Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Nach Westen!

Am Abend eines glühenden Julitages saß Norwood unter der Säulenhalle des St. Charles Hotel in New Orleans mit einem alten Bekannten seiner wilden Jugendzeit in Columbus. Man hatte ihn in der Zwischenzeit mit dem Titel General geehrt. Kapitän Blout war Eigentümer eines alten Dampfschiffs, des »Star of the West«.

»Hätte ich das alte Gerippe hoch versichern können, ich würde es längst in die Luft gesprengt haben«, sagte Blout. »Wer den Kahn kennt, traut sich nicht mehr darauf. Ich kriege kaum noch Güter und Passagiere dafür.«

»In die Luft gesprengt?« fragte Norwood. »Und dich selber mit!«

»So grün möchte ich sein! Es wäre nicht das erste Boot, dem ich solch 'ne Himmelfahrt bereitet habe! Tüchtig Feuer unter den Kessel, das Ventil zu und dann in der Nacht, wenn alles schläft, über Bord! Nur der Maschinenmeister muß verläßlich sein und mitmachen! Habe gerade einen Burschen im Dienst, der für ein paar hundert Dollar das schönste Schiff in die Hölle schickt.«

»Hm! Hör mal! Ich glaube, wir könnten ein Geschäft zusammen machen! Du weißt doch, daß ich die Rothäute nach der Grenze von Arkansas zu schaffen habe. Als Agent der Regierung kann ich die Versicherung deines Schiffes bewirken. Bei einer Gesellschaft im Norden! Mein Gutachten genügt, um einen hohen Point herauszuholen. Unterwegs fliegt der »Star« in die Luft. Du beschwerst dich in Washington, daß die Indsmen in der Nacht revoltiert hätten. Der Maschinenmeister hätte seinen Posten deshalb verlassen müssen, infolgedessen wäre der Kessel geplatzt. Die Versicherung wird zahlen, und ich werde bei der Regierung noch eine besondere Vergütung beantragen.«

»Kein übler Spaß! Da käme ich so nebenbei zu einem neuen Dampfboot. Aber wird es kein Geschrei wegen der Roten geben?«

»Die Zeitungen werden schreiben, für das allgemeine Wohl wären sie besser aus der Welt, als daß sie in den Grenzsiedlungen sengten und mordeten. Doch wenn du keinen Mumm hast, ich finde genug andere, die den Verdienst mitnehmen ...«

»Weiß ich, und ich bin dabei! Aber wie kommen wir beide klar?«

Die beiden Schurken einigten sich schnell. Ralph mietete am nächsten Tage außer dem »Star of the West« noch ein zweites Dampfboot, die »Mayflower«, da das eine Schiff allein die Indianer nicht alle fassen konnte. Er vereinbarte, daß die beiden Schiffe die Wilden an einem abgelegenen Platz oberhalb der Stadt erwarten und übernehmen sollten.

Nachdem er noch die notwendigen Lebensmittel eingekauft hatte, verließ er die Stadt wieder, in der er als General und Regierungsagent überall mit großer Auszeichnung behandelt worden war, und begab sich wieder nach Florida.

Dort wurde Norwood bereits mit großer Ungeduld ersehnt. Mit Freude empfing ihn Tallihadjo auf der Insel. Ralph schilderte den Wilden ihre neue Heimat in den verlockendsten Farben und versprach den Kriegern, die nicht zu Tallihadjos Stamm gehörten, daß alle Vorkehrungen getroffen seien, um ihre Angehörigen bald nachfolgen zu lassen.

Zwei Tage später durften die Indianer die Insel verlassen. Am Ufer wurden sie von den Truppen empfangen. Sie mußten ihre Büchsen abfeuern und Kugeln und Pulver abliefern. Die Waffen durften sie jedoch behalten.

Gegen Mittag begann der Abmarsch. Tallihadjo ritt auf seinem Schimmel voran. In langem Zug folgten Männer, Frauen und Kinder, schwer bepackt, und beiderseits von Soldaten begleitet.

So gelangten sie nach einer Woche ermattet an die Mündung des Ocklockny. Dort lagen bereits zwei Dampfschiffe der Regierung vor Anker. Sie kamen aus der Tampa-Bai und hatten bereits zweihundert Seminolen an Bord, die dort unten gefangengenommen worden waren.

Noch einmal durften Tallihadjo und die Seinen auf dem Boden ihrer alten Heimat schlafen. Wehklagend warfen sie sich am Strand des Meeres nieder und küßten die Erde. Sie aßen nichts und zündeten keine Feuer an. Blutrot tauchte die untergehende Sonne in die schwarzgrüne Flut des Golfs von Mexiko.

Sechs große Boote holten die Indianer am nächsten Morgen auf die Schiffe. Tallihadjo blieb mit seiner Familie und einigen siebzig Negern, die ihm und Olviana gehörten, bis zuletzt zurück. Nachdem alle Neger auf die Dampfer gebracht waren, fuhr Ralph mit dem Häuptling und seiner Familie hinüber. Der Schimmel mußte neben dem Boot herschwimmen. Man hatte ihm Gurte umgeschnallt und zog ihn mit Ladekränen aus dem Wasser.

Am zweiten Morgen nach der Abfahrt liefen die beiden Schiffe in das Delta des Mississippi ein. Wie staunten die Indianer über die vielen großen und kleinen Schiffe, und als erst New Orleans auftauchte, da vermochten sie ihre Augen nicht von den mächtigen Steingebäuden, den Kuppeln und Türmen zu wenden.

An den meilenlangen Werften der Stadt vorbei erreichten sie dann die beiden Flußdampfer, die sie weiterbringen sollten. Starke Bohlen wurden von Schiff zu Schiff gelegt, und der Umzug konnte rasch vonstatten gehen. Ralph führte Tallihadjo und seine Familie auf den »Star of the West« und bat den Häuptling dann, ihm bei der Verteilung der Indianer behilflich zu sein. Er eröffnete ihm, daß er wegen des Platzmangels die Sklaven Tallihadjos einstweilen mit nach New Orleans nehmen würde. Denn er habe in der Stadt noch allerlei Formalitäten und auch Geschäfte zu erledigen, unter anderem die Wechsel für das verkaufte Vieh des Häuptlings zu kassieren. Doch würde er baldigst den Indianern auf einem anderen Dampfboot folgen.

Tallihadjo war ohne Argwohn. Er befahl seinen Sklaven, mit General Norwood zu gehen. Während sie sich an Land begaben, hatte Ralph noch eine kurze Besprechung mit Kapitän Blout.

»Morgen früh fahre ich ab«, sagte Blout. »Nachts darauf, wenn alles schläft, lasse ich den Kasten hochgehen. Wird nicht viel übrigbleiben!«

»Sollten einige Rothäute trotzdem mit dem Leben davonkommen, so pack sie sofort auf die ›Mayflower‹. Meine Leute, die mitfahren, haben Anweisung, sich durch nichts aufhalten zu lassen. Die Wilden werden den Arkansas hinauf gefahren und bei Fort Smith ausgeladen. Dort mögen sie sehen, wie sie weiterkommen.«

»Dem Häuptling und seiner Familie habe ich gerade über dem Kessel einen Platz angewiesen!« grinste Blout. »Trinken wir auf mein neues Schiff!«

Ralph versprach Tallihadjo noch einmal, daß er schnell mit den Negern nachkommen würde, und zog dann mit den Sklaven in die Stadt. Er brachte sie aber nicht zu einem Dampfboot, sondern in die Esplanade Street zu einem Sklavenhändler. Dort wurden sie sofort in Ketten gelegt, untersucht und abgeschätzt. Nach langem Feilschen erhielt Ralph für sie einen Scheck auf vierzigtausend Dollar.

Ralph widerstand der Versuchung und mied die Spielhäuser. Er trank viel mit seinen Bekannten, denen er von den Seminolen erzählen mußte, und flirtete mit schönen Kreolinnen. Welch stolzes Gefühl, ein reicher und geachteter Mann zu sein! Der Alkohol betäubte sein Gewissen ...

Und doch trieb ihn seine innere Unruhe schon früh am nächsten Morgen nach dem Platz, wo die Schiffe mit den Indianern lagen. Dichte Rauchwolken stiegen aus den hohen Schornsteinen. Ralph stellte sich hinter einen Baum, um die Abfahrt zu beobachten. Zuerst dampfte der »Star of the West« in die Mitte des Stromes und steuerte dann gegen ihn an, bald darauf folgte ihm die »Mayflower«.

Der Dampfer fuhr in der Mitte des meilenbreiten Stromes, dessen bewaldete Ufer kaum zu erkennen waren. Nur ein matter Lichtpunkt bezeichnete hier und dort eine Plantage oder eine einsame Farm. In großer Entfernung folgte die »Mayflower«, deren Kapitän alles aufbot, um nachzukommen.

Tallihadjo hatte tagsüber vergeblich nach dem Schiff ausgespäht, mit dem Ralph nachfolgen wollte. Um einen besseren Ausblick zu haben, hatte er sich mit seiner Familie und Olviana ans äußerste Ende des oberen Verdecks begeben. Blouts Rat, doch wenigstens in der Nacht wieder den hübschen warmen Platz über dem Kessel einzunehmen, lehnte er ab.

Mitternacht war vorüber, als Blout sich vorsichtig nach dem Heck des Schiffes schlich. Er ließ das Boot, das dort in Flaschenzügen hing, aufs Wasser hinab, so daß es im Kielwasser hinter dem Dampfer herschwamm. Dann eilte er nach dem Maschinenraum. »Fire up!« befahl der Maschinenmeister. Schwere Scheite Kienholz flogen in die Feuerung.

»Das Ventil ist zu! In fünf Minuten platzt der Kessel!« flüsterte der Maschinenmeister Blout zu und zog ihn mit sich fort.

Sie eilten zum Heck und ließen sich an Tauen in das Boot hinab. Sie durchschnitten das Schleppseil und ergriffen die Ruder. Heftig schaukelte der Kahn in den Wellen des Kielwassers. Sie hielten dem Lande zu, aus Leibeskräften rudernd.

Plötzlich schossen auf dem dunklen Dampfer grelle Flammen hoch. Menschen, Kisten, Fässer und Ballen wurden in die Luft geschleudert. Ohrenbetäubendes Krachen rollte über das Wasser. Hohe Wellen türmten sich von der Unglücksstelle aus.

Blout und der Maschinenmeister hatten zu tun, daß ihr Boot nicht kenterte. Auf das Wasser klatschten dunkle Gegenstände, zerrissene Körper, Frachtstücke, Teile des Schiffes. Auf das Boot der Flüchtlinge schlug ein Balken. Gurgelnd versank es, und die Strömung wirbelte die beiden schwerverletzten Verbrecher mit sich. Ihr Hilfeschrei verhallte in dem Klagen, Wimmern und Heulen, das jetzt von dem zersprengten Dampfer her schaurig durch die Finsternis drang. Elend ertranken sie.

Auch das Wrack des Dampfers nahm die Strömung mit sich. Das Vorderteil war völlig zertrümmert, während das Hinterteil ziemlich unversehrt geblieben war. Tallihadjo und den Seinen war nichts geschehen. Mit mächtiger Stimme übertönte er den Lärm. Es gelang ihm, der Panik Einhalt zu gebieten. Er hinderte die Überlebenden daran, ins Wasser zu springen, denn vorläufig sank das Schiff noch nicht. Stromaufwärts aber brauste die »Mayflower« heran.

Sie wandte und fuhr an die Seite des Wracks. Machte mit Tauen daran fest. Mit Hilfe des Häuptlings überführte nun der Kapitän die überlebenden Indianer auf sein Fahrzeug. Es waren noch etwas über hundert, von denen nur einige durch Holzsplitter leicht verletzt waren. Die Schwerverwundeten waren in den Strom geschleudert und ertrunken. Auch Tallihadjos Schimmel war tot.

Der Kapitän der »Mayflower« überließ sodann den »Star of the West« seinem Schicksal, fuhr ans Ufer und warf den Anker aus, um den Tag zu erwarten.

Die Wilden, die den Verlust vieler Verwandten und Freunde zu beklagen hatten, waren nur schwer zu beruhigen. Es bedurfte des ganzen Einflusses Tallihadjos, daß sie nicht ans Land flüchteten.

Tallihadjo ahnte nicht den wahren Grund der Explosion. Er sprach von einem Unglück, das ihnen der Große Geist gesandt habe und das man ebenso tragen müsse wie Verluste im Kriege.

Mit dem Morgengrauen stellten sich noch einige Indianer ein, die sich schwimmend an Land gerettet hatten. Als der Kapitän den Anker heben ließ, um weiterzufahren, bat ihn der Häuptling, doch die Ankunft Ralph Norwoods zu erwarten. Aber da erklärte ihm einer der Regierungsagenten, die den Transport begleiteten, daß Norwood niemals beabsichtigt habe, bis nach Fort Smith mitzureisen.

»Du wirst ihn und deine Neger wohl niemals wiedersehen«, meinte er.

Der Häuptling starrte ihn an, seine Hände ballten sich. Als er sich abwandte, trat der letzte Überlebende vom Stamme Osmakohees zu ihm.

»Ich habe bisher geschwiegen, weil Osmakohee es mir befahl. Norwood war der weiße Mann, der ihm sagte, Hallemico habe seinen Sohn ermordet, und der Hallemicos Neger als Belohnung verlangte. Er war ein Lügner, und deshalb hat Osmakohee seine Wohnung zerstört. Die Neger Hallemicos und auch die deinen hat der doppelzüngige Verräter nun doch erhalten.«

Schweigend begab sich Tallihadjo auf das oberste Verdeck der »Mayflower«, wo er sich niedersetzte und stumm auf die vorüberziehenden Ufer sah. Onahees Warnung vor Ralph fiel ihm ein. Immer klarer wurde ihm, wie schändlich das Halbblut sein Vertrauen mißbraucht hatte. Ralph hatte den Weißen das Versteck auf der Insel verraten, für ihn war die Überführung nach dem Westen nur eine Gelegenheit zur Bereicherung gewesen. Er hatte ihm sein Vieh, seine Sklaven, sein Land genommen. Wilder Zorn erfüllte den Häuptling. Einen Augenblick überkam ihn das Verlangen, Rache zu nehmen an den Weißen auf dem Schiff. Aber würde er damit nicht nur noch größeres Unheil über sein Volk bringen? Er durfte seinen persönlichen Gefühlen nicht nachgeben, er hatte die Aufgabe, sein Volk in die neue Heimat zu bringen.

Einige Tage darauf erschien in den Zeitungen von New Orleans der Bericht über den Unfall des »Star of the West«. Leider seien mit einer großen Zahl Indianer auch der Kapitän des Schiffes und seine weiße Besatzung durch die Explosion getötet worden.

Ralph Norwood las diesen Bericht mit gemischten Gefühlen. Der Tod Blouts machte ihm einerseits einen Strich durch das geplante Geschäft, andererseits befreite er ihn von seinem Mitwisser, der einmal unbequem werden konnte.

Es hielt ihn jetzt nichts mehr in der Hauptstadt des Südens, und er kehrte auf dem schnellsten Wege nach Florida zurück, um sich mit dem Vermögen, das er durch den Verkauf der Sklaven Tallihadjos erworben hatte, die wertvollsten Landstriche des Indianergebietes zu dem geringen Preis, den die Regierung festgesetzt hatte, zu sichern.


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