Aristoteles
Politik
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Siebentes Buch.

Erstes Kapitel.

Ich habe somit im Vorgehenden das Nöthige über die Zahl und die Art der Unterschiede bei dem berathenden und herrschenden Theile des Staates und bei der Einrichtung der Staatsämter und bei den Gerichtshöfen besprochen und gezeigt, welche Arten den einzelnen Verfassungen gemäss sind (ebenso über den Untergang und die Erhaltung der Verfassungen und über die Ursachen derselben und über die Art, wie sie geschehen). Da es aber mehrere Arten der Demokratie und ebenso der anderen Verfassungen giebt, so wird es zweckmässig sein, das hierüber etwa noch Nöthige nachzuholen und zugleich das Eigenthümliche und Zweckmässige für jede dieser besonderen Verfassungen darzulegen. Auch habe ich die Verbindungen aller bisher besprochenen Einrichtungen in Betracht zu nehmen; denn durch solche Verbindungen können die Verfassungen sich austauschen und oligarchische Aristokratien und demokratische Freistaaten entstehen. Ich meine damit jene Verbindungen, die man in Betracht ziehen muss, die aber bis jetzt noch nicht untersucht worden sind, z. B. den Fall, wo die höchste Rathsversammlung und die Wahl der Beamten oligarchisch eingerichtet ist, dagegen die Gerichtshöfe aristokratisch bestellt sind; oder wo diese und der höchste Rath oligarchisch, die Beamtenwahl aber aristokratisch eingerichtet, oder wo auf sonst eine Weise die Verfassung nicht lediglich aus den ihr eigenthümlich zukommenden Bestandtheilen zusammengesetzt ist. Die Frage nun, welche Art der 207 Demokratie für einen Staat von bestimmter Beschaffenheit passt; ebenso, welche Art der Oligarchie für eine Volksmenge passt und welche Art von den übrigen Verfassungen für bestimmte Staaten die zweckmässige ist, habe ich früher besprochen; indess muss nicht blos klar sein, welche Art von diesen Verfassungen für Staaten von bestimmter Beschaffenheit passt, sondern auch, wie man sie einzurichten hat und deshalb werde ich in dieser Hinsicht sowohl diese, wie die anderen Verfassungen kurz durchgehen.

Zunächst will ich hier über die Demokratie sprechen; damit ergiebt sich zugleich auch das Nöthige für ihr Gegentheil, was nach Einigen als die Oligarchie bezeichnet wird. Man muss bei dieser Untersuchung alle Eigenthümlichkeiten der Demokratie, sammt deren Folgen in Betracht nehmen; denn aus deren Verbindung bilden sich die verschiedenen Arten der Demokratie und dass statt einer mehrere und verschiedenartige Demokratien bestehen. Es sind nämlich zwei Ursachen, weshalb es mehrere Arten von Demokratien giebt; die eine habe ich früher genannt, indem die Bevölkerung des einen Staates von der des anderen verschieden ist; denn bald besteht diese überwiegend aus Ackerbauern, bald überwiegend aus Handwerkern und Tagelöhnern; wenn nun die erste Klasse zur zweiten hinzutritt und wieder die dritte zu diesen beiden, so wird die Demokratie dadurch nicht blos besser oder schlechter, sondern sie ist dann überhaupt nicht mehr dieselbe. Ueber die zweite Ursache werde ich jetzt sprechen; denn auch die aus der Demokratie überhaupt folgenden, sowie die dieser Verfassungsform eigenthümlich zukommenden Einrichtungen führen durch ihre Verbindung zu verschiedenen Arten der Demokratie, indem die eine Art der Demokratie weniger, eine andere mehr Eigenthümlichkeiten hat und eine dritte durchaus verschieden ist. Es ist aber nöthig, dass man diese Eigenthümlichkeiten einer jeden Art kenne, wenn man etwa eine bestimmte Demokratie einrichten und die ihr gemässen Anordnungen treffen will. Allerdings suchen die, welche eine Verfassung errichten wollen, die für die vorhandene Unterlage passenden Eigenthümlichkeiten sämmtlich zusammen zu stellen; allein dies ist ein Fehler (wie ich früher bei der Untersuchung über den Untergang und 208 die Erhaltung der Verfassungen dargelegt habe). Jetzt will ich nunmehr über die Grunderfordernisse und den Charakter der Verfassungen und über die Ziele, die sie erstreben, sprechen.

 

Zweites Kapitel.

Die Voraussetzung der demokratischen Verfassungsform ist die Freiheit. So pflegt man sich nämlich auszudrücken, als wenn blos in dieser Verfassung die Bürger an der Freiheit Theil nähmen; denn jede Demokratie, sagt man, solle dieses Ziel erstreben. Die Freiheit bestehe theils aus Gehorchen, theils aus Befehlen und das Gerechte bestehe in der Demokratie in der Gleichheit der Zahl nach und nicht in der dem Werthe nach. Wenn aber dies das Gerechte sei, so sei die Menge nothwendig der Gebieter und das, was der Mehrheit gefällt, das habe als das Ziel und als das Gerechte zu gelten; denn man sagt, dass jeder Bürger das Gleiche mit dem anderen haben müsse. Daher kommt es, dass in den Demokratien die Armen mehr herrschen, als die Wohlhabenden; denn sie sind die Mehrheit und der Beschluss der Mehrheit ist der Herr. Dies ist das eine Zeichen der Freiheit, welches alle Demokraten als das Merkmal der demokratischen Verfassung aufstellen; ein zweites ist, dass Jeder leben könne, wie es ihm gefällt; dies soll die Ausübung der Freiheit sein, da ja der Sclave nicht leben könne, wie er wolle. Dies ist das zweite Kennzeichen der Freiheit und davon kommt, dass man nicht beherrscht werden mag, hauptsächlich von keiner einzelnen Person oder wenigstens nur abwechselnd. Auch dies wird zu der in der Gleichheit bestehenden Freiheit gerechnet. Bei solchen Unterlagen und einer solchen Herrschaft ist es demokratisch, dass alle Staatsbeamten aus allen Bürgern gewählt werden, und dass Alle über jeden herrschen, und jeder zum Theil über Alle, dass alle Aemter, höchstens mit Ausnahme derer, wo bestimmte Erfahrungen und Kenntnisse nöthig sind, durch das Loos besetzt werden; dass man, um Beamter zu werden, nicht eingeschätzt zu sein braucht, oder wenigstens nur nach einer sehr geringen Einschätzung; dass kein Amt von Jemand zweimal verwaltet werden darf, oder nur selten und bei wenigen Aemtern, mit 209 Ausnahme der militärischen; dass die Beamten nur kurze Zeit im Amte bleiben dürfen und zwar allgemein, oder wenigstens bei allen Stellen, wo dies möglich ist; ferner, dass Alle über Alle und über Alles die Rechtspflege üben, oder wenigstens über das Meiste oder das Wichtigste und Bedeutendste, wie z. B. über die Rechenschaftsablegung der Beamten, über die politischen Prozesse und die Privatverträge; ferner, dass die Volksversammlung der Herr über Alles, oder die bedeutenderen Vorkommnisse ist, und dass die Beamten es über Nichts, oder nur über geringfügige Dinge sind. Die demokratischste Einrichtung ist die Rathsversammlung, sofern nämlich nicht Allen Tagegelder bezahlt werden; denn wo dies geschieht, da wird auch dieser Behörde die Macht genommen und das Volk zieht, wenn es einen hinlänglichen Lohn erhält, alle Entscheidungen vor sich, wie ich früher in der vorangegangenen Untersuchung gezeigt habe. Ferner ist es eine Eigenthümlichkeit der Demokratie, dass Alle, so weit es möglich, Tagegelder erhalten, sowohl die Versammlung, wie die Gerichte und die Beamten, oder wenigstens die Beamten, die Gerichte, der Rath und die Volksversammlungen für die wichtigeren Angelegenheiten und die Beamten, so weit sie zusammen speisen müssen. Da ferner die Oligarchie ihre Kennzeichen an der Abstammung, dem Reichthume und der Bildung hat, so wird das Gegentheil davon zur Demokratie gehören, also, niedrige Geburt und Armuth und handwerksmässige Gesinnung. Von den Staatsämtern darf in der Demokratie keines von demselben Beamten dauernd verwaltet werden und wenn ein solches aus einer früheren Verfassung sich auch erhalten hat, so wird dessen Macht sehr beschränkt und statt der Wahl wird es durch's Loos besetzt. Dies sind nun die allen Demokratien gemeinsamen Einrichtungen. Aus dem Gerechten, wie es anerkanntermaassen in denselben gilt (nämlich, dass Alle nach der Kopfzahl das Gleiche haben), ergiebt sich die äusserste Art der Demokratie und Volksherrschaft; denn die Gleichheit fordert, dass die Wohlhabenden nicht mehr, wie die Armen die Herrschaft besitzen und dass kein Einzelner, sondern nur Alle nach der Kopfzahl die höchste Gewalt inne haben, denn so, möchte man meinen, sei in dieser Verfassung die Freiheit und die Gleichheit enthalten. 210

 

Drittes Kapitel.

Die nächste Frage nun, wie die Gleichheit zu berechnen ist, ob z. B., wenn tausend Bürger ebenso hoch zusammen eingeschätzt sind, als fünfhundert andere, ob da die tausend die gleiche Macht mit den fünfhundert haben sollen; oder ob die Gleichheit so nicht einzurichten ist, sondern in der Weise, dass man aus den Fünfhundert und aus den Tausend eine gleiche Anzahl nimmt, die dann zusammen die Wahlen vornehmen und die Entscheidungen als Richter zu treffen haben? Ist nun dieses Verfahren das, was dem demokratischen Prinzip am meisten entspricht, oder vielmehr das, wo es nur nach der Kopfzahl geht? Die Demokraten sagen, dass dasjenige das Recht sei, was die Mehrheit dem Vermögen nach beschliesst; denn man müsse, sagen sie, nach dem Vermögen die Mehrheit abmessen. Beiderlei Verfahren hat indess seine Ungleichheit und sein Unrecht; soll das gelten, was die wenigen Reicheren beschliessen, so ist eine Tyrannis vorhanden (denn wenn Einer mehr hat, als alle andern Wohlhabenden, so wäre es nach dem oligarchischen Princip recht, dass er allein herrschte); gilt aber das, was die Mehrheit nach der Kopfzahl beschliesst, so werden diese ungerechter Weise das Vermögen der Reichen und Wenigen zum Besten des Staats einziehen, wie ich früher gesagt habe. Es wird deshalb die Gleichheit, welche Beide verlangen, aus dem zu entnehmen sein, was jeder von Beiden für das Rechte erklärt. Sie sagen nämlich, dass das, was die Mehrheit der Bürger beschliesse, gelten müsse; dies soll auch sein, aber nicht durchaus, sondern es muss, da der Staat aus zwei Theilen besteht, aus Reichen und Armen, das gelten, was Beide oder die Mehrheit in diesen beiden Theilen beschliesst. Sind diese Mehrheiten aber entgegengesetzter Meinung, so soll das gelten, was derjenige Theil in seiner Mehrheit verlangt, welcher zugleich die Mehrheit der Einschätzung nach ist. Es seien z. B. der Reichen Zehn und der Armen Zwanzig; von den Reichen haben sechs für die eine Meinung gestimmt und von den Armen fünfzehn für die andere; hier sind zu den Armen vier Reiche zugetreten und zu den sechs Reichen fünf Arme; hier gilt nun diejenige Meinung, für welche die grössere Einschätzungssumme sich ergiebt, wenn man 211 auf jeder Seite die Einschätzungssumme berechnet, die aus den, in ihr sich befindenden, Reichen und Armen sich ergiebt. Ist aber diese Summe auf beiden Seiten gleich, so ist dann nur dieselbe Schwierigkeit, wie gegenwärtig vorhanden, wenn in der Volksversammlung oder bei den Gerichtshöfen eine Stimmengleichheit vorhanden ist; man muss dann das Loos entscheiden lassen, oder einen ähnlichen Ausweg benutzen. So schwer es indess auch sein mag, das Richtige in Bezug auf das Gleiche und Gerechte aufzufinden, so ist dies doch noch leichter, als diejenigen davon zu überzeugen, welche die Gewalt in Händen haben; denn das Gleiche und Gerechte wird immer nur von den Schwächeren verlangt, während die Gewalthaber sich nicht darum kümmern.

 

Viertes Kapitel.

Von den vier Arten der Demokratie ist die erste in der Reihenfolge die beste, wie ich bei der früheren Untersuchung gezeigt habe; sie ist auch von allen die älteste. Ich nenne sie die erste in demselben Sinne, wie man das Volk eintheilt; die beste Klasse desselben ist nämlich die ackerbauende und deshalb lässt sich auch die Demokratie da errichten, wo das Volk von dem Landbau und der Viehzucht lebt. Da das Volk hier kein grosses Vermögen besitzt, so hat es keine Musse und Volksversammlungen kommen deshalb nicht oft vor. Da hier das zum Leben Nothwendige beschafft werden muss, so sind die Bürger mit ihrer Arbeit beschäftigt und ihr Sinn steht nicht nach fremdem Gut; das Arbeiten ist ihnen angenehmer, als die Theilnahme an den Staatsangelegenheiten und an der Amtsgewalt, indem die Aemter hier keinen grossen Nutzen abwerfen; denn die Menge verlangt mehr nach Gewinn, als nach Ehre. Dies erhellt auch daraus, dass sie die ältere Tyrannis ertrugen und jetzt die Oligarchie ertragen, wenn nur Niemand sie an ihrer Arbeit hindert und ihnen nichts nimmt; denn die einen kommen dann leicht zu Reichthum und die andern bleiben wenigstens nicht arm. Auch genügt für ihren etwaigen Ehrgeiz, wenn sie die entscheidende Stimme bei den Wahlen der Beamten und bei deren Rechenschaftsablegung haben, da in einigen 212 Demokratien, wo das Volk die Beamten nicht wählt, es demselben schon genügt, wenn, wie in Mantinea, nur einige, die der Reihe nach aus dem Volke gewählt werden, in dem Rath die Entscheidung in ihrer Gewalt haben. Man muss auch diese Verfassung, wie sie früher in Mantinea bestand, für eine Art der Demokratie halten; deshalb ist dies auch für die hier zuerst genannte Demokratie zuträglich und es bestand auch in Wirklichkeit die Einrichtung, dass zwar Alle an der Wahl der Beamten und an der Rechenschaftsabnahme und an dem Rechtsprechen Theil nahmen, aber dabei die Regierung von den höchsten Beamten geführt wurde, welche nach der Schätzung gewählt wurden; und zwar die bedeutenderen Beamten nach einer höhern Schätzung, oder die Wahl geschah zwar nicht nach der Einschätzung, aber es wurden doch nur die Fähigen gewählt. Bei einer solchen Verfassung muss die Regierung gut gehen (denn die Aemter werden immer in den Händen der besten Bürger sein, da das Volk dies will und es die guten Bürger nicht beneidet) und eine solche Einrichtung wird auch den guten und gebildeten Bürgern genügen; denn sie werden dann nicht von anderen Schlechteren regiert und sie selbst werden gerecht regieren, weil Andere über ihre Rechenschaftsablegung entscheiden; denn diese Abhängigkeit und dass sie nicht alles thun dürfen, was ihnen beliebt, ist nützlich, da die Macht zu thun, was einem beliebt, nicht vermag das Schlechte in jedem Menschen im Zaume zu halten. Somit muss da der für den Staat nützlichste Zustand eintreten, dass die guten Bürger regieren, ohne sich Fehler zu Schulden kommen zu lassen und dass das Volk nicht bedrückt wird. Offenbar ist dies die beste von den Demokratien und zwar deshalb, weil das Volk von der angegebenen Beschaffenheit ist.

Um aber das Volk zu einem ackerbauenden zu machen, sind einige der von alten Zeiten her in vielen Staaten bestehenden Gesetze sehr nützlich, namentlich das, wonach es überhaupt Niemanden erlaubt sein soll, mehr Land über ein bestimmtes Maass hinaus zu erwerben, oder wenigstens nicht in einer grösseren Nähe zur Stadt und der Burg, als eine dafür bestimmte Grenze festsetzt. Auch war es in alten Zeiten in vielen Staaten durch Gesetze verboten, die ursprünglich zugetheilten Loose an Grundbesitz zu verkaufen; auch giebt es ein Gesetz, was von 213 Oxylos stammen soll und wonach kein Geld auf einen Theil des, dem Einzelnen gehörenden, Grundbesitzes aufgenommen werden darf. Jetzt muss man aber auch mittelst des Gesetzes der Aphytäer dies in Ordnung bringen, welches dazu sehr dienlich ist. Diese sind nämlich, obgleich sie ihrer viele sind und ihr Land nur klein ist, doch sämmtlich Ackerbauer; es wird nämlich nicht der ganze Grundbesitz eingeschätzt, sondern dies geschieht nur nach einem so kleinen Antheile, dass selbst die Armen an eingeschätztem Besitz die Mehrheit haben.

Nächst der landbauenden Bevölkerung ist die beste die, welche Viehzucht treibt und davon lebt; sie ist in vielen Stücken der landbauenden sehr ähnlich und für die kriegerische Thätigkeit sind sie, ihrer Beschaffenheit nach, am meisten vorgeübt und ihr Körper am tauglichsten; auch sind sie am meisten im Stande, im Freien auszuhalten. Dagegen scheint die Bevölkerung, aus der sonst die übrigen Demokratien bestehen, beinahe durchgehends um vieles schlechter, als die beiden bisher genannten Arten, zu sein; denn eine Bevölkerung von gemeinen Handwerkern und Handelsleuten und Tagelöhnern führt ein schlechtes Leben und ihre Thätigkeit hat mit der Tugend nichts zu schaffen. Auch treibt sich dergleichen Volk auf dem Markt und in der Stadt herum und kommt deshalb leicht zur Volksversammlung; dagegen kommen Ackerbauende, die ja zerstreut auf dem Lande leben, nicht so leicht zusammen und mögen es auch nicht. Wo es sich nun trifft, dass in einem Staate das Ackerland eine entfernte Lage von der Stadt hat, da ist es auch leichter eine zweckmässige demokratische Verfassung und Regierung einzurichten; hier wird die Bevölkerung nämlich genöthigt, ihre Wohnung bei den Ackerfeldern zu nehmen, so dass man, selbst wenn ein Haufen Menschen sich auf dem Markte herumtreibt, nur nöthig hat in den Demokratien die Volksversammlungen nicht ohne die Landbevölkerung zu gestatten.

Somit habe ich gesagt, wie man die erste und beste Demokratie einzurichten hat. Damit ist nun auch ersichtlich, wie die andern Arten der Demokratie einzurichten sind; man muss dabei nur Schritt für Schritt von jener abweichen und die schlechtere Volksmasse immer möglichst fern halten. Die äusserste Art der Demokratie, wo Alle 214 an der Regierung Theil nehmen, kann nicht jeder Staat ertragen; auch kann sie sich nicht leicht erhalten, wenn sie nicht mit den Gesetzen und den Sitten gut zusammenpasst. (Was dagegen ihren Untergang herbeiführt, davon ist das Meiste sowohl für diese, wie für die übrigen Verfassungen bereits früher gesagt worden.) Und um eine solche Demokratie zu errichten und die Volksmenge stark zu machen, pflegten die Vorstände zu derselben möglichst Viele hinzuzunehmen und nicht blos die ehelichen, sondern auch die unehelichen Söhne und die, bei denen nur eines ihrer Eltern, also entweder der Vater oder die Mutter frei war, zu Bürgern zu machen; denn dies Alles ist für eine solche Demokratie passend. Indem die Führer der Volkspartei es so einzurichten pflegen, sollten sie jedoch nur so Viele hinzunehmen, bis die Menge das Uebergewicht über die Vornehmen und die Mittelklasse hat und darüber nicht hinausgehen. Wenn sie es aber in diesem Punkte übertreiben, so wird es immer schwieriger, die Staatsleitung in Ordnung zu halten und die Erbitterung der Vornehmen steigert sich dann so, dass sie nur noch schwer eine solche Verfassung ertragen. Dies war auch die Ursache, weshalb der Aufstand in Kyrene ausbrach. Ein kleines Uebel wird nämlich wohl übersehen, aber wenn es grösser geworden ist, so fällt es mehr in die Augen. Auch sind für eine solche Demokratie diejenigen Einrichtungen zuträglich, wie sie Kleisthenes in Athen einführte, als er die Volksherrschaft verstärken wollte; ebenso die, womit man in Kyrene die Demokratie begründete. Man muss nämlich neue Stämme und Genossenschaften in grösserer Anzahl einrichten und die Privatgottesdienste in wenige gemeinschaftliche zusammenziehen und Alles ausdenken, damit Alle möglichst mit einander gemischt werden und die frühern Verbindungen aufgelöst werden. Auch die Einrichtungen innerhalb der Tyrannis haben sämmtlich eine demokratische Natur, wie z. B. die Ungebundenheit der Sklaven, die bis zu einem gewissen Grade nützlich werden kann; ebenso die der Frauen und Kinder und wenn es gestattet ist, dass jeder leben kann, wie es ihm beliebt: dies wird einer solchen Demokratie sehr zuträglich sein; denn die Menge lebt lieber ungebunden als maassvoll. 215

 

Fünftes Kapitel.

Die wichtigste und die einzige Aufgabe des Gesetzgebers und derer, welche eine solche Verfassung beabsichtigen, liegt indess nicht in der Begründung derselben, sondern in deren möglichster Erhaltung; denn auf ein, zwei oder drei Tage lässt man sich wohl jedwede Regierung gefallen. Deshalb hat man aus dem, was früher von mir über die Erhaltung und den Untergang der Verfassungen gesagt worden ist, die Sicherungsmittel zu entnehmen und einzurichten, indem man sich vor dem Schädlichen in Acht nimmt und an geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen nur solche aufstellt, welche am meisten das zur Erhaltung der Verfassungen dienende enthalten. Auch darf man nicht glauben, dass das demokratisch oder oligarchisch sei, was den Staat im höchsten Grade demokratisch oder oligarchisch machen wird, sondern nur das, was ihn die längste Zeit dazu macht. Die heutigen Volksführer lassen dagegen, dem Volke zu Liebe, möglichst viele Vermögenseinziehungen durch die Gerichte beschliessen. Deshalb müssen die Freunde dieser Verfassung dem entgegentreten und durch Gesetze bestimmen, dass das Vermögen der Verurtheilten und die Strafgelder nicht dem Volke zur Vertheilung zufallen sollen, sondern dem Staatsschatze. Dann werden die Bürger nicht minder vor dem Unrecht sich in Acht nehmen (denn dessen Strafe bleibt dieselbe) aber das Volk wird weniger durch Abstimmung verurtheilen, da es nichts dabei bekommt. Auch muss man die Staatsprocesse möglichst vermindern, indem man durch hohe Strafen die leichtsinnigen Anklagen verhindert. Denn diese werden in der Regel nicht gegen Leute aus dem Volke, sondern gegen die Vornehmen eingebracht, während es doch nöthig ist, dass alle Bürger der Verfassung möglichst gewogen sein, oder dass wenigstens die Machthaber nicht für ihre Feinde gelten. Da nun die äussersten Demokratien gewöhnlich eine zahlreiche Bevölkerung haben und hier die Volksversammlungen ohne Lohn schwierig werden, eine Lohnzahlung aber da, wo keine erheblichen Einkünfte vorhanden sind, für die Wohlhabenden gefährlich ist (denn dann muss das Geld aus den Strafen und Vermögenseinziehungen genommen und die Gerichtshöfe müssen schlecht werden und 216 dies hat schon viele Demokratien gestürzt); wo also die Einkünfte fehlen, da dürfen die Volksversammlungen nur selten sein und die Gerichtshöfe müssen aus vielen Mitgliedern bestehen aber nur wenige Tage sitzen. Dies führt dahin, dass sowohl die Reichen die Ausgaben dafür nicht fürchten, wenn nämlich die Wohlhabenden keine Entschädigung für das Rechtsprechen erhalten, sondern nur die Armen; als auch dahin, dass die Processe viel besser entschieden werden, da die Wohlhabenden nicht viele Tage von ihren eigenen Geschäften sich entfernen mögen, wohl aber auf kurze Zeit dazu bereit sind. Wo aber Einkünfte vorhanden sind, da darf man es nicht so machen, wie es jetzt die Volksführer thun, welche das Uebrigbleibende vertheilen. Das Volk nimmt es mit der einen Hand und verlangt mit der anderen wieder mehr von ihnen. Eine solche Hülfe für die Armen gleicht einem durchlöcherten Fass. Der wahrhaft demokratische Mann muss vielmehr dahin trachten, dass die Menge nicht arm werde; denn dies ist die Ursache, weshalb die Demokratie schlecht wird; man muss also versuchen den Wohlstand dauernd zu machen. Auch ist es für die Wohlhabenden nützlich, die Einkünfte aufzusammeln und dann auf einmal zusammen unter die Armen zu vertheilen; namentlich wenn man so viel ansammeln kann, dass der Einzelne sich dann ein kleines Grundstück kaufen kann oder wenigstens damit einen Handel oder den Landbau beginnen kann; und wenn dies nicht für jeden möglich ist, so muss das Angesammelte nach den Stämmen oder nach sonst einer Abtheilung vertheilt werden. Dabei müssen die Tagegelder für die nothwendigen Versammlungen von den Reichen hergegeben werden, die dann von den nutzlosen Staatsleistungen befreit werden können. Auf diese Weise haben die Karthager die Volksmenge in freundlicher Gesinnung erhalten; sie schickten immer eine Anzahl aus dem Volke in die umliegenden Ortschaften und machten sie damit zu wohlhabenden Leuten. Auch fordert es sowohl die Milde, wie die Vorsicht, dass die Vornehmen das Volk nach gewissen Abtheilungen mit den nöthigen Hülfsmitteln unterstützen und so zur Thätigkeit anleiten. Auch das Beispiel der Tarentiner ist nachahmungswerth, welche den Armen die Mitbenutzung ihrer Grundstücke gestatten und dadurch die Menge in guter Gesinnung erhalten. Sie 217 theilten auch die Aemter sämmtlich in zwei Abtheilungen; die einen wurden durch Wahl, die andern durch das Loos besetzt; letzteres damit auch das Volk an denselben Theil habe, das erste, um besser regiert zu werden. Dasselbe wird erreicht, wenn die Beamten schon bei den einzelnen Behörden so getheilt werden und theils gewählt, theils durch das Loos bestimmt werden.

 

Sechstes Kapitel.

Damit habe ich gesagt, wie die verschiedenen Demokratien einzurichten sind; und daraus ist auch ziemlich klar geworden, wie es bei den Oligarchien zu machen ist. Jede Art der Oligarchie muss mit denjenigen Mitteln und Einrichtungen hergestellt werden, welche die entgegengesetzten zu denen sind, welche für die entsprechenden Demokratien dienlich sind; dies gilt auch für die gutgemischte erste Art der Oligarchie. Dies ist die, welche dem Freistaate am nächsten kommt, wo man die Einschätzungen verschieden einrichten muss, theils niedrig, theils höher; jenes damit die niedrig Eingeschätzten an den nothwendigen Aemtern Theil haben und dieses, damit die höher Eingeschätzten zu den wichtigeren Aemtern gelangen. Indem jedem, welcher das nöthige Vermögen erwirbt, gestattet wird an der Staatsleitung Theil zu nehmen, wird durch die Einschätzung ein so grosser Theil des Volkes hierfür mit hinzugenommen, dass die, welche die Staatsgewalt inne haben, stärker werden als die, welche nicht daran Theil nehmen. In ähnlicher Weise, nur mit etwas Einschränkung, muss auch die ihr am nächsten stehende Oligarchie eingerichtet werden; dagegen bedarf die der äussersten Demokratie gegenüberstehende, also die der Dynasten- und Tyrannenherrschaft ähnelnde Oligarchie um so grösserer Wachsamkeit, als sie die schlechteste ist. Denn es ist hier, wie mit dem körperlich gesunden Menschen und den zur Schifffahrt mit Mannschaft gut versehenen Schiffen; beide können mehr Verstösse vertragen, ohne dadurch unterzugehen, während kränkliche Menschen und baufällige oder schlecht bemannte Schiffe nicht die geringsten Fehler aushalten können; ebenso bedürfen auch die Staaten mit den 218 schlechtesten Verfassungen der meisten Wachsamkeit. Im Allgemeinen ist für die Demokratien eine dichte Bevölkerung nützlich, denn eine solche bildet den Gegensatz zu demjenigen Gerechten, was sich nach dem Werthe bestimmt; offenbar muss also die Oligarchie dem entgegen in einer guten Ordnung ihre Erhaltung finden.

 

Siebentes Kapitel,

So wie die Volksmenge hauptsächlich in vier Klassen zerfällt, in die Landbauer, die Handwerker, die Handeltreibenden und die Lohnarbeiter, so ist auch Viererlei zum Kriege nützlich; die Reiterei, das schwerbewaffnete Fussvolk, die Leichtbewaffneten und die Marine-Mannschaft. Wo nun das Land zur Pferdezucht sich eignet, da ist es von Natur geboten die Oligarchie in stärkerem Maasse einzurichten (denn hier beruht der Schutz der Einwohner auf dieser Macht und Pferdezüchtereien können nur von grossen Landbesitzern gehalten werden); wo aber die Macht in dem schwerbewaffneten Fussvolke ruht, da ist die nächst folgende Art der Oligarchie einzurichten; denn diese schwere Bewaffnung kann mehr von den Wohlhabenden, wie von den Armen beschafft werden. Wenn dagegen die Wehrkraft auf den Leichtbewaffneten und der Seemannschaft beruht, so ist dies ein durchaus demokratisches Element. Wo nun eine dazu passende starke Bevölkerung vorhanden ist, da ist, wenn sie einen Aufstand macht, es oft schwer sie zu bekämpfen; deshalb muss man ein Heilmittel hier von den kriegserfahrenen Feldherrn entnehmen, welche mit der Reiterei und den Schwerbewaffneten eine entsprechende Macht von Leichtbewaffneten vereinigen. Denn durch letztere überwältigt bei Aufständen das Volk die Wohlhabenden; weil es, als leicht bewaffnet, besser gegen die Reiterei und die Schwerbewaffneten kämpft. Wenn die Oligarchien also die Kriegsmacht nur aus leicht Bewaffneten bilden, so ist es so viel, als wenn sie diese Macht gegen sich selbst einrichteten. Vielmehr muss die Kriegsmacht nach dem Alter getheilt werden, je nachdem die Mannschaften älter oder jünger sind. So lange die Söhne der Bürger jung sind, müssen diese den leichten Dienst als leicht Bewaffnete lernen, damit sie, 219 wenn sie aus dem Knabenalter getreten sind, die volle Fertigkeit in diesem Dienst besitzen.

Der Volksmenge muss in den gemässigten Oligarchien eine Theilnahme an der Regierung gewährt werden, entweder so, wie ich früher gesagt, dass die, welche das nöthige Vermögen erlangen, diese Theilnahme erhalten, oder dass, wie bei den Thebanern, diejenigen an der Regierung Theil nehmen, welche eine bestimmte Zeit lang des gemeinen Handwerksbetriebs sich enthalten haben, oder so, wie in Massilia, wo eine Auswahl der Würdigen sowohl aus den, die Regierungsgewalt Innehabenden, wie aus den draussen Stehenden stattfand. Auch müssen den wichtigsten Staatsämtern, welche die in der Herrschaft Befindlichen für sich zu behalten haben, die grössern Staatsleistungen obliegen, damit das Volk gern sich davon fern halte, und den Beamten, die so viel Aufwand für ihr Amt zu machen haben, ihre Herrschaft vergebe. So ist es passend, dass diese Beamten bei ihrem Amtsantritt grosse Opferfestlichkeiten veranstalten und etwas Gemeinnütziges herstellen, damit das Volk, was an den Opfermahlen Theil nimmt und die Stadt, theils durch Weihgeschenke, theils durch Gebäude geschmückt erblickt, es gern sieht, wenn die Regierung so fortbesteht. Auch wird es für die Vornehmen gut sein, wenn in dieser Weise bleibende Denkmäler ihres Aufwandes errichtet werden. Indess verfahren heutzutage die Oligarchen nicht in dieser Weise, sondern entgegengesetzt; sie sind ebenso habgierig, wie ehrgeizig und deshalb sagt man treffend »dass solche Oligarchien kleine Demokratien seien«.

 

Achtes Kapitel.

Somit habe ich auf diese Weise näher dargelegt, wie die verschiedenen Arten der Demokratie und der Oligarchie einzurichten sind. Hieran schliesst sich die richtige Eintheilung der Staatsämter und die Erörterung über die Zahl, die Arten und die Personen derselben, wie ich schon früher bemerkt habe. Die nothwendigen Aemter kann allerdings kein Staat entbehren, indess kann er ohne die Aemter, welche für die gute Ordnung und den Schmuck der Stadt sorgen, nicht in schöner Weise bewohnt werden. 220 Auch müssen der Aemter in kleineren Staaten weniger, in grossen mehr sein, wie ich schon früher bemerkt habe; man muss deshalb wissen, welche Art von Aemtern man zusammenlegen und welche man getrennt halten soll.

Zunächst hat man unter den nothwendigen Aemtern für die über den Marktverkehr zu sorgen, wo ein Beamter über die Handelsgeschäfte und die gute Ordnung die Aufsicht zu führen hat. Denn kein Staat kann das gegenseitige Kaufen und Verkaufen dessen, was der Einzelne nothwendig braucht, entbehren; dies ist das Handgreiflichste bei dem Sich selbst Genug sein, wegen dessen die Menschen zu einem Staate zusammentreten. Eine andere Thätigkeit, die an diese grenzt und ihr verwandt ist, ist die Sorge für die öffentlichen und privaten Bauten, damit die Schönheit nicht verletzt werde; sie hat auch gegen den Einsturz der Häuser zu sorgen und die Wege und Grenzzeichen in guten Stande zu erhalten, damit kein Streit darüber entstehe und alles, was sonst noch für ein solches Amt gehört, zu besorgen. Meist wird dieses Amt das städtische Amt genannt; es zerfällt in mehrere Unterämter, die in sehr bevölkerten Städten für die verschiedenen Geschäfte desselben eingerichtet werden; dahin gehören z. B. die Aufseher der Stadtmauern, der Brunnen und der Häfen. Ein anderes nothwendiges und dem vorigen nahe stehendes Amt besorgt ungefähr dieselben Geschäfte, nur ausserhalb der Stadt, auf dem Lande. Diese Beamten heissen die Acker- und Forstaufseher. Dies wären drei Geschäftskreise; zu einem andern Amte gehört dann die Einnahme der Staatseinkünfte; es verwahrt dieselben und vertheilt sie auf die einzelnen Verwaltungen; diese Beamten heissen Einnehmer und Schatzmeister. Eine andere Behörde hat wieder die Privatverträge und die von den Gerichten erlassenen Entscheidungen niederzuschreiben; von denselben müssen auch die Klagen in Processe und deren Einführung aufgenommen werden. An manchen Orten wird auch dieses Amt in mehrere zertheilt und ein Beamter hat dann die Oberaufsicht über sie; sie heissen Notare, Vorsteher, Schreiber oder in ähnlicher Weise. Daran schliesst sich eines der nothwendigsten, aber auch schwersten Aemter, welchem die Vollziehung der Strafurtheile und die Einziehung der Geldstrafen und die Bewachung der Gefangenen obliegt. Es hat seine Schwierigkeiten; weil 221 es verhasst ist und dabei nicht viel zu verdienen ist, mag Niemand es behalten oder es nach der Strenge der Gesetze verwalten. Es ist nothwendig, weil die Entscheidungen der Prozesse durch die Gerichte zu nichts nützten, wenn sie nicht vollstreckt würden; so dass ohne die Rechtssprüche und deren Vollziehung man nicht mit einander leben könnte. Deshalb ist es besser, wenn hier für jeden Gerichtshof ein besonderer Beamter bestellt ist, und ebenso sollte man es für die Eintreibung der Geldstrafen machen. Ferner möge in manchen Sachen die Vollstreckung durch verschiedene Beamten erfolgen und die Entscheidungen neuer Behörden mögen auch von neuen Beamten vollstreckt werden. Ebenso muss bei den alten Behörden eine entscheiden und eine andere vollstrecken, so z. B. mag der Stadtaufseher die Urtheile der Ackeraufseher vollstrecken und Andere wieder die Urtheile jener. Denn je weniger die vollstreckende Behörde verhasst ist, desto schneller wird die Vollstreckung zu Ende kommen. Wenn dieselbe Behörde, welche verurtheilt, auch die Strafe vollstreckt, so wird sie doppelt verhasst, und wenn dies in allen Fällen geschieht so gilt sie als ein Feind Aller. An vielen Orten ist auch die Aufsicht über die Gefängnisse von der Einziehung der Geldstrafen getrennt, so besteht in Athen das sogenannte Amt der Elf. Deshalb ist es besser, auch diese Geschäfte zu trennen und irgend ein Auskunftsmittel dafür aufzusuchen; denn es ist eben so nothwendig, als das vorhin genannte, da es vorkommt, dass gerade die guten Bürger dieses Amt am wenigsten zu übernehmen bereit sind und die schlechten können nicht mit Sicherheit zu Wächtern über die Gefängnisse gemacht werden, da sie eher selbst der Bewachung bedürfen, als dass sie Andere zu bewachen vermögen. Deshalb darf nicht blos ein Beamter dafür angestellt werden und auch nicht auf Lebenszeit, sondern man nehme von den jungen Leuten, wo diese oder eine Stadtwache organisirt sind, eine Anzahl, die dann mit den Beamten abwechselnd die Bewachung zu besorgen haben.

Diese Aemter sind nun, als die nothwendigen, zunächst einzurichten; demnächst die, welche zwar nicht minder nothwendig sind, aber mit einem höhern Rang verbunden sind, da sie mehr Erfahrung und Vertrauen erfordern. Dazu dürften die Befehlshaberstellen über die 222 Besatzung der Stadt und die Aemter für den kriegerischen Bedarf gehören. Man muss im Frieden ebenso, wie im Kriege für die Bewachung der Stadtmauern und Thore Sorge tragen und ebenso für die Musterung und Einstellung der Bürger. Für alles dies sind nun an dem einen Orte mehr Beamte, an dem andern weniger angestellt, und in kleinen Staaten nur einer für dies alles. Diese Beamten heissen Feldherrn und Kriegsoberste. In Staaten, wo noch Reiterei, oder leichtbewaffnetes Fussvolk, oder Bogenschützen, oder eine Kriegsflotte vorhanden sind, da sind auch für jede dieser Abtheilungen besondere Aemter eingerichtet, welche Admiralitäten und Reiter- oder Militair-Generalate heissen. Unter diesen stehen dann, je nach diesen Abtheilungen, die Schiffskapitäne, die Reiterobersten, die Stammeshauptleute und die, welche noch sonstige Abtheilungen befehligen. Das Ganze hiervon bildet einen besondern Zweig der Regierungsthätigkeit, nämlich die Abtheilung für die Kriegs-Angelegenheiten.

In dieser Art verhält es sich also mit diesem Theil der Staatsbeamten. Da aber einige, wenn auch nicht alle, dieser Beamten viele Staatsgelder in die Hände bekommen, so muss noch eine Behörde da sein, welche deren Rechnungen abnimmt und deren Verwaltung prüft, ohne selbst mit Staatsgeldern zu thun zu haben. Diese Behörde heisst bald die Rechenschaftsabnahme-, bald die Rechen-Behörde; auch heissen ihre Beamten Aufseher oder Staatsanwalte. Neben allen diesen Behörden muss noch eine höchste für Alles vorhanden sein. Dieser kommt oft die letzte Entscheidung und die Einbringung der Anträge zu, oder sie führt den Vorsitz in den Versammlungen, da wo das Volk die höchste Gewalt hat; denn es muss jemand da sein, der das Volk, als den Herrn des Staats, zusammenberuft. Diese Beamten heissen die Vorberather, weil sie die Vorberathung haben; und wo das Volk die Herrschaft führt, gewöhnlich der Rath.

Von dieser Beschaffenheit sind ungefähr die Aemter, welche mit der Regierung des Staats zu thun haben. Eine andere Art der Fürsorge bezieht sich auf die Götter; dahin gehören die Priester und die, welche dafür zu sorgen haben, dass die Tempel in Stand erhalten und die schadhaften wieder hergestellt werden; ebenso alle Beamte, welche für den Gottesdienst bestimmt sind. Diese 223 Geschäfte sind an manchen Orten, insbesondere in kleinen Staaten, nur einem Beamten zugewiesen; mitunter aber auch vielen, vom Tempeldienst getrennten Beamten; dahin gehören z. B. die Tempelbaumeister, die Tempelwächter und die Tempelschatzmeister. Daran schliesst sich das besondere Amt, welches die sämmtlichen öffentlichen Opfer zu besorgen hat, soweit sie nicht den Priestern zugewiesen sind, sondern ihre Bedeutung von dem öffentlichen Altare ableiten. Diese Beamten heissen bald Könige, bald Prytanen.

Dies sind die Geschäfte, mit welchen die nothwendigen Aemter zu thun haben; sie beziehen sich, um sie noch einmal kurz zusammenzufassen, auf den Gottesdienst, auf das Kriegswesen, auf die Staatseinkünfte und Ausgaben, auf den Marktverkehr, auf die Umgebung der Stadt, auf die Häfen und das platte Land. Ferner auf die Gerichtshöfe, auf die Aufzeichnung der Verträge, auf die Vollstreckung der Urtheile und die Bewachung der Gefangenen, auf Abnahme und Prüfung der Rechnungen, auf die Entscheidung über die von den Beamten abgelegten Rechenschaften und endlich auf den Rath für die allgemeinen Angelegenheiten. Staaten, welche grösserer Musse und grössern Wohlstandes sich erfreuen und auf das Schöne im Leben Bedacht nehmen, haben auch ihre besondern Aemter dafür, wie das der Frauenaufseher, der Gesetzeswächter, der Knabenaufseher, der Turnaufseher und ausserdem noch Beamte für die Wettkämpfe, für die Dionysosfeste und für andere derartige Schaustellungen. Einige dieser Aemter sind offenbar keine demokratischen, wie z. B. die Aufseher der Frauen und Knaben; denn die Armen müssen auch ihre Weiber und Kinder als Diener benutzen, da sie keine Sklaven haben. Von den drei Behörden, welche in einigen Staaten als die höchsten gewählt werden, nämlich den Gesetzeswächtern, den Vorberathern und dem Rath, sind die Gesetzeswächter aristokratischer, die Vorberather oligarchischer und der Rath demokratischer Natur.

Damit habe ich gleichsam im Umriss so ziemlich die sämmtlichen Staatsämter besprochen. 224

 


 


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