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Astrologie

» Astra inclinant, non necessitant
(Die Sterne geben Antriebe, aber zwingen nicht)

 

Wir verdanken es der schon mehrfach genannten Bibliothek Assurbanipals (668-626 v. Chr.), daß wir heute reichliches Material über die Praxis der babylonischen Astrologie besitzen. Der große Sammeleifer dieses Königs zeigt aber immer wieder und vor allem für die Astrologie, daß die Zeit intuitiven (schauenden) Wissens längst vorüber ist, und daß man sich immer mehr darauf beschränken mußte, zusammenzutragen, was von solchem Wissen aus der Vergangenheit noch erreichbar war. Es wurde nicht mehr geschaut, sondern gelehrt. Für die Sternkunst heißt das, die Astrologie wandelte sich immer mehr in Astronomie, aus Urväterweisheit wird eine zeitgemäße und damit auch zeitgebundene Wissenschaft. Wir befinden uns sozusagen in der »alexandrinischen« Periode des Babyloniertums.

Nach den uns erhaltenen und bis jetzt übersetzten astrologischen Texten aus Assurbanipals Bibliothek reicht ihr ältestes Material, dessen man noch habhaft werden konnte, bis auf Sargon I. (2850 v. Chr.) zurück, also gewiß nicht in mythische Zeit. Die sogenannten Ominatexte (omen = Vorzeichen) aus Sargons Zeit wurden in der Hauptsache so genutzt, daß man sagte: Unter dieser oder jener Gestirnkonstellation glückte oder mißglückte dem großen Sargon dies oder jenes; wiederholt sich dieselbe oder eine ähnliche Gestirnkonstellation heute, so wird dem jetzigen König »dementsprechend« dies oder jenes glücken oder mißglücken. Wir befinden uns damit in der schönsten Bücher- oder Gelehrtenweisheit, wo gerechnet, nicht mehr geschaut wird. Daß es unter babylonischen Astrologen auch intuitive Menschen gab, wie noch der erste neuzeitliche Astrologe Johannes Kepler ein solcher war, ist selbstverständlich. Es liegt um so näher, als sie Priester waren. Aber auch unter ihnen nahm ebenso selbstverständlich mit der wachsenden Verstandestätigkeit die intuitive Fähigkeit ab.

Auf eine schon ältere Zeit weist es, wenn etwa der Schreiber des Sumererkönigs Gudea berichtet, seinem König sei im Traum die Göttin Nisaba erschienen, »die den Sinn öffnet und die Bedeutung der Zahlen kennt, den reinen Schreibgriffel hielt sie in der Hand, eine Tafel mit den guten Gestirnzeichen hielt sie in der Hand und sann bei sich selbst nach«. Dann teilte Nisaba dem König im Traum aufgrund ihres Nachsinnens die günstige Gestirnkonstellation für den von ihm geplanten Tempelbau mit, also den besten Zeitpunkt für seine Grundsteinlegung. Hier zeigt sich noch ein Erinnerungsrest an vorgeschichtliche Zeit. Was einst unmittelbares Schauungsvermögen war, wird nur noch mittelbar im Traum wirksam oder wenigstens für den Tafelschreiber Gudeas und seine Zeit nur noch unter dem »Bild« des Traumes »begreifbar«.

Etwas mehr erfahren wir schon von der vorgeschichtlichen Anschauung aus den Namen des siebenstufigen Tempelturmes von Borsippa, der lautet: »Tempel der sieben Befehlsübermittler des Himmels und der Erde«, d. h. der Planeten. Ja, noch der Grieche Diodor weiß von der Astronomie der »Chaldäer in Babylonien« zu sagen: »Über die Gestirne haben sie seit langer Zeit Beobachtungen gemacht, und niemand hat genauer als sie die Bewegungen und Kräfte der einzelnen Sterne erforscht; daher wissen sie auch so vieles von der Zukunft den Leuten vorauszusagen. Am wichtigsten ist ihnen die Untersuchung über die Dolmetscher.« Das sind die Planeten. In vorgeschichtliche Zeit aber läßt uns die Tafel V des früher schon erwähnten Weltschöpfungsmythos blicken, wenn philologisch auch noch vieles unklar ist. Ich gebe die Verdeutschung von Ungnad:

»Er (Marduk) erschuf Standorte den großen Göttern,
stellte auf die Lumaschi (wohl Sterne im Tierkreis), die Sterne, ihr Abbild,
er bestimmte das Jahr und steckte die Grenzen,
stellte auf je drei Sterne für alle zwölf Monate.
Nach den Zeiten des Jahres bestimmte er Bilder,
Gründete Nibirus' (Planet Jupiter oder Sonne) Standort, ihr (der Sterne) Band zu bestimmen.
Daß kein Fehler geschehe und Einer sich irre,
bestimmte er den Standort für Enlil und Ea (Enlil hat seinen Standort am Nord-, Ea am Südhimmel).
Er öffnete Tore auf beiden Seiten (des Himmels)
mit gewaltigem Türschloß zur Linken und Rechten,
grad in ihr (der Tiamat?) Inneres setzt er den Höhepunkt (Polarstern?).
Den Mond läßt er glänzen, die Nacht ihm vertrauend,
als nächtlichen Schmuck die Zeit zu bestimmen,
gab ihm monatlich die erhabene Krone.
»Am Anfang des Monats geh auf überm Lande,
mit Hörnern erglänze, sechs Tage bestimmend,
am siebenten Tag nimm fort deine Krone (das Erdlicht?),
um Mitmonat gleich' eine Hälfte der anderen!
Wenn die Sonne (Schamasch) dann am Grunde des Himmels dich einholt,
laß abnehmen die Scheibe, zurück sie nun bildend.
Am 28. nähere dich dem Wege der Sonne,
doch am Ende des Monats steh gleich ihr und schwinde.«

Der Rest der Tafel V ist fast völlig zerstört.

Wir besitzen über den Mond, nach dem im alten Babylonien auch das Jahr sich richtete, es war ein Mondjahr, noch einen sumerischen Text, an dem vermutlich Priesterschüler ihre Übersetzungskunst ins Assyrische zeigen mußten: »Als Anu, Enlil und Ea, die großen Götter in ihrem unwandelbaren Ratschluß und gewaltigen Befehlen den Glanz, Sin (Mond) eingesetzt hatten, die Mondsichel erglänzen lassend und den Monat ins Leben rufend, als sie ihn (den Mond) als Wahrzeichen Himmels und der Erde eingesetzt hatten, um den Himmel in Glanz erstrahlen zu lassen, ging er am Himmel sichtbarlich hervor« (nach Greßmann).

In beiden Texten lebt noch etwas von der Urkraft des Schauens ältester Zeiten, das sich nicht in Begriffen ausspricht, sondern in Bildern, die nicht von der Wirklichkeit abgezogen (abstrahiert) sind, sondern lebendig wie die geschaute Wirklichkeit selbst. Erst später beginnt man darüber zu reflektieren, weshalb Sin ein Gott, ein Lebendiges ist und gleichzeitig doch auch der Name für den Mond. Ebenso bei Schamasch (Sonne) und Ischtar (Venus). Von allen Worten verlieren zwar die Namen im Altertum am spätesten ihre Bildkraft und damit ihre Lebendigkeit, aber es wird dem Verstand immer schwerer, sich unter Schamasch, Sin, Ischtar noch Lebendiges vorzustellen wie in der Urzeit, das auf alles Lebendige und damit selbstverständlich auch auf den Menschen wirkt, daß Sin oder Ischtar oder Schamasch nicht nur ein Planet ist, sondern vor allem ein »Befehlsübermittler«, ein »Dolmetsch«. Das Organ dafür nimmt ab, je mehr der Verstand zunimmt. Zwar müht sich der Verstand auch in spätbabylonischer Zeit noch redlich, den gestirnten Himmel nicht nur als ein Objekt für astronomische Beobachtungen und Berechnungen anzusehen, denn dazu war die Überlieferung noch zu stark, aber das Wissen davon, nicht mehr selbst erlebt, wird unsicher und schwankend. Am besten beweist das der Umstand, daß es in der babylonischen Spätzeit verschiedene Astrologenschulen gab, für welche einzelne Planeten direkt Entgegengesetztes bedeuteten. Wir wissen von drei solchen Schulen. Für das schauende Bewußtsein hat es immer nur eine Wahrheit gegeben. Erst für den sinnenden Verstand gibt es verschiedene, oft sehr mühselige und einander kreuzende Wege zur Wahrheit. Weder ein magischer noch ein mystischer Mensch hätte je Lessings berühmtes Wort gesprochen, wonach als höchstes Menschenglück das Streben nach Wahrheit an die Stelle der Wahrheit selbst treten muß, weil die Wahrheit über allen menschlichen Verstand geht, was durchaus zutrifft, wobei nur vergessen wird, daß der Mensch auch als erkennendes Wesen nicht nur Rationalist ist oder es wenigstens nicht sein muß, heute sowenig wie in der Vergangenheit oder in aller Zukunft der Zeiten.

Für den babylonischen Priester ist das göttliche Wissen sozusagen am gestirnten Himmel kodifiziert, von dem man es bei genügender Vorbildung und Begabung ablesen kann. »In den Sternen steht es geschrieben.« Erinnern wir uns an den sogenannten »noachitischen« Menschen, den wir im Urbild des babylonischen Gilgamesch zu erkennen glauben, so müssen wir nach der Hypothese von den Zeitcharakteren annehmen, daß ihm die Wahrnehmung und Anwendung kosmischer Kräfte noch unmittelbar zur Verfügung stand. Er war, um philosophisch mit Spinoza und Schopenhauer zu sprechen, viel mehr als heute natura naturans (schaffende Natur), viel mehr als heute Schöpfer und viel weniger als heute nur Geschöpf. Späten Geschlechtern schon deshalb ein Gott, ein Halbgott, ein Heros. Dem erwachenden Selbstbewußtsein, das sich vieler kosmischer Kräfte noch unmittelbar bedienen konnte, war der Mensch in der Tat »der Herr der Erde« (1. Mos. 9, 2 u. 3). Wir erinnern uns, daß Noah nach der Sintflut Weinberge pflanzte, und was die Folgen der ersten Betrunkenheit waren. Ein Wissenschaftler wie Dacqué sieht im Weinstock eine Schöpfung der noachitischen Menschen als natura naturans; jedenfalls ist es auffallend, daß die Entstehung des Weinstocks rein entwicklungsgeschichtlich, morphologisch bis jetzt nicht erklärbar ist. Ebenso verhält es sich mit der Familie der Katzen, zu der auch Löwe und Tiger gehören. Auch für sie konnte die Paläontologie bisher keine morphologisch-stammesgeschichtliche Anknüpfung finden. Eine noch so unmittelbar schöpferische Menschheit, der es für eine Weile gegeben war, Gott sozusagen direkt ins Handwerk zu pfuschen als natura naturans, erklärt ohne weiteres den Hochmut, den manches Wort alter magischer Texte atmet, wovon hier schon die Rede war, den »Übermut der Titanen und ihren Sturz«, den »Fall Adams«, oder wie es der Mythos sonst ausdrücken mag. Es erklärt aber auch, weshalb die Menschheit immer wieder auf die Astrologie verfällt, welche die schöpferischen Urkräfte in der Sternenwelt direkt oder wenigstens abgebildet findet. Ganz besonders tut das die Menschheit, wenn große Katastrophen sie in allen Nöten der natura naturata, des wehrlosen Geschöpfes, zeigen. Dann dämmert auch in rationalistischen Zeiten die Erinnerung an andere Zeiten auf, denen kosmische Kräfte noch unmittelbar zugänglich waren. Mit Hilfe der Astrologie möchten sie ihrer dann irgendwie wieder habhaft werden. Ein Wunsch, der aus dunklen Tiefen aufsteigt, aus dem Instinkt, wie wir gerne sagen, gegen den keine noch so moderne Wissenschaft, auch nicht die fortgeschrittenste Astronomie aufkommen kann.

Die babylonische Astrologie ist das Urbild von all diesen Bestrebungen; und da ihr auch die heutige Wissenschaft nicht das Verdienst bestreitet, so ganz nebenbei auch wichtige astronomische Vorgänge richtig beobachtet und aus ihnen auch noch heute gültige Folgerungen (Gesetze) gezogen zu haben, geben wir ein paar Beispiele aus den babylonischen Texten, die in außerordentlich großer Zahl durch die verschiedenen Ausgrabungen jetzt wieder zutage gekommen sind. Wir dürfen dabei nie vergessen, daß für die »Geheimwissenschaft zwischen Himmel und Erde«, wie die babylonische Lehre schon in sumerischen Texten heißt, das früher schon angeführte Gesetz von den »Entsprechungen« von grundlegender Bedeutung ist.

» Die Erscheinungen des Kosmos und des Kreislaufs sind Stoffwerdung der Gottheit. Im Kosmos liegt die Immanenz, im Kreislauf die Transzendenz der Gottheit. Alles irdische Sein und Geschehen entspricht einem himmlischen Sein und Geschehen. Mit den Erscheinungen des Kreislaufs am Himmel laufen die Erscheinungen des irdischen Naturlebens parallel (Samen und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht). Alle Naturerscheinungen gewinnen demnach im letzten Grunde astralen Charakter. Auch der Mensch als »Bild der Gottheit« ist ein Kosmos im kleinen, der teil hat an den Geschicken des großen Kosmos und des Kreislaufs ... Die Himmelskunde ist die Quelle alles Erkennens« (Jeremias).

Sind die Sterne die »Schrift des Himmels«, so kann man die Zukunft vorausschauen, wenn man diese Schrift richtig zu lesen versteht. So hat auch eine babylonische Urkunde nur dann Schwurkraft, wenn sie mit kosmischen Zeichen und Bildern versehen ist. Wir finden sie daher besonders auf babylonischen Grenzsteinen (Kudurru).

Ein solcher besonders gut erhaltener Grenzstein aus der Zeit Mardukpaliddins I. (1189-1176 v. Chr.), durch den der König eine Schenkung seines Vaters an seinen Beamten Murnabitu, Sohn des Tabmelu, bestätigt, sei hier abgebildet; der Stein besteht aus schwarzem Kalkstein, ist 48 cm hoch und wurde in Susa gefunden (siehe Abbildung auf der folgenden Seite).

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1. Mondscheibe (Sin),
2. achtstrahliger Stern (Ischtar),
3. Sonne (Schamasch),
4. und 5. Götterthrone mit Göttermützen (Anu und Enlil),
6. Götterthron mit Widderkopf und Ziegenfisch (Ea),
7. Hund (Gila),
8. Skorpion (Ischkhara),
9. Kolben mit Löwenkopf (Nergal, Mars)
10. Kolben mit Adlerkopf (Zamansa),
11. Götterthron und Ziegelaufsatz und gehörntem Drachen (Nebo, Merkur),
12. Kolben mit doppeltem Löwenkopf (Ninib, Saturn),
13. Lampe (Nisku),
14. liegender Ochse mit zweizackigem Blitz (Adad),
15. Speerspitze (Marduk, Jupiter),
16. schreitender Vogel (Baru),
17. Falke auf einer Stange (Papsukal) und
18. Schlange (Schiru).

Ähnliche Steine sind in großer Zahl gefunden worden. Sie zeigen, wie eng durch alle uns bekannten babylonischen Zeiten sowohl die Götter wie auch ihre Sterne mit allen Handlungen der Menschen verbunden waren.

Aus den außerordentlich zahlreichen babylonischen Ominatexten, Sternlisten und dergleichen erfährt man, daß die schon erwähnten Stufentürme im Lande zugleich astrologische Stationen zur Beobachtung des gestirnten Himmels waren mit festangestellten, der Astrologie kundigen Priestern, die systematisch und regelmäßig die Himmelskörper beobachteten, ihre Beobachtungen aufzeichneten, was von allgemeiner Bedeutung war, dem König mitteilten und ihm auf Befragen Auskunft über jede Konstellation zu geben hatten. Wie das Weltenbild dem Himmelsbild »entsprach«, so »entspricht« ja dem König im Himmel der König auf Erden. Himmelskönig ist Anu, im obersten Himmel steht sein Thron, die höchste göttliche Würde heißt A-nu-tu. Führt der irdische König sein Regiment schlecht, steigt Anu eventuell zum Gericht auf die Erde. Aber auch Sin (Mond) heißt »König der Götter«. Samsu-iluna, ein König der ersten babylonischen Dynastie, bittet, »daß die Götter ihm Leben schenken, das sich gleich Sin jeden Monat erneuert.« Der große Hammurabi sagt, Sin habe ihn mit den königlichen Insignien bekleidet. In einem Hymnus aus Ur, woher ja auch der biblische Abraham stammen soll, heißt es: »der König ist leuchtend wie der Neumond und sein Haupt ist mit Glanz bedeckt« und Assurbanipal trägt als Waffe das Sichelschwert. Vielleicht hängt auch die Sitte, den Bart des Königs blau zu färben, mit dem Umstand zusammen, daß Sin einen lasurfarbenen Bart (»Blaubart«) trägt. So kann denn schon König Gudea neben Götterbildern seine eigene Statur aufstellen:

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Der »König auf Erden« ist natürlich auch Repräsentant seines Landes. Beider Wohl und Wehe »entspricht« einander. Wie der Planet Jupiter (Marduk) gilt auch das Tierkreisbild des Löwen, babylonisch auch der »große Hund« genannt, als das günstige Horoskopgestirn für den König. Deshalb wird noch das Horoskop von Antiochus I. (um 70 v. Chr.) so dargestellt:

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Auf einer Belohnungsurkunde des schon erwähnten Mardukpaliddin I., auch Merodachbaladan gelesen (1189-1177 v. Chr.), steht der Löwe auf der Schlange (Hydra) (siehe Abbildung rechte Seite).

Noch deutlicher auf einer astronomischen Tafel aus der Arsacidenzeit:

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Nur ganz selten kümmert sich ein babylonischer Astrologe einmal um einen Privatmann, der dann schon eine besonders hervorragende Persönlichkeit sein mußte. Ein gewöhnlicher Sterblicher wäre im alten Babel gar nicht auf den Gedanken gekommen, einen Astrologen für sich zu bemühen. Es wäre ihm als Blasphemie erschienen, als eine Herausforderung der Götter, die für ihn nur übel ausgehen konnte. Es bedurfte einer jahrtausendlangen Entwicklung der Verstandestätigkeit und des damit verbundenen, sich immer mehr zuspitzenden Selbstbewußtseins, bis sich heute sogar Müllers Lieschen als Mittelpunkt der Welt schätzen lernt und auf sein Horoskop ausgeht, wofür es freilich keinen himmelskundigen Priester mehr nötig hat, sondern sich mit einem Astrologen aus dem Inseratenteil einer Tageszeitung begnügen kann.

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In Babylonien wurde, nach den astrologischen Sammlungen zu urteilen, das Hauptgewicht auf die Beobachtung des Mondes gelegt. Wie man dabei vorging, mögen einige Beispiele zeigen.

Zu Anfang des Monats war besonders der Lichtring um den Neumond wichtig. Dieser Lichtring wird mit der Königsmütze verglichen, deutet also auf den König. Daher lautet ein Bericht an den König so:

Ist der Mond bei seinem erstmaligen Erscheinen mit einer Mütze bedeckt, so wird der König Herrschaft erlangen. Ist er am ersten Tage sichtbar und ist der erste Tag ungewöhnlich lang, lange Regierungsdauer. Die Zahl des Monats wird volle dreißig sein (also ein voller Monat und deshalb günstig). Ist der Mond am ersten Tag sichtbar, günstig mit Akkad (Babylonien), ungünstig für Elam und Amurru. Der Monat Ab ist günstig für meinen Herrn. Von Nebo-schum-ischkur (Name des Astrologen).

Ausführlicher ist ein Bericht über die Entstehung des Vollmondes und des Altmondes am Ende des Monats. Aus ihm geht hervor, daß, wenn Vollmond und Sonne (»Gott mit Gott«) nicht zusammen gesehen werden, es Unglück ankündigt. Die Verspätung des Termins für den Vollmond, Sichtbarkeit des Mondes am 13. Tag, Mattigkeit der Erscheinung von Sonne und Mond am 14. oder 15. Tag, Sichtbarkeit des Mondes mit der Sonne erst am 16. Tag, sind ungünstige Vorzeichen. Deshalb wird der König auch von dem befragten Astrologen aufgefordert, durch Sühne- und Reinigungsopfer den Unwillen der Götter abzulenken. Ein solcher Bericht lautet:

Ist der Mond entgegen dem (erwarteten Zeitpunkt) verspätet und nicht sichtbar, Heranzug an die Hauptstadt. Am 13. ward er gesehen. Ist der Mond (am 13. Tage) nicht sichtbar, werden die Götter dem Land mit günstigem Rat beistehen. Am 14. und am 15. Tag wurde Gott mit Gott (Mond mit Sonne) nicht gesehen. Wenn der Mond im Monat Elul am 14. Oder 15. mit der Sonne nicht gesehen wird, so werden Leute (?) sterben, Wege gesperrt werden. Ist das Licht des Mondes und der Sonne matt, so wird der König gegen sein Land und seine Leute im Zorn losstürmen, Sonne und Mond werden verfinstert sein. Am 14. Tag werden Gott mit Gott nicht gesehen werden. Werden Mond und Sonne am 16. Tag zusammen gesehen, so wird König gegen König Feindseligkeiten aussenden, der König wird in seinem Palast lange eingesperrt sein, der Fuß des Feindes wird gegen sein Land gerichtet sein, der Feind wird im Lande siegreich stehen. Ferner wird der König von Subarti (feindliche Aramäer) stark und ohne Nebenbuhler sein.

An diesem Bericht sei vor allem noch hervorgehoben, daß der Astrologe nicht im geringsten davor zurückschreckt, auch bei ungünstigen Vorzeichen bei der Wahrheit zu bleiben. Sind die Vorzeichen aber günstig, besonders wenn Mond und Sonne am 14. Tage zusammen gesehen werden, also der Aufgang des Vollmondes vor Sonnenuntergang sichtbar wird, dann hört man in dem Bericht das Herz des Astrologen förmlich höher schlagen:

Wenn der Mond die Sonne erreicht und neben ihr matt beleuchtet erscheint, ein Horn nach dem anderen verdunkelnd, so wird Gerechtigkeit im Lande herrschen, und der Sohn wird seinem Vater Treue halten. Am 14. Tag wurde Gott mit Gott gesehen. Wenn Mond und Sonne matt erscheinen, wird der König weise handeln, der Thron des Königs des Landes fest gegründet sein. Am 14. Tag wurde Gott mit Gott gesehen. Werden am 14. Tag Mond und Sonne zusammen gesehen, Ordnung und Wohlbehagen im Lande. Die Götter gedenken Akkad (Babylonien) zum Heil, Herzensfreude meiner Armee, das Vieh von Akkad wird in Sicherheit auf dem Felde weiden. Ist der Mond von einem dunklen Hof umgeben, so werden Wolken sich ansammeln, aber in jenem Monat wird der Regen zurückgehalten werden. Wird ein Horn nach dem anderen verdunkelt, so wird Hochwasser eintreten. Am 14. Tag wird Gott mit Gott gesehen.

Erscheinen Mond und Sonne aber erst am 15. Tag zusammen, so ist das ungewöhnlich und ein ungünstiges Zeichen, das aber gemildert werden kann, wenn zur selben Zeit Jupiter und Venus auf gleicher Bahn wandeln:

Werden Mond und Sonne am 15. Tag zusammen gesehen, so wird ein starker Feind seine Waffen gegen das Land richten, mein Stadttor zerstören ... Wird der Mond im Monat Airu am 16. Tag mit der Sonne gesehen, und geht Jupiter mit Venus, so wird das Flehen des Landes das Herz der Götter erreichen, Marduk (Jupiter) und Sarpanitum (Venus) werden das Gebet deines Heeres hören und Gnade deinem Heere erweisen.

Aus solchen Berichten erkennen wir auch einigermaßen, wie die Astrologen sich durchaus als Priester fühlten, die ihr Geheimwissen aus den Erfahrungen uralter, sagen wir natursichtiger Zeiten schöpften, in denen es noch ein Organ für kosmische Zusammenhänge und ihre Wirkungen gab, das sie unmittelbarer wahrnahm als die beiden seitlichen Augen, mit denen auch die babylonischen Astrologen nur noch ausgestattet waren. Das gilt namentlich für die Einflüsse des Mondes auf alles Tellurische (Irdische), wofür sich das Volk ein sicheres Gefühl bis auf diesen Tag bewahrt hat, während die Wissenschaft lange Zeit nur noch den Einfluß des Mondes auf Ebbe und Flut gelten ließ, den zuerst Newton bewiesen hatte. Das Volk hingegen glaubt an den Einfluß des Mondes auf das Wetter, was die Meteorologen energisch bekämpfen. Das Volk glaubt an den Einfluß des Mondes auf physiologisch-periodische Erscheinungen im menschlichen Organismus, insbesondere beim weiblichen Geschlecht, auf epileptische Anfälle, auf den Organismus der Pflanzen und noch manches andere. Und das Volk behält damit, wie es scheint, recht, wie die allerneuesten wissenschaftlichen Forschungen ergaben. Den Mondeinfluß auf die Pflanzen, wie er im Altertum und im ganzen Mittelalter feststand, haben Berthelot, Euler und andere neu untersucht und wieder festgestellt. Daran ist kaum noch zu rütteln.

Die Physiker Eckholm und Arrhenius haben derweil auch den Zusammenhang zwischen Mondstellung und Gewitter mit Hilfe der Luftelektrizität festgestellt. Zwischen der Erde und den höheren atmosphärischen Luftschichten besteht eine Spannungsdifferenz, die als Luftelektrizität bezeichnet wird. Dies Spannungsgefälle beträgt normaliter 50 Volt pro Meter Erhebung über die Erde, das sowohl positiv als auch negativ geladen sein kann. Die Spannungsunterschiede bemerken wir, wenn wir nicht ungewöhnlich empfindlich sind, nur noch als Gewitter, Polarlichter oder Elmsfeuer. Andere Erscheinungen der Luftelektrizität »sehen« wir heutigen Menschen im allgemeinen nur noch mit Hilfe wissenschaftlicher Apparate, weil trotz der großen Voltzahl die Stromstärken für unseren Nervenapparat und sein Wahrnehmungsvermögen zu gering sind. Sollte das nicht am Ende in Zeiten der Natursichtigkeit anders gewesen sein? Die Forschungen von Eckholm und Arrhenius zeigen nun, daß die Mondperiode, der sogenannte tropische Monat von 27,322 Tagen, in dem der Mond einmal um die Himmelskugel läuft, bedeutende Schwankungen in der Luftelektrizität hervorruft. Statistische Untersuchungen von Arrhenius an Hunderttausenden von Geburtsfällen haben zu dem Ergebnis geführt, daß die Zahl der täglichen Geburten dieselbe Periodizität aufweist wie die Luftelektrizität, die von der Mondperiode abhängt. Eine aus dem Material der Frauenkliniken entnommene, noch umfangreichere Statistik über das letzte, durchschnittlich vierzig Wochen vor der Geburt liegende normale Verhalten des weiblichen Organismus zeigt ebenfalls einen Zusammenhang mit den Maxima der Luftelektrizität. 1923 bestätigten die Untersuchungen Ammanes die Periodizität der Häufung epileptischer Anfälle im Zusammenhang mit den Mondperioden. Wie mondabhängig niedere Organismen ohne Gehirnentfaltung sein können, dafür ist das bekannteste Beispiel der Palolowurm, der bei Samoa und den Fidschiinseln im Meer lebt. Diese Würmer, die selbst auf dem Meeresgrund bleiben, stoßen im Oktober und November beim jeweiligen Maximum der Luftelektrizität in ungeheuren Mengen ihre geschlechtsreifen Hinterenden von 2 bis 20 Millimeter Länge an die Meeresoberfläche, wo die abgestoßenen Teilchen ein kurzes selbständiges Dasein führen. Ganz offensichtlich hängt dies Abstoßen mit der Mondperiode zusammen, denn sie erfolgt mit erstaunlicher »Mondpünktlichkeit«. Ist der Mensch ein ältester eigener Typus, und hat er nach der Hypothese vom Zeitcharakter einmal die Zeitformen der Lebewesen im Paläozoikum gehabt, und durchläuft der menschliche Embryo selbst heute noch die wichtigsten dieser Zeitformen, so ist seine Mondabhängigkeit sozusagen selbstverständlich, und ihr Fehlen wäre im wahrsten Sinne des Wortes »unnatürlich«. Wenn die Wissenschaft aber dabei beharrt, diese Abhängigkeit sei keine direkte, sondern nur eine indirekte, wobei die Luftelektrizität den Vermittler spielt, so kommt das im Effekt auf dasselbe hinaus, zumal die Wissenschaft auch noch nicht rationalistisch einwandfrei angeben kann, wie diese Beeinflussung der Luftelektrizität nun eigentlich vor sich geht. Uns interessiert bei dem allen in erster Linie, wie neueste Wissenschaft nach unendlichen Umwegen und unter einem ungeheuren Aufwand von Scharfsinn und Apparaten schließlich doch nicht selten zu einem Ergebnis gelangt, das für den natürlichen Volksinstinkt ohne weiteres längst zu Recht bestand, und das der natursichtige Mensch vermutlich ohne besondere Apparate einmal ohne weiteres wahrgenommen hat. Diese Wahrnehmungsfähigkeit der Natursichtigen ist auch die Mutter aller Astrologie, aus der im Verhältnis zur wachsenden Verstandestätigkeit immer mehr Astronomie wurde. Erkenntnis durch Intuition geht der verstandesmäßigen Erkenntnis stets voraus. Erstere geht auf unmittelbare Wahrnehmung zurück, letztere auf mittelbare über den Umweg von Verstandesschlüssen und Experimenten. Führen diese schließlich nicht zum »Wissen« jener, so ist damit, wie die Geschichte der Wissenschaft immer wieder zeigt, durchaus noch nicht jene als falsch erwiesen.

Bis jetzt besitzen wir über die babylonische Astrologie hauptsächlich solche Dokumente, die sie in einem Übergangsstadium zur Astronomie zeigen. Von einem früheren Zustand können wir uns höchstens mit Hilfe des schon erwähnten Schöpfungsmythos eine, wenn auch nur unsichere und ungefähre Vorstellung machen. Wie aber aus dem Priester, der sich nur den Göttern verantwortlich wußte, namentlich in assyrischer Zeit allmählich ein Hofbeamter wurde, der dem König möglichst zu Gefallen redete, das läßt sich aus den Ominawerken sehr deutlich erkennen; und aus diesem menschlich begreiflichen, aber höchst unpriesterlichen Verhalten sowie dem Mangel an Natursichtigkeit läßt es sich immer noch am besten verstehen, weshalb die Himmelsschaukunde (Astrologie) schon bei den Babyloniern im Laufe der Zeiten immer komplizierter wurde. Die Deutungen mußten damit ja auch vieldeutiger und unverbindlicher werden. Die Gefahr für den Astrologen, den König durch seine Wahrsagekunst zu erzürnen und bei ihm in Ungnade zu fallen, verringerte sich, denn die vieldeutige Auslegung ließ immer ein Hintertürchen offen, der drohenden Ungnade wieder zu entschlüpfen. Aus einem hohen Amt wurde ein einflußreicher Beruf, der seine Gefahren wegdeutelte und seinen Mann nährte.

So teilte man schon in alten babylonischen Zeiten jedem Monat ein bestimmtes Land zu, dem ersten Monat das Land Akkad (Babylonien), dem zweiten Elam, dem dritten Amurru (feindliche Staaten) usw. Dann wurden die Tage des Monats an bestimmte Länder verteilt. So galt z. B. der 14. Tag Elam, der 13., 15. und 18. Akkad, der 16. Subarti, der 19. Amurru. Dann galt die rechte Seite des Mondes Akkad, die linke Elam, der obere Teil Amurru, der untere Samuri. Ebenso verfuhr man bei den Sternen. Saturn bekam Akkad, den Unglücksplaneten Mars aber Amurru und wohl auch Elam. Den Planeten Jupiter, Marduk, bezog man besonders auf den König und z. B. Merkur, Nebo (Nebo ist der Sohn Marduks), auf den Kronprinzen. Die Bahn der Ekliptik teilte man in drei Teile, von denen der eine als der Weg des Enlil Akkad zugehörte, ein anderer als Bahn des Ea Amurru und die Bahn Anus Elam. Bei den Himmelsrichtungen bezog sich der Süden auf Elam, Norden auf Akkad, Osten auf Subarti und Guti; der Westen auf Amurru. Kamen nun, wie meist, mehrere von diesen Faktoren gleichzeitig bei einer Konstellation in Betracht, so konnte man das Omen je nach Bedarf drehen und wenden, und auch bewußte Betrügereien waren damit nicht mehr ausgeschlossen. Aus einer hohen Kunst des priesterlichen Sehers wurde ein Gewerbe. Wir lassen ein einziges Beispiel dafür folgen. Der assyrische Hofastrologe Mumabitu hat aus Anlaß einer Mondfinsternis dem König einen Bericht vorgelegt, der diesen offensichtlich nicht befriedigte, weshalb er weiteren Aufschluß verlangt. Der Hofastrologe Mumabitu antwortete (nach Jastrow):

Eine Erklärung über die Mondfinsternis aus meinem eigenen Mund hat der König, mein Herr, noch nicht vernommen, indem ich dir bis jetzt nicht darüber geschrieben habe. Nunmehr melde ich dem König, daß das Ungünstige bei einer Finsternis auf den Monat, auf den Tag, auf die Woche, auf den Lichtpunkt (Einsetzen des Schattens), wo er beginnt, und auf die Richtung, in der die Mondfinsternis steigt und abzieht, ankommt. Der ungünstige Charakter in diesem Fall ergibt sich daraus, daß der Monat Sivan sich auf Amurru bezieht und daß das Omen für Ur gilt, während der ungünstige Charakter des 14. Tages gemäß der Aussage erfolgt, daß der 14. Tag sich auf Elam bezieht. Wo der Lichtpunkt begann, wissen wir nicht. Der Gang der betreffenden Finsternis war von Süden und Westen aufsteigend ungünstig für Elam und Amurru; im Osten und Norden abziehend günstig für Subari (Assyrien) und Akkad (Babylonien) gemäß dem Ausspruch, daß man (den genannten Ländern) Gnade erweisen wird. Ein Omen nimmt Bezug auf alle Länder, in dem die rechte Seite des Mondes Akkad darstellt, die linke Seite Elam, die obere Seite des Mondes Amurru, die untere Subari. Da nun zur Zeit der (ersten) Woche die Verdunkelung anfing, so erklärte man, daß »man Gnade erweisen wird«. Wenn nun jemand befürchtet, daß das Ganze sich auf das Land Scharrapu bezieht und daß die Leute des Landes nicht Gehorsam leisten werden, warum soll der Oberwahrsager und der Befrager sich um die Könige und Großen des Landes Kaldu und Aribu (Arabien) kümmern? ... So möge das Herz des Königs, meines Herrn, sich beruhigen. In der Finsternis stand Jupiter. Für den König bedeutet das Frieden, seine Sippe wird geachtet sein, einzig in seiner Art. Deswegen sei der König fürwahr sehr vertraulich mit jedem, wer es auch sei, der dem König Gruß entbietet. Gesetzt, der König verhält sich demütig, so wird der König der Götter des Himmels und der Erde dem König, meinem Herrn, Heil senden. Sollte nun der König, mein Herr, entgegnen: Sendet der König der Götter wirklich Frieden, warum meldest du über Scharrapu und die Araber, so erwidere ich darauf, es möge der König, mein Herr, vorwärtsschreiten zu seinem Kultakt. Auf ihn sei er bedacht, und das Herz des Königs kann sich beruhigen. Mögen Bel und Nebo alle Länder unter den Befehl des Königs, meines Herrn, bringen.

Der König hat mir den Befehl erteilt: Halte Wache, und was vorfällt, berichte. Nunmehr, was in meiner Gegenwart geschah und was zum Heil des Königs, meines Herrn, gut ist, sende ich dem König, zum zweiten und zum dritten Male sende ich es dem König. Er möge lesen, und der König möge in die Erklärung eindringen, so wird der König einsehen, daß die Erklärung richtig ist, die ich dem König, meinem Herrn, sende. Von Mumabitu.

Ich hoffe der Leser ist von der Mitteilung solcher konkreten Berichte babylonischer Astrologen enttäuscht, je enttäuschter, um so besser. Ich nehme an, er hat sich davon mehr und Geheimnisvolleres versprochen, während er in der Hauptsache nur auf verstandesmäßige Erwägungen stößt, die dem heute um Jahrtausende weiterentwickelten Verstand recht kindlich erscheinen müssen, denn an Verstandesentwicklung und Verstandeskräften sind wir Zeitgenossen eines zugespitzt rationalistischen Weltbildes den Babyloniern, der antiken wie der mittelalterlichen Astrologie unzweifelhaft weit überlegen. Die babylonische Astrologie hat kaum noch etwas mit Magie zu tun, sosehr der Laie auch dazu neigt, gerade bei ihr nach Magie zu suchen. Mit der babylonischen Astrologie, soweit wir sie bis heute erkennen können, erobert sich zum ersten Mal in der alten Welt die Wissenschaft ein weiteres Feld der Betätigung, und der entwickelte Verstand von heute muß sagen, daß es dabei nicht ohne viel Aberwitz und Aberglauben abging; und zwar nicht zum wenigsten deshalb, weil alle natursichtigen Kräfte erloschen waren und das erste wissenschaftliche Denken sich mit allem Ungestüm jugendlicher Kraft und allem Optimismus der Jugend auf dies Betätigungsfeld stürzte, ohne der Intuition noch irgendein Recht einzuräumen. Ihr begegnen wir erst wieder in viel späterer Zeit, als der menschliche Verstand aus seinem jugendlichen Sturm und Drang, wenn man sich einmal so ausdrücken darf, in die Reife seines Mannesalters eintrat. Da kam ihm die Einsicht, die Sterne zwingen nicht, aber sie geben Antriebe, da konnte dann Kepler die Astrologie »ein heilig und gar nicht ein leichtfertig Ding« nennen, wobei es ihm nicht auf die abstrusen mittelalterlichen Lehren über die Wahrsagung ankam, sondern auf die Lehre von den Wirkungen. »Wenn etwas Seltsames entweder von starken Konstellationen oder von neuen Bartsternen (Kometen) im Himmel entstehet, so empfindet solches und entsetzet sich gleichsam derart die ganze Natur und alle lebhaften (belebten) Kräfte aller natürlichen Dinge ... Weil aber das fürnehmste Stück ist aus allen Eigenschaften (der Kreaturen), daß ein instinctus geometriae in ihnen allen ist und sie mit ihren formis oder animalibus facultatibus (animalischen Fähigkeiten) dem Licht verwandt – also folgt, daß, unangesehen eine jede Sache dasjenige, was sich mit ihr begibt, selbst tut: das Kraut selbst wächst, das Tier selbst schläft oder wachet, der Mensch selber krieget oder Fried hält – dennoch all sein Tun und Lassen durch diese hinnieden auf Erden anwesenden und von den Kreaturen vermerkten Lichtstrahlen und durch die Geometriam oder Harmoniam, so sich zwischen ihnen durch Mittel ihrer Bewegung zuträgt, ihren Schick empfange und unterschiedlich formiert und verleitet werde (etwas zu tun).« So wird meines Erachtens die Astrologie nicht von Babylon aus ihren tiefen Sinn wiederfinden, sondern von Kepler aus und seinem »Mysterium Cosmographicum« und den »Harmoniae Mundi«, womit er seinerseits wieder auf Pythagoras weiterbaut und dessen Harmonielehre, aus der eine Kostprobe auf Seite 82 gegeben wurde, was alles uns aber im Zusammenhang dieses Buches nicht ausführlicher beschäftigen kann.

An der babylonischen Astrologie interessiert uns nur noch das auch in ihr angewandte Gesetz von den Entsprechungen, von dem ja schon wiederholt die Rede war, auf das aber bisher absichtlich nicht weiter eingegangen wurde, weil wir uns bei dem folgenden Kapitel, dem für uns merkwürdigsten Teil der babylonischen Wahrsagetätigkeit, damit befassen müssen, der Leberschaukunde, die mit der Himmelsschaukunde Hand in Hand ging.


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