Aristoteles
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Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Da jeder Staat sich als eine Gemeinschaft darstellt, und jede Gemeinschaft wegen eines Gutes sich gebildet hat, (denn Alle handeln in Allem nur wegen Etwas, was sie für ein Gut halten) so erhellt, dass alle Gemeinschaften nach einem Gute streben und dass insbesondere die vornehmste und über allen anderen stehende Gemeinschaft nach dem vornehmsten Gute strebt; dies ist aber die Gemeinschaft, welche man den Staat und die staatliche Gemeinschaft nennt. Die, welche meinen, dass das Wesen des Verfassungsstaates und des Königthums und der Familie und des Verhältnisses zwischen Herrn und Sclaven ein und dasselbe sei, haben unrecht; sie glauben, dass hier nur ein Unterschied nach der grösseren oder geringeren Zahl der Personen bestehe, und kein Unterschied in der Art; wer also nur über Wenige gebiete, sei ein Herr über Sclaven, wer über Mehrere, sei ein Familienvater und wenn er über noch Mehrere gebiete, so sei ein Verfassungsstaat oder eine Königliche Gemeinschaft vorhanden, so, dass mithin ein grosses Hauswesen von einem kleinen Staatswesen nicht verschieden sei. Der 2 Verfassungsstaat und das Königthum sollen sich danach nur so unterscheiden, dass, wenn Einer allein an der Spitze steht, es ein Königthum sei, wenn aber das Staatsoberhaupt nach den Grundsätzen der Staatswissenschaft theilweise herrsche, theilweise beherrscht werde, so sei ein Verfassungsstaat vorhanden.

Dies ist indess unrichtig, wie sich ergeben wird, wenn wir in der bisher geführten Weise die Untersuchung anstellen. Wie nämlich schon in anderen Gebieten das Zusammengesetzte bis zu dem Einfachen hin getrennt werden muss (was die kleinsten Theile des Ganzen sind), so muss man auch bei dem Staate untersuchen, woraus er besteht und man wird dann an seinen Bestandtheilen besser ersehen, wie sie sich von einander unterscheiden und ob es angeht, über jede der genannten Gemeinschaften Etwas wissenschaftlich festzustellen.

 

Zweites Kapitel.

Wenn man also betrachtet, wie diese Gemeinschaften von Anfang ab geworden sind, so wird man hier ebenso, wie bei anderen Dingen, die richtigste Einsicht erlangen. Nothwendig müssen sich zunächst diejenigen zu Paaren zusammenthun, welche ohne einander nicht bestehen können; also ein Weibliches und ein Männliches der Fortpflanzung wegen. (Dies geschieht nicht aus Willkür, sondern, wie bei den Pflanzen und den übrigen Geschöpfen aus einem Naturtriebe, um ein solches Geschöpf, wie sie selbst sind, zurückzulassen.) Auch muss das von Natur Herrschende sich mit dem von Natur Beherrschten des Schutzes wegen verbinden; denn was vermöge seiner Einsicht das Kommende voraussehen kann, ist von Natur das Herrschende und Gebietende und was vermöge seines Körpers hierbei Etwas leisten kann, ist von Natur das Beherrschte und der Knecht; deshalb ist dasselbe Verhältniss für den Herrn und für den Sclaven nützlich.

Das Weibliche und das Sclavische ist nun von Natur geschieden; denn die Natur vollbringt Nichts in so dürftiger Weise, wie die Erzschmiede das Delphische Messer, sondern sie setzt für jeden Zweck ein Besonderes; denn jedes Werkzeug dürfte dann sein Werk am besten 3 vollbringen, wenn es nicht zu vielen, sondern nur zu einem Werke dient. Bei den rohen Völkern hat das Weibliche dieselbe Stellung, wie der Sclave; die Ursache ist, dass diese Völker kein von Natur Herrschendes haben, sondern bei ihnen nur Sclavinnen mit Sclaven sich verbinden. Deshalb sagen die Dichter:

»Es ist billig, dass die Griechen über die Barbaren herrschen.«,

indem das Barbarische und das Sclavische dasselbe ist.

Aus diesen beiden Gemeinschaften entsteht zuerst die häusliche Familie und Hesiod sagt mit Recht in seinem Gedicht:

»Zuerst ein Haus und ein Weib und einen pflügenden Stier dann«;

Denn der Stier vertritt bei dem Armen den Sclaven. Die häusliche Familie ist sonach die, für das ganze tägliche Leben der Natur gemäss errichtete Gemeinschaft; Charondas nennt die ihr Zugehörigen Brotkorbgenossen und der Kreter Epimenides Troggenossen.

Die Gemeinschaft, welche sich zunächst des dauernden Nutzens wegen aus mehreren Hausgenossenschaften bildet, ist das Dorf. Das Dorf scheint hauptsächlich sich aus einer natürlichen Ansiedlung der Familie gebildet zu haben, und manche nennen die Mitglieder desselben Milchbrüder und Kindeskinder. Deshalb wurden die Städte mit ihren Landschaften anfänglich von Königen beherrscht, wie jetzt noch die fremden Völker; denn sie bildeten sich aus solchen, die nach Art des Königthums beherrscht worden waren, da jedes Hauswesen von dem Aeltesten in königlicher Weise beherrscht wird und eben so auch die ausgesandten Colonien, wegen der Stammesverwandtschaft. – In diesem Sinne sagt Homer von den Kyklopen:

»Ein jeder giebt das Gesetz für seine Kinder und Weiber.«

Denn diese wohnten zerstreut, wie dies überhaupt in alter Zeit statt fand. Auch die Götter sollen deshalb nach Aller Meinung unter königlicher Herrschaft stehen, da dies bei den Menschen theils noch gegenwärtig, theils in alter Zeit der Fall gewesen ist; denn so wie die Menschen die Gestalten der Götter sich selbst ähnlich machen, so thun sie es auch mit deren Lebensweise.

4 Die aus mehreren Dörfern sich schliesslich bildende Gemeinschaft ist der Staat, welcher so zu sagen das Ziel des vollständigen sich selbst Genügens erreicht hat. Er ist um des Lebens willen entstanden und bleibt um des guten Lebens willen bestehen. Deshalb ist jeder Staat ebenso, wie die früheren Gemeinschaften, natürlichen Ursprungs; denn der Staat ist das Ziel dieser Gemeinschaften und die Natur ist im Ziele enthalten; denn von jedem Dinge sagt man, wenn sein Werden vollendet ist, dass dies dann seine Natur sei, wie z. B. vom Menschen, vom Pferde, vom Hause. Auch ist der Zweck und das Ziel das Beste und das sich selbst Genügen ist das Ziel und das Beste.

Hieraus erhellt, dass der Staat natürlichen Ursprungs ist und dass der Mensch seiner Natur nach ein staatliches Wesen ist und dass ein von Natur, und nicht blos zufällig, ausserhalb des Staates stehendes Wesen entweder schlecht ist, oder übermenschlich, wie auch Homer einen solchen schimpflich als »fremden Stammes« und als einen »Recht- und Herdlosen« bezeichnet. Ein solcher verlangt auch von Natur nach dem Kriege, weil er ausserhalb aller Verbindung lebt, wie es bei den Vögeln vorkommt. Deshalb ist offenbar der Mensch ein staatliches Wesen und zwar mehr, als die Bienen und die in Herden lebenden Thiere. Denn die Natur macht, wie man sagt, nichts umsonst und der Mensch allein von allen lebendigen Geschöpfen besitzt die Sprache. Die Stimme ist nur ein Zeichen der schmerzlichen und der angenehmen Gefühle; deshalb haben auch die Thiere eine solche; denn die Natur ging bei ihnen so weit, dass sie Schmerz und Lust empfinden und dies einander zu erkennen geben können; die Sprache soll aber das Nützliche und Schädliche, und auch das Gerechte und Ungerechte offenbaren. Den Thieren gegenüber besteht das Eigenthümliche des Menschen darin, dass er allein von allen einen Sinn für das Gute und Böse, für das Gerechte und Ungerechte und Aehnliches besitzt und so führt die Gemeinschaft der Menschen zur Familie und zum Staate.

Auch ist der Staat seiner Natur nach früher, als die Familie und als der einzelne Mensch, da nothwendig das Ganze seinen Theilen vorhergehen muss; denn, nimmt man das Ganze weg, so giebt es weder einen Fuss, noch 5 eine Hand, ausser nur dem Namen nach, wenn man etwa eine steinerne Hand auch eine Hand nennen wollte; denn nach dem Tode ist sie nur eine derartige. Alles wird nun ein Bestimmtes durch seine Wirksamkeit und durch sein Vermögen; Dinge, welche daher nicht dieser Art sind, dürfen auch nicht als dieselben, sondern nur als gleichnamige bezeichnet werden.

Dass nun der Staat der Natur nach früher ist, als der Einzelne, ist klar; denn, wenn der Einzelne allein sich nicht genügt, so wird er sich ebenso, wie die anderen Glieder zu dem Ganzen verhalten. Wer aber keine Gemeinschaft eingehen kann, oder einer solchen, weil er sich selbst genug ist, nicht bedarf, ist kein Glied des Staates, vielmehr entweder ein wildes Thier, oder ein Gott. In allen Menschen besteht nun ein natürlicher Trieb zu einer solchen Gemeinschaft und der, welcher sie zuerst errichtet hat, ist der Urheber der grössten Güter gewesen. Denn, so wie der Mensch in seiner vollendeten Entwickelung das vortrefflichste der Geschöpfe ist, so ist er auch ausserhalb des Gesetzes und Rechtes das schlechteste von allen; denn die bewaffnete Ungerechtigkeit ist die schlimmste und der Mensch besitzt von Natur an seiner Klugheit und an seiner Geschicklichkeit Waffen, die am meisten für das Entgegengesetzte gebraucht werden können. Deshalb ist der Mensch ohne Tugend das ruchloseste und wildeste Wesen und in Geschlechtslust und Gefrässigkeit das ausgelassenste. Dagegen ist die Gerechtigkeit dem Staate zugehörig, denn die Rechtspflege ist die Ordnung der staatlichen Verbindung und sie entscheidet über das Gerechte.

 

Drittes Kapitel.

Nachdem also klar ist, aus welchen Theilen der Staat sich gebildet hat, so habe ich zunächst über die häusliche Familie zu sprechen, denn jeder Staat besteht aus solchen Familien. Die häusliche Familie hat wieder Theile, aus denen sie sich zusammensetzt. Eine solche vollständige Familie besteht aus Sclaven und Freien. Da nun jede Sache zunächst in ihren kleinsten Theilen zu untersuchen ist und die ersten und kleinsten 6 Theile der Familie der Herr und der Sclave, der Mann und die Frau, und der Vater und die Kinder sind, so habe ich diese drei Verhältnisse zunächst zu betrachten und zu ermitteln, was sie sind und wie sie beschaffen sein sollen. Sie sind also die Verbindung zwischen Herrn und Sclaven, die Verbindung durch Heirath, (denn die Verbindung zwischen Mann und Frau hat keinen besonderen Namen) und drittens die Kinder erzeugende Verbindung; denn auch diese wird mit keinem besonderen Namen bezeichnet. Dies sollen also, wie gesagt, die drei Verbindungen sein. Es giebt nun noch einen Theil, welcher nach Einigen die Hauswirthschaft ist und nach Anderen ist sie der wichtigste Theil derselben und es ist zu untersuchen, wie sich dies verhält; ich meine die sogenannte häusliche Erwerbsthätigkeit.

Zunächst will ich jedoch über den Herrn und Sclaven sprechen, um das kennen zu lernen, was zu dem nothwendigsten Bedarf gehört, und ob in Bezug auf die Erkenntniss dieses Verhältnisses vielleicht etwas Besseres, als die bisherigen Annahmen, zu erreichen ist. Manche halten die Herrschaft über den Sclaven für eine Art Wissenschaft und es soll, wie ich im Eingange gesagt, die Herrschaft in der Familie und über den Sclaven und die Herrschaft im Verfassungsstaate und im Königreiche ein und dieselbe sein; Andere halten dagegen die Herrschaft über den Sclaven für unnatürlich, und es soll nach ihnen nur vermöge des Gesetzes Sclaven und Freie geben, während die Menschen von Natur nicht verschieden seien und deshalb sei diese Herrschaft auch keine gerechte, sondern eine gewaltsame.

 

Viertes Kapitel.

Da nun das Vermögen einen Theil der häuslichen Familie und die Erwerbsthätigkeit einen Theil der hauswirthschaftlichen Thätigkeit bildet (denn ohne das Nothwendige kann man weder leben, noch gut leben), so wird ebenso, wie bei den besonderen Gewerben eigne Werkzeuge vorhanden sein müssen, wenn sie ihre Arbeiten fertigen wollen, dasselbe auch für die Hauswirthschaft gelten. Von diesen Werkzeugen sind nun 7 welche leblos, andere lebendig; so ist für den Steuermann das Steuerruder das leblose und der Untersteuermann am Vordertheil des Schiffes das lebendige Werkzeug; denn der Gehülfe ist in den Gewerben eine Art von Werkzeug. So ist also das einzelne Besitzstück ein Werkzeug zum Leben und das Vermögen eine Menge von Werkzeugen und der Sclave ein lebendiges Besitzstück und jeder Diener ein Werkzeug statt vieler. Denn wenn es möglich wäre, dass jedes Werkzeug auf Geheiss oder vorbewusst sein Werk vollbringen könnte, wie angeblich die Statuen des Dädalos oder die Dreifüsse des Hephästos, von denen der Dichter sagt, dass sie von selbst sich in die Versammlung der Götter begeben hätten und wenn so auch das Weberschiff von selbst webte und die Zither von selbst spielte, so bedürften weder die Künstler der Gehülfen, noch die Herren der Sclaven.

Die hier genannten Werkzeuge sind nun verfertigende Werkzeuge; das Verfertigte dient aber dem Gebrauche. So wird von dem Webestuhl neben dem Gebrauche desselben noch etwas Besonderes; dagegen besteht bei dem Kleide und dem Bette nur ein Gebrauch derselben. Da ferner das Verfertigen sich der Art nach von dem Handeln unterscheidet und da beide der Werkzeuge bedürfen, so müssen auch diese sich darnach unterscheiden. Nun ist das Leben ein Handeln und kein Verfertigen und deshalb ist der Sclave ein Diener bei dem, was zum Handeln gehört. Von dem Besitzstücke gilt nun dasselbe, wie von dem Theile; denn der Theil ist nicht blos Theil eines anderen, sondern durchaus dem anderen angehörend. Ebenso ist es mit dem Sclaven, und deshalb ist der Herr nur Herr des Sclaven, aber gehört ihm nicht; der Sclave ist aber nicht blos Sclave des Herrn, sondern durchaus ihm angehörig. Hieraus erhellt, was die Natur und das Wesen des Sclaven ist; denn das, was von Natur nicht sich, sondern einem anderen zugehört, aber ein Mensch ist, das ist von Natur ein Sclave. Ein Mensch gehört aber einem anderen, wenn er als Mensch ein Besitzstück ist und ein solches ist auch ein für sich bestehendes Werkzeug für das Handeln. 8

 

Fünftes Kapitel.

Ob nun aber Jemand von Natur ein solcher ist, oder nicht, und ob es gut und gerecht ist, Jemandes Sclave zu sein, oder nicht, vielmehr alle Sclaverei gegen die Natur geht, soll in Folgendem untersucht werden. Es ist nun nicht schwer, dies sowohl aus dem Begriffe zu entnehmen, wie aus der Erfahrung zu ersehen. Denn das Herrschen und Berherrscht-Werden gehört nicht nur zum Nothwendigen, sondern auch zum Nützlichen, und gleich bei der Geburt ist manches zum beherrscht werden und anderes zum herrschen eingerichtet worden. Auch giebt es viele Arten von Herrschern und Beherrschten und immer ist die Herrschaft besser, wo die Beherrschten besser sind, z. B. die über Menschen, im Vergleich zu der über Thiere; denn das von den Besseren gefertigte Werk ist auch das bessere und wo der eine Theil herrscht, der andere beherrscht wird, da kommt ein Werk derselben zu Stande. Ueberall, wo aus Mehrerem, sei es zusammenhängend, oder getrennt, ein Gemeinsames sich zusammensetzt und entsteht, da zeigt sich auch ein Herrschendes und ein Beherrschtes. Dies findet sich in Gemässheit der ganzen Natur auch bei den lebendigen Wesen; ja selbst bei den leblosen Dingen besteht eine Art Herrschaft nach Art einer Uebereinstimmung. Indess ist dies mehr Gegenstand einer nicht hierher gehörenden Untersuchung; aber bei den lebendigen Geschöpfen findet es sich zuerst, dass sie aus einer Seele und einem Leibe bestehen, von welchen, deren Natur nach, das eine herrscht, und das andere beherrscht wird. Man muss indess das Natürliche mehr bei den in gutem Zustand Befindlichen, als bei den Verdorbenen erforschen, und deshalb muss man auch bei den Menschen denjenigen in Betracht nehmen, welcher an Leib und Seele am besten beschaffen ist, wo das Natürliche deutlich erkennbar ist; denn bei den schlechten oder in schlechten Zuständen sich befindenden Menschen dürfte oft der Körper über die Seele herrschen, weil sie sich in einem schlechten und unnatürlichen Zustande befinden. Es besteht also, wie gesagt, an den lebenden Geschöpfen sowohl eine Herrengewalt, wie eine staatliche Gewalt; die Seele herrscht nämlich über den Körper in der Art eines Herrn; die 9 Vernunft aber über die Begierden in der Art des Herrschers in einem Verfassungsstaate oder in der Art eines Königs, und es zeigt sich, dass die Herrschaft der Seele über den Körper naturgemäss und nützlich ist und ebenso die Herrschaft über den begehrenden Theil der Seele von Seiten der Vernunft und des denkenden Theiles der Seele, während eine Gleichstellung oder umgekehrte Stellung derselben allen Theilen schädlich sein würde. Ebenso verhält es sich mit den Menschen und den Thieren. Die zahmen sind von Natur besser, als die wilden und für alle ist es am besten, wenn der Mensch die Herrschaft über sie hat; so bleiben sie bewahrt und erhalten.

Auch das Männliche verhält sich zu dem Weiblichen von Natur, wie das Bessere zu dem Geringeren und wie das Herrschende zu dem Beherrschten und dasselbe Verhältniss muss auch für alle Menschen gelten. Wenn bei denselben einzelne so weit von einander abstehen, wie die Seele von dem Körper und wie der Mensch von dem wilden Thiere (in dieser Weise verhalten sich nämlich die, deren Werk nur in einer körperlichen Leistung besteht und wo solche Leistung das Beste an ihnen ist), so sind diese von Natur Sclaven, für die es das Beste ist, wenn sie, wie die vorher genannten Geschöpfe, in dieser Weise beherrscht werden. Denn derjenige ist von Natur ein Sclave, welcher einem Anderen gehören kann (und deshalb auch einem Anderen gehört) und welcher an der Vernunft nur so weit Antheil hat, dass er ihre Stimme vernehmen kann, ohne die Vernunft selbst zu haben; denn die Thiere vernehmen nicht einmal diese Stimme, sondern dienen ihren Begierden. Auch der Gebrauch, der von beiden gemacht wird, ist nur wenig verschieden, denn die nothwendigen Dienste für den Körper werden von beiden geleistet, sowohl von den Sclaven, wie von den zahmen Thieren. Die Natur strebt auch den Körper der Freien von dem der Sclaven verschieden zu machen; die letzteren sollen einen starken Körper für die Beschaffung des Nothwendigen haben, und die Körper der Freien sollen aufgerichtet und zu solcher Arbeit nicht geschickt, dagegen für das öffentliche Leben geeignet sein; (und auch dies theilt sich wieder je nach dem Bedarf für den Krieg, oder für die friedlichen Zustände); 10 indess kommt auch oft das Gegentheil vor; Manche haben nur den Körper eines Freien und Andere nur die Seele eines solchen. Nun ist so viel klar, dass, wenn der Unterschied unter den Menschen in Bezug auf ihren Körper nur so gross wäre, wie er den Bildsäulen der Götter gegenüber vorhanden ist, Alle dann sagen würden, dass die geringeren werth wären, jenen als Sclaven zu dienen. Ist dies nun schon in Bezug auf den Körper richtig, so ist es noch viel gerechter, wenn man solche Unterschiede auch bei der Seele macht; indess kann man die Schönheit der Seele nicht so leicht erkennen, wie die des Körpers. Somit ist also klar, dass von Natur die Menschen theils Freie, theils Sclaven sind, für welche letztere das Sclavensein nützlich und auch gerecht ist.

 

Sechstes Kapitel.

Indess ist leicht einzusehen, dass auch die, welche das Gegentheil annehmen, in einer gewissen Weise Recht haben; denn die Worte Sclaverei und Sclave werden in zwiefachem Sinne gebraucht. Es giebt nämlich auch Sclaven und eine Sclaverei vermöge des Gesetzes; dies Gesetz ist jene Art von Uebereinkunft, wonach das im Kriege Erorberte den Siegern zufällt. Dieses Recht klagen nun viele der Gesetzkundigen, gleichsam wie einen Redner, welcher unzulässige Gesetzesvorschläge eingebracht hat, der Gesetzesverletzung an, weil es empörend sei, dass Jemand Sclave dessen werden solle, weil dieser von grösserer Kraft sei und ihn zu bewältigen vermocht habe, so, dass der Bewältigte nun der Beherrschte sein solle. Selbst unter weisen Männern ist ein Theil dieser Ansicht und ein anderer Theil jener Ansicht. Die Ursache dieses Streites, vermöge deren Gründe für beide Ansichten ausgetauscht werden können, liegt darin, dass die Tugend, wenn sie mit den nöthigen Mitteln ausgestattet ist, auch am meisten bewältigen kann und dass das Mächtigere immer auf einem hervorragenden Guten beruht, so, dass die Gewalt nie ohne Tugend zu sein scheint, und man also nur noch über das Gerechte sich streitet. Hier gilt nun Manchem die wohlwollende Gesinnung für das Gerechte, während Andere 11 gerade für gerecht erklären, dass der Stärkere herrsche. Was ausser diesen Gründen sonst noch von den Streitenden dafür vorgebracht wird, dass das an Tugend Vorzüglichere nicht herrschen und nicht Herr sein solle, hat weder Beweiskraft, noch ist es leicht zu verstehen. Dagegen treten Andere dem überhaupt entgegen, indem sie hier ein besonderes Gerechte annehmen, (denn das Gesetz sei ein solches) und demnach die Sclaverei in Folge des Krieges für gerecht erklären; indess behaupten sie gleichzeitig auch das Gegentheil; denn es ist ja möglich, dass der Krieg nicht gerecht begonnen wird, und dann wird Niemand behaupten, dass derjenige Sclave sein solle, der es nicht verdient, da es ja sonst sich treffen könnte, dass Männer von der edelsten Abkunft Sclaven würden und von Sclaven abstammten, wenn sie zufällig gefangen und dann verkauft würden. Deshalb wollen auch die Vertheidiger dieser Ansicht dies nicht von den Griechen, sondern nur von den Barbaren gelten lassen. Allein, wenn sie so sprechen, so gelangen sie ebenfalls auf Sclaven, die es von Natur sind, wie ich im Anfang gesagt habe. Dann müssen sie nothwendig zugestehen, dass Manche überall Sclaven sind und Andere nirgends. Ebenso verhält es sich mit der edlen Abkunft; sich selbst halten sie nicht blos in ihrer Heimath, sondern überall für edelgeboren; die Barbaren aber nur in deren Lande, so, dass also der Eine allgemein von edler Abkunft und ein Freier ist, der Andere aber nicht allgemein, wie die Helena bei Theodektas sagt:

»Aus göttlichem Stamme von beiden Eltern entsprossen
Wer wollte es wagen, mich eine Sclavin zu nennen?«

Wenn also Jene dies sagen, so unterscheiden sie damit den Sclaven von dem Freien und den edel Geborenen von dem niedriger Abkunft durch nichts Anderes, als durch die Tugend und die Schlechtigkeit; sie behaupten, dass wie von dem Menschen ein Mensch und von dem Thiere ein Thier entsteht, so auch ein Guter von dem Guten werde. Indess will zwar die Natur dies zu Stande bringen, aber vermag es oft nicht.

Es erhellt also, dass diese gegentheiligen Ansichten eine gewisse Berechtigung haben und dass Manche von 12 Natur Sclaven, Andere von Natur Freie sind und auch nicht sind und dass bei dem Einzelnen dies sich danach bestimmt, ob ihm die Sclaverei, oder die Herrschaft zuträglich ist und dass es auch gerecht ist und sich gehört, dass der Eine beherrscht werde, der Andere herrsche und zwar in der von der Natur bestimmten Weise, so, dass er also auch die Herrschaft über Sclaven üben kann. Wird aber die Herrschaft schlecht geführt, so gereicht es beiden zum Nachtheile; denn ein und dasselbe nützt, wenn dem Theile, auch dem Ganzen und sowohl dem Körper, wie der Seele und der Sclave ist ein Theil des Herrn, und gleichsam ein lebendiges und von dem Körper abgetrenntes Glied desselben. Deshalb ist auch eine gegenseitige Freundschaft zwischen Sclaven und Herrn für solche nützlich, die von Natur dazu bestimmt sind, während das Entgegengesetzte für die gilt, wo das Verhältniss nicht auf dieser Weise, sondern blos auf dem Gesetze und der Gewalt beruht.

 

Siebentes Kapitel.

Hieraus ergiebt sich auch, dass die Herrschaft über Sclaven und die Herrschaft in einem Verfassungsstaate nicht ein und dasselbe sind und dass auch nicht alle Arten der Herrschaft einander gleich sind, wie Manche behaupten. Denn die eine besteht von Natur über Freie, die andere über Sclaven und die Herrschaft im Hause ist die Herrschaft eines Einzigen (denn jedes Haus wird von Einem beherrscht) und die Herrschaft im Verfassungsstaate ist eine Herrschaft über Freie und einander Gleiche. Der Herr über die Sclaven heisst nicht so wegen seiner Kenntnisse, sondern weil er der Herr ist; ebenso der Sclave und der Freie. Doch giebt es wohl auch eine Wissenschaft für Sclaven und eine für die Herren; erstere von der Art, wie Jemand bei den Syrakusen die Sclaven unterrichtete, indem er dort die jungen Sclaven gegen Lohn in den gewöhnlichen Dienstverrichtungen unterrichtete; ja es giebt hier auch wohl noch manches darüber hinaus zu lernen, z. B. die Kochkunst und andere ähnliche Arten des Dienstes; denn die Verrichtungen sind verschieden und die eine ist 13 anständiger, als die andere, und die eine nothwendiger, als die andere; wie das Sprüchwort sagt: »Ein Sclave vor dem anderen und ein Herr vor dem anderen.« Während dies nun alles Wissenschaften für den Sclaven sind, so besteht die Wissenschaft für den Herrn in dem, wie er den Sclaven zu gebrauchen hat; denn der Herr zeigt sich nicht in dem Erwerben der Sclaven, sondern in deren Gebrauche. Solche Wissenschaft enthält indess nichts Grosses, noch Ehrwürdiges; denn was der Sclave zu verrichten verstehen muss, das muss der Herr zu befehlen verstehen. Wer also nicht selbst damit sich zu plagen braucht, der überlässt diese Ehre dem Aufseher und beschäftigt sich selbst mit den öffentlichen Angelegenheiten, oder mit den Wissenschaften. Die Wissenschaft über den Erwerb eines Sclaven ist von jenen beiden verschieden; so ist die, welche den gerechten Erwerb behandelt, eine Art Kriegs- oder Jagd- Wissenschaft. – In dieser Weise sei nun das Verhältniss zwischen Herrn und Sclaven bestimmt.

 

Achtes Kapitel.

Ich werde nun in der begonnenen Weise das Vermögen im Allgemeinen und den Vermögenserwerb in Betracht nehmen, da ja auch der Sclave einen Theil des Vermögens bildet. Man kann hier zunächst im Zweifel sein, ob die Erwerbskunst mit der Hauswirthschaftskunst dieselbe ist, oder ob sie einen Theil derselben bildet, oder ob sie ihr untergeordnet ist und wenn letzteres der Fall, ob dies so geschieht, wie mit der Webstuhlmacherkunst bei der Weberkunst, oder wie mit der Erzbereitungskunst bei der Erzbildnerkunst? Denn beide sind nicht in gleicher Weise untergeordnet, sondern die eine gewährt das Werkzeug, die andere den Stoff. Unter Stoff meine ich das Unterliegende, woraus der Gegenstand gemacht wird, z. B. die Wolle für den Weber und das Erz für den Erzbildner. Offenbar ist nun die Hauswirthschaftskunst nicht dieselbe mit der Erwerbskunst. Diese hat es mit dem Erwerben, die andere mit dem Gebrauchen zu thun. Denn welche andere Wissenschaft, neben der Hauswirthschaftskunst lehrte wohl den Gebrauch der zur häuslichen Familie gehörigen Dinge? Dagegen kann man 14 zweifeln, ob die Hauswirthschaftskunst als ein Theil zur Erwerbskunst gehört, oder ob sie der Art nach von ihr verschieden ist. Denn wenn es die Aufgabe der Erwerbskunst ist, zu sehen, woher Vermögen und Besitz zu erlangen ist, der Besitz aber und der Reichthum aus vielerlei Theilen besteht, so fragt es sich zunächst, ob der Landbau ein Theil der Erwerbskunst, oder eine andere Gattung ist und was hier überhaupt in Bezug auf die Sorge für die Nahrungsmittel und für den Besitz gelten soll?

Nun giebt es aber vielerlei Arten sich zu ernähren und deshalb auch vielerlei Lebensweisen bei den Thieren und Menschen; denn ohne Nahrung kann man nicht leben und daher haben die Unterschiede in der Art sich zu ernähren, auch die Lebensweise der Thiere verschieden gestaltet. Von den wilden Thieren leben manche in Herden, andere vereinzelt, wie es ihnen für ihre Ernährung am vortheilhaftesten ist; denn manche leben nur von Fleisch, andere nur von Pflanzenkost und manche von beidem, so, dass die Natur ihre Lebensweise je nach der Leichtigkeit und der Auswahl dieser Nahrungsmittel geschieden hat. Auch ist von Natur nicht dasselbe jedwedem Thiere angenehm, sondern jedem etwas anderes und danach haben sich auch die Lebensweisen der Fleischfressenden von denen der Pflanzenfressenden gesondert. Aehnlich verhält es sich bei den Menschen; ihre Lebensweise ist sehr verschieden. Die Trägsten führen ein herumziehendes Leben; sie arbeiten nicht, weil die Nahrung, welche die zahmen Thiere ihnen bieten, ihnen ohne Arbeit zufällt. Da indess die Weiden für die Hausthiere gewechselt werden müssen, so müssen auch sie diesen folgen, gleich, als wenn sie einen lebendigen Landbau betrieben. Andere leben von der Jagd und zwar die Einzelnen von verschiedener Jagd, die Einen z. B. von dem Raube, Andere vom Fischfang, so weit sie an den Seen, Sümpfen, Flüssen oder am Meere wohnen; Andere von dem Fang der Vögel oder der wilden Thiere. Die grösste Klasse der Menschen lebt indess von der Erde und den erbauten Früchten.

So viel Lebensweisen giebt es ungefähr, bei welchen die Menschen ihren Unterhalt durch eine auf die Natur selbst gerichtete Thätigkeit und nicht durch Tausch oder 15 Krämerhandel sich verschaffen; also eine umherziehende, eine ackerbauende Lebensweise, eine räuberische, eine den Fischfang und eine die Jagd betreibende Lebensweise. Auch die, welche diese Lebensweisen vermischt treiben, leben angenehm, indem sie das dürftige Leben durch das ergänzen, was ihnen zur Behaglichkeit noch fehlt. So treiben die wandernden Stämme zugleich Räuberei, die Ackerbauer zugleich die Jagd und ähnlich machen es die anderen, indem sie ihr Leben so einrichten, wie ihre Bedürfnisse sie dazu nöthigen. Eine ähnliche Art von Besitz scheint Allen von der Natur selbst gegeben zu sein, und zwar gleich bei der Geburt und ebenso den Erwachsenen. Denn gleich mit Eintritt des Lebens bringt ein Theil der Thiere so viel Nahrung mit zur Welt, wie nöthig ist, bis das neugeborene Geschöpf sich selbst Nahrung verschaffen kann, wie es bei denen, welche Würmer oder Eier legen, der Fall ist; alle aber, welche lebendige Junge gebären, haben für diese bis zu einer gewissen Zeit die Nahrung in sich selbst, nämlich den Stoff, welchen man Milch nennt, so dass hiernach an sich klar und auch für die Erwachsenen anzunehmen ist, dass die Pflanzen der Thiere wegen und die Thiere der Menschen wegen da sind, und zwar die zahmen zur Dienstleistung und Nahrung und von den wilden, wenn auch nicht alle, doch die meisten, zur Nahrung und sonstiger Hülfe, damit die Kleidung und anderes Geräthe von ihnen gemacht werden kann.

Wenn nun die Natur nichts unvollendet und nichts nutzlos macht, so muss sie nothwendig alles für die Menschen gemacht haben. Deshalb wird auch die Kriegskunst wohl eine Art Gewerbskunst sein; denn die Jagd ist ein Theil derselben, deren man sich gegen die wilden Thiere und gegen jene Menschen bedienen muss, welche zum Beherrschtwerden geboren sind, aber dem sich nicht fügen wollen, so dass ein solcher Krieg von Natur gerecht ist. Eine Art der Erwerbskunst, nämlich die natürliche, ist also ein Theil der Hauswirthschaftskunst, indem von den zum Leben nöthigen oder für die staatliche oder häusliche Gemeinschaft nützlichen Sachen ein Vorrath, so weit die Sachen sich dazu eignen, da sein oder von der Erwerbskunst beschafft werden muss. Der wahrhafte Reichthum dürfte hieraus bestehen; denn 16 ein solcher Besitz, welcher für ein gutes Leben genügt, ist nicht grenzenlos, wie dies Solon in dem Verse »der Reichthum hat keine Grenze, die erkennbar den Menschen gesteckt ist,« behauptet. Eine Grenze ist hier, wie bei den anderen Künsten, allerdings vorhanden, denn in keiner Kunst ist ein Werkzeug der Menge oder Grösse nach unbegrenzt und der Reichthum ist nur eine Menge von Werkzeugen für die hauswirthschaftliche und staatliche Thätigkeit.

 

Neuntes Kapitel.

Es ist also klar, dass es für den Hausherrn und für den Staatsmann eine natürliche Art der Erwerbskunst giebt und weshalb dies der Fall ist; indess giebt es noch eine andere Art der Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht die Bereicherungskunst genannt wird und vermöge deren der Reichthum und Besitz keine Grenzen zu haben scheint. Wegen dieser Verwandtschaft haben Viele diese letztere für die alleinige Erwerbskunst und für ein und dieselbe mit der vorgenannten gehalten. Indess ist sie zwar nicht dieselbe mit der vorgenannten, aber auch nicht weit von ihr abgelegen. Die eine ist eine natürliche Erwerbsweise, die andere aber nicht, sondern sie bildet sich mehr vermittelst einer gewissen Erfahrung und Kunst. Wir werden den Ursprung derselben auffinden, wenn wir davon ausgehen, dass es von jedem Besitz einen zwiefachen Gebrauch giebt; jeder von beiden ist an sich ein Gebrauch, aber nicht auf gleiche Art; der eine ist der Sache eigenthümlich, der andere nicht, wie man z. B. ein Paar Schuhe entweder anziehen, oder vertauschen kann. Beides ist ein Gebrauch der Schuhe; denn auch der, welcher die Schuhe an Jemanden, der sie braucht, für Geld oder für Nahrungsmittel vertauscht, gebraucht die Schuhe als Schuhe, nur nicht in der ihnen eigenthümlichen Weise; denn die Schuhe sind nicht des Tausches wegen gemacht worden. Ebenso verhält es sich mit anderen Besitzstücken. Ein Tauschhandel kann bei allen Dingen statt finden, indem er zunächst aus dem sich bildet, was der Mensch von Natur bedarf, und indem hiervon die Menschen theils mehr, theils weniger haben, als sie brauchen. Hieraus erhellt auch, dass das Krämergeschäft 17 von Natur nicht zu der Bereicherungskunst gehört, denn man war zu dem Tausche nur in so weit genöthigt, als der eigne Bedarf es erforderte. Deshalb hat der Krämerhandel offenbar innerhalb der ursprünglichen Gemeinschaft (und dies ist die häusliche Familie) nichts zu schaffen, sondern nur da, wo die Gemeinschaft schon grösser ist. Denn die Glieder der Familie theilten einander alle dasselbe mit; aber unter Getrennten wird auch vieles Verschiedene mitgetheilt und hier wird es nothwendig, nach dem Bedürfniss das Mitzutheilende gegen einander auszutauschen, wie es noch heute bei vielen rohen Völkern geschieht. Denn hier werden die nützlichen Dinge gegen einander ausgetauscht, aber nicht weiter, als es nöthig ist, indem man z. B. Wein gegen Getreide giebt und nimmt, und ebenso jedes andere Gut. Dieser Tauschverkehr ist weder unnatürlich, noch eine Art Bereicherungskunst, sondern dient nur zur Ergänzung des Zustandes, bei dem man für seine naturgemässen Bedürfnisse hinreichend versorgt ist.

Aus diesem Tauschhandel entwickelte sich nun jener andere Handel ganz folgerichtig; denn als die durch Einführen des Bedarfs und Fortsenden des Ueberflusses gewonnene Hülfe sich nach immer ferneren Ländern ausdehnte, musste nothwendig das Geld in Gebrauch kommen, da nicht alles von den zum Nothwendigen gehörenden Dingen leicht ausführbar ist. Deshalb vereinigte man sich dahin, dass behufs des Tausches dasjenige gegenseitig gegeben oder genommen werden sollte, was an sich zu den nützlichen Dingen gehörte, aber zugleich in seinem Gebrauche für das Leben am leichtesten zu handhaben war, wie z. B. Eisen, oder Silber, oder sonst etwas der Art, was anfänglich nur nach Grösse und Gewicht gemessen wurde, aber dem man zuletzt auch ein Zeichen aufdrückte, um sich das Messen zu ersparen, wo dann das Gepräge als das Zeichen seiner Grösse galt. Nachdem so das Geld aus der Nothwendigkeit des Tausches hervorgegangen war, entstand die zweite Art der Bereicherungskunst, der Kleinhandel, der im Anfange wohl sehr einfach war, dann aber allmälig durch die Erfahrung sich künstlicher gestaltete, indem man erwog, wie das Umzutauschende und aus welchen Ländern dessen Bezug den grössten Gewinn verschaffen werde. Deshalb handelt 18 es sich bei der Bereicherungskunst hauptsächlich um das Geld und ihre Aufgabe ist, zu ermitteln, woher das meiste Geld zu bekommen ist; sie führt deshalb zum Reichthum, zum Besitz von Geld und Viele setzen deshalb den Reichthum nur in die Menge des Geldes, weil bei der Bereicherungskunst und dem Kleinhandel es nur auf das Geld abgesehen ist.

Indess scheint auch wieder das Geld nur eine Posse und eine willkürliche Satzung für Alle zu sein, aber von Natur ohne Werth, weil, wenn die, bei denen es im Gebrauch ist, es ändern, es dann nichts mehr werth ist und zur Erlangung irgend eines Bedarfs nichts mehr nützt, so, dass der an Geld Reiche oft der nothwendigen Nahrung entbehren muss. Deshalb soll ein solcher Reichthum etwas Verkehrtes sein, da man in dessen vollem Besitze Hungers sterben könnte, wie es nach der Sage dem Midas ergangen ist, bei dem, in Folge der Unersättlichkeit seiner Wünsche Alles, was man ihm hinsetzte, zu Gold wurde. Man hat deshalb Recht, wenn man nach einer anderen Art des Reichthums und der Bereicherungskunst sucht. Denn es giebt noch eine andere Bereicherungskunst, und einen natürlichen Reichthum und dies ist die Hauswirthschaftskunst; dagegen beschafft der Kleinhandel wohl brauchbare Dinge, aber nicht im vollen Sinne, sondern nur durch Umtausch von solchen. Denn bei ihm scheint es sich nur um das Geld zu handeln, weil das Geld der Anfang und das Ende des Tausches ist. Der aus solcher Bereicherungskunst entstehende Reichthum hat keine Grenze. Wie nun die Arzneikunst für das Gesundmachen keine Schranke kennt, und jede andere Kunst ihr Ziel ohne Schranke verfolgt (denn nur dieses Ziel will jede Kunst vor allem verwirklichen); wie dagegen die Mittel zu dem Zweck nicht schrankenlos sind (denn sie haben alle an dem Ziele ihre Grenze); so hat auch das Ziel dieser Bereicherungskunst keine Grenze und ihr Ziel ist ein solcher Reichthum an Geld und Erwerb desselben. Dagegen besteht für die Hauswirthschaftskunst, aber nicht für die Bereicherungskunst eine Grenze, denn der Gelderwerb ist nicht die Aufgabe der Hauswirthschaftskunst. Deshalb scheint in dieser Hinsicht jeder Reichthum eine Grenze zu haben; allein in der Wirklichkeit zeigt sich das Gegentheil; denn 19 Alle, die sich bereichern wollen, vermehren ihren Geldbesitz in das Grenzenlose. Der Grund liegt in der Verwandtschaft beider Arten der Bereicherungskunst. Jede von beiden Erwerbsarten greift in einander über, da sie beide mit gleich nützlichen Gegenständen zu thun haben; ihr Erwerb ist auf dieselben nützlichen Dinge gerichtet, aber nicht zu demselben Zweck bei beiden; die eine will nur den Besitz vermehren, während die andere ein anderes Ziel hat. Deshalb glauben Manche, dass die Vermehrung des Besitzes die Aufgabe der Hauswirthschaftskunst sei, und bleiben beharrlich dabei, dass sie den Geldvorrath entweder erhalten, oder in's Unbegrenzte vermehren müsse. Der Grund für solche Meinung liegt darin, dass das Trachten der Menschen nur darauf geht, zu leben, aber nicht dahin, gut zu leben; jenes Begehren hat in sich keine Schranke und deshalb strebt man auch schrankenlos nach den Mitteln dazu. Andere, denen es auf das Gutleben ankommt, suchen nur die Mittel für die sinnlichen Genüsse, und da auch diese in dem Besitze enthalten zu sein scheinen, so geht das ganze Getreibe auf den Gelderwerb und daraus ist diese zweite Art der Bereicherungskunst hervorgegangen. Indem der Sinnengenuss in dem Uebermaasse liegt, so sucht man nach dem, was dieses Uebermaass des Genusses beschaffen kann und wenn man es nicht durch die Bereicherungskunst erlangen kann, so versucht man es auf anderen Wegen, indem man alle seine Kräfte in unnatürlicher Weise dazu verwendet. Die Mannhaftigkeit ist aber nicht dazu da, Geld zu beschaffen, sondern Muth; auch die Feldherrnkunst und die Arzneikunst hat nicht diese Aufgabe, sondern die eine soll den Sieg, die andere die Gesundheit beschaffen. Jene machen aber aus allen diesen Künsten einen Gelderwerb, als wäre dieser deren Ziel, auf welches Alles bezogen werden müsse.

Somit habe ich über diese nicht nothwendige Bereicherungskunst gesprochen und dargelegt, was sie ist und weshalb man sie betreibt; ebenso, dass die Wirthschaftskunst eine andere und natürliche Art derselben ist, welche sich mit der Ernährung beschäftigt und welche, nicht wie jene, schrankenlos ist, vielmehr eine Grenze hat. 20

 

Zehntes Kapitel.

Hiermit ist auch der im Anfang erwähnte Zweifel erledigt, ob die Bereicherungskunst zu den Geschäften des Hausverwalters und des Staatsmannes gehöre, oder nicht. Die Mittel müssen allerdings vorhanden sein; denn so wie die Staatskunst die Menschen nicht macht, sondern sie von der Natur empfängt und nur gebraucht, so muss auch die Natur die Nahrung gewähren, sei es die Erde oder das Meer, oder ein anderes; aber mit diesen Mitteln das Gehörige einzurichten, kommt dem Hausverwalter zu. Auch die Weberkunst hat die Wolle nicht zu machen, sondern nur zu gebrauchen und zu wissen, welche Wolle brauchbar und passend und welche schlecht und ungeeignet ist. Man könnte vielleicht auch im Zweifel sein, weshalb die Bereicherungskunst einen Theil der Wirthschaftskunst bilden solle, und die Heilkunst nicht, obgleich doch die Hausangehörigen ebenso nothwendig gesund sein müssen, wie leben oder sonst das Nothwendige haben.

Allein, so wie es in einer Art des Hausverwalters und des Herrschers Sache ist, auch auf die Gesundheit zu achten und in einer anderen Art wieder es nicht ihre, sondern des Arztes Sache ist, so ist auch die Bereicherungskunst in einer Art Sache des Hausverwalters und in einer anderen Art nicht seine, sondern Sache einer ihr dienenden Kraft. Doch muss hier das Meiste auf natürlichem Wege gewonnen werden, denn das Werk der Natur ist es, dem Geborenen die Nahrung zu gewähren und jedem Geschöpfe dient der Stoff von dem, woraus er wird, als Nahrung. Deshalb entnimmt naturgemäss die Bereicherungskunst ihren Stoff für Alle aus den Früchten und von den Thieren. Da sie aber, wie gesagt, zwiefacher Art ist, entweder Kleinhandel oder Wirthschaftskunst und diese nothwendig und lobenswerth ist, jener aber, welcher blos tauscht, mit Recht tadelnswerth; (denn er erwirbt nicht von der Natur, sondern von Anderen) so ist mit gutem Grunde das Geschäft des Wucherers verhasst, weil er von dem Geld selbst den Gewinn bezieht und nicht aus den Geschäften, wozu das Geld bestimmt ist; es ist nämlich des Tausches wegen gemacht worden, aber der Zins vermehrt es durch sich selbst. Davon hat der Zins (τοκος, Junges) auch den Namen bekommen; denn 21 das Geborene (τικτομενα) ist seinen Eltern ähnlich und der Zins ist Geld vom Gelde. Deshalb ist dieses Geschäft von allen auf Erwerb gerichteten das unnatürlichste.

 

Elftes Kapitel.

Nachdem ich das zur Erkenntniss Gehörige hier hinreichend erörtert, habe ich nun das zur Ausführung Gehörende durchzugehen. Alldergleichen ist in der Theorie frei, aber in der Ausführung dem Zwange unterworfen. Die nützlichen Theile der Bereicherungskunst sind eine auf Erfahrung beruhende Kenntniss der Waaren, damit man wisse, welche am billigsten sind, und wo, und wie sie zu erlangen sind; wie z. B. der Erwerb der Pferde, der Stiere und der Schaafe und ebenso der übrigen Thiere auszuführen ist. Man muss hierin erfahren sein und wissen, welche Sachen verhältnissmässig gegeneinander am billigsten sind, und bei welcher Waare, auch in welchen Ländern dies der Fall ist; denn in jedem Lande gedeihen andere Güter am besten. Ferner muss man in der Landwirthschaft erfahren sein, sowohl was die Ackerbestellung, als die Baumzucht und die Bienenzucht anlangt; ebenso in der Zucht anderer Thiere, wie der Fische und Vögel, so weit sie Nutzen bringen. Für die eigentliche Bereicherungskunst sind dies die vornehmsten Theile; aber für die den Tausch betreffende Bereicherungskunst ist der vornehmste Theil der Handel (von dem es drei Arten giebt: den Seehandel, den Landhandel und den Krämerhandel; der Unterschied zwischen ihnen liegt darin, dass der eine schwerer, der andere gewinnbringender ist); den zweiten Theil bildet das Ausleihen von Geld auf Zinsen, und den dritten die Lohnarbeit. Zu letzterer gehören theils die verschiedenen Geschäfte des Handwerks, theils die kunstlosen Arbeiten, welche blos Körperkraft erfordern. Eine dritte Art der Bereicherungskunst steht zwischen der ersten und zweiten mitten inne, indem sie theils einen natürlichen, theils einen austauschenden Bestandtheil hat; sie bezieht sich auf die aus der Erde und deren Erträgnissen gewonnenen Erzeugnisse, die zwar keine Früchte sind, aber doch ihren Nutzen haben, wie der Holzschlag und 22 der Bergbau auf Erze. Letzterer umfasst viele besondere Erwerbszweige, da deren in Bezug auf die aus der Erde gewonnenen Erze viele bestehen. Ueber diese werde ich hier nur im Allgemeinen mich auslassen; denn das Genauere im Einzelnen ist zwar für die Hantirung nützlich, aber die Wissenschaft kann sich nicht damit beschäftigen. Von diesen Erwerbszweigen verlangen diejenigen am meisten Fertigkeit, wo der Zufall am wenigsten Einfluss hat; dagegen sind am handwerkmässigsten die, wo der Körper am meisten geschädigt wird; am knechtischsten die, wo der Körper das Meiste thun muss und am unedelsten die, wo man der Tugend am wenigsten bedarf.

Hierüber haben schon Einige Bücher geschrieben; so Charetis aus Paros und Apollodoros aus Lemnos über die Landwirthschaft, sowohl über Ackerbau, wie über Baumzucht; und ebenso Andere über anderes; wem also daran liegt, mag es aus diesen Schriften lernen. Auch muss er die zerstreuten Nachrichten sammeln, wonach es Einzelnen geglückt ist, reich zu werden; denn dies alles ist für die, welche die Bereicherungskunst hochschätzen, von Nutzen. Ein Beispiel dafür ist das, was man von dem Milesier Thales erzählt. Es ist zwar eine zur Bereicherungskunst gehörende Speculation, allein man schreibt sie seiner Weisheit zu, da sie etwas Allgemeines enthält. Als man ihn nämlich wegen seiner Armuth verspottete, die Philosophie also zu Nichts nütze, so soll er, wie man sagt, vermöge der Astrologie erkannt haben, dass die Oelbäume eine reiche Ernte geben würden, obgleich es noch Winter war und er soll mit dem wenigen Gelde, was ihm zu Gebote gestanden, als Handgeld, sämmtliche Olivenpressen in Miletos und Chios für einen geringen Preis gepachtet haben, weil Niemand ihn überbot. Als nun die Erntezeit herankam und plötzlich und auf einmal viele Pressen gebraucht wurden, so vermiethete er sie so hoch, wie es ihm beliebte, sammelte viel Geld und zeigte so, dass es den Philosophen ein Leichtes sei, reich zu werden, wenn sie wollten, aber, dass Reichthum nicht das sei, um was sie sich mühten. Auf diese Weise soll Thales den Werth der Weisheit bewiesen haben. Es ist dies indess, wie gesagt, ein allgemeiner Satz der Bereicherungskunst, insofern Jemand vermag sich ein 23 Monopol zu verschaffen. Deshalb benutzen auch manche Staaten dieses Mittel, wenn es ihnen an Gelde fehlt; sie machen dann den Weinhandel zu ihrem Monopol. So kaufte auch in Sicilien Jemand mit dem bei ihm niedergelegten Gelde alles Eisen aus den Eisenhütten und als dann die Grosshändler aus den Handelsplätzen kamen, verkaufte er allein, und obgleich er den Preis nicht viel höher stellte, so gewann er doch mit 50 Talenten an 100. Als Dionysos dies hörte, hiess er ihn zwar sein Geld mitnehmen, aber er durfte nicht mehr in Sicilien bleiben, weil er Erwerbswege entdeckt habe, welche des Dionysos eignen Geschäften Schaden brächten. Diese Speculation und die des Thales sind ein und dasselbe; beide wussten sich durch einen Kunstgriff ein Monopol zu verschaffen. Auch den Staatsmännern ist es nützlich, wenn sie dies verstehen; denn viele Staaten brauchen, ebenso wie die Hauswirthschaft, Geld und solche Erwerbsquellen; ja noch mehr. Deshalb besteht die Staatskunst mancher Staatsmänner nur in solchen Unternehmungen.

 

Zwölftes Kapitel.

Die Haushaltungskunst hat, wie erwähnt, drei Theile; der eine betrifft das Verhältniss zwischen Herrn und Sclaven, über welches ich oben gehandelt habe; der zweite befasst das väterliche Verhältniss, der dritte das eheliche; denn die Herrschaft über die Frau und die Kinder wird zwar bei beiden über Freie geführt, aber in verschiedener Weise; die Herrschaft über die Frau gleicht der in einem Verfassungsstaate und die über die Kinder der in einem Königreiche; denn das Männliche hat von Natur das Weibliche zu leiten, wenn nicht das Verhältniss sich naturwidrig gestaltet hat, und das Aeltere und Erwachsene hat das Jüngere und Unerwachsene zu führen. In den meisten Verfassungsstaaten wechselt das Herrschen und Beherrschtwerden; denn man will hier in dem Natürlichen einander gleich sein und keine Unterschiede zulassen. Gleichwohl sucht man, insoweit der Eine herrscht, der Andere beherrscht wird, einen Unterschied in der äusseren Erscheinung, in den Worten und Ehrenbezeugungen herzustellen, wie auch Amasis dies 24 nach der Erzählung mit dem Fussbecken andeutete. Das Männliche verhält sich also hier zu dem Weiblichen immer in dieser Weise; dagegen ist die Herrschaft über die Kinder eine königliche; denn der Erzeuger ist sowohl vermöge der Liebe, wie des Alters der Herrschende und dies ist das Wesen der königlichen Herrschaft. Deshalb bezeichnet Homer den Zeus, indem er ihn den »Vater der Menschen und Götter« nennt, treffend als den König von Allen. Denn bei dem König muss von Natur ein Unterschied bestehen, aber der Gattung nach muss auch er den Beherrschten gleich sein, wie dies mit dem Aelteren zu dem Jüngeren und mit dem Erzeuger zu dem Kinde der Fall ist.

 

Dreizehntes Kapitel.

Es ist also klar, dass die Thätigkeit in der Haushaltungskunst sich mehr auf die Menschen richtet, als auf den Erwerb des Leblosen, und mehr auf die Vortrefflichkeit jener, als auf die des Besitzthums, welches man den Reichthum nennt, und mehr auf die Freien, als auf die Sclaven. Zunächst könnte hier der Zweifel entstehen, ob es bei dem Sclaven neben seinen körperlichen Vorzügen und neben seiner Geschicklichkeit im Dienen noch eine ehrenwerthere Tugend giebt, wie z. B. die der Selbstbeherrschung, oder der Tapferkeit, oder Gerechtigkeit und anderer sittlichen Gemüthsrichtungen; oder ob es dergleichen bei ihm neben seinen körperlichen Dienstleistungen nicht giebt. Sowohl die Bejahung, wie die Verneinung dieser Frage hat ihre Bedenken; denn wenn sie bejaht wird, so bleibt kein Unterschied zwischen den Sclaven und Freien und wenn man sie verneint, so ist dies widersinnig, weil die Sclaven doch auch Menschen sind und an der Vernunft theil haben. Ziemlich ebenso stellt sich diese Frage in Betreff der Frau und der Kinder; auch hier fragt es sich, ob es auch Tugenden bei diesen giebt und ob die Frau Selbstbeherrschung, Tapferkeit, Gerechtigkeit besitzen müsse, und ob es ungezogene und artige Kinder gebe, oder nicht? Ueberhaupt ist dies eine allgemeine Frage in Bezug auf das von Natur Herrschende und Beherrschte, nämlich, ob 25 die Tugend beider dieselbe oder eine verschiedene sei. Wenn beide an dem Sittlich-Schönen Theil haben, weshalb sollte da der eine ein für allemal herrschen und der andere gehorchen? Der Unterschied kann auch nicht in dem blossen Mehr oder Weniger liegen; denn das Herrschen und Gehorchen unterscheiden sich der Art nach, nicht aber durch ein Mehr oder Weniger.

Soll aber der eine Theil die Tugend haben, der andere nicht, so wäre dies wunderbar; denn wenn der Herrscher nicht mässig und gerecht sein sollte, wie könnte er da in rechter Weise herrschen? und wenn der Beherrschte es nicht sein sollte, wie könnte er da in rechter Weise gehorchen? denn wenn er zuchtlos und feige wäre, so würde er das ihm Obliegende nicht thun. Es ist also klar, dass beide nothwendig an der Tugend Theil haben müssen, dass aber diese Tugend ebenso verschieden ist, wie die von Natur Beherrschten. Dies lässt sich gleich an der Seele zeigen. In dieser besteht von Natur ein Herrschendes und ein Beherrschtes, deren Tugend verschieden ist, indem das eine Vernunft hat und das andere nicht. Offenbar verhält es sich auch bei den Anderen so und bei den meisten beruht das Herrschen und Gehorchen auf ihrer Natur. Auf eine andere Weise herrscht der Freie über den Sclaven und der Mann über die Frau, und der Erwachsene über das Kind; alle besitzen dieselben Bestandtheile der Seele, aber auf verschiedene Art. Dem Sclaven fehlt überhaupt der überlegende Theil der Seele; die Frau hat ihn zwar, aber ohne die erforderliche Macht und auch das Kind hat ihn, aber noch nicht entwickelt. Nothwendig muss sich dies ebenso auch bei den Character-Tugenden verhalten; man muss wohl annehmen, dass Alle daran Theil haben, aber nicht in derselben Weise, sondern nur so weit, wie es für jeden zu seiner Aufgabe erforderlich ist. Deshalb muss der Herrschende die Charactertugend im vollendeten Maasse besitzen (denn seine Aufgabe ist durchaus die eines Baumeisters und die Vernunft ist der Baumeister); dagegen hat jeder von den Anderen sie nur so weit, als seine Aufgabe es erfordert.

Es ist somit klar, dass die Character-Tugend ihnen Allen zugehört, aber, dass die Selbstbeherrschung bei der Frau eine andere ist, als bei dem Manne und ebenso die 26 Tapferkeit und Gerechtigkeit, wie auch Sokrates meinte; die eine ist eine herrschende, die andere eine gehorchende Gerechtigkeit und so verhält es sich auch mit den anderen Tugenden. Dies ergiebt sich auch, wenn man die Tugenden mehr im Einzelnen betrachtet; denn die, welche nur im Allgemeinen von der Tugend sprechen, täuschen sich, wenn sie sagen, sie sei das Wohlbefinden der Seele, oder das Rechthandeln oder etwas Aehnliches; viel besser treffen es die, welche wie Gorgias die Tugenden einzeln aufzählen, als jene, welche sie so, wie erwähnt, definiren.

Deshalb muss so, wie der Dichter über die Frau gesprochen, es sich bei Allen verhalten; »der Schmuck des Weibes ist Schweigen« sagt er; aber dies gilt nicht für den Mann. Ebenso ist der Knabe noch unvollendet und daher kann offenbar seine Tugend sich nicht auf ihn selbst beziehen, sondern auf den Erwachsenen und Führenden. Ebenso verhält es sich mit dem Sclaven zum Herrn. Ich habe gesagt, dass der Sclave für die nothwendigen Bedürfnisse gebraucht wird; deshalb bedarf er offenbar nur einer geringen Tugend und nur so viel davon, dass er nicht durch Zuchtlosigkeit oder Feigheit seinen Dienst versäumt. Ist dies richtig, so könnte der Zweifel entstehen, ob nicht auch die Handwerker nur der gleichen Tugend bedürfen; denn sie versäumen oft aus Zuchtlosigkeit ihre Geschäfte. Indess ist hier wohl ein grosser Unterschied; denn der Sclave ist ein Mitgenosse des Lebens; jener steht aber ferner und bedarf dergleichen Tugend nur in so weit, als er der Sclaverei näher rückt. Der gemeine Handwerker steht nämlich in einer nur beschränkten Sclaverei, der Sclave ist es aber von Natur; ein Schuhmacher oder anderer Handwerker dagegen nicht. Es ist also klar, dass für den Sclaven der Herr die Ursache zu einer solchen Tugend sein muss, aber, dass in dessen Verhältnisse als Herr nicht die Aufgabe liegt, dem Sclaven seine Dienstverrichtungen zu lehren. Deshalb haben diejenigen Unrecht, welche dem Sclaven die Vernunft absprechen und sagen, dass man ihn nur zur Ausführung des Befohlenen gebrauchen solle, vielmehr muss man die Sclaven noch mehr ermahnen, als die Knaben.

So viel möge in dieser Weise über den Herrn und Sclaven festgestellt sein; dagegen muss ich das 27 Verhältniss zwischen Mann und Frau und zwischen Vater und Kindern bei der Untersuchung der Staatsverfassungen durchgehen und da über die Tugend sprechen, welche jedem von ihnen zukommt, sowie über ihren Verkehr unter einander und über das, was hier schön und nicht schön ist und wie man hier das Gute anzustreben und das Schlechte zu vermeiden hat. Denn die ganze häusliche Familie ist nur ein Theil des Staates und diese Dinge betreffen die Familie. Da nun die Tugend eines Theiles im Hinblick auf die Tugend des Ganzen zu bestimmen ist, so muss auch bei der Erziehung der Kinder und Frauen immer Rücksicht auf die Staatsverfassung genommen werden; denn für die Tüchtigkeit des Staates ist es von Bedeutung, dass auch die Kinder und die Frauen tüchtig seien. Dieser Unterschied in der Erziehung ist nothwendig, denn die Frauen sind die Hälfte der Freien und aus den Kindern werden die Genossen der Staatsverbindung. Nachdem ich also das Eine erörtert habe und das Uebrige an einem anderen Orte zu besprechen habe, so verlasse ich die jetzige Untersuchung als abgeschlossen und nehme nun einen anderen Anfang, indem ich zunächst in Betracht ziehen werde, was über die beste Staatsverfassung bisher gesagt worden ist. 28

 


 


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