Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Ralph Notwoods Flucht

Ralph Norwood war verzweifelt. Garrett hatte auf seinen Brief nichts von sich hören lassen. Nun machte man ihm im Boardinghouse bereits Schwierigkeiten! Nicht einen Tag länger würde man ihn ohne Bezahlung dulden. Wohin dann? Und wie sollte er ohne Geld seine Heimreise bewerkstelligen? Dazu kam noch die Furcht vor Entdeckung und Verhaftung. Wie ein Tiger im Käfig, so rannte er in seinem engen Zimmer auf und ab.

Da öffnete sich die Tür, und Garrett trat eilig herein. »Heute erst bekam ich Ihren Brief, Norwood! Ich war ein paar Tage verreist. Kommen Sie, unten wartet ein Wagen! Sie müssen Baltimore sofort verlassen. Brown hat unseren Spaß veröffentlicht, und in allen Zeitungen steht eine ausgezeichnete Beschreibung von Ihnen! Kommen Sie, Ihre Schulden hier habe ich schon berappt!«

»Wohin denn nun?« fragte Ralph, als der Wagen mit ihnen fortrollte.

»In ein sicheres Versteck! Dort müssen Sie es ein paar Tage aushalten, bis Kapitän Flournoy abfährt. Ich werde mit ihm sprechen, daß er Sie bis Norfolk mitnimmt, von wo Sie mit dem Dampfschiff weiter nach Richmond fahren können.«

Sie verließen die Stadt auf der Landstraße nach Philadelphia. In weniger als einer Stunde hielt der Wagen mitten im hohen Walde unweit der Straße vor einem kleinen Bretterhaus an. Eine ältere Frau, eine hagere knochige Gestalt mit unordentlichen schwarzen Haaren und stechenden Augen, begrüßte Garrett beim Aussteigen.

»Hallo, Missis Sloan!« sagte er. »Ich bringe Ihnen Besuch für ein paar Tage!«

Die Frau rückte ihren Besuchern einen Stuhl mit halber Rückenlehne und eine alte Kiste zum Sitzen ans Feuer. Garrett erklärte ihr, daß Ralphs Anwesenheit geheim bleiben müsse. Es sei nicht ausgeschlossen, daß er verfolgt würde.

»Wenn's weiter nichts ist!« sagte die Frau. »Der Herr geht bei Tag auf die Jagd, dort im Schrank steht eine gute Doppelflinte. Wenn er mit der Dunkelheit nach Hause kommt, verschließen wir die Tür. Sollte man uns einen nächtlichen Besuch machen, so kennen Sie ja den Weg, Mister Garrett: hinauf auf den Boden und dann am Seil aus dem Dachfenster hinaus! Hier ist man außer aller Gefahr.«

Trotzdem empfahl Garrett alle Vorsicht. Er versprach Ralph, dem das Versteck gar nicht behagte, baldigst von sich hören zu lassen, drückte der Frau noch einige Dollar in die Hand und fuhr wieder nach Baltimore zurück.

Dort suchte er noch am selben Abend Flournoy auf und bat ihn, Ralph bis nach Norfolk mitzunehmen. Aber der Kapitän weigerte sich. Sein Schiff werde sicher bei der Abfahrt beobachtet. Man würde Norwood sogleich fangen und ihm selber allerlei Scherereien machen.

»Der Mann muß aus Baltimore verschwinden, sonst zieht er mich noch in die Geschichte herein, wenn man ihn schnappt!« Garrett dachte eine Weile nach. »Ich werde mit ihm zehn Meilen von hier bei Swanspoint auf Sie warten. Wenn Sie dort vorbeifahren, holen Sie ihn an Bord?!«

»All right, das will ich tun«, sagte Flournoy.

Der Tag versank. Die letzten glühenden Strahlen der Sonne färbten die Schneemassen auf Wald und Flur mit einem rötlichen Schimmer.

Garrett trat in den warmen, erleuchteten Stall, in dem er mit Ralph die Reitpferde ausgeliehen hatte, und fragte nach denselben Tieren, die sie damals bei dem Wettrennen gehabt hatten.

»So spät und bei der Kälte wollen Sie reiten?« fragte der Stallbursche.

»Ein kleines Abenteuer!«

»Muß aber eine heiße Liebe sein!« scherzte der Wärter, während er den Pferden Sattel und Zeug auflegte. »Wollen Sie denn beide Tiere zugleich reiten?«

»Den Fuchs nehme ich an die Hand.«

Garrett bestieg den Schimmel und ließ sich den Zügel des Fuchses reichen. Der Bursche öffnete das Tor und rief ihm nach:

»Viel Vergnügen, Mister Garrett! Und Vorsicht, daß Sie sich nicht erkälten – trotz der heißen Liebe!«

Im Galopp jagte der Spieler dahin, nur hin und wieder gab er den Tieren etwas Zeit zum Verschnaufen.

Dunkel lag die Hütte der Witwe Sloan in dem stillen verschneiten Walde. In den Fensterscheiben spiegelte sich das Mondlicht. Garrett klopfte Norwood heraus.

»Kommen Sie! Flournoy verläßt morgen früh Baltimore. An der Landspitze von Swanspoint will er Sie mit einem Boot abholen. Damit wir uns nicht verspäten, ist es besser, wir reiten sofort dorthin.«

Norwood hüllte sich fröstelnd in seinen Mantel.

»Wir können doch nicht die Nacht im Freien verbringen!«

»Brauchen wir auch nicht! Auf der Landspitze, die sich weit in die Bay hineinerstreckt, wohnt ein freier Neger mit seiner Familie. Er lebt von der Jagd. Ich bin schon häufiger bei ihm eingekehrt, denn meilenweit im Umkreis gibt es keine andere Hütte. Er wird uns gern einen Kaffee machen, und am Morgen gehen wir dann auf die Landzunge, um Flournoys Boot zu erwarten.«

»Na, ich bin froh, daß ich aus der dreckigen Bude da heraus bin«, sagte Ralph und schwang sich auf den Fuchs.

Einzelne Wolken trieben eilig am Mond vorüber. Die Reiter schlugen einen scharfen Trab an. Der Wind wehte stärker, es wurde immer kälter. Die Straße führte aus dem Wald heraus über buschbestandenes Weideland.

Garretts Ortskenntnis führte sie richtig nach ihrem Ziel, der einsamen Blockhütte des Negers.

Sie trommelten den Neger aus dem Schlaf.

»Hallo Dick, aufgemacht! Ich bin's, Garrett, mit einem Freunde! Wir möchten uns bei dir ein wenig wärmen!«

Ein kräftiger Neger öffnete freundlich grinsend. Er rückte dienstfertig zwei Stühle vor das Kaminfeuer, das seine Frau anblies.

»Wir erwarten mit Tagesanbruch an der Landspitze ein Schiff, das meinen Freund hier an Bord nehmen will. Der Kapitän wird ein Boot aussetzen, um ihn zu holen«, sagte Garrett.

Die Negerfrau reichte den heißen duftenden Kaffee mit Honig herum. Das heiße Getränk erwärmte die Besucher vollends wieder. Von Zeit zu Zeit blickte der Neger aus der Tür.

»Es wird bald Tag«, sagte er. »Wenn die Herren das Schiff nicht verfehlen wollen ...«

»Lieber etwas früher da sein, als zu spät!« erklärte Ralph und erhob sich.

Aus einem Verschlag neben dem Kuhstall holte der Neger noch einen ungewöhnlich großen schwarzen Neufundländer Hund, der sofort den drei Männern auf einen schmalen Pfad durch das Holz voranlief.

Schon nach wenigen Minuten sahen sie die weite Bay vor sich liegen.

Die See ging hoch, zischend und brausend schlugen die Wogen an die hohen Ufer beiderseits der Landzunge. Düstere Wolken jagten am Himmel, ließen den Mond nur für Augenblicke durchscheinen.

Der bleiche Schimmer des neuen Tages breitete sich rasch am östlichen Himmel aus. Das Mondlicht verlor seine Kraft.

Der Morgen dämmerte.

»Das ist der ›Sturmvogel‹!« rief Garrett beim Anblick des schwarzen Schiffes, das unter vollen Segeln vor dem Wind daherkam.

Sie winkten mit Hüten und Taschentüchern und schauten nach dem Boot aus, das vielleicht schon ausgesetzt war, Ralph an Bord zu holen. Aber das Schiff wandte seinen Bug vom Lande ab und steuerte wieder auf die Bay hinaus, ohne ein Boot zu schicken. »Verdammt, er segelt vorbei!«

Enttäuscht blickten sie dem Schiff nach.

»Kommen Sie, ich bringe Sie an Bord!« rief da der Neger.

Er sprang den beiden voran nach der Bucht, wo sein kleines Fahrzeug lag. Alle packten mit an, das Boot flott zu machen ... In wenigen Minuten trug sie das kleine Fahrzeug mit prallem Segel durch die hohe Brandung in die stürmische See.

Auf und ab schoß das Boot durch die Wogen, die zischend aufschäumten. Sie näherten sich dem »Sturmvogel«, der um die Untiefen der Landspitze einen großen Bogen beschreiben mußte.

Doch da wurden auf dem »Sturmvogel« noch mehr Segel aufgezogen, mit vergrößerter Schnelligkeit jagte er dahin. Mächtige Wellen warf er. Ralph und Garrett brüllten aus Leibeskräften. Aber Flournoy winkte ihnen ab. Das stolze Schiff rauschte vorüber und davon.

»Elender Schuft!« fluchte Ralph und blickte in verzweifelter Wut dem Enteilenden nach.

»Es hat keinen Zweck! Kehren wir um!« sagte Garrett.

»Achtung, ich wende! Halten Sie das Segel!« schrie der Neger.

Ralph und Garrett packten mit aller Kraft das Segel, um es am Mast zusammenzuziehen, während Dick das Ruder wandte. Doch da stieß der Sturm plötzlich so heftig an seine Falten, daß es ihren Händen entrissen wurde und sich mit einem Knall aufblähte. Der Mast wurde auf das Wasser hinuntergepreßt, und das Boot schlug um. Seine drei Insassen stürzten in die wogende See.

Als Ralph wieder auftauchte, sah er das Boot kieloben auf den Wellen treiben. Darauf hockte heulend und bellend der angekettete Hund. Ralph entledigte sich seines Mantels, um besser schwimmen zu können. Dicht bei ihm tauchte jetzt der Neger, von Garrett in Todesnot umklammert, auf. Beide rangen, doch vergeblich suchte der Neger sich zu befreien. Plötzlich waren beide verschwunden.

Eine Woge faßte Ralph und trug ihn mit sich der Landzunge zu. Er war ein guter Schwimmer und kämpfte um sein Leben. Woge um Woge rollte ihn der Küste näher. Er wurde durch die Brandung auf das Ufer hinaufgeworfen, und ehe ihn die folgende Welle wieder erreichen und herabziehen konnte, hatte er mit letzter Kraft das sichere Land erklommen.

Zitternd vor Kälte richtete er sich auf. Vom »Sturmvogel« war nicht mehr viel in der Ferne zu erkennen. Das gekenterte Boot mit dem Hund darauf trieb weit draußen in der Bai. Von Garrett und dem Neger war nichts zu sehen. Ralph fror erbärmlich in seinen nassen Kleidern.

Er rannte nach der Hütte des Negers und erzählte der Frau scherzend, er sei ins Wasser gefallen und wolle sich trocknen, während Dick mit seinem Freunde draußen geblieben sei, um ihn auf das Schiff zu bringen. Das Schiff, das ihr Junge gemeldet habe, sei noch nicht das richtige gewesen.

Die Frau fachte die Glut am Kamin an und gab Ralph eine Decke, die er sich umhängte, während er seine Kleider trocknete.

Ralph war froh, als seine Sachen endlich wieder trocken waren. Für Hut und Mantel, die er im Wasser verloren hatte, kaufte er der Negerin einen alten Filz und eine gräßliche alte, aber dicke Jacke ihres Mannes ab. Auch einige Lebensmittel ließ er sich einpacken. Dann sattelte er den Schimmel Garretts, der mit Futter wohl versorgt gewesen war, und ritt davon, nachdem er der Frau einige Dollar in die Hand gedrückt hatte.

Bei der ersten Farm, die er erreichte, erkundigte er sich nach der Landstraße nach Washington. Bereitwillig wies man ihm den Weg. Gegen Abend stieß er auf ein einsames Gasthaus, wo er übernachtete. Früh am andern Morgen war er wieder zu Pferd.

Drei Tage ritt er so nach Süden. Dann verkaufte er in einem Städtchen Virginias den Schimmel für hundert Dollar und setzte nun die Reise nach Florida mit der Post fort.


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