indem er sagte: »Bei Gott, Sie haben ein wahres Wort gesprochen, Herr Franval, hier haben Sie meine Hand und mein Wort, ich werde zeigen, daß ich Lincoln's treuer Freund bin. Nun aber gleich zum Handeln, Zeit ist nicht zu verlieren. Lassen Sie uns zu ihm eilen, er wird uns schon erwarten. Nur einen Augenblick, ich will mein Messer holen. Verdammt, die Hunde sollen den alten Frontieremann in mir kennen lernen!«

Damit stürmte der Pflanzer in das Haus und kehrte nach wenigen Momenten mit einem langen Bowiemesser und einer Pistole im Gürtel zu Franval zurück, worauf Beide im Sturmschritt der Stadt zueilten. Letzterer theilte nun dem Alten den muthmaßlichen Zusammenhang des Unternehmens gegen Lincoln mit und berieth sich mit ihm über die Maßregeln, die sie dagegen ergreifen wollten.

In unglaublich kurzer Zeit langten sie in der Nähe von Lincoln's Haus an und fanden vor demselben in der Straße einige hundert Einwohner der Stadt versammelt, deren lautes Reden und Lärmen ihnen entgegenschallte. Der Pflanzer hatte den Hut vom Kopf genommen, der Schweiß stand ihm auf der Stirn und schnaubend schoß er Franval voran in die dicht gedrängte Menge und machte sich mit den Worten Platz:

»Eine unerhört schändliche Intrigue ist gegen unsern Freund Lincoln eingeleitet, um ihn zu stürzen, weil er den andern hiesigen Advocaten im Wege stand, noch hat er aber bessere und stärkere Freunde hier, als Jene, die uns die Haut vom Leibe zogen. Hurrah für Lincoln!« und Hurrah donnerte es als Antwort aus der Menge hervor.

An der Thür des Hauses angelangt, wehrte einer der Advocaten, die mit dem Sheriff zur Verhaftung Lincolns und seiner Familie erschienen waren, den Pflanzer zurück, doch dieser warf ihn mit einem Fluch in den Garten hinaus und trat, von Franval gefolgt, in das Wohnzimmer, aus dessen offener Thür ihm viele Stimmen entgegentönten. Hier saß Lincoln, an Händen und Füßen mit Ketten belastet, im Sopha und neben demselben, gleichfalls an Ketten geschlossen, stand der alte Neger Yeddo und die beiden Sclavinnen Lincolns. Doctor Hunter, dessen Kopf mit einem blutigen Tuch umwunden war, saß Lincoln gegenüber auf einem Stuhl und hielt seinen finstern boshaften Blick auf 'diesen geheftet, während der Sheriff beschäftigt war, das Secretair und die Kommoden zu durchsuchen und Anstalt gemacht wurde, dieselben zu versiegeln. Dabei war das Zimmer mit einigen zwanzig bewaffneten Männern gefüllt, welche erschienen waren, die Ausführung des Verhaftungsbefehls zu unterstützen.

Als Lincoln's Blick dem der beiden Freunde begegnete, sprang er auf und hielt ihnen seine mit Ketten belasteten Hände hin, welche Diese schweigend ergriffen und drückten, und ihm dabei mit den Augen ihren Beistand und ihre Hülfe zusicherten.

»Herr Sheriff!« wandte sich jetzt der Pflanzer mit gebietender Stimme an Diesen, »ich ersuche Sie, dies ungesetzliche Verfahren gegen einen achtbaren allgemein verehrten freien Bürger unseres Staats einzustellen. Sie haben in jeder Weise die Macht des Gesetzes überschritten. Herr Lincoln ist kein Criminalverbrecher, kein flüchtiger Mörder, den man nächtlicher Stunde fängt, wo man seiner habhaft werden kann, er ist ein hier ansässiger Mann, dem Sie nicht so ohne Weiteres noch nach Sonnenuntergang mit einer bewaffneten Bande in das Haus fallen können. Wissen Sie wohl, was das Hausrecht in diesem Lande bedeutet, und wissen Sie wohl, daß Lincoln berechtigt war, Sie sammt Ihren Helfershelfern niederzuschießen.«

»Der Verhaftungsbefehl, Herr Power, ist mir in gesetzlicher Form überliefert und der Kläger Herr Hunter hier, hat die nöthige Sicherheit geleistet, die eine solche Verhaftung bedingt,« entgegnete der Sheriff mit ruhigem Tone, indem er auf den Doctor zeigte, dem die Kugel Lincoln's nur eine Streifwunde am Kopf gerissen hatte.

»Diesem Schurken, den eine Fliege gestochen zu haben scheint, stand es frei, eine Klage gegen Herrn Lincoln anzustellen; ehe man sich aber seiner Person bemächtigte, mußte man abwarten, ob er nicht selbst Sicherheit für sich leistete. Und ich glaube kaum, daß ein Bürger in unserer Stadt lebt, der eine höhere Sicherheit zu geben im Stande wäre, als Herr Lincoln. Wer hat wohl mehr Freunde hier als er? Nochmals, stehen Sie ab von Ihrem Verfahren, oder bei Gott, Willkür gegen Willkür!«

Bei diesen Worten, die der Pflanzer so laut rief, daß man sie deutlich in der Straße vor dem Hause hören konnte, schlug er mit der Hand gegen den Griff seines Messers und warf seine herausfordernden Blicke auf die um ihn versammelten Männer.

So heftig Power auch gegen das Verfahren des Sheriffs protestirte, so ruhig und gelassen blieb dieser in seinen Antworten, berief sich auf den ihm vom Gerichte zugestellten Befehl, so wie auf seine Pflicht, demselben Folge zu leisten, und bot Alles auf, um den erzürnten Mann zur Ruhe zu sprechen.

»Sie haben sich auch einen Eingriff in mein Eigenthumsrecht erlaubt, Herr Sheriff,« nahm jetzt Franval das Wort, indem er nahe vor diesen trat. »Jene Neger, die Sie sich unterstanden haben, an Ketten zu schließen, sind mein freies unabhängiges Eigenthum, die Möbeln, die sie jetzt versiegeln lassen, sind es gleichfalls und die Wohnung, in die Sie nach Sonnenuntergang eingedrungen sind, ist meine Besitzung. Ich ersuche Sie, meinen Grund und Boden sofort zu verlassen, wenn ich nicht von meinem Hausrechte Gebrauch machen soll. Hier ist mein Kaufbrief, lesen Sie!«

Ueberrascht und bestürzt trat der Advocat Frazier an die Seite des Sheriffs, auch Doctor Hunter stand schnell auf und ging zu diesen hin und alle Dreie überzeugten sich von der Richtigkeit des abgeschlossenen Verkaufs.

»So werden wir wenigstens die Papiere des Herrn Lincoln und ihn selbst mit uns nehmen.« entgegnete der Sheriff und setzte, seinen Blick von Franval zu Power, lenkend noch hinzu: »Oder wollen die Herren vielleicht, wie es das Gesetz vorschreibt, die doppelte Sicherheit leisten?«

»Mit Allem, was ich in der Welt besitze!« rief der Pflanzer, indem er seine Hand, wie zum Schutz, nach Lincoln ausstreckte; doch dieser fiel ihm in die Rede und sagte:

»Ich nehme weder von Herrn Power noch von Herrn Franval eine Sicherheit an und mache meine Gegner für das mir zugefügte Unrecht verantwortlich. Ich bin bereit, Ihnen zu folgen, Herr Sheriff.«

Dabei gab er seinem Freunde ein Zeichen, seinem ausgesprochenen Willen Folge zu leisten und winkte Franval mit einem Blicke zu sich heran. Hunter und der Advocat Frazier zogen den Sheriff zur Seite und redeten eifrig zu ihm, welchen Augenblick Franval benutzte zu Lincoln zu treten.

»Ist Rosiana mit den Kindern bei Power im Hause?« fragte dieser Franval mit leiser bebender Stimme. »Dann laßt mich allein und eilt zu ihr zurück. Bringt sie fort, ehe man sich ihrer bemächtigt, nimm sie mit Dir und sorge nicht für mich. Wird man ihrer habhaft, was Gott verhüte, so soll sie läugnen, damit wir Zeit gewinnen. Virginien ist weit von hier und der Beweis, daß sie die bezeichnete Mulattin sei, ist schwer zu führen. Jedenfalls lasse den Advocaten Lane aus R…… ersuchen, meine Vertheidigung zu übernehmen. Und nun Franval, eile zu Rosiana, ehe es zu spät wird.«

Lincoln preßte bei diesen Worten Franval's Hand krampfhaft in der seinigen, und dieser wandte sich dann rasch zu dem Sheriff und sagte:

»Herr Sheriff, nehmen sie gefälligst sogleich meinen Negern die Ketten ab, ich habe nun lange genug darauf gewartet.«

Hunter wollte den Sheriff noch davon zurückhalten, doch dieser gab ihm zu verstehen, daß er der Aufforderung Folge leisten müsse und befreite die Sclaven von den Fesseln. Franval wies nun dieselben an, seine Rückkehr hier im Hause abzuwarten und eilte, Lincoln noch einen Trostblick zuwerfend, mit Power aus dem Hause, während der Doctor und der Advocat Frazier ihnen mit einem boshaften Lächeln nachschauten, denn vor wenigen Minuten war ihnen schon die Kunde überbracht, daß Rosiana mit ihren Kindern durch einen Bevollmächtigten des Sheriffs verhaftet und in das Gefängniß abgeführt worden sei. Schon vor dem Eintreten in die Wohnung Powers erfuhr dieser und Franval das Schicksal der unglücklichen Mulattin, denn Madame Power kam ihnen weinend und händeringend entgegen und theilte ihnen mit, daß ein Bevollmächtigter des Sheriffs mit einem Dutzend Männer im Hause erschienen wäre und Rosiana mit ihren beiden Kindern hinweggeschleppt hätte. Power tobte und wüthete, wie ein angeschossener Eber, und schwur, daß er blutige Rache für das Eindringen in seine Wohnung nehmen wolle, doch Franval suchte ihn zu beruhigen und mit ihm zu überlegen, was sie zunächst im Interesse ihres Freundes thun müßten. Sie kamen bald darin überein, daß das Dringendste jetzt die Herbeischaffung des Advocaten Lane sei und Franval bedachte sich nicht lange, überließ es Power, sein Mögliches hier am Orte für Lincoln zu thun, sattelte seinen Hengst und sprengte auf dem Wege nach dem dreißig Meilen entfernten Städtchen R…… davon, um den Advocaten selbst zu holen. Rosiana saß während dieser Zeit in einem elenden Blockhaus auf einem Strohlager über ihren Kindern zusammengekauert, die beide weinend eingeschlummert waren und immer noch von Zeit zu Zeit laut aufschluchzten. Es war rabenfinster in dem engen Raum und das halb vermoderte Gebälk des Hauses hatte die Luft in demselben verdorben. Rosiana konnte ihre Kinder nicht sehen, sie hielt sie aber mit ihren Händen fest, als fürchte sie, daß man sie ihr in der Dunkelheit nehmen könne. Sie weinte nicht, sie klagte nicht, sie dachte nicht, nur ein riesiges fürchterliches Bild ihres Unglücks stand vor ihrer Seele, zu groß, zu unermeßlich, als daß ihre Sinne es hätten fassen können; es drückte ihren Geist zu Boden und, wie der Schiffbrüchige unter der Wucht der über ihn hinrollenden Wogen sich an ein Stück Mast klammert, so hielt sie sich bebend an dem letzten, was ihr geblieben, an ihren Kindern fest. Verworren und wild durchschwirrte die Erinnerung an die letzt verflossenen Stunden ihr Gehirn, sie sah den furchtbaren Mann, das Schreckbild ihrer Jugend, den Doctor Hunter, mit den Gerichtspersonen in das Zimmer treten, sie hörte den Pistolenschuß hinter sich krachen, sie hörte ihre, aus dem süßen Schlaf aufgeschreckten Kinder weinen, sie fühlte die Angst, die Noth während ihrer Flucht, und zwischen allen diesen Bildern sah sie ihren trostlosen unglücklichen Gatten der tiefsten Verzweiflung preisgegeben. Oft schauderte sie zusammen, ihre Glieder zitterten heftig und sie schmiegte sich fester an ihre Kinder an.

Plötzlich hörte sie Stimmen, Fußtritte nahten sich dem Hause, Lichtstrahlen brachen durch die Fugen zwischen den Balken herein und mit Angst und Beben schlang sie beide Arme um ihre Kleinen und hielt sie an ihrer Brust fest. Das Schloß knarrte, Rosiana stierte mit Entsetzen nach der Thür hin, dieselbe öffnete sich und bei dem Lichte einer Laterne trat der alte Power und dessen Frau herein. Mit einem Hoffnungsschrei hob Rosiana sich über ihren Kindern auf und breitete ihre Arme stehend nach den Eintretenden aus.

Die alte Frau schloß die unglückliche Mutter in ihre Arme und weinte laut, sie wollte ihr Trost einsprechen, die Stimme aber versagte ihr, in Ermangelung der Worte aber klopfte sie Rosiana zärtlich auf die Schulter und strich ihr schmeichelnd über das gelöste weiche Lockenhaar. Auch der eisenfeste Power war tief ergriffen, auch ihm waren die Augen feucht geworden, und indem er Rosiana's Hand in die seinige nahm und sie leise und bebend schüttelte, sagte er mit bewegter Stimme:

»Hat Nichts zu sagen – soll schon alles gut gehen – nur ein wenig Geduld – lassen Sie mich nur sorgen – der alte Power hat großen Einfluß auf die Leute hier – und geht es nicht in Gutem, so soll es mit Gewalt gehen – nur Muth, Rosiana, verlassen Sie sich auf mich!«

Rosiana drückte ihre Lippen auf die sehnige Rechte des biedern Mannes, die Freundschaft und Theilnahme der beiden alten Leute berührte wie die Hand eines tröstenden Engels ihr schmerzhaft zusammengepreßtes Herz, ihre Brust hob sich freier, ihre Augen füllten sich mit Thränen und schluchzend stammelte sie Worte des Dankes hervor.

»Wo ist Edward – war er es, der den Schuß abfeuerte?« fragte sie dann und faltete ängstlich ihre Hände.

»Er war's; schade, daß er den Schurken nicht besser getroffen hat, die Kugel streifte nur dessen Kopf. Lincoln befand sich noch in seinem Hause, als ich ihn verließ, Franval ist nach R…… geritten, um den Advocaten Lane herbeizuholen und ich wollte Ihnen nur einige Bequemlichkeit bringen, ehe ich zu Lincoln zurückkehre,« entgegnete der Pflanzer und rief dann seine vor dem Blockhause wartenden Neger herein. Diese trugen nun einen Ballen mit Bettzeug in das Haus, stellten eine Kanne mit Milch und einen Korb mit Brod und Früchten auf den Fußboden und zündeten die mitgebrachte Lampe an. Das Bett war schnell nach der Anweisung der Madame Power hergerichtet und die beiden Kinder auf demselben niedergelegt.

Alle ihnen zu Gebote stehenden herzlichen Worte, alle Zeichen der Liebe und Freundschaft boten die Alten nun auf, um der tiefgebeugten unglücklichen Mulattin Trost und Hoffnung einzureden und erst, als dieselbe gefaßter und ruhiger schien, sagte die Pflanzerfrau zu ihr:

»Bis Morgen, gute Rosiana, Morgen bringe ich Ihnen Alles, was Sie bedürfen und hoffentlich wird Ihr Aufenthalt hier nur von kurzer Dauer sein. Franval bringt sicher den Advocaten Lane mit sich,« und abermals umarmte und küßte sie die Gefangene.

»Auch ich komme Morgen in der Frühe zurück,« fiel der Pflanzer ein, indem er Rosiana die Hand reichte. »Jetzt will ich zu Lincoln gehen und sehen, ob ich Etwas für ihn thun kann.«

»Ach eilen Sie, Sie bester, bravster Freund, Gott wird es Ihnen lohnen und wir werden es Ihnen noch mit unserm letzten Athemzug danken. Eilen Sie zu Lincoln, trösten Sie ihn und sagen Sie ihm, daß ich unser unverschuldetes Unglück seiner würdig tragen wolle.«

Die beiden liebevollen Alten verließen nun Rosiana, nachdem sie ihr nochmals Muth und Hoffnung eingesprochen hatten und der Gerichtsdiener, der vor dem Hause in der Dunkelheit ihrer Rückkehr wartete, verschloß wieder die eisenbeschlagene Thür des Gefängnisses.

Power hatte die Laterne in die Hand genommen und ließ ihr Licht an der Seite des Blockhauses hinstreifen, wo es auf eine Mannesgestalt fiel, die dort mit einer Muskete im Arm an die Wand gelehnt stand. Der Pflanzer, als sein Blick auf diesen Wächter traf, murmelte halblaut einige Verwünschungen vor sich hin, wandte sich dann rasch von ihm ab und schritt nun, seiner Frau leuchtend, auf dem Pfad voran, der nach der nächsten Straße führte; denn das Gefängniß lag auf einem wüsten weiten Platz an der Außenseite der Stadt. Als er die letzten Häuser derselben erreicht hatte, gab er die Laterne einem seiner Neger und bat seine Frau, sich von den beiden Sclaven nach Hause geleiten zu lassen, da er jetzt nothwendig sich von dem Schicksal Lincolns überzeugen müsse.

»Gehe mit Gott,« sagte die alte Frau, »schon oft habe ich ja diesen Weg zu nächtlicher Stunde allein gemacht. Tröste Lincoln und sage ihm, daß ich für Rosiana treulich sorgen würde.«

Mit verdoppelten Schritten eilte Power nach Lincoln's Hause, wo er nur noch die Sclaven vorfand. Der alte Yeddo saß in der Dunkelheit vor der Thür und theilte ihm mit, daß der Sheriff seinen Herrn vor einer Stunde fortgeführt habe, und zwar in das Gerichtsgebäude, wo derselbe in einem Zimmer des obern Stocks eingeschlossen und ihm eine Wache beigegeben worden sei. Der Neger sagte, er selbst sei ihm nach jenem Hause gefolgt und habe in dessen Nähe gewartet, bis sich der Sheriff mit den andern Herren wieder von dort entfernt hätte.

Power sah ein, daß es ein unnöthiger Versuch sein würde, Lincoln noch in dieser Nacht sprechen zu wollen, er empfahl dem Neger die Sorge für das Haus an und ging dann schweren Herzens nach seiner eigenen Wohnung zurück.


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