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Das babylonische Weltbild

Alles Wissen, das über den Alltagsbedarf hinausging, war in Babylonien wie auch in Ägypten Geheimwissen, das die Priesterschaft von Geschlecht zu Geschlecht weitergab. Das war damals gerade so selbstverständlich wie in der heutigen Zeit der Volksbildung das Gegenteil. Es war bei den Sumerern so, den ältesten Anwohnern von Euphrat und Tigris, so weit die Wissenschaft bisher in der Kenntnis von ihnen vorgedrungen ist, also vor rund sechs- bis siebentausend Jahren, und wurde mit der sumerischen Sprache wie selbstverständlich von den über die Sumerer siegreichen semitischen Nomaden übernommen, mögen sie nun als Babylonier oder später als Assyrer die Herren im Lande gewesen sein. Es wurde nirgends und niemals als Anmaßung empfunden, als ein bekämpfens- und beseitigungswertes Privileg einer herrschsüchtigen Klasse, sondern eben als selbstverständlich. Der heutige Rationalist wird denken, die Leute waren eben noch zu beschränkt und primitiv. Wogegen einzuwenden ist, daß ein solcher Gedanke bei Völkern, die ein so hohes Schrifttum besaßen und solche Kunst hervorbrachten, irrig sein muß, da es sich nicht um »Naturvölker« handelt, sondern um große Kulturvölker, die sonst in nichts anderen, uns bekannten Kulturvölkern nachgestanden haben. Es müssen andere Gründe vorliegen, daß gegen dies Privileg des Geheimwissens in den hohen Zeiten dieser Kulturen nie ernstlich angekämpft wurde, sondern erst in ihren Niedergangszeiten. Das ist um so auffallender, als es bei allen babylonischen Tempeln von Bedeutung Priesterschulen gab, in die nur eintreten konnte, wer »edlen Vaters und selbst an Wuchs und Körpermaßen vollkommen war«. Einer, der »schieläugig, zahnlückig, verstümmelten Fingers« oder dergleichen war, konnte nicht Priester werden, mochte auch »sein Erzeuger edel sein«. Dem Aufgenommenen gab man »durch Tafel und Schreibgriffel seine Unterweisung«, die viele Jahre gedauert haben muß, denn schon ein einfacher Tempelmusikant hatte eine dreijährige Lehrzeit durchzumachen. Nur wenn ein solcher Student nach vieljähriger Arbeit die Schlußexamina bestand, war er geeignet, »die Erhabenheit der Seherkunst zu schauen und einen großen Namen zu erlangen«. Warum revoltierten die Abgewiesenen und Durchgefallenen nicht? Wenn wir lesen, daß schon der sumerische König Gudea (2.600 v. Chr., die untenstehende Statuette wurde in Telloh gefunden) die »Zauberer« aus seiner Hauptstadt vertrieb, unter denen gewiß abgewiesene und durchgefallene Studenten zahlreich waren, warum erfahren wir nichts vom Widerspruch gegen eine solche Maßnahme?

.Erinnern wir uns wieder einmal mit Hilfe der Typentheorie an jene Zeiten, auf die schon in der Einführung kurz hingedeutet wurde, da die Großhirnentwicklung einsetzte und die Natursichtigkeit zu schwinden begann, das schauende Bewußtsein langsam im Verlauf von Jahrtausenden von dem Erkennenden verdrängt wurde. Das erkennende Bewußtsein wird damals die Kräfte des schauenden, die ja erst nach und nach abnahmen, mißbraucht haben. Nach einem uns allen geläufigen Mythos können wir auch sagen: Der Mensch aß damit vom Baume der Erkenntnis. In allen Mythen gilt dieser Augenblick in der Entwicklung der Menschheit als ein unheilvoller und bedeutet die Vertreibung aus dem Paradies. Wenigstens bei allen noch nicht völlig rationalisierten Völkern. Man braucht nur ein wenig in dem ersten Band von O. Dähnhardts »Sagen zum Alten Testament« (Natursagen) zu blättern, um das zu erkennen. Alle Kräfte des Natursichtigen, die bewußt zu mißbrauchen der Mensch gar keine Möglichkeit hatte, weil er ja noch kein »Selbstbewußtsein« besaß, fassen wir fortan unter dem Begriff Magie zusammen. Suchen wir in Anlehnung an die uns geläufige Bezeichnung vom Erkenntnisvermögen und seinen Kräften (Verstand) nach einer entsprechenden Bezeichnung für das uns fremdartige Wort Magie, so könnten wir vom Schauungsvermögen und seinen Kräften reden unter der ausdrücklichen Einschränkung, daß dies Vermögen nicht das geringste mit der modernen, zünftigen Psychologie zu tun hat, für die jede seelische Kraft ja nur eine: Unterabteilung in der Wissenschaft vom Verstand bedeutet. Was von dieser »Psychologie« zu halten sei, hat niemand deutlicher aufgezeigt als der kürzlich verstorbene Professor an der Darmstädter Technischen Hochschule Melchior Palagyi in seinen »Naturphilosophischen Vorlesungen«, die für die »Psychologie« so niederschmetternd sind, daß es 16 Jahre bedurfte, bis das Werk es zu einer zweiten Auflage bringen konnte. Für unsere Anschauung können wir wiederum Schopenhauer anrufen, der zwar von der Typentheorie nichts wußte, aber als genialer philosophischer Kopf folgendes schreibt:

» Obgleich die Definition der Magie bei den Schriftstellern darüber verschieden ausfällt, so ist doch der Grundgedanke dabei nirgends zu verkennen. Nämlich zu allen Zeiten und in allen Ländern hat man die Meinung gehegt, daß außer der regelrechten Art, Veränderungen in der Welt hervorzubringen, mittels des Kausalnexus der Körper, es noch eine andere, von jener ganz verschiedene Art geben müsse, die gar nicht auf dem Kausalnexus beruhe; daher dann auch ihre Mittel absurd erschienen, wenn man sie im Sinne jener ersten Art auffaßte, indem die Unangemessenheit der angewandten Ursache zur beabsichtigten Wirkung in die Augen fiel und der Kausalnexus zwischen beiden unmöglich war. Allein die dabei gemachte Voraussetzung war, daß es außer der äußeren, den nexum physicum (physikalischer Zusammenhang) begründenden Verbindung zwischen den Erscheinungen dieser Welt noch eine andere, durch das Wesen aller Dinge an sich gehende, geben müsse, gleichsam eine unterirdische Verbindung, vermöge welcher von einem Punkte der Erscheinung aus unmittelbar auf jeden anderen gewirkt werden könne, durch einen nexum metaphysicum (metaphysischen Zusammenhang); daß demnach ein Wirken der Dinge von innen, statt des gewöhnlichen von außen, ein Wirken der Erscheinung auf die Erscheinung, vermöge des Wesens an sich, welches in allen Erscheinungen eines und dasselbe ist, möglich sein müsse; daß wie wir kausal als natura naturata (geschaffene Natur) wirken, wir auch wohl eines Wirkens als natura naturans (schaffende Natur) fähig sein und für den Augenblick den Mikrokosmos (Mensch) als Makrokosmos (All) geltend machen könnten; daß die Scheidewände der Individuation (des Individuums) und Sonderung, so fest sie auch seien, doch gelegentlich eine Kommunikation, gleichsam hinter den Kulissen oder wie ein heimliches Spielen unterm Tisch, zulassen könnten; und daß, wie es im somnambulen Hellsehen eine Aufhebung der individuellen Isolation der Erkenntnis gibt, es auch eine Aufhebung der individuellen Isolation des Willens geben könne

Der erwachende Verstand mißbrauchte die Kräfte des Schauungsvermögens, und solange diese noch stark waren, konnte der Mißbrauch zu Ungeheuerlichkeiten führen, deren Ausmaß wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Er gefährdete den Bestand der Menschheit, wie er wohl nie wieder gefährdet war. Im Mythos der Ägypter, dem magischsten unter allen alten Völkern, finden wir dazu vielerlei Belege, eindeutiger als in Babylon. Hier nur ein Beispiel. In dem ägyptischen Mythos von der »Himmelskuh« oder der »Vernichtung des Menschengeschlechts«, den sich Sethos I. (1300 v. Chr.) und Ramses III. (1200-1179 v. Chr.) haben in einer Kammer ihres Grabes an die Wand meißeln lassen, wird erzählt, wie die Menschen feindliche Reden gegen den Götterkönig Re hielten, »als seine Majestät alt geworden war.«

Was das für Reden gewesen sein müssen, können wir uns ungefähr denken, wenn wir in einem anderen Pyramidentext lesen, wie ein Mensch mit Hilfe der Magie größer und mächtiger werden kann als die höchsten Götter:

» Der Himmel stürmt, die Sterne beben, die »Bogen« (Sternbild) zittern, die »Knochen der Akeru-Dämonen« geraten ins Wanken, denn sie haben den N. N. (den Herrn der Magie) gesehen, wie er erschien ... N. N. ist der Stier des Himmels, der von den Gestalten aller Götter lebt. Er ißt ihr Fleisch und kehrt von der »Feuerinsel« zurück, den Leib mit ihren Zauberkräften angefüllt« (nach Roeder).

Heute würden wir sagen, dieser N. N. war im Bewußtsein seines Schauungsvermögens und dessen Kräften größenwahnsinnig geworden. Solche Menschen muß es in jener Übergangszeit vom schauenden zum erkennenden Bewußtsein viele gegeben haben, die das menschliche Geschlecht fast der Vernichtung auslieferten. Re läßt (nach der »Himmelskuh«) auf den Rat der anderen Götter (» Das Auge bleibe nicht an deiner Stirn, sondern gehe hin, um sie zu schlagen«) gegen die Empörer die Göttin Hathor los, die sie in der Wüste schlachtet; und sie hätte überhaupt keinen Menschen übriggelassen, wenn Re die Hathor nicht durch eine List so betrunken gemacht hätte, daß sie die Menschen, die noch lebten, nicht mehr erkannte. Aber Re will fortan mit den Menschen nichts mehr zu tun haben, »mein Herz ist dessen müde, mit ihnen zusammen zu sein«, und zieht sich vor ihnen in den höchsten Himmel zurück.

Die Vertreibung aus dem Paradies, der Schmerz über das entschwundene »goldene Zeitalter«, mancherlei Mythen, die wir in den Pyramiden eingemeißelt finden, vielerlei Stellen im »Totenbuch« und anderes weist für den, der Mythen zu lesen versteht, auf jene Zeiten hin, die Zeiten der »schwarzen Magie«, wie sie später genannt wurden. In Erinnerung an jene verhängnisvollen Zeiten überließ man, durch Schaden klug geworden, den gefährlichen Umgang mit der schwarzen Magie den Priestern, die dafür Gewähr boten, daß sie solche Künste nur zum Heil der Menschen, später nannte man es dann »weiße Magie«, verwandten. So wurde die Magie ein »Geheimwissen«, das kein weiteres Unheil anrichten konnte. Wurde es aber doch mißbraucht, wie schon zu Zeiten Gudeas, wie wir gesehen haben, ging man mit aller Energie dagegen vor. Erst immer ausschließlicher vom Verstand beherrschte Zeiten legten auf solches »Wissen« bald überhaupt keinen Wert mehr. Fast nur noch im »ungebildeten« Volk blieb eine lebendige Vorstellung davon, welche Leute, die nichts Rechtes mehr von Magie verstanden oder einfach schlaue Betrüger waren, dann gründlich mißbrauchten. In hellenistischer und in römischer Zeit gediehen sie am prächtigsten, und mit dem berühmtesten von ihnen (Alexander von Abonuteichos) werden wir uns gegen Schluß des Buches noch befassen. Manchem Herrscher in Alexandria und manchem römischen Kaiser machten sie viel zu schaffen.

Das babylonische Weltbild reicht noch in Zeiten des schauenden Bewußtseins zurück. Uns Heutigen hat das nur dann noch etwas zu sagen, wenn wir uns immer gegenwärtig halten, daß sich ein Mythos nicht in einer logischen Wortfolge ausdrückt, wie wir es gewöhnt sind, sondern in Bildern und Symbolen, denen es auf Anschaulichkeit, aber nicht auf Kausalität ankommt. Wo immer wir auf die Verständigungsmittel des Verstandes stoßen, befinden wir uns schon in späterer Zeit, die sich bemühte, Bilder zu Begriffen kleinzumahlen, weil ihr die Gabe der Intuition (schauendes Bewußtsein) immer mehr abhanden kam, die »Wirklichkeit der Bilder« ihr nichts mehr zu sagen hat, sondern das Kausalitätsgesetz das einzige Fundament aller Wirklichkeit wird; wo sie immer mehr vergißt, daß alle Worte ursprünglich Bilder waren, und daß sie leer werden wie Stroh, wenn es dem Verstand gelingt, ihren ursprünglichen Anschauungsgehalt mit Hilfe des Begriffsvermögens, das ja auch nichts mehr vom ursprünglichen Sinn des »Begreifens« (Betastens) weiß, völlig auszulöschen. Hülsen ohne Inhalt. »Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein System bereiten« sagt Goethes Mephisto.

In der Bibliothek des schon wiederholt genannten Königs Assurbanipal, des Sardanapal der Griechen, fand sich ein Schöpfungsmythos, von dem unsere Gelehrten annehmen, er sei wohl schon unter Hammurabi (um 2000 v. Chr.) schriftlich festgelegt worden. In seinen Hauptbestandteilen ist er natürlich viel älter. Der Mythos beginnt in der Fassung zur Zeit Assurbanipals (nach Ungnad) so:

»Als droben der Himmel noch nicht benannt war,
Die Feste unten einen Namen nicht hatte,
Als Apsu, der Uranfängliche, Alleserzeuger,
Mummu, Tiamat, die Mutter von allen,
mit ihren Wassern in eins sich mischten,
das Festland nicht war, noch Mensch sich fand,
als von allen Göttern kein einziger lebte,
noch keiner benannt, kein Schicksal bestimmt war,
da wurden gebildet die Götter in ihrer (der Urmacht) Mitte;
Lachmu und Lachamu wurden ins Dasein gerufen.«

. Es vergehen Äonen (»Zeitalter wurden groß«), und es wurden Anschar und Kischar gebildet. Wieder vergehen Äonen »es wurden lang die Tage«, da enstehen Anu, Enlil und Ea, die Manifestation der jetzigen Welt, des gegenwärtigen Äon. Aber auch diese Welt kann nicht entstehen ohne Kampf um ihre Existenz gegen die alten Götter. Die Jungen empören sich gegen die Alten, und Eas Sohn Marduk, auf Seite 76 abgebildet, führt die Jungen zum Sieg nach schwerem Kampf, denn Tiamat, »die alles gebildet, gab feste Waffen, gebar Riesenschlangen, mit spitzen Zähnen ohne alle Schonung, füllte mit Gift statt mit Blut ihren Leib, wütende Drachen von schrecklichem Anblick ließ sie entstehen, ins Feld führt sie Ottern, Basilisken und Molche, tolle Hunde, Orkane und Skorpionmenschen, gewaltige Stürme, Fischmenschen, Meerwidder.« Es sind fast alles Wesen, denen wir in der Paläontologie als Lebewesen des Paläozoikums und der ältesten Zeit des Mesozoikums (vergl. Zeittafel Seite 18) begegnen. Es handelt sich um Erinnerungen an eine urgeschichtliche Erdkatastrophe, von der Hörbiger zu sagen weiß. Von einem Vorläufer unseres Mondes aus denselben Gründen herbeigeführt wie später die Sintflutkatastrophe.

Marduk tötet Tiamat, teilt ihren Leichnam, dessen eine Hälfte als Himmelsdach dient, und errichtet nach des »Ozeans Bauart« Escharra (das feste Weltgebäude), erschafft den Tierkreis, die Planeten und andere Sterne. Aber die neuen Götter sind nicht zufrieden, da ihnen niemand opfert und sie infolgedessen darben müssen.

Da gibt Marduk seinem weisen Vater seines Herzens Gedanken kund:

»Blut will ich sammeln, Gebein dazufügen,
Will hinstellen den Menschen, Mensch sei sein Name,
ich will ihn erschaffen, ja ihn, den Menschen,
Zur Pflege der Götter sei er verpflichtet ...
Da entgegnet Ea, ihm also erwidernd,
einen Plan unterbreitend zur Befriedigung der Götter:
Geopfert werden soll einer: ihr (der Götter) Bruder,
er werde vernichtet zur Erschaffung der Menschen.«

Kingu wird zum Opfer ausersehen, weil er den Götterkrieg entfacht hatte. Er wird gefesselt vor Ea geführt, und man zerschneidet ihm die Adern: »Von seinem Blut erschufen sie Menschen.«

In dem wörtlich mitgeteilten Anfang dieses Schöpfungsmythos wird jedem auffallen, welche Rolle die Benennung, der Name, spielt. Das ist typisch für das magische Weltbild. Erst wenn ein Ding, eine Person einen Namen hat, existiert sie wirklich. Was namenlos ist, existiert nicht. Deshalb spielt, wie wir noch häufiger sehen werden, die Frage nach dem Namen und die Spekulation über den wahren Namen in aller Magie und Zauberei eine große und wichtige Rolle. Der wahre Name drückt das Wesen eines Dinges, einer Person aus. Kennt man ihn, gewinnt man Macht über das Wesen des Dinges oder der Person. Wer ihn kennt, hält ihn schon deshalb geheim, um nicht einen anderen an einer solchen Macht teilnehmen zu lassen. Götter halten ihren wahren Namen möglichst geheim, damit der Magier keine Macht über sie gewinnt. Ja, wir haben Beispiele in der antiken Mythologie, wo ein Gott aus demselben Grunde auch seinen wahren Namen vor den anderen Göttern verbirgt. Vielleicht kommt uns soviel Sorge um den Namen nicht nur komisch vor, wenn man darauf hinweist, daß der Name selbst heute noch seine mythische Rolle weilerspielt. Sogar in Wissenschaften, die sich über jeden Aberglauben erhaben wissen. »Nomen est omen«, sagt sie mit den alten Römern und gibt z. B. dem »Okkultismus« einen neuen Namen, redet statt: seiner von Parapsychologie und glaubt, durch solchen Namenstausch eine in der Wissenschaft lächerliche Angelegenheit zu einer wissenschaftlich ernsten Angelegenheit machen zu können. Namenzauber. Und daß die Ärzte auch heute noch den Krankheiten und ihren Heilmitteln mit Vorliebe lateinische Namen geben, geschieht doch nicht nur deshalb, damit der Laie nicht Bescheid weiß, sondern auch um des Geheimnisvollen und seiner Reize willen. Ein rationalistischer Grobian könnte auch hier von Hokuspokus reden. Solange unser Planetensystem existiert, gab es eine Kraft, die auch schon im Altertum viel benutzt wurde. Ich möchte annehmen, daß sie es war, durch die Engidu krank wurde, als er das Parktor Humbabas berührte. Vermutlich dieselbe Kraft, von der Livius und Plinius berichten, daß Tullus Hostilius an ihr zugrunde ging, weil er sie nach den Riten einer Handschrift Numas beschwor, ohne ihrer Herr werden zu können. Delphische Priester haben sie verwandt, als die Perser Delphi bedrohten. Bei Ovid lesen wir von ihr, wo er von Jupiter Elicius redet, das Wort stammt von elicere, heißt also Anziehung. Auch Nonnus beschreibt sie in seinen »Dionysiaka«. Wir nennen sie Elektrizität, und es gibt nicht wenige Leute, die sagen würden, daß diese Kraft erst seit diesem Namen bekannt, ja wirklich ist.

Eigentümlich ist diesem uralten Mythos ferner, daß nach ihm sich alles aus Einem langsam, in Äonen » entwickelt«, was uns sehr modern vorkommen muß, nicht aber, wie z. B. im Alten Testament und auch in der spätägyptisch-hellenistischen Literatur, durch den Logos (das Wort) geschaffen wird. Auch lebt in diesem wie in vielen alten Mythen die Vorstellung, daß der Mensch Götterblut in sich hat. Ist er auch nicht wie Gilgamesch drei Viertel Gott und ein Viertel Mensch, auch nicht halb Mensch und halb Gott (Halbgott), so gehören doch immer sozusagen ein paar Tropfen Götterblut zu ihm, um ein ganzer Mensch zu sein. Mythisch und metaphysisch gesehen unterscheidet ihn das vor allem vom Tier, so nahe er ihm sonst auch anatomisch-biologisch stehen mag. In den ältesten Zeiten war sich der Weise dessen viel stärker bewußt als die Wissenschaften heute.

Dies Weltbild, wie es später aufgrund des babylonischen Mythos von den Priestern nicht mehr mythisch, sondern didaktisch, zu Lehrzwecken ausgebaut wurde, also nicht mehr Schau ist, sondern schon Theologie, hat W. Schwenzner in einer Skizze dargestellt, die Seite 79 folgt. Wenn der Leser sie sich ein wenig einprägen will, wird ihm das Verständnis für manches Folgende erleichtert werden. Er sieht da im Bilde vor allem ein Gesetz anschaulich gemacht, das in allem »Geheimwissen«, auch heute noch, eine große Rolle spielt, das Gesetz von den »Entsprechungen«. Er findet hier E 1, die Erde als Oberwelt in ihren sieben Stufen nach der Zahl der Planeten, E 2 und E 3, die Erde als Unterwelt, HO den himmlischen Ozean, O den irdischen Ozean, G den Unterweltsozean, drei Himmel, drei Erden, drei Ozeane und, den sieben Stufen von E 1 »entsprechend«, die sieben Mauern (TR) im Totenreich.

Den sieben Stufen der Erde als Oberwelt »entsprechen« die sieben Mauern der Unterwelt und ihre sieben Tore, die sieben Stufen der babylonischen Türme, die sieben Locken des Gilgamesch, die sieben Zweige des Lebensbaumes, die sieben Himmel der Juden und vieler Gnostiker, die sieben Stufen, auf denen nach den Mithrasmysterien die Seele zum Himmel reist, die sieben Farben, die sieben Metalle, am gestirnten Himmel auch die sieben Plejaden, die sieben griechischen Vokale und schließlich heute noch die sieben Tage unserer Woche. Das Urbild dieser Zahl gaben die Planeten, die sich auch heute noch bei uns in den Namen der Wochentage wiederfinden, die den Planeten »entsprechen«. Die Magie der Zahlen entstand, wie an diesem Beispiel deutlich zu sehen ist, aus »Schauung« nach dem Gesetz der »Entsprechung« in ältester Menschenfrühzeit. Die »Schauung« von Mond und Sonne als »Gegenüberstehen der Götter« (babylonisch) führte zu der Zahl 2, zur Zweiteilung des Alls in Oben und Unten, zur Zweiteilung des Jahres nach Äquinoktien: Sommer und Winter. Auch dies »Entsprechungen«. Der Zahl 3 des himmlischen Alls (oberster Himmel des höchsten Gottes, wohin sich der ägyptische Re zurückzieht, das himmlische Erdreich [der Tierkreis, auf dem die Götter wandeln] und der Himmelsozean) »entspricht« das irdische All: Lufthimmel, Erde, Ozean, der die Erde umfließt, und auf den man stößt, wenn man die Erde durchbohrt. Aber hier herrscht schon Theologie und nicht mehr reiner Mythos. Und wohl auch dann, wenn der allerhöchsten Trinität Anu, Enlil und Ea noch eine weitere Trinität als Herrscherin über den Tierkreis beigegeben wird: Sin (Mond), Schamasch (Sonne) und Ischtar (Venus). Erst recht haben wir es nicht mehr mit reiner »Schau«, sondern schon mit Spekulation in der späteren Zahlenmagie zu tun, wie sie die Schule des Pythagoras und die Kabbala beherrschen. Hier sucht man von den Zahlen aus nach »Entsprechungen« im Kosmos, und zwar sowohl im Makrokosmos, im All, wie im Mikrokosmos, im Menschen. Es ist damit nichts gegen die Zahlenmagie an sich gesagt, sondern nur der Grund angegeben, weshalb sie uns hier nicht weiter beschäftigt, mag sie im »Geheimwissen« späterer Zeiten, namentlich im ganzen Mittelalter, auch eine noch so große Rolle gespielt haben.

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E 1: Erde (Oberwelt)
E 2, E 3: 2. u. 3. Erde (Unterwelt)
H 1, H 2, H 3: 1., 2., 3. Himmel
HO: Himmlischer Ozean
O: Irdischer Ozean
T, G: Tiefe und Grund des irdischen Ozeans
A: Abend. (Westen); die beiden Berge des Sonnenuntergangs
M: Morgen (Osten); die beiden Berge des Sonnenaufgangs
D: Damm des Himmels
TR: Die 7 Mauern und der Palast (P) des Totenreiches

Da jedem Planeten auch eine Farbe »entsprach«, so finden wir bei einigen babylonischen Stufentürmen (den Türmen von Babel, Borsippa und Khorsabad) heute noch verschiedene Farbspuren auf den Stufen, die der Farbe ihres Planeten »entsprechen«. Unter den Metallen »entsprach« Blei dem Saturn ♄, Zinn dem Jupiter ♃, Eisen dem Mars ♂, Gold der Sonne ☉, Kupfer der Venus ♀, Quecksilber dem Merkur ☿ und Silber dem Mond ☽. Als das Christentum in Gestalt der bald allmächtigen römischen Kirche alles »Geheimwissen« auszurotten trachtete, war es in erster Linie die Alchimie, die unter diesen »harmlosen« Planetenzeichen das Geheimwissen rettete und mit Hilfe des Gesetzes von den »Entsprechungen« dem Uneingeweihten immer unverständlicher und dadurch ihr »Geheimwissen« unangreifbar machte. Der Alchimist bemühte sich scheinbar nur um die Kunst des Goldmachens. Daß es sich bei dem »Stein der Weisen« aber gar nicht in erster Linie um Goldmacherei handelte, sondern um viel tiefere Dinge, wissen wir längst. Allen großen Alchimisten des Mittelalters wurden die Metalle und ihre Zeichen, weil sie von den Planeten hergenommen waren, mit Hilfe der »Entsprechung« zu tiefsinnigen, für den Laien vieldeutigen Symbolen aller magischen und mystischen Geheimnisse. Was der Natursichtige unmittelbar schaute und durch Bilder ausdrückte, suchten spätere Zeiten, soweit sie sich mit den »verhüllten« (okkulten) Wissenschaften abgaben, mit Hilfe des Gesetzes von den Entsprechungen zu rekonstruieren und sich so wieder lebendig zu machen. Bei Paracelsus, der jetzt sogar von den Medizinern wieder sehr ernsthaft studiert wird, erkennt man das leicht; und wie gut die Alchimisten ihre Geheimnissen zu »verhüllen« wußten, zeigt vielleicht nichts deutlicher, als des gutgläubigen Karl Christoph Schmieder († 1850) »Geschichte der Alchymie« und seine »alchymistischen Transmutationsgeschichten«, welche der Insel-Verlag 1925 in seinem »Chorus Mysticus« neu herausgab. An dem ganzen Thema interessierte ihn nur das Problem von der Umwandlung unedler Metalle in hochwertige. Etwas anderes sah selbst dieser Alchimiegläubige nicht mehr hinter der Alchimie. Zog sich das Geheimwissen von aller Magie im alten Babylonien und Ägypten vor der breiten Öffentlichkeit in die Priesterschulen zurück, so verbarg es sich nicht minder sicher im Mittelalter hinter der »Goldkocherei«. Daß die Alchimie dadurch nebenbei die Mutter unserer Chemie wurde, daß wir heute in einer Revolution der chemischen Grundbegriffe stehen, man erinnere sich nur der aufsehenerregenden Versuche von Geheimrat Miethe in Berlin, wollen wir ebenfalls nicht vergessen. An diesem Beispiel sollte gezeigt werden, wie trotz aller Hindernisse das »Geheimwissen« nie ganz verlorenging.

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Nennen wir schließlich noch eine »Entsprechung« zu den sieben Planeten: die Tonskala. Das bis jetzt älteste kultische Monument Babyloniens, das in Bismaya gefunden wurde, noch aus sumerischer Zeit, zeigt auf einem Vasenfragment eine Musikszene, bei welcher der vorderste Musikant ein siebensaitiges Instrument spielt, eine Art »Hackbrett«. Wir haben neben fünf- und elf- vor allem siebensaitige Harfen. Bei Philo lesen wir: »Die Chaldäer brachten die irdischen Dinge mit den himmlischen in Verbindung und suchten dann aus den wechselseitigen Beziehungen dieser nur räumlich, aber nicht wesentlich geschiedenen Teile des Weltalls auch den harmonischen Einklang des Alls durch Töne der Musik nachzuweisen.« In Lucians Werk über Astrologie heißt Apollo der »mit siebensaitiger Leier«, weil er die Harmonie der Gestirne bestimmt. Eine Musiksaite aber hilft Pythagoras zu folgender »Entsprechung«: »Eine Musiksaite gibt dieselben Töne, wie eine andere Saite von doppelter Länge, wenn die Spannung, d. h. die Kraft, mit der diese letztere (die Saite mit doppelter Länge) angezogen wird, viermal so groß ist. Und die Schwere eines Planeten ist viermal so groß, wie die eines anderen, der doppelt so weit entfernt ist. Ganz allgemein: Damit eine Musiksaite auf dieselbe Tonhöhe gebracht werden kann wie eine kürzere Saite derselben Art, muß ihre Spannung im gleichen Verhältnis gesteigert werden, wie das Quadrat ihrer Länge größer ist. Um die Schwere eines Planeten der eines anderen, sonnennäheren Planeten gleichzumachen, muß sie in dem Verhältnis vergrößert werden, als das Quadrat seines Sonnenabstandes größer ist. Wenn wir also Musiksaiten von der Sonne zu jedem Planeten gespannt annehmen, müßte man, um die Saiten auf einen Ton zu bringen, ihre Spannung in denselben Verhältnissen vergrößern oder verringern, die notwendig wäre, um die Schwere der Planeten gleichzumachen.« Das war eine »Entsprechung«, von der wir noch heute reden, wenn wir von Sphärenmusik und Harmonie der Sphären sprechen. Wir sehen, wie mannigfach ein einst als Naturwirklichkeit Geschautes über mancherlei, oft sehr kuriose Umwege bis in unsere, ganz anders gerichtete und begabte Zeit weiterwirkt, ohne daß wir uns darüber Rechenschaft geben.

Am offensichtlichsten ist das bei der babylonischen Astrologie, der Mutter unserer Astronomie, ohne daß die undankbare Tochter sie überhaupt noch irgendwie ernst nimmt, was ja das Schicksal vieler Mütter ist. Das bleibt in diesem Fall um so verwunderlicher, als der Begründer der neuen Astronomie, Johannes Kepler, der größte von Tycho Brahes Schülern, der im Kampf für des Kopernikus Lehre die drei grundlegenden Gesetze der Planetenbewegung entdeckte, trotzdem zur Astrologie stand. In einem Brief an Wallenstein, dem er dreimal das Horoskop stellte, schrieb Kepler, der Begründer der modernen Astronomie: » Die Philosophia und also auch die wahre Astrologia ist ein Zeugnis von Gottes Werken und also ein heilig und gar nicht ein leichtfertig Ding


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