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Das silberne Fräulein.


Okuli,
da kommen sie!

– rief der Oberforstmeister Huwald zur Thür herein – Rüstig! Brüderchen, mach' dich auf, das soll ein Fest werden!

Hast Du Briefe? – fuhr der Landrath Thalheim von seinem Armsessel auf – ist's gewiß?

Briefe? – fiel Jener mit lautem Lachen ein – das muß man Dir lassen, Du alter Diplomatiker hältst auf Ordnung. Der Sohn soll Dir wenigstens alle Wochen einmal aus dem Felde schreiben, und auch die Schnepfen notificiren Dir schriftlich ihre Ankunft. Weißt Du nicht, daß heut' Okuli ist? Okuli, da..

Mit Deinen dummen Schnepfen! – unterbrach der Landrath verdrießlich.

Dumm? meine Schnepfen! – schalt der Oberforstmeister – das sollst Du mir abbitten, Herr Bruder. Jetzt mach' fort! komm! sie ziehen, Du sollst Deine Lust sehen.

Mir ist's nicht wie Schnepfen und Jagd – sagte der Landrath – da, sieh die Jammergesichter um mich her. Drei Wochen sind es, daß uns alle Nachrichten fehlen.

Und doch hört man von so bedeutenden Schlachten – setzte die Landräthin hinzu – Kann man da so ruhig bleiben?

Als ob ein Officier nichts mehr zu thun hätte – entgegnete der Oberforstmeister – als sich hinzusetzen, und an Vater und Mutter, oder an Braut und Schwester zu schreiben! Als ob Briefe, die durch Armeen gehen, nicht verloren werden könnten, oder aufgefangen!

Ach, das sind schwache Tröstungen – klagte Julie – Sollte denn nicht so viel Zeit bleiben, auf ein armes Blättchen Papier die zwei Worte zu schreiben: ich lebe noch und denke Eurer? – Nein! ein Mann liebt nicht, wie....

Wie eine junge Braut! – fiel der Oberforstmeister ein – Nicht wahr, Töchterchen? Nun, mein Fritz soll sich hoffentlich bei Dir rechtfertigen, oder ich vergesse, daß ich sein Vater bin, und liebe Dich selbst.

Wie Du nur so scherzen kannst – sagte der Landrath halb unwillig – Du hast selbst den einzigen Sohn im Felde, und bleibst ruhig, wenn alle Umstände sich vereinigen, uns mit den traurigsten Ahndungen zu erfüllen.

Ahndungen? – wiederholte der Oberforstmeister etwas ernst – was für Ahndungen?

Thalheim bezog sich wieder auf die ausgebliebenen Nachrichten, allein der Oberforstmeister merkte wol, daß nicht diese allein die ungewöhnliche Unruhe in der Familie hervorbrachten.

Nach einigem Hin und Herreden erzählte der Landrath folgendes:

Du weißt – sprach er – daß Dein Fritz beim Abschiede meiner Tochter seinen Lieblinghund zurücklies, die Bianka. Das niedliche Thierchen war sonst schon manche Nacht bei uns geblieben, und Julie hatte oft ihre Freude, wenn er wol Stundenlang zuvor, eh' Dein Sohn kam, seine Nähe merkte, er wurde dann unruhig, kratzte an den Thüren, und wollte seinem Herrn entgegen. Sie wartete und pflegte ihn denn auch auf's Beste und das Thier gewöhnte sich an sie, wie früher an seinen Herrn. Seit einigen Tagen aber wird der Hund ganz tiefsinnig, geht mit eingezogenem Schwanze herum, hat nirgends Ruhe, seufzt, stöhnt und fängt endlich an ganz kläglich zu heulen, so, daß wir ihn in ein Behältniß auf dem Hofe einsperren mußten. Heut' Morgen, wie der Jäger nachsehn will, hat das Thier ganz wüthend alles zerbissen und sich unter der Thür durch gearbeitet. Er mußte sich selbst bei dem heftigen Scharren verwundet haben, denn der Boden war überall voll Blutflecke. Ich habe gleich Leute nach ihm ausgeschickt, damit er keinen Schaden thun kann; aber meine Tochter findet nun darin ein Anzeichen, und glaubt, dem Herrn des Thiers müsse ein Unglück begegnet seyn, was der Hund durch sein Geheul angezeigt habe.

Warum nicht gar! – fuhr der Oberforstmeister etwas heftig auf – das treue Thier hat sich nach seinem Herrn gesehnt. Aber so macht Ihr's mit Menschen und Vieh. Wird einer von einem starken Gefühl ergriffen, das Ihr nicht begreift, gleich soll es bei ihm rappeln. Im Freien wird's der Bianka schon besser werden, glaub' meinem Wort, und laß mir sie nicht etwa erschießen!

Ach, das ist auch nicht Alles – sagte Julie – Alle Nächte quälen mich die ängstlichsten Träume. Ich sehe meinen Fritz immer mit meinem Bruder zusammen, und Beide niemals in ihrer Uniform, sondern als Jäger gekleidet, und frisch geschossenes Wild in ihren Händen. Das bedeutet Blut und gefährliche Verwundung.

Der Oberforstmeister wollte über die Traumdeutungen lachen, aber die Stimmung der Familie war zu ernst und trübe, und Juliens glänzende Augen drängten jeden Scherz zurück.

Liebes Kind – sagte er freundlich ernst zu dem weinenden Mädchen – ich habe gewiß am wenigsten Ursache das Bedeutsame der Träume zu läugnen, oder gar zu verlachen. Ein Traum ist es gewesen, der meinem ganzen Leben Richtung und Gehalt gegeben hat. Gott weiß, was ich ohne diesen Traum wär'. Deine Träume können eben so wol ihre Bedeutung haben, aber muß denn grade ein gewöhnliches Traumbuch Ausleger Deiner Träume seyn? Ich spreche im Ernst, mein Kind. Du bist Braut, bist von Deinem Geliebten entfernt, zugleich voll Sehnsucht und Bekümmerniß um ihn. Dies Alles sind Dinge, die Deinen Geist aufregen und auch Deine Phantasie anders als gewöhnlich bewegen. Kannst Du denn jetzt erwarten, daß Dein Traum die gewöhnliche Sprache ruhiger Zeiten mit Dir sprechen werde, wenn Du auch wirklich an eine solche Traumsprache glaubst? Jetzt verletzet Dich ein gutgemeinter Scherz von Deinen Freunden, meinst Du denn, daß zur Zeit solcher Gefühle Dein Traum mit den gewöhnlichen ironischen Späßen der Traumsprache Dich verletzen werde?

Sie trösten mich recht gütig – sagte Julie – Wär' doch nur so viel Ernst und Ueberzeugung, als Güte in Ihrem Trost!

Ich sage Dir ja – fuhr der Oberforstmeister fort – daß ich durch mein eignes Schicksal mehr als Manche, und wol viel Andre berechtigt bin, über Traum und Traumdeutung und überhaupt über die geheimnisvolle Einwirkung der sogenannten Geisterwelt zu sprechen. Vielleicht wär' ich auch selbst jetzt weniger unbekümmert um unsre Abwesende, wär' ich nicht durch einen Traum über ihr Schicksal beruhigt.

Also doch bloß durch einen Traum! – wiederholte Julie.

Wunderliches Mädchen – entgegnete Jener – Beunruhigende Kraft willst Du Deinen Träumen einräumen, aber in ihnen Beruhigung zu finden, scheint Dir nicht schicklich! Nun ich sehe wol, wir schießen heute keine Schnepfen, und zu Haus mag ich auch nicht wieder reiten. Wollt ihr mir heut' ein Abendbrot vorsetzen, so erzähl' ich Euch zu Eurer Beruhigung meine Lebensgeschichte, die mit einem sehr angenehm erfüllten Traum anfängt.

Das Erbieten des alten Freundes, von dessen Leben und Schicksalen manches Wunderbare und Seltsame verlautet hatte, war Allen höchst willkommen. Man machte es ihm und sich selbst möglichst bequem, er schickte seinen Jäger mit Aufträgen zurück und der Theetisch vereinigte nun Erzähler und Zuhörer in einen freundlichen, vertraulichen Kreis.

Mein Vater – begann der Oberforstmeister – besaß keine Reichthümer, aber doch so viel Vermögen, daß ihm und mir, seinem einzigen Sohne, ein sorgenfreies Leben gesichert war. Dabei hütete er sich vor jeder Verschwendung, und wenn seine Sparsamkeit meinen jugendlichen Meinungen nicht recht einleuchten wollte, sagte er ganz trocken: »Mir ist Unabhängigkeit lieber, als jedes andre Gut, und um unabhängig zu bleiben, muß man das Seinige zusammenhalten. Ein altes Sprichwort sagt: Besser Neider, als Mitleider.« Wir blieben hierüber bis an seinen Tod verschiedener Meinung. Ich hielt mich an das öffentliche Urtheil, das meinen Vater zu einem Krösus machte, und in dieser Voraussetzung fanden sich Freunde in Menge, die mir gern mit dem ihrigen beistanden, wenn die Zahlungen meines Vaters meinen Wünschen so wenig genügten, als den ihrigen. Ich hätte den Aufenthalt auf der Universität, wo ich ganz überglücklich lebte, gern verlängert, aber die Nachricht von meines Vaters plötzlichem Ableben rief mich nach Haus.

Ich hatte meinen Vater bei aller seiner Genauigkeit doch herzlich geliebt, und sein Tod schmerzte mich innig und weit tiefer, als die Aussicht auf die nun mein gewordenen Reichthümer mich erfreuen konnte. Ich verschob es von einem Tage zum andern, seine Papiere durchzusehen und mich von der Größe der Verlassenschaft zu unterrichten. Endlich mußt' ich doch an das Werk gehen, das für mich einen sehr unerwarteten Ausgang nahm. Die Durchsicht der Papiere war bald geendet, und ich fand, daß die in der Einbildungskraft so reiche Verlassenschaft in der Wirklichkeit kaum hinreichte, meine Gläubiger zufrieden zu stellen. Ich hatte oft gehört, daß die guten Freunde in dergleichen Fällen gewöhnlich zu bösen Feinden werden, aber so ein allgemeiner Satz hat eine ganz andre Gestalt, wenn man ihn hört oder lieset, als wenn man ihn selbst erfährt und erlebt. Dieses letzte war jetzt bei mir der Fall. Meine guten Freunde zuckten die Achseln, meinten, das hätte man doch nicht erwarten sollen, man habe sich doch wol in peküniärer Hinsicht über den Seligen getäuscht, ich hätte vorsichtiger seyn, und nicht auf bloße Vermuthungen meine Erwartungen gründen sollen, und was dergleichen Weisheitlehren mehr waren, die man wohlfeil von der Welt bekommt, wenn man die Veranlassung dazu erst theuer genug bezahlt hat. Wie oft fiel mir da meines Vaters wahres Wort ein: Besser Neider, als Mitleider! Indessen, es war nicht zu ändern. Meine kleine Erbschaft wanderte in die Hände meiner Gläubiger, die mir bewiesen, wenn ich etwas behielt, so verlören sie, was ich ihnen doch nicht zumuthen könne. Mein erster Entschluß war, irgend eine Anstellung zu suchen, aber die Unabhängigkeitsucht meines Vaters hatte ihm Feinde, und meine Verschwendung mir keine wohlwollenden Freunde gemacht. Man wies mich ab, oder gab mir leere Versprechungen. So war ich auf dem Wege russische Kriegsdienste zu suchen, um weit von meinem Vaterlande meine Beschämung zu verbergen.

In meinem ersten Nachtquartier hatte ich einen Traum, der, wie ich schon erwähnte, entscheidend für mein Schicksal ward.

Ich sah mich in den blühenden Anlagen eines sehr schönen Parks, den ich niemals im Wachen, sehr oft aber in Träumen gesehen zu haben, mich erinnerte. Damals waren überhaupt die sogenannten englischen Gartenanlagen in Deutschland noch etwas sehr seltenes. Hinter den herrlichsten Blumen und Blütenbüschen sah man das niedrige Moosdach einer kleinen Einsiedelei, von den rothen Stralen der untergehenden Sonne durch die schwankenden Zweige beleuchtet. Indem ich die Blumen betrachte, und mich besonders an einer blendend weißen, sehr gefüllten Rose, wie ich noch niemals eine zuvor sah, erfreue, öffnet sich die Thüre der Einsiedelei, und ein Mädchen tritt heraus – nun, von mir alten Siebenziger müßt Ihr keine Beschreibung von einem schönen Mädchen erwarten, kurz, ich stand im Traume wie angezaubert, und wußte nicht, war die Einsiedelei ein Gartenhaus oder eine Vorhalle des Himmels, wo eben ein Engel heraustrat. Zum Glück faßte sie eine Gießkanne, die am Wege stand, und ging, ihre Blumen zu begießen, woraus ich denn schloß, daß ich eine Erdentochter vor mir sah, aber auch die schönste, die jemals unter Blumen gewandelt hat. Sie trug ein schneeweißes Gewand, das aber ganz seltsam mit silbernen Sternen durchwebt war, als wollt' es damit auf eine andre, als die Wohnung auf Erden hindeuten. Jetzt ging sie bei mir vorüber, und nickte mir freundlich zu, aber in der Freude über den lieben Engelsgruß erwacht' ich.

Ich hatte niemals auf Träume etwas gehalten; dieser Traum aber war gar so schön und das himmlische Bild wich lange nach dem Erwachen nicht von meinen Augen. Indessen mußte ich an die Fortsetzung meiner Reise denken. Wie ich nun in der Gaststube noch mein Frühstück verzehre, hör' ich ein paar Fremde ganz entzückt von der herrlichen Rosa unika sprechen, welche in dem Bentheimischen Garten blühen soll. Ich war von jeher ein Blumenfreund gewesen, und jetzt um so neugieriger, die mir noch unbekannte Wunderrose zu sehen, da mir bei ihrer Beschreibung die weiße Blume meines Traumes einfiel. Man wies mich auf ein nicht allzuweit entlegenes Dorf. Hier fand ich einen prächtigen Garten, und was mich überraschte, einen großen Theil in dem, damals neuen, sogenannt englischen Geschmack angelegt. Ich war entzückt von dem herrlichen Wechsel der Naturschönheiten, die sich bald in wilden Felsenmassen des Gebirges, bald in den anmuthigsten Blumenstücken und Wasseransichten des reizend gelegenen Thales darstellten, und ich hatte über die Menge seltener Blumen und Gewächse, die der Gärtner gern dem Bewundernden zeigte, fast meine Rosa unika vergessen, als dieser in einen Seitengang einlenkte. Hier muß ich – sprach er – Ihnen noch vor Sonnenuntergang die schöne Unika zeigen, die zum erstenmal bei uns blüht. Ich folgte ihm, und auf einmal sah ich mich in der wohlbekannten Gartenanlage meiner Träume. Die weiße Rose blüht vor mir. Seitwärts hinter blühenden Büschen hebt sich im rothen Abendlicht das Moosdach der Einsiedelei, und jetzt – die Thür öffnet sich, die himmlische Gestalt tritt heraus, schön und schöner noch als in meinem Traume, schneeweis gekleidet, nichts fehlte, als die silbernen Sterne am Gewande meines Traumbildes. Sie ergreift die Gießkanne und tränkt die Blumen auf ihrem Wege. Da raunt mir der Gärtner zu: das Fräulein! Wir wollen sie nicht stören, sie ist Abends gern allein hier. Indem ich mit meinem Führer mich umwende, wird sie mich gewahr, eine Purpurröthe überfliegt ihr Gesicht und mit demselben himmlisch freundlichen Gruß, der im Traume mich entzückt hatte, verschwindet sie aus meinen Augen.

Wer auch Träume für nichts hält, als für leere Bilder, wird doch zugestehn müssen, daß ein so pünktliches Wiederholen des Traumes durch die Wirklichkeit höchst selten war, und meine Aufmerksamkeit erregen mußte. Mir schien ein näheres Verhältniß zwischen mir und dem schönen Fräulein durch den Traum angedeutet, und mein Wunsch schweifte schon auf dem dunklen Gebiet der Sehnsucht in das helle Land der Hoffnung über.

Von meinem Begleiter hörte ich nun, das schöne Fräulein hieße Adelheid und sei die Tochter des Baron Bentheim, dem das Schloß nebst der ganzen weitläuftigen Herrschaft gehöre. Der Garten in seinen schönsten Anlagen sei fast ganz ein Werk des Fräuleins, und ihr Bruder, welcher Major in preußischen Diensten und jetzt im Felde sei, schicke ihr von Zeit zu Zeit die schönsten und seltensten Gewächse. Ueberhaupt war der Gärtner unerschöpflich in ihrem Lobe. So schön sie auch sei, sagte er, so vergesse man doch selbst ihre Schönheit über der himmlischen Güte ihres Herzens. Vor kurzem habe sich ein sehr vornehmer General um ihre Hand beworben und das Fräulein habe auch ihrem Vater zu Liebe ihr Jawort gegeben, allein gleich nach der Verlobung sei alles durch einen seltsamen Zufall wieder zerstört worden. Der Bräutigam habe sein Wort zurückgenommen, darüber sich mit den Vater seiner Braut veruneinigt und ihn zum Zweikampfe gefordert, sei aber kurz vor dem angesetzten Tage plötzlich gestorben.

Ich war neugierig den Grund dieses seltsamen Ereignisses zu hören, und der Gärtner erzählte mir nach einigen geheimnißvollen Weigerungen folgendes:

An einem Abend, wo das Schloß eben mit einer Menge von Gästen, und außerdem noch mit zahlreicher Einquartierung überfüllt war, fand sich auch der General ein, und hatte die Grille, das Zimmer, das man ihm in einem Nebengebäude für die Nacht anbot, auszuschlagen, und auf dem einzigen noch unbesetzten im Schlosse zu bestehn, das man das Fräuleinzimmer nannte, und seit langer Zeit nicht bewohnte, weil es wegen Beunruhigungen, die darin sich ereignen sollten, in üblem Rufe stand. Alle Erzählungen und Warnungen bewegten ihn nur zum Lachen und änderten seinen Vorsatz nicht. Endlich gab der Baron, der die Sache selbst nicht für so ernsthaft halten mochte, nach, und ließ seinem Gast für die Nacht das verlangte Zimmer einräumen. Was nun dem General in jenem Zimmer begegnet sei, wußte mir der Gärtner nicht anzugeben, er wiederholte mir nur die bereits erzählten Folgen dieses Vorwitzes, die allerdings die Vermuthung eines seltsamen Geheimnisses und die Neugierde, es zu ergründen, rechtfertigen. Ich bekam Lust, mich bei dem Baron anmelden zu lassen, allein dieser war eben in der Residenz, und nach einigem Besinnen fand ich, daß meine bedrängte Lage mir keine sehr günstige Aufnahme bei dem Vater einer Geliebten versprechen könne und beschloß meine Reise fortzusetzen. So ging ich nach der Stadt zurück.

Ich legte mich mit dem Wunsch nieder, wenigstens im Traum noch einmal die schöne Erscheinung zu sehn, aber meine Unruhe verscheuchte die Träume und den Schlaf. Pläne aller Art kreuzten sich in meinem Kopf, der Traum und seine seltsame Erfüllung schien mich aufzufordern, selbst einen Schritt nach dem schönen Ziele zu thun, so unerreichbar es mir auch vorkommen mußte. Ich beschloß endlich nach mehren verworfenen abenteuerlichen Plänen, mich dem Baron vorzustellen, und ihm unter einem angenommenen Namen meine Dienste anzubieten.

Mit diesem Vorsatz machte ich mich früh auf den Weg nach dem Bentheimischen Garten. Nach einigem Herumirren traf ich den Gärtner.

Recht gut – rief er mir zu – daß Sie noch hier sind! Der Herr Baron ist zurückgekommen, und Sie können sogleich angemeldet werden.

Das Anerbieten überraschte mich, und ich wollte es anfangs ablehnen, aber der Gärtner sagte mir, wie der Baron schon gestern Abend nach dem Fremden, der sich in dem Garten umgesehn, gefragt, und sein Bedauern über den entbehrten Besuch geäußert habe. Er winkte dabei einem Gartenburschen, der bald mit der Nachricht zurückkam, daß der Herr mich erwarte.

Der Baron empfing mich sehr artig. Er sprach mancherlei über den neuen Geschmack in der Gartenkunst und hörte aufmerksam an, was ich ihm dafür und dawider sagte. Erst nach einigen Gesprächen fragte er mich, wie durch eine leichte Wendung veranlaßt, nach meinem Namen. Es ward mir, bei aller Vorbereitung doch glühend heiß, als ich meinen veränderten Namen Ewald heraussagte und erzählte, wie ich mich auf Kameralwissenschaften gelegt habe, und nun irgend eine Anstellung suche. Er schien dadurch erfreut, und gab mir auf sehr artige Weise zu verstehen, daß er einen Geschäftführer zu seinen sämtlichen Angelegenheiten brauche, und daß es bloß auf meinem Entschlusse beruhe, diese Stelle, wenn auch nur in Erwartung einer angemessenern, anzunehmen. Wir wurden bald einig, so schwer es mir auch ankam, besonders den angebotenen Gehalt anzunehmen. Wer weiß, hätte nicht meine Weigerung über diesen Punkt mich verrathen, wär' nicht zum Glück eben Adelheid eingetreten. Ich sah sie wieder und schlug ein.

So war ich denn aufgenommen, und sah täglich den Abgott meines Herzens. Jeden Tag erschien sie mir liebenswürdiger. Ihr Wink regierte das ganze Haus, gleichwol mißbrauchte sie diese uneingeschränkte Gewalt, welche ihr Vater ihr einräumte, niemals, und wenn sie ja einmal ihren Willen gegen die Meinung Andrer mit Festigkeit geltend machte, so zeugte gewiß der Erfolg von der Richtigkeit ihrer Ansicht.

Ich hatte mich mit den Geschäften des Barons und mit der Oertlichkeit meines Aufenthaltes bald ziemlich genau bekannt gemacht, und verwaltete die mir übertragene Aufsicht zur Zufriedenheit des Besitzers. Adelheid half mir treulich mit ihrem Rath aus, wo meine Kenntniß nicht hinreichte. Nur viel Neuerungen in dem alten Schlosse durft' ich nicht vorschlagen; in solchen Fällen brach der Baron kurz mit einem: Es mag vorjetzt noch bleiben, ab, und ließ sich durch die besten Gründe nicht widerlegen.

Bei solchen Gelegenheiten fiel mir oft das Zimmer ein, wo, nach der Erzählung des Gärtners, Adelheid's Bräutigam von einer geheimen Macht sollte geängstet worden seyn. Niemand hatte mir etwas Bestimmteres, als ich schon wußte, davon erzählen können. Ein günstiges Ungefähr brachte mich endlich der Sache näher.

Der siebenjährige Krieg führte uns damals öfters Einquartierung zu. Das Schloß hatte Raum genug und diese Kriegsgäste waren zwar damals wie jetzt ungeladene aber in der Regel eben nicht unartige Gäste. Einmal quartierten sich zwei junge Officiere bei uns ein, die um so willkommner waren, da sie sich als Bekannte des Sohnes vom Hause einführten, und erwünschte Nachrichten von ihm zu erzählen wußten: die Rede kam, ich weiß nicht wie, auf Gespenster, man bejahete und läugnete, wie es bei solchen Gesprächen geht; niemand hatte noch selbst etwas gesehn, und jeder mochte sich doch gern durch Augenschein überzeugen, ob es solche Wesen gebe, von denen unsre Philosophie sich nichts träumen läßt. Endlich fällt einem von den beiden Officiers ein, von einem silbernen Fräulein gehört zu haben, das in dem Schlosse umgehen solle. Der Baron weiset die ganze Sache lachend zurück und erzählt selbst einige Anekdoten von Erscheinungen in dem Schlosse, die sich insgesammt in eine Täuschung durch Zufall oder Furcht aufgelöset hatten. Allein der Officier, der vom Wein etwas erhitzt war, fährt mit der Frage heraus, ob denn jener Vorfall mit dem General auch Täuschung gewesen sei? Bentheim gerieth hier in sichtbare Verlegenheit. Er konnte nicht läugnen, daß diese Begebenheit ihm unerklärlich sei. Doch, fuhr er fort, kann hier nicht einmal von Erklärung die Rede seyn: mir wenigstens hat der General niemals die Begebenheiten jener Nacht entdeckt, und ich sehe doch nicht die Nothwendigkeit, warum man eben auf eine Geistererscheinung schließen muß.

Die beiden Officiers bestanden nun darauf, dieses Abenteuer selbst zu untersuchen. Den Widerspruch des Barons und die Aengstlichkeit Adelheid's machten sie nur noch neugieriger. Denn – flüsterte einer dem anderen zu – am Ende ist es ein schönes nächtliches Abenteuer, was uns bevorsteht, wie man in Komödien und Romanen mehr dergleichen zu lesen findet. Ich erbot mich, die Nachtwache mit ihnen zu theilen, und gab vor, gehört zu haben, dergleichen Abenteuer könnten nur von drei Personen zugleich glücklich bestanden werden. Jene waren es zufrieden und Bentheim gab endlich ebenfalls nach. Er sagte seiner Tochter ein paar Worte in das Ohr, und erinnerte sich nach einiger Zeit, das verlangte Zimmer für die Gäste in Stand setzen zu lassen.

Bald nach aufgehobener Abendtafel entfernte ich mich mit den beiden Officiers, voll Erwartung wie das geheimnißvolle Abenteuer sich zeigen würde. Die Gäste fanden in dem ziemlich geräumigen Zimmer alles so, wie sie es sich erbeten hatten. Auf einem Tische lagen ihre mitgebrachten Waffen, mehre Lichter erhellten jeden Winkel, ein Sopha und einige zusammengerückte Stühle waren auf den Fall der Ermüdung mit Matratzen und leichten Decken belegt, und in einer Wandnische stand ein fertiges Bett. In der Mitte war auf einem runden Tische Wein, Punsch und alles Zubehör aufgestellt, ein Sprachrohr lehnte in dem Fenster, und eine große Klingel ließ auch aus dem Hause selbst im Nothfall Beistand herbeirufen.

Wir besahen uns die ganze Einrichtung genau, beleuchteten jeden Winkel und untersuchten Fenster und Thüren auf das sorgfältigste. Dann setzten wir uns an den runden Tisch, und indem meine beiden Gefährten ihren Muth aus vollen Gläsern fleißig anfeuerten, vertheilten sie unter sich die Rollen des bevorstehenden nächtlichen Drama.

Mitternacht war nah, und alles blieb noch todtenstill. Man hatte sich ausgesprochen. Einer von der Gesellschaft nach dem Andern ließ die Augenlieder sinken, man ermahnte sich vergebens gegenseitig zur Wachsamkeit. Umsonst, der Schlaf behauptete sein nächtliches Recht.

Jetzt erweckte uns plötzlich aus den schönsten Träumen ein starkes wiederholtes Pochen. Wir fuhren auf, die Lichter brannten düster. Es war taghell um uns. Ein Bedienter trat herein, und fragte, ob die Herren allein oder in Gesellschaft der Familie zu frühstücken wünschten?

Etwas verdrießlich über die getäuschte Erwartung und ungewiß, ob wir das Abenteuer, oder ob das Abenteuer uns verfehlt hätte, erhoben wir uns. Wir erwarteten mit spöttischem Lächeln und mancher satirischen Bemerkung von der Familie empfangen zu werden, allein der Baron fragte bloß, ob wir in der Nacht beunruhigt worden wären, und auf unsre Erzählung, wie wir das ganze Abenteuer verschlafen, folgte nichts, als die trockne Bemerkung, daß es besser gewesen seyn würde, wenn wir den ganzen Vorwitz unterlassen hätten.

Die beiden Fremden wollten nun mancherlei über Geister und Geisterseher witzeln, der Baron hörte es einige Zeit ruhig an, endlich warf er, wie zufällig, die Frage hin: ob sie wol noch eine Nacht der Gefahr eines solchen Abenteuers sich aussetzen möchten. Die Fremden waren schnell mit dem Ja heraus und wollten fast die Frage übel aufnehmen, aber Bentheim blieb gelassen. Ich habe Ihr Wort – sagte er – und nun bin ich schuldig, Sie vor allen Dingen mit einer kleinen Täuschung bekannt zu machen. Als Sie gestern Abend den Wunsch äußerten, in dem verdächtigen Zimmer meines Schlosses die Nacht hinzubringen, hielt ich Ihr Vorhaben für eine Anwandlung jugendlichen Leichtsinnes. Es wär' vergebens gewesen, Ihnen noch mehr Gründe entgegenzusetzen, ich bediente mich daher einer, wie mich dünkte, unschuldigen List. Während Sie glaubten, das Geisterzimmer sei für Sie bestimmt, ließ ich ein andres Zimmer für Sie bereit machen, worin kein befremdender Vorfall zu erwarten war. Sie blieben deswegen auch ungestört. Seit gestern habe ich Ihren Muth näher kennen gelernt, und ich glaube Ihnen dieses Bekenntniß schuldig zu seyn, so wie die Versicherung, daß Sie die künftige Nacht, wenn Ihr Muth nicht durch den ersten Versuch erkaltet ist, in dem unheimlichen Zimmer selbst zubringen sollen. Prüfen Sie nun Ihre Unerschrockenheit, und machen Sie mich mit Ihrem Entschluß bekannt. Dieses muß ich noch hinzuzusetzen: was Ihnen auch immer begegnen könnte, glauben Sie nicht, daß irgend ein Scherz von mir oder den Meinigen mit Ihrer Herzhaftigkeit getrieben werde. Mein Ehrenwort bürgt Ihnen, daß Niemand, wer es auch sei, sich gestatten soll, Sie durch eine Täuschung zu schrecken oder zu beunruhigen.

Diese Erklärung machte einen sonderbaren Eindruck auf die beiden Abenteurer. Hier – das sahen sie aus dem ganzen Ernst des Barons – war wirklich etwas Unheimliches im Hintergrund, und ihre Phantasie hatte freien Lauf, sich in den furchtbarsten Regionen der Geisterwelt Schreckphantome zu bilden. Sie gestanden sich, daß ihnen die Herzen banger schlugen, als selbst in der gestrigen Nacht, indessen wollten sie ihren früher bezeigten Muth nicht für Poltronnerie erklären, so mußten sie des Barons Anerbieten annehmen.

Ich erwartete dieses von Ihnen – sagte Bentheim – Sehen Sie indessen Ihr Wagstück nicht für unbedeutend an! Ich zweifle nicht, daß Sie in dieser Nacht von dem Daseyn geistiger Wesen Ueberzeugung erhalten werden. Bereiten Sie Sich vor, mit voller Besonnenheit Allem zu begegnen, was sich Ihnen zeigen möchte. Näheres von den Erscheinungen in jenem Zimmer ist mir selbst nicht bewußt, der General, wie Sie wissen, hat Niemand offenbart, was ihm begegnet sei und mir, wie meinen Vorfahren, war von unsern Aeltern zur heiligen Pflicht gemacht worden, niemals jenes Zimmer zu betreten.

Was man noch ferner über die unbekannten Erscheinungen sprach, konnte kein heiteres Licht über die Sache verbreiten. Der Wirth spendete beim Abendessen den Wein mit ungewohnter Sparsamkeit, und entschuldigte sich, daß er auch für die Nacht nur dürftig gesorgt habe. Man fand seine Vorsicht den Umständen angemessen und wir entfernten uns nach dem verrufenen Zimmer.

Hier zeigten sich nun die Spuren langer Verödung unverkennbar, und der Unterschied zwischen diesem und unserm gestrigen Schlafzimmer war auffallend. Der Tisch mit drei Stühlen für die drei Gäste, mitten unter dem wenigen vermorschten alten Gerüll, bildete einen unangenehmen Kontrast, der das Unheimliche der ganzen Umgebung nur noch stärker hervorhob. In der Nische eines vermauerten gothischen Fensters stand ein ziemlich verwitterter Hausaltar, aus der ältesten Zeit, mit geschnitzten Heiligenbildern. Das einzige Fenster bot die Aussicht in einen engen Nebenhof, in dessen Gebäuden kein einziges Licht die Nähe eines Lebenden ankündigte.

Wir richteten uns indessen so gut als möglich ein. Die Flasche Wein, die den Muth anfachen sollte, war bald ausgeleert. Wir dachten uns nun die furchtbarsten Möglichkeiten aus, um die Wirklichkeit zu überbieten, und dann auf das Schlimmste gefaßt, dem Phantom ruhiger entgegen treten zu können. So kam die Geisterstunde heran. Ich rieth, alle Winkel nochmals genau zu untersuchen, aber meine Gefährten waren nicht von ihren Sitzen zu bewegen. Ich schalt ihre Gleichgültigkeit gegen Dinge, welchen sie vor einer Stunde noch mit Ungeduld entgegen sahen, aber sie kämpften vergebens mit der Gewalt des Schlafes, der sie endlich gegen alle meine Bemühungen übermannte, und in unbezwinglicher Betäubung hielt.

Nun war ich so gut als einsam in diesem verrufenen Geisterzimmer. Der tiefe Schlaf meiner Gefährten schien mir nicht natürlich und erhöhte mir nur das Grauen, das in solchen Tagen wol den Beherztesten ergreift. Ich versuchte vergebens, gleich den Andern, den Schlaf herbeizurufen. Meine aufgeregte Phantasie scheuchte mich vom Sitz auf, und trieb mich unstet in dem öden Zimmer umher. Oft verwünschte ich jetzt die unnütze Neugierde, welche mich angetrieben hatte, die Geheimnisse dieses Zimmers zu erforschen. Das geringste Knistern in den morschen, wurmstichigen Geräthschaften peinigte mich als Ankündigung nahender unheimlicher Schrecken, und kaum konnt' ich mich in solchen Augenblicken enthalten, das Zimmer zu verlassen, und die Nähe eines lebenden wachenden Wesens aufzusuchen. Etwas beruhigend wurde mir ein matter Lichtschein, den ich jetzt durch das Fenster in dem vorher ganz finstern Theile des Schlosses bemerkte, und der mir durch seine Bewegung zu verrathen schien, daß außer mir noch ein Wachender in der Nähe dieses furchtbaren Zimmers sich aufhalte, vielleicht vom Schloßherrn selbst aus Besorgniß für uns Abenteurer dahin bestellt.

Indem ich meines wieder belebten Muthes mich freute, hörte ich ein leises aber vernehmliches Klopfen. Ein kleiner Schauder, den ich aber schnell bekämpfte, hinderte mich, den nächtlichen Besucher sogleich zum Eintritt aufzufordern, und das Pochen ward etwas lauter wiederholt. Ich nahm ein Pistol unter den Arm und das Licht in die Hand, so ging ich nach der festverriegelten Thüre, um sie zu öffnen. Indem hör' ich hinter mir einen leisen Zuruf, und beim Umsehn erblick' ich eine weibliche verschleierte Gestalt, die so eben aus einer verborgenen Tapetenthür in das Zimmer tritt. An dem Sternschleier erkannte ich schon die Gestalt aus meinem Traume; jetzt schlug sie den Schleier zurück, und Adelheid steht vor mir, indem sie, mit auf dem Mund gelegten Finger, mir Stillschweigen gebietet.

Das Geheimniß des Zimmers sah ich nun enthüllt. Die Bangigkeit vor den Schrecken der der Geisterwelt war aber bei mir einer andern, nicht geringern, gewichen, die mir die Freude, die Geliebte in meiner Nähe zu sehn, sehr mächtig störte. Wie leicht konnten meine Gefährten von ihrem Schlaf erwachen, und welche Kette von Verlegenheiten mußte dann durch dieses seltsame Zusammentreffen für sie und für uns Alle entstehn. Ich äußerte ihr dieses, aber sie lächelte und sagte: Sei ruhig, lieber Huwald, diese Schläfer stören uns nicht. Ich erstaunte, daß sie mich mit meinem wahren Namen nannte, sie bemerkte es und fuhr fort: Ferdinand, mir brauchst Du Deinen Namen nicht zu verheelen, ich will Dein Glück, es ist das meine.

Ich war entzückt über diese Worte und den vertraulichen Ton, in welchem sie mit mir sprach, und ich mußte mich sehr vorsehen, daß ich nicht in der Erwiderung der Vertraulichkeit ihren Namen nannte, wovon Nachtwandler, wie man sagt, erwachen sollen. Wie lange wir zusammen sprachen, weiß ich nicht, denn die Minuten flogen mir pfeilgeschwind vorüber. Beim Abschiede fragte sie mich, ob ich ihr eine Bitte gewähren wollte? Ich versprach ihr jeden Wunsch zu erfüllen, wenn es möglich wär', noch eh' sie ihn nennen würde. Sie bat nun um meinen Ring zum Erinnerungzeichen an diese Stunde. Der Ring war ein altes Familienerbstück und ich trennte mich ungern von ihm, wer kann aber der Geliebten die erste Bitte versagen? Ich zog ihn schnell vom Finger und fügt' ihn selbst an die schöne weiße Hand. Wenn Du den Ring an meiner Hand siehst – sprach sie – so denk an Dein Wort. Erfülle meinen Wunsch, wenn ich ihn auch nicht ausspreche.

Wir standen eben vor der Nische mit dem Altar. Ferdinand – sagte sie fast wehmüthig – wirst Du Deiner Liebe treu bleiben? Ich bejahte mit tausend Eiden, es war das erste Wort von Liebe, das sie zu mir sprach. Denk an Deinen Eid vor diesem Altar – rief sie jetzt, ich müßte Dich grausam verfolgen, wenn Du ihn brächest. Mit diesen Worten ging sie nach der Thür. Ich bat sie nun ebenfalls um ein Zeichen von dieser Stunde, und deutete auf eine ihrer schönen goldenen Locken, dabei ward sie aber sonderbar wehmüthig. Fordre es nicht – sagte sie bittend – es wär' Dir nicht gut, Du würdest meine Liebe verkennen, und Dich sehr unglücklich fühlen, glaube meinem Wort. Damit verschwand sie durch dieselbe Tapetenthür, durch welche sie eingetreten war. Als ich aber versuchte die Thür zu öffnen, um ihr wenigstens nachzublicken, widerstand das Schloß allen meinen Bemühungen.

Erfreut über die schöne Zukunft, die sich jetzt meinen Blicken öffnete, nahm ich meinen Platz bei meinen erwachenden Gefährten ein, und wies ihre Fragen mit verstellter Schläfrigkeit zurück, bis endlich die Träume wirklich meine Phantasieen aufnahmen, und zu bunten Lust- und Schreckenbildern weiter verarbeiteten.

Der Morgen war kaum angebrochen, als Bentheim schon nach seinen Gästen fragen ließ. Man war beschämt zum zweitenmale das Abenteuer verschlafen zu haben, und die beiden Officiers wollten, um sich der Verlegenheit zu entziehn, die Beleidigten spielen, indem sie behaupteten, der Hausherr habe sie mit einer eitlen Furcht nur necken wollen. Indessen mußten sie gestehen, daß, während ihres Schlafes manches Ungewöhnliche, von ihnen unbemerkt, vorgehen konnte, und so wurde das Unbehagliche dieses Verhältnisses größtentheils ausgeglichen.

Als sich die Familie zum Frühstück versammelte, blieb Adelheid für meine Ungeduld viel zu lang aus, und als sie erschien, glaubte ich an ihr eine ungewöhnliche Blässe zu bemerken. Ich fragte, ob dies vielleicht Folge einer unruhigen Nacht sei?

Im Gegentheil – erwiderte sie lächelnd – ich habe diese Nacht einen so ungewöhnlich festen Schlaf gehabt, daß ich von dem ganzen furchtbaren Sturm auch nicht einen Laut gewahr worden bin.

Hat es denn diese Nacht so heftig gestürmt? – fragte ich.

Nun wahrhaftig – sagte der Baron lachend – wer in Erwartung eines unheimlichen Abenteuers einen solchen Sturm verschlafen kann, an dessen Unerschrockenheit darf niemand zweifeln! Hat denn das Prasseln der Steine in Ihrer Nähe Sie nicht aufgeweckt. Der Sturm hat ja den alten Thurm fast eingestürzt. Ich war Ihretwegen in nicht geringer Sorge, und schon einmal auf dem Wege zu Ihrem Zimmer.

Mir fiel hierbei das Licht ein, das ich diese Nacht in einem Fenster mir gegenüber gesehn hatte, und ich erzählte, wie willkommen gesellige Schein mir gewesen sei. Der Baron schien befremdet, und äußerte, daß auf jener Seite kein Weg zu jenem Zimmer führe, ich fürchtete, mein Geheimniß zu verrathen und erklärte nun selbst jenes Licht für mögliche Täuschung durch Widerschein.

Während des Gesprächs gingen noch mehr Berichte ein von den Zerstörungen des nächtlichen Sturmes. Ein alter Hausofficient, Namens Hartmann, erinnerte besonders angelegentlich an die Nothwendigkeit, den alten Thurm, der vorzüglich gelitten hatte, herstellen zu lassen, und der Hausherr gab mit einem bedeutenden Lächeln seine Zustimmung, worauf der Alte sogleich eilte, die erforderlichen Anstalten zu treffen.

Ueber uns könnte die Decke den Einsturz drohen – sagte der Baron, als wir den Eifer des Alten bemerkten – und man würde mit der Herstellung nicht so eilen, als mit jenem alten Thurm. So mächtig ist der Volksglaube. An die Erhaltung jenes Thurms soll, Gott weiß, was Alles, gebunden seyn, zum wenigsten, wie man glaubt, die Dauer meines Hauses. Was diese Verbindung geknüpft habe, weiß Niemand zu sagen, und was man davon erzählt, klingt oft gehörten Fabeln ähnlich. Sonderbar indessen ist es, daß den alten Thurm jetzt eine Schwachheit über die andre anwandelt, bald senkt er sich freiwillig, bald schüttelt ihn der Sturm zusammen, so, daß mich seine öfteren Herstellungen schon ansehnliche Summen kosten. Doch würd' ich höchlich bei allen meinen Leuten verstoßen, wollt ich jemals die Kosten solcher Reparaturen scheuen. So groß ist das Ansehen jenes alten baufälligen Gemäuers.

Die beiden Officiers hatten indessen Befehl zum Aufbruch bekommen, und verließen uns zu meiner und Bentheims Freude, denn diesem war das Forschen nach den Geheimnissen seines Schlosses so unangenehm, als mir, wiewol er damals keinen Grund haben konnte, die Entdeckung eines Geheimnisses zu fürchten.

Als wir allein waren, fragte mich Adelheid von neuem, ob mir denn wirklich gar nichts Unheimliches in dem furchtbaren Zimmer begegnet sei? und sie schauderte selbst bei der Frage nach jenen unbekannten Schrecknissen.

Ich versicherte, daß ich durchaus nichts Unnatürliches oder Unangenehmes erfahren habe, daß mich im Gegentheil die schönsten Bilder und Träume umschwebt hätten, so daß ich unbedenklich dieses verrufene Zimmer zu meinem beständigen Schlafgemach annehmen würde.

Adelheid bat mich, von diesem abenteuerlichen Einfall abzulassen, es sei an dem ersten Versuche genug. Der Vater stimmte der Tochter bei, und ich durfte auf meinem Wunsche nicht bestehen, ohne eine Entdeckung dadurch einzuleiten.

Indessen neckt' ich doch Adelheid mit dieser Furcht und fragte, ob ihr vielleicht jemals dort etwas unheimliches begegnet sei. Sie verneinte die Frage mit der Versicherung, daß sie von Kindheit an die ganze Gegend des Schlosses gescheut, und niemals dorthin sich gewagt habe. Ich weiß nicht einmal den Weg zu jenem Zimmer – fuhr sie fort – und möchte ihn auch nicht wissen.

Bei dieser Scheu, Fräulein – sagt' ich – sollten Sie Sich genau mit diesem Wege bekannt machen, um nicht von ungefähr einmal dahin zu gerathen und vielleicht sehr zu erschrecken.

O, – erwiderte sie – dafür ist gesorgt! Wenn nicht gewisse Waghälse eine Aenderung machen, sind alle Thüren noch weit vor jenem Zimmer fest verschlossen.

Vielleicht aber – wendete ich ein – führen mehre Wege dahin. Sie können vielleicht in einem fernen Theil des Schlosses zu seyn glauben, sie bemerken einen verborgenen Drücker in einer Wand, versuchen ihn, eine geheime Thür öffnet sich, und auf einmal sind Sie in dem gefürchteten Zimmer.

Machen Sie mir nicht bange – sagte Adelheid – Aber das ist unmöglich. Die Zimmer, in welchen ich Geschäfte habe, sind mir zu genau bekannt, und können zu keinem verborgenen Zimmer führen.

Bentheim bestätigte dieses. Jener Theil des Schlosses, setzte er hinzu, ist ganz von dem abgesondert, welchen wir bewohnen, und sogar der Weg, der vorzeiten unmittelbar aus dem Schlosse in die Kirche führte, ist schon längst ungangbar und verschlossen, wahrscheinlich eben dieser lang hergebrachten Furcht wegen.

Ich hatte zu sichere Beweise einer Verbindung jenes Zimmers mit dem bewohnten Theile des Schlosses, als daß ich mich hätte vom Gegentheil überzeugen sollen, indessen fragt' ich bloß, ob nicht Adelheid vielleicht in früher Kindheit dort gewesen sei, und ob sie nicht irgend ein Bild von dem gefürchteten Zimmer sich mache?

Man macht sich wol von allem Unbekannten unwillkührlich ein Bild – antwortete sie – und so geht es mir auch. Ich denke mir das Zimmer ziemlich weit, aber öde, was denn wol nicht anders seyn kann. Zugleich denke ich mir, ich weiß nicht warum, ein Fenster vermauert und einen alten Altar darin.

Da irrt nun Deine Phantasie wol etwas – fiel der Baron hier ein – von so einer Dekoration hab' ich nie etwas gehört, auch nichts davon bemerkt, als ich das einzigemal in meinem Leben mich jenem Zimmer näherte, um mir des Generals schnelle Entfernung begreiflich zu machen.

Dennoch – erwidert' ich – ist es ganz, wie das Fräulein sagt. Ich fand wirklich diese Nacht hinter einem schweren Schirm, den ich wegrückte, um jeder Täuschung vorzubeugen, einen Altar in einer Fensternische.

Sonderbar! sehr sonderbar! – riefen beide. Man erschöpfte sich in Vermuthungen, ohne eine hinreichende Erklärung zu finden. Die angemessenste wollt' ich aus guten Gründen nicht vermuthen lassen, und brach für diesesmal das Gespräch ab.

Als ich mich entfernte, traf ich Hartmann, der mit dem größten Eifer an der Herstellung des Thurmes arbeiten ließ. Ich war neugierig, von den Geheimnissen dieses alten Baues etwas zu erfahren, und ließ mich mit ihm in das Gespräch ein. Anfangs fertigte er mich mit der bekannten Erzählung ab, von dem Geschenk eines unterirdischen Gnomenvölkchens, das in den Thurm eingemauert seyn, und alles Unglück von der Familie abwenden solle, aber ich merkte bald, daß er selbst dieses Märchen, das von einer Menge Schlössern erzählt wird, nicht glaubte. Endlich, als er vertraulicher geworden war, gestand er, daß er den rechten Grund des Geheimnisses selbst nicht wisse, daß aber ohne Zweifel zwischen diesem Thurme und den Erscheinungen des silbernen Fräuleins ein Zusammenhang seyn müsse. Mir schien nun allerdings eine solche Verbindung nach meinen Erfahrungen über die Erscheinungen im Schlosse nicht wol denkbar, indessen ließ ich den Alten erzählen, und so erfuhr ich folgendes:

Vor uralter Zeit, als diese Besitzung von den Bentheims erkauft worden war, lebte ein Fräulein aus der Familie der vorigen Besitzer. Sie soll von bezaubernder Schönheit gewesen seyn, aber dabei auch eine arge Zauberin. Durch ihre Zaubereien hatte sie den neuen Besitzer so geschreckt, daß er dem Wahnsinn nahe gewesen. Da hat man denn das Zauberfräulein in den alten Thurm erst zur Verwahrung gebracht, und dann, weil sie von den Zauberwerken nicht abgelassen, sie der Hexerei angeklagt, und es dahin gebracht, daß sie mit der Wasserprobe sich reinigen sollen. Man hatte sie nun, der Gewohnheit nach, mit gebundenen Händen und Füßen auf das Wasser des Schloßteichs gelegt; würde sie oben schwimmen, so mußte dieses als Beweis ihres Bundes mit der Hölle gelten. Sie sank nun zwar, unter Betheurung ihrer Unschuld zu Boden, und so war sie von dem Verdacht gereinigt. Weil man sie aber leblos hervorzog, so hielt man ihre Unschuld doch nicht für hinlänglich erwiesen. Man versagte ihr deswegen das Begräbniß in der Gruft ihrer Familie und bestattete sie in einem Gange, welcher zur Kirche führte. Nun, heißt es, finde sie im Grabe keine Ruhe, und verfolge noch immer die Bewohner des Schlosses, auch suche sie noch im Tode den Thurm durch ihre Zaubereien zu stürzen, weil sie während ihres Gefängnisses ihn verwünscht habe, daß mit ihm auch die neue Herrschaft fallen werde.

Der Hexenprozeß machte mir die Erzählung etwas verdächtig und ich fand das Märchen von den Unterirdischen fast passender. Uebrigens war ich wegen der Festigkeit des Thurmes ruhig, denn Hartmann ließ arbeiten, als baue er ein Werk, das Belagerungen aushalten solle.

Mehr Sorge machte mir Adelheid, an der ich eine ganz ungewöhnliche Unruhe bemerkte. Auch ihrem Vater schien dieses aufgefallen, er fragte sie wiederholte nach dem Grund dieser Unruhe, doch ohne eine hinlängliche Antwort zu erhalten. Es kam mir vor, als werde er selbst darüber bestürzt, und sehe in jener Unruhe die Aeußerung einer früher schon an seiner Tochter bemerkten ahndenden Kraft. Auch Mehre aus der Dienerschaft, besonders die ältern, wurden aufmerksam und sahen sich bedenklich an. Endlich bestätigte der Erfolg die trüben Ahndungen. Es kamen Nachrichten von der Armee: der junge Bentheim war in der Schlacht geblieben, die Bestürzung und der Schmerz des Vaters war über alle Beschreibung. Mit dem einzigen Sohne ging ihm zugleich das Recht verloren, über den beträchtlichsten Theil seiner Güter zu verfügen, und alle Aussichten, seiner Tochter auch in Rücksicht auf äußeres Glück die glänzendste Zukunft zu bereiten, waren vereitelt.

Mein wahrer herzlicher Antheil, den ich an diesem Trauerereignisse der Familie nahm, brachte mich besonders der schönen Adelheid näher. Sie gestand ein, daß sie ein großes Unglück in der Familie geahndet habe, allein Bilder und Gefühle hätten sich vor ihrem Geiste verwirrt, daß sie nur die allgemeine Vorstellung des Unglücks habe fassen können. Erst in der Nacht, ehe die Trauerbotschaft angekommen, habe das Bild ihres Bruders sich mit jenen Vorstellungen vermischt. Ich fragte, ob sie öfters dergleichen Vorahndungen habe, und nun entdeckte sie mir, daß kein frohes oder betrübtes Ereigniß in ihrem Hause sich begebe, was ihr nicht mehre Tage zuvor in Bildern und Ahndungen vorschwebe, die zugleich eine dunkle und verworrne Beziehung auf jenes geheimnißvolle Zimmer haben; auch meine Ankunft habe sie schon einige Tage zuvor gewußt. Diese Eigenheit, so schauervoll sie mir auch besonders in Verbindung mit dem früher bemerkten Nachtwandeln war, zog mich dennoch nur mächtiger an die schöne Adelheid. Mir hatte ebenfalls ein Traum das erste Zusammentreffen mit ihr vorgespiegelt, und so schien eine geheime Sympathie zwischen uns und unsern Schicksalen hervorzugehn, die ich gern als Unterpfand einer glücklichen Zukunft anerkannte. Ich glaubte auch bald an Adelheid eine Erwiderung meiner Neigung zu bemerken, doch war der Eindruck jener Trauerbotschaft noch zu neu, als daß ohne Unzartheit über eine Liebe gesprochen werden konnte, die so viel Auseinandersetzungen und Berichtigungen nöthig machte, um günstige Aufnahme bei allen interessirten Personen erwarten zu können.

Die Erschütterung jenes Thurmes schien nun auch einige prophetische Bedeutung zu bekommen, und Bentheim selbst, wiewol mit seinem Sohne das Glück abgestorben war, das von der Erhaltung des Thurmes abhängen sollte, drang auf möglichste Befestigung jener alten Mauern. Sonderbar schien es dabei, daß Adelheid diesen Bau ungern sah und einigemal äußerte: es wäre vielleicht besser, der alte Thurm stürze ganz ein, da er doch seine Bedeutung verloren habe. Der alte Hartmann erkaltete auch wirklich in seinem Eifer, und sagte bedenklich: das Fräulein weiß vielleicht selbst nicht, was sie spricht, allein es hat gewiß Bedeutung. So fest glaubte auch er an ein dunkles Ahndungvermögen Adelheids.

Indessen wuchs meine Liebe zu Adelheid täglich, ohne daß ich es wagen durfte, ihr und ihrem Vater sie zu gestehn. Es wär' Thorheit von mir, dem Unbemittelten und Aussichtlosen gewesen, die Verbindung mit einem Fräulein zu suchen, die an jeden Glanz und jede Bequemlichkeit des Lebens gewöhnt, doch durch einen Unglückfall aller Mittel beraubt war, die gewohnte Art zu leben fortzusetzen. Die Rücksichten waren weder zu verkennen, noch zu tadeln, welche ihren Vater und sie selbst bei der Wahl des künftigen Gemahls leiten mußten, und ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit, verbunden mit der feinsten Weltbildung, übertrugen reichlich den Mangel eines bedeutenden Vermögens. Ich war schon fest entschlossen, den Baron um meine Entlassung anzugehn. Durch eine kleine Reise wollte ich mich an die Entfernung von der Geliebten gewöhnen, als ein Vorfall sich ereignete, der alles änderte.

Am Morgen vor meiner Abreise übergab ich eben dem Baron einen Band geordneter Papiere und Rechnungen, als Lärm im Hause entstand, und die Dienstboten mit der Nachricht herbeiliefen, der Thurm sei – man wisse nicht durch welchen Zufall – eingestürzt. Wir eilten nach dem Platze, und hier kam uns schon der alte Hartmann entgegen, mit einem Kästchen, das, seinem Bericht nach, in den zersprungenen Mauern des Thurms verwahrt gewesen seyn sollte. Wir ahndeten Alle sogleich den Schlüssel zum Geheimniß des Thurms in diesem Behältniß. Der Baron verschloß sich in sein Kabinet, aber bald ließ er mich rufen, um die alten Schriften, welche sich vorfanden, mit mir durchzugehen.

Diese Papiere enthielten die Geschichte jenes Fräuleins, wovon der alte Hartmann mir die Sage erzählt hatte. Ihr Vater war Besitzer des Schlosses und der dazu gehörigen Herrschaft. Sein Wunsch, einen männlichen Erben zu hinterlassen, verleitete ihn zum Gelübd' eines Zuges in das heilige Land. Um während der Lösung dieses Gelübdes seine Herrschaft zu sichern, überließ er sie einem Freunde, auf dessen Redlichkeit er fest baute, gegen das Versprechen, ihm selbst bei seiner Rückkehr, oder, im Fall diese ihm versagt seyn sollte, seinem unmündigen Sohne alle anvertrauten Güter zurückzugeben. Die Urkunden wurden mit aller Förmlichkeit, für die entferntesten Erben noch gültig, aufgesetzt und vollzogen. Um ganz sicher zu gehn, verbarg des Fräuleins Vater seine Urkunden in den Knopf des Thurmes, der damals gebaut ward, ohne das Geheimniß jemand zu entdecken. Nur seine Tochter bemerkte zufällig diese Arbeit, doch ahndete sie die Wichtigkeit jener Schriften nicht.

Der Ritter blieb auf seinem Zuge in einem Gefecht gegen die Ungläubigen, und sein Freund hatte nichts Angelegentlicheres, als sich selbst in den eigenthümlichen Besitz der anvertrauten Güter zu setzen. Die Tochter des vorigen Besitzers forderte nun ihres unmündigen Bruders erbliches Eigenthum von dem Anmaßer, allein dieser schützte sich durch die Urkunden, welche ihm den Besitz überließen, und läugnete das Versprechen der Zurückgabe. Nach langem Streiten besann sich das Fräulein auf die Schriften, welche ihr Vater einst in dem Thurmknopfe verborgen hatte, allein, zu vorsichtig dieses Geheimniß ihren mächtigen Feinden preis zu geben, verschwieg sie es, um es einst ihrem Bruder zu entdecken. Doch war der Verdacht, daß sie ein gefährliches Geheimniß bewahre, hinlänglich, um sie zu verfolgen. Man versuchte anfangs Versprechen und Drohungen, um sie zu der Entdeckung zu bewegen. Endlich beschuldigte man sie der Zauberei und setzte sie in denselben Thurm gefangen, der ihr Geheimniß bewahrte. Hier fand sie Gelegenheit, diese Nachrichten aufzuschreiben, und an einem verborgenen Ort in der Mauer der Nachwelt aufzubewahren.

Bentheim dankte dem Himmel, der ihm diese Entdeckung zu einer Zeit machen ließ, wo es ihm so wenig Ueberwindung kostete, das unrecht besessene Gut dem rechten Eigenthümer zurückzugeben. Er ließ den Thurmknopf öffnen, die Papiere fanden sich; – aber denkt mein Erstaunen, als der Name des frühern Besitzers zum Vorschein kam! Es war mein Ahnherr: Wolf von Huwald. Ich erinnerte mich aus alten Nachrichten, daß er seine Herrschaft verkauft hatte, und dann gegen die Ungläubigen geblieben war. Es fand kein Zweifel statt, ich war der Abkömmling und der einzige noch übrige Nachkomme jenes Wolf.

Bentheim erstaunte nicht weniger als ich selbst über diese Entdeckung, die ich sogleich mit den erforderlichen Papieren aus meinem Taschenbuch bewies. Seinen Glückwunsch verbat ich, so lang ich nicht wisse, ob ich, bei allen Reichthümern der Welt, wirklich glücklich seyn könne, nämlich durch Adelheid. Der Tochter Erröthen bekannte mir ein liebes, gern verrathenes Geheimniß. Bentheim hatte auch keine Einwendung und so schlossen wir den beglückten Bund unserer Liebe.

Indem ich beschäftigt war, dem Baron immer mehr Zeugnisse über meine Abkunft vorzulegen, dachte ich an den Ring, den ich Adelheid bei ihrem nächtlichen Besuche gegeben hatte. Einen recht sichern Beweis meiner Abkunft – sagte ich dem Baron – kann Ihnen sogar meine Braut selbst geben, in deren Hände ich ihn einmal in einer merkwürdigen Stunde gelegt habe.

Man verlangte Erklärung, und ich fragte Adelheid, ob sie nicht einmal einen ihr früher unbekannten Ring an ihrer Hand bemerkt habe? Sie wußte nichts davon. Ich beschrieb ihr den Ring genau, allein sie konnte sich nicht besinnen, sie fand auch bei dem Nachsuchen keinen ähnlichen Ring unter den ihrigen, und ich mußte glauben, was freilich unangenehm war, der Ring sei der nächtlichen Wandlerin damals auf dem Wege entfallen. Ich sollte nun das Nähere von diesem Geschenk erzählen. Der Baron ward bei der Nachricht von dem nächtlichen Erscheinen seiner Tochter in jenem Zimmer verlegen, und Adelheid versicherte, sie habe niemals, so viel ihr wissend sei, einen Anfall von Nachtwandeln gehabt, und selbst, wenn dieses ohne ihr Wissen möglich sei, so gehe doch aus ihrem Schlafzimmer kein Weg zu jenem Gemach, der Besuch also sei wenigstens unmöglich. Indessen war ich meiner Sache zu gewiß. Ich erinnerte sie an den möglichen Zusammenhang des Nachtwandelns mit ihrem oft erprobten Ahndungvermögen, und bat sie, den Weg nach dem Fräuleinzimmer genau zu untersuchen, vielleicht finde sich ein unbekannter Zusammenhang, vielleicht auch selbst der Ring, der dort verloren seyn mußte.

Adelheid gab endlich, obwol ungern, meinen Zureden nach, und so gingen wir, nebst dem Baron, der uns führte, durch einen wüsten, lang verschlossen gewesenen Gang. Eine schmale Treppe führte aufwärts. Wir stießen an eine Tapetenthür, und meine Behauptung bestätigte sich. Diese Thüre führte in das berüchtigte Zimmer, wo statt eines gefürchteten Gespenstes, die holde Adelheid mir erschienen war. Unbegreiflich bleib nur, wie die verschlossene und fast eingerostete Thüre sich hatte von der Nachtwandlerin eröffnen lassen.

Die Trümmer des eingestürzten Thurmes machten den vordern Ausweg aus dem Zimmer ungangbar, wir waren also genöthigt denselben düstern, unheimlichen Weg wieder zurückzuwandeln. Als wir die Treppe herabgestiegen waren, und uns in dem langen, verfallenen, dunklen Gange umsahen, schreckte auf einmal Adelheid zusammen, und zeigte nach einer Wand, wo wir Andern Nichts gewahr wurden. Sie behauptete: sie habe einen weißen Schatten dort gesehen, und ihr Gefühl sage ihr, daß ein Grab in der Nähe seyn müsse. Der Baron wollte es ihr ausreden, aber sie blieb dabei. Mir fiel das Grab des Fräuleins ein, von welchem Hartmann erzählt hatte, und ich beschloß, mit Zustimmung des Barons, nachsuchen zu lassen. Hartmann, mit einigen Arbeitern, begleitete mich. Wir fanden bald in der Mauer Zeichen, die unsre Vermuthung bestätigten, und hinter einigen weggenommenen Steinen kam ein Sarg zum Vorschein.

Ich ließ die Decke von dem Sarge abheben, und das Bild meines Traumes, Adelheid's Ebenbild, aber in das mir wohl bekannte Gewand mit silbernen Sternen gekleidet, lag vor mir im Sarge, kenntlich, wie vom Tode noch gar nicht berührt, das Gesicht in lieblicher bezaubernder Schönheit noch lächelnd. So stand Adelheid in jener Nacht vor mir, und in jenem Traume, der mich zuerst der Geliebten entgegen führte.

Das ist das silberne Fräulein! – riefen die Arbeiter zugleich mit Hartmann, und dieser Ausruf, und das Gewand mit silbernen Sternen, das ich nie an meiner Geliebten gesehen hatte, weckte mir jetzt eine dunkle grausende Ungewißheit, ob wol jene nächtliche Wandlerin wirklich Adelheid war! Da fiel mein Blick auf die gefalteten Hände der Todten, und ich erblickte meinen Ring, mit welchem ich mich – so sah ich nun schaudernd – der Braut im Sarge verlobt hatte.

Ich mochte eine Zeitlang in starrem Schreck stumm gestanden haben, als Hartmann mich fragte, was mit diesem Todten werden sollte. Mir war indessen jene ganze Nachtscene lebendig geworden. Die Weigerung jener Erscheinung, mir ein Pfand der Treue zurückzulassen, schien auf kein dunkles Band zwischen der Todten und dem Lebenden hinzudeuten. Ihr Verlangen, bei dem Erblicken des Ringes einen unausgesprochenen Wunsch zu errathen, bekam jetzt einen unverkennbaren Sinn, da ich die Verfolgte, und dann lange verkannte Person, deren Sorgfalt ich mein ganzes Glück verdankte, im einsamen Grabe, fern von den Särgen ihrer Angehörigen erblickte. Sie erschien mir als der Schutzgeist meiner Liebe und meines Glückes. Ich befahl den Sarg in das Schloß zu tragen und dort Anstalten zu ihrem feierlichen Begräbniß in der Familiengruft zu treffen.

Der Baron billigte mein Vorhaben, denn er und Adelheid erkannten in der Sargbewohnerin ebenfalls die noch im Tode wohlthätige Urahnin meines Hauses. Nach dem Begräbniß blieb ich in der Gruft, um noch einmal den Ring zu betrachten, der mich doch zuweilen mit unheimlichen Gefühlen erfüllte. Allein, als ich die Sargdecke abheben ließ, war der vor kurzem noch so schöne Leichnam in Asche zerfallen, ein Zeichen, wie es mir schien, daß er seine Ruhe gefunden habe.

Nach einigen Wochen war mein feierliches Verlobungsfest mit Adelheid angesetzt. Ich hatte einen Ring fertigen lassen, und wollte eben im Scherz ihn an dem Finger meiner Braut prüfen, da entzog sie mir schnell ihre Hand. O, bitte – rief sie – einen Augenblick Geduld! Sie schloß ihre Schatulle auf und nahm daraus einen Ring. Ich habe Ihnen ein verlornes Eigenthum zurückzugeben – fuhr sie fort – und zugleich eine Bitte, diese aber müssen Sie errathen, aussprechen kann ich sie nicht. Zugleich zeigte mir ihre Hand, und an dieser jenen nächtlichen Verlobungring. Nun was möcht' ich? fragte sie noch einmal. Mit diesem Ringe mir verlobt werden, erwidert' ich; sie nickte bejahend.

Sonderbare Verkettung! – rief ich – denn nun, wo mir wieder eine unausgesprochene Bitte entgegenkam, ward es mir von neuem zweifelhaft, ob Adelheid, oder ihr nachtwandelndes Ebenbild den Ring empfangen hatte. Meine Braut deutete den Ausruf anders, und erzählte mir, der Ring sei wirklich, meiner Vermuthung gemäß, in jenem Gange gefunden worden.

Von diesem Tage an konnte das furchtbare Fräuleinzimmer ohne Gefahr und ohne Störung bewohnt werden, auch die Bauern fürchteten das silberne Fräulein nicht mehr, das sie in ihrem silbergestickten Sternschleier hatten begraben sehn, in welchem es sonst als gespenstische Erscheinung umhergewandelt seyn sollte. Der Baron selbst erzählte mir jetzt, wie er in jener Nacht, wo er uns mit einem falschen Zimmer getäuscht hatte, eine Gestalt in silberglänzendem Schleier in drohender Stellung vor seinem Bette gesehen, und deswegen uns zu einer zweiten Nacht in dem wahren Fräuleinzimmer veranlaßt habe, weil ihm die drohende Miene der Erscheinung jene Täuschung zu mißbilligen schien. Ich ließ alle weitern Untersuchungen über dergleichen Dinge ruhen, das liebste war mir, daß meine Adelheid von ihrer Verlobung an jenes Ahndungvermögen verlor, was ihr, wie sie mir oft gestand, mehr trübe als frohe Augenblicke gegeben hatte. Auch zu mir kamen keine bedeutenden Träume mehr, und nur, seitdem meine Adelheid wieder von mir genommen ist, seh' ich zuweilen Bilder der Zukunft, doch, was ich gern der frommen Liebe meiner Abgeschiedenen danke, nur einer frohen heitern Zukunft.

Und so, Kinder – deswegen hab' ich Euch meine Wundergeschichte erzählt – so hab' ich auch im Traume von unsern lieben Kriegshelden nur frohe Bilder gesehn. Trauet also meinen Erfahrungen, die wenigstens nahe genug an die Gränze den Geisterreiches anstreifen, und seid guter Dinge! Aber hört doch, was kratzt denn an der Thüre? Kommen etwa Deine Jäger? Ich höre Hunde.

Vater – rief Julie – Vater, das ist Bianka's Stimme.

Sie öffnete die Thür, und das treue Thier kam mit freudigem Springen und Schreien in das Zimmer gestürmt, begrüßte Alle, und forderte sie durch Umkehren und Wiederkommen auf, ihm zu folgen.

Daß der wol seinen Herrn gefunden hat! – sagte der Oberforstmeister lachend.

Bruder Huwald – rief Thalheim – das ist ein Streich von Dir! Gesteh's, unsre Söhne sind zurück?

Nun, wärst Du denn bös – erwiderte Jener – wenn es auf eine Ueberraschung angesehn wäre? Du solltest sie auf der Schnepfenjagd finden, im Walde; so hat sie nun mein Jäger hergerufen.

Hörner klangen jetzt unten, und die beiden Erwarteten, als Jäger gekleidet, mit reicher Beute von der Jagd, traten herein.

Dein Traum geht aus, Julie! – rief der Oberforstmeister in die frohen Umarmungen – Da sind ja die Jäger mit dem Wildpret! Hab' ich's nicht gesagt:

Okuli,
da kommen sie!

 

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