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XVII.

Die Fliehenden hatten ihre Pferde während der ganzen Nacht zu möglichster Eile angetrieben, welche durch die Dunkelheit der ersten Stunden allerdings sehr gemäßigt wurde; als aber der Mond aufgestiegen und die Straße in dessen hellem Lichte deutlich zu erkennen gewesen war, hatten sie die Thiere in einen flüchtigen Trab gesetzt und sie beinah fortwährend darin gehalten, bis das Morgenroth den Himmelsrand im Osten färbte. Sie hatten einen bedeutenden Vorsprung gewonnen, auch selbst wenn man ihnen früh am Morgen nacheilen sollte und ließen die Pferde jetzt im Schritt die Reise fortsetzen; denn dieselben waren im hohen Grade erschöpft. Es wurde ihnen nur Zeit gegeben, in den Bächen, die sie überschritten, ihren Durst zu löschen, dann aber mußten sie wieder vorwärts schreiten, wozu man sich bald genöthigt sah, sie durch Sporn und Peitsche anzutreiben. Die Sonne wurde immer drückender, und mit Verlangen schauten die Reisenden nach jedem vor ihnen sichtbar werdenden Gehölz, in der Hoffnung, dort im Schatten der Bäume frischere Luft zu athmen. Der größere Theil des Weges aber war den Sonnenstrahlen ausgesetzt, und es würde Rosiana und den Kindern wohl kaum möglich gewesen sein, deren Gluth zu ertragen, hätte nicht die liebevolle Sorgfalt der Madame Power auch hieran gedacht und Lincoln, so wie dessen Gattin und Franval mit großen baumwollenen Regenschirmen versorgt. Erst gegen Mittag erreichten sie einen größeren zusammenhängenden Waldstrich und hielten in dessen schattigem Dunkel ihre ermüdeten Pferde an einem krystallklaren Bache an, um ihnen Zeit zum Verschnaufen zu geben. Regungslos standen die Thiere in der kühlen Fluth und ließen ihre staubbedeckten Nüstern von deren Wellen umspülen, während der Schweiß von ihrem Körper rieselte. Bald aber gab Franval wieder das Zeichen zum Aufbruch und lenkte nun, von seinen Gefährten gefolgt, seinen Hengst in dem Bache hinauf, so daß die Huftritte der Thiere durch das Wasser jedem Auge entzogen wurden. Es war nicht ohne Schwierigkeit, dieser Wasserstraße zu folgen, denn bald erschwerte großes, von den Wellen überschwemmtes Gestein das Vorwärtsschreiten der Pferde, bald waren es riesige, von den himmelhohen Bäumen herabhangende Ranken, die den Reitern den Weg versperrten, bald hingen die Gesträuche und kolossalen Wasserpflanzen von dem eingeengten Ufer über die klare Fluth und hemmten den Durchgang. Rouser aber und Franval ritten voran und bahnten mit ihren scharfen schweren Jagdmessern den Weg. Wohl eine halbe Stunde lang waren sie, ohne die Ufer zu berühren, dem Bache seitwärts von der Straße in den Wald hinein gefolgt, als sie einen Platz erreichten, wo der Strand mit schwerem Kies bedeckt war. Jetzt führte Franval seine Gefährten aus dem Wasser und über das Steingeröll in eine dunkele Cederndickung und wieder aus derselben hervor auf eine Blöße im Holz, die mit üppigem hohen Grase bedeckt war. Hier endlich wurde den ermatteten Thieren ihre Bürde abgenommen und sie wurden, an langen Stricken befestigt, in das Gras gebunden, um sich zu neuen Anstrengungen für den Abend zu stärken.

Auch die Reisenden gaben sich nun im schwellenden Grase der Ruhe hin, für Rosiana und die Kinder breitete man wollene Decken aus und bald flackerte ein kleines Feuer lustig auf, bei welchem Kaffee bereitet und geräucherter magerer Speck gebraten wurde. Sie waren so weit von der Straße entfernt, daß sie keinen Ton der auf derselben hin- und herziehenden Reisenden hören konnten und wurden dadurch von der Gefahr befreit, daß das etwaige Wiehern eines der Pferde die Aufmerksamkeit von der Straße her auf sie ziehen könne. Nach eingenommenem einfachen Mahl versanken sie sämmtlich in einen erquickenden Schlaf, der namentlich Lincoln und Rosiana wohlthuend umfing; es war ja der erste Schlummer seit ihrer Befreiung, und statt des vermoderten Gebälks und verwitterten Schindeldachs des Gefängnisses umgab sie das frische saftige Grün des Waldes, überwölbte sie der heitere blaue Himmel. Nur Rouser hatte sich fortbegeben und zwar zu der Straße zurück, wo er sich in deren Nähe, in dichten Büschen verborgen, lagerte und aufmerksam beobachtete, wer auf der Straße vorüberzog. Die Sonne war im Versinken und das feurige Roth des Abendhimmels glühte und blitzte durch den dichten Wald, als Rouser zurück zu dem Lager kam und die Ruhenden aus ihrem sanften Schlafe weckte. Schnell ward aufgebrochen, die Pferde waren bald gesattelt und bestiegen, sie wurden zu der Straße zurückgelenkt und nun ging's wieder im Trabe auf derselben hin, bis die Dunkelheit der Eile abermals Fesseln anlegte. Wieder wurde die ganze Nacht zu Pferde hingebracht, so wie auch noch ein Theil des folgenden Morgens, um die zurückgelegte Entfernung möglichst noch zu vergrößern, und wieder ruheten sich die Reisenden und ihre Thiere bis zum einbrechenden Abend in einem kühlen schattigen Versteck des Waldes. So zogen sie dahin während sieben Nächten und mit jeder Tagesrast minderte sich die Sorge, durch Verfolger überrascht zu werden. Die Straße wurde mit jedem Tage einsamer, die Niederlassungen an derselben seltener und zuletzt ritten die Reisenden oft stundenlang, ohne ein anderes Zeichen der Cultur zu erblicken, als den roh angelegten Weg, der nur eine Verbindung zwischen den einzeln liegenden Ansiedelungen zu sein schien.

Franval erschien nun mit dem Land und mit dessen wenigen Bewohnern immer bekannter; wenn er mit seinen Gefährten bei einem der einsamen Blockhäuser anhielt, um einen frischen Trunk sich zu erbitten, bewillkommnete man ihn mit herzlicher Freundlichkeit, nannte ihn bei Namen und fragte ihn dringend, ob man mit diesem oder jenem dienen könne. Am sinkenden Abend erreichten die Reisenden bei einbrechender Nacht eine ziemlich bedeutende Ansiedelung, von deren Bewohnern Franval mit großer Freude und Herzlichkeit begrüßt wurde, und hier beschloß er, mit seinen Gefährten die Nacht in Ruhe hinzubringen, da er nun keine Verfolgung von der Stadt B…… her mehr befürchtete. Auch erklärte er Rouser, daß dessen Geleit nun nicht mehr nöthig sei und derselbe am folgenden Morgen seinen Rückweg wieder antreten könne. Diese Ansiedelung lag nur noch drei leichte Tagereisen von Franval's Niederlassung entfernt und wurde zu der äußersten Grenze an dem Indianergebiet gezählt, obgleich noch etwa zehn Meilen weiter ein verwegener Pionier wohnte, der aber nur von der Jagd lebte und kein Land, außer einem kleinen Gemüsegarten, bebaute.

Die Bewohner der Ansiedelung waren mit Franval schon seit Jahren sehr befreundet und boten Alles auf, um ihn und seine Gefährten mit der größten Gastfreundschaft zu bewirthen. Die Nacht verstrich in sorgenloser Ruhe, und ehe Franval am andern Morgen zum Weiterreisen aufforderte, schrieb er an den treuen alten Power und benachrichtigte ihn von ihrer glücklichen Ankunft an der äußersten Frontiere. Er bevollmächtigte ihn, dem Ueberbringer des Briefes, Rouser, die von Lincoln's Baarschaft zurückgelassenen viertausend Dollar auszuzahlen und dankte ihm nochmals für alle erwiesene Freundschaft. Auch Lincoln und Rosiana fügten dem Briefe noch Worte ewiger Dankbarkeit und Liebe bei und dann wurde das Schreiben geschlossen und Rouser gegeben, der nun seine Rückreise antrat.

Auch Franval und seine Begleiter waren bald darauf wieder zu Roß, nahmen herzlichen Abschied von ihren freundlichen Wirthen und zogen nun, wie die Schiffer in das offene Meer, in die weite vor ihnen liegende Wildniß. Wenn Franval nun auch schon seit Jahren mit den Gefahren derselben vertraut war und sie für seine Person wenig mehr achtete, so stiegen jetzt doch im Hinblick auf seine Freunde, namentlich auf Rosiana und ihre Kinder, ernstliche Besorgnisse in seiner Seele auf. Nur erst mit wenigen Stämmen der Indianer, die diese Länder bewohnten und durchzogen, hatte er Frieden und Freundschaft eingegangen, mit den übrigen bei Weitem zahlreichern stand er noch immer auf dem feindlichsten Fuß und wußte, daß sie ihn verfolgen und angreifen würden, wenn sie der Zufall auf die Spur der mit Hufeisen beschlagenen Pferde führen sollte. Er untersuchte darum nochmals die Waffen Yeddo's, ließ denselben in einiger Entfernung hinter Lincoln und Rosiana zurückbleiben und ritt selbst diesen Etwas voraus, um eine nahende Gefahr zeitig gewahren zu können. Der Fahrweg hatte aufgehört und ein, nur von Pferden betretener unscheinbarer Pfad wand sich vor den Reisenden, bald durch hohe Baumgruppen, bald durch sonnversengte Grasflächen, bald über steinige Höhen, bald in sumpfigen Niederungen hin. Im raschen Trabe ging es vorwärts, bis nach einigen Stunden Franval sein Pferd anhielt, seine Freunde erwartete, und ihnen dann in nicht großer Ferne das Dach eines Blockhauses zeigte, welches über einer Pallisadeneinzäunung hervorsah und von uralten Eichen überschattet wurde. Es war dies das Haus jenes Pioniers, der hier von der Jagd lebte und der nun schon seit einigen Jahren der List und der Gewalt der Indianer Trotz geboten hatte. Bald war die Niederlassung erreicht, Franval ritt an die Pallisaden vor, um sich nach dem Jäger zu erkundigen, erhielt aber von dessen Frau die Mittheilung, daß ihr Mann auf die Jagd geritten sei. Von hier aus war nun jedes Zeichen von Cultur verschwunden, selbst die wenigen Huftritte von Pferden, die man auf dem jetzt eingeschlagenen Büffelpfade gewahrte, entbehrten des Abdrucks eines Hufeisens. Entschlossen aber, die Gefahren und Mühseligkeiten der Reise durch die Wildniß zu überwinden, zogen die Wanderer guten Muthes vorwärts und Rosiana bot Alles auf, durch Heiterkeit und Nichtachtung der Beschwerden den Ernst und die Besorgnisse von den Mienen der Männer zu verscheuchen.

Die Länder nahmen bald einen anderen Charakter an: unabsehbare frischgrüne Grasflächen breiteten sich vor den Blicken der Reisenden aus, in denen hier und dort, wie Inseln in einem Meere, hohe Baumgruppen aufstiegen; die einzelnen, von Waldstrichen bekleideten Flüsse wurden reißender und klarer und am dritten Tage stiegen in Nordwesten mächtige Gebirgszüge am duftig blauen Horizont auf.

Mit Jubel wurde jetzt schon die Heimath Franval's begrüßt, die am Flusse jener Gebirge lag und noch an demselben Abend zogen die müden Wanderer in Franval's Niederlassung ein. Die aus Holz gezimmerten Häuser, welche auf einem vierzig Fuß hohen schroffen Abhang über einem wildschäumenden Flusse standen, waren in einem weiten Viereck auf den drei Landseiten mit einer vierzehn Fuß hohen, aus aufrechtstehenden Baumstämmen errichteten Wand umgeben, durch welche ein Thor in das Innere führte. Zwei mit Schießscharten versehene Vorbaue standen an den beiden vorderen Ecken und außerhalb dieser hölzernen Festung zog sich in weitem Umkreis eine zweite hohe Einzäunung um dieselbe und lehnte sich mit ihren beiden Enden gleichfalls an das hohe Ufer des Flusses.

Es war schon sehr düster, als Franval mit seinen Freunden sich seinem Wohnorte näherte, man hatte ihn aber bald vom Fort aus erkannt, denn es erschienen drei Männer vor dessen Thor, die ihm mit Tüchern Willkommen zuwinkten, und ein kolossaler Hund kam ihm heulend und bellend entgegengejagt und sprang im Uebermaß seiner Freude an ihm bis auf den Sattel in die Höhe.

Die drei Männer am Thor, die drei Gefährten, welche Franval hierher in die Wildniß begleitet und nun schon seit Jahren abgeschieden von aller Welt mit ihm hier gelebt hatten, begrüßten ihn und seine Begleiter auf's Freundlichste, denn Diese waren die ersten Gäste dieser Art, die jemals in die Niederlassung eingezogen waren.

Franval führte nun seine Freunde in das gemeinschaftliche Haus, welches einen geräumigen Saal und daneben die Küche enthielt, in welchem Ersteren die Colonisten ihre Mahlzeit zu halten und die Abende zusammen zuzubringen pflegten. Rosiana freute sich sehr, als sie die höchst einfache aber nette Einrichtung des Speisezimmers gewahrte, welches einer der Colonisten, ein Schreiner, mit dem Zweck entsprechenden Möbeln versehen hatte, aber namentlich wurde sie durch den Anblick der Küche überrascht, in der ein großer eiserner Sparherd stand, ein Gegenstand, der selbst in kleinen Städten des Westens zu den Seltenheiten gehört.

Sie musterte das Kochgeschirr, die Milchschüsseln und das Butterfaß und konnte es sich gar nicht begreiflich machen, daß vier Männer jahrelang so allein hier hatten leben und Alles so nett in Ordnung halten können.

Nun führte Franval aber seine Freunde in sein Privathaus und dort erreichte die Verwunderung Rofiana's erst ihren Höhepunkt. Das Haus enthielt nur e i n großes Zimmer. Die Wände und die Decke desselben waren mit dunkelbraunen gelockten Büffelhäuten, wie mit einer Tapete überzogen und auf Ersteren prangten neben einem großen Spiegel mehrere kostbare Oelgemälde und Kupferstiche, unter der Decke hing eine schöne Ampel, die ihr mildes Licht durch das Zimmer verbreitete, ein Bett mit hohen polirten Ecksäulen, von denen ein feines Mosquitonetz bis auf den Fußboden herabhing, stand in der einen Ecke des Zimmers, über dasselbe war eine prächtige Tigerhaut ausgebreitet und vor ihm lag die Haut eines schwarzen Panthers. Statt des Teppichs war der Fußboden sauber mit Hirschhäuten benagelt und über dem Sopha war eine riesige schwarze Bärenhaut ausgebreitet. Alle Möbeln im Zimmer waren gleichfalls Fabrikat des Schreiners und glänzend polirt; auf dem Tisch und auf der Kommode stand schönes Kaffee- und Theegeschirr, so wie ein Paar große Vasen, um Blumen aufzunehmen. Ein Bücherschrank und ein Gewehrschrank vollendeten die Ausstattung des Zimmers und die Guitarre, die auf dem Sopha lag, verdrängte den letzten Gedanken an die Wildniß, in der man sich befand.

Rosiana war außer sich vor Freude und Ueberraschung, sie richtete ihre großen glänzenden Augen bald hier bald dort hin und fiel zuletzt ihrem Gatten mit den Worten an die Brust:

»Sieh Edward, wo in der weiten Welt könnten wir wohl glücklicher sein, als hier in der Wildniß, fern von dem Wühlen und Treiben der Menschen? Laß auch uns hier unsere Hütte aufschlagen!«

Franval sah sie schweigend an, doch in seinem Blick konnte man lesen, daß er nicht mit Rosiana's so rasch gefaßtem Entschluß übereinstimme, Lincoln aber schlang seinen Arm um die glückliche Frau und sagte lächelnd:

»Wir wollen es erst einmal versuchen, wie es Dir auf die Dauer hier gefällt; unser Freund hat uns ja eine Heimat hier zugesagt.«

Franval erklärte seinen Freunden nun, daß er dieses Zimmer zu ihrer Wohnung bestimmt habe und für sich selbst eine solche in einem ohnedem leer stehenden Blockhause einrichten wolle. Lincoln und Rosiana protestirten zwar eifrig hiergegen, es blieb aber bei der Anordnung und sie mußten dies Haus beziehen.

Einige Wochen verstrichen in den Freuden, welche die Neuheit der Verhältnisse für Lincoln und Rosiana schufen; die Reize, die Pracht der Landschaft, so weit das Auge reichte, von dem flachen Horizont der endlosen Prairie im Osten bis zu den eisgekrönten, im Purpurduft verschwimmenden Gebirgen im fernen Westen verfehlten nicht, ihren begeisternden Eindruck auf das, für alles Schöne und Erhabene empfängliche Gemüth der Mulattin zu machen; dazu der colossale Urwald an der anderen Seite des Flusses mit seinen Riesenbäumen und dem schwebenden Rankengeflecht, das sich mit bunter Blumenflur von Gipfel zu Gipfel schwang; der Fluß selbst und dessen Brausen und Zischen, mit dem er über mächtige Felsblöcke hinstürzte, das wogende saftige Mosquitogras der wellenförmigen Prairien, aus dem Jahr aus Jahr ein die wundervollsten buntesten Blumen emporsprossen, die Schaaren von Hirschen und Antilopen und zahllose Heerden von Büffeln, die fortwährend auf diesen Flachen weideten, die melodischen Klänge der Metallglocken, welche die Viehheerden Franval's Morgens beim Abziehen und Abends beim Heimkehren ertönen ließen, Alles war für Rosiana neu und entzückend und ihre Bitten wiederholten sich täglich mehr gegen Lincoln, er möge sich hier, so wie Franval es gethan, eine bleibende Heimath gründen. Lincoln wich einer Antwort darauf immer aus, ohne Rosiana den Grund anzugeben, weshalb er nicht darauf eingehen könne, sie war so glücklich, so innig zufrieden und er wollte ihr dieses Glück nicht stören, er wollte ihr nicht sagen, daß dies Land im Laufe nicht vieler Jahre gleichfalls bevölkert werden, daß es dann einen Staat bilden und dieser Staat ein Sclavenstaat sein würde, in dem die dunkle Hautfarbe eines Menschen ihn aller Menschenrechte verlustig machte.

Eines Abends saßen die beiden Freunde mit Rosiana nach dem Abendessen noch spät vor dem Fort und erquickten sich an dem duftigen, kühlen, leichten Wind, der über die blüthenreiche Prairie zog und die Gluth verscheuchte, womit die Luft sich während des heißen Tages gefüllt hatte. Die Nacht war still, die Sterne funkelten und blitzten am heitern Himmel und über der weiten dunkeln Grasflur schwebten, wie zuckende Feuerströme, die Wolken leuchtender Insecten. Es war eine jener himmlisch schönen südlichen Nächte, in denen das Menschenherz sich weit öffnet und die Pracht, die Herrlichkeit der Schöpfung empfindet; in denen die Seele des Menschen sich zu den fernen blinkenden Welten emporschwingt und durch den endlosen Raum schweifend, die Größe des Schöpfers ahnet. Rosiana sah bald zu dem Sternenhimmel auf, bald ließ sie ihren Blick über das weite unbegrenzte wogende Grasmeer gleiten, sie fühlte sich so leicht, so ungefesselt, noch nie hatte das Gefühl der Freiheit so lebendig ihre Seele gefüllt, es war ihr, als sähe sie die Geister derselben mit den frischen kühlenden Lüften über diese unabsehbaren offenen Länder ziehn, als könne sie selbst ungehindert mit ihnen dahin schweben. Hochathmend und mit voll schlagendem Herzen saß sie schweigend da und auch ihrem Gatten und ihrem Freunde hatte das Erhabene des Augenblicks die Worte genommen, als plötzlich vor der äußeren Einzäunung mehrere Hunde Franval's grimmig anschlugen und gleich darauf ein durch Mark und Bein dringender Hülferuf erschallte. Es war offenbar der Angriff der Hunde, den dies Nothgeschrei veranlaßte und Franval und Lincoln rannten, so schnell sie ihre Füße zu tragen vermochten, nach dem Kampfplatze hin. Unmittelbar vor der äußeren Einzäunung gelangten sie zu den drei Hunden, die einen Menschen unter sich liegen hatten und ihn wie rasend hin und her zerrten. Franval und Lincoln rissen die wüthenden Thiere von dem fremden Manne hinweg und erkannten in ihm zu ihrem größten Erstaunen einen Neger, der kaum noch so viel Kraft hatte, sie um Erbarmen anzuflehen. Er wurde schnell in das Fort geleitet, dort in den Speisesaal geführt und niedergesetzt, es wurde ihm Erfrischung gereicht und die ihm durch die Hunde beigebrachten Wunden untersucht und verbunden. Nach und nach erholte sich der Mann und gestand nun, daß er einem Ansiedler an der Frontier entlaufen sei, weil man ihn nach und nach habe zu Tode peitschen wollen. Zwei Tage hinter einander, sagte er, habe er die Schläge ausgehalten, in der darauf folgenden Nacht aber sei er entsprungen. Darauf deutete er auf seinen Rücken, und als Franval denselben entblößte, zeigte sich dort zum Entsetzen der Umstehenden nur rohes Fleisch. Franval wandte sogleich Mittel an, um die Schmerzen des Unglücklichen zu lindern und ließ ihm dann ein Lager bereiten.

Lincoln und Rosiana hatten tief erschüttert, aber schweigend zugesehen, und als sie mit Franval in den Hof hinausschritten, fragte Rosiana diesen, wo denn der Herr des Negers wohne?

»Er ist einer meiner nächsten Nachbarn,« antwortete Franval und setzte noch hinzu. »Dies Territorium gehört zu den Sclavenstaaten.«

Rosiana schwieg, sie bat aber ihren Gatten nicht wieder, sich hier eine bleibende Stätte zu gründen. Der Neger wurde bald wieder hergestellt. Er war mehrere Wochen in der Wildniß umhergeirrt, hatte von Wild und von Früchten gelebt und Abends spät den Lichtschein in dem offenen Thor des Forts erkannt, der ihn hierher geleitet hatte. Seine Büchse war ihm während des Kampfes mit den Hunden entfallen. Elick war sein Name, er war ein gutmüthiger ehrlicher Bursche und ein tüchtiger Jäger. Franval fühlte sich gesetzlich nicht verbunden, dem Herrn des entlaufenen Sclaven denselben zurückzubringen, ebensowenig konnte er angehalten sein, den Neger von sich zu weisen, indem derselbe aller Wahrscheinlichkeit nach den Indianern in die Hände fallen mußte, und so blieb Elick denn im Fort und that willig das Seinige, um durch Dienste daselbst seinen Unterhalt zu verdienen.

Obgleich Lincoln sich an den Geschäften der Kolonisten betheiligte und Rosiana sich des Hauswesens zu ihrer Unterhaltung annahm, so wurden sie Beide doch bald inne, daß dies Leben ihnen auf die Dauer nicht zusagen würde, namentlich im Hinblick auf ihre Kinder, deren Ausbildung hier nur auf den Unterricht beschränkt war, den ihnen die Eltern gewähren konnten. Lincoln sah auch ein, daß all seine früheren Anstrengungen und Studien, all sein gesammeltes Wissen hier ohne Nutzen für ihn und die Seinigen war und er sehnte sich bald wieder nach einer Thätigkeit, die seinen Fähigkeiten entsprach. Er beschloß nach einem der nördlichsten Staaten überzusiedeln, wo die Sclaverei aufgehoben war und wählte endlich Boston zu seiner künftigen Heimath. Franval, so leid es ihm auch that, die Gesellschaft seiner lieben Freunde schon so bald wieder entbehren zu müssen, konnte doch nicht anders, als in diesen gefaßten Beschluß Lincolns einzustimmen und es wurden die Vorbereitungen zu dessen Abreise getroffen.

Die heißeste Jahreszeit war vorüber, und der Herbst mit seinen erfrischenden kühlen Nachten war eingetreten, als Lincoln mit den Seinigen dem Fort und den drei Colonisten Lebewohl sagte und von Franval, Yeddo und Elick begleitet, seine Reise durch die Wildniß nach den nächsten Niederlassungen im Osten antrat, um von dort bald die bequemere Beförderungsweise der Civilisation auf seinem Wege nach Boston zu benutzen.

Ein Jahr später fand Franval nach einem mehrtägigen Jagdausflug bei seiner Rückkehr in das Fort unter andern angekommenen Papieren und Zeitungen eine solche aus Boston, in der er folgenden Artikel las:

»Der aus Louisiana entsprungene und hierher geflüchtete Mulattensclave Anthony, dessen Auslieferung von jenem Staate verlangt wurde und an dessen Proceß man in allen Theilen der Union so viel Interesse genommen hat, ist von dem Obergerichtstribunal dahier freigesprochen worden. Wir verdanken diese Genugthuung den Bemühungen des hier allgemein geachteten hochbegabten Advocaten Edward Lincoln, der sich mit seiner liebenswürdigen Familie seit einem Jahre unter uns niedergelassen hat.«


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