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Die Ruine von Paulinzell.


1.

Geht hier der rechte Weg? – rief mir eine schnarrende Stimme durch das Gebüsch zu, und der Wagenlenker, dem sie angehörte, arbeitete mühsam mit seinen vier Pferden den schwerbepackten Reisewagen über umherliegende Felsenstücke den Berg herauf.

Er meint nämlich nach Langenwiesen – ergänzte eine Flötenstimme die Frage, und zwei Frauengestalten traten hinter dem Wagen hervor.

Unsre zerschlagenen Glieder – fuhr die Sprecherin fort – rechtfertigen wohl einige bescheidne Zweifel, ob wir uns bisher auf einem wirklichen Wege befunden haben.

Die schönsten Feueraugen blickten mir aus einem dunkeln Lockengewühl entgegen, und wiederholten freundlich die Frage.

Dieser Weg – erwiderte ich – wenn Sie mir erlauben, diesen langen, schmalen, steinigen Platz so zu nennen, führt allerdings Ihren Wagen nach Langenwiesen, wenn indessen eine Viertelstunde Fußweg Sie nicht zu sehr ermüdet...

O, im Geringsten nicht – unterbrach sie mich – lieber eine Stunde zu Fuß, als länger so unsanft geschaukelt.

Ich erbot mich zum Begleiter durch den Wald, bis an das nächste Gasthaus, wo die beiden Reisenden ihren Wagen erwarten wollten, und mein Erbieten ward freundlich angenommen. Unterweges erfuhr ich, daß Ilmenau das Ziel ihrer Reise war, wo die zweite Dame durch die stärkende Waldluft und den Gebrauch der Schlackenbäder ihre Gesundheit herzustellen hoffte. Ihre Gefährtin sorgte mit der zartesten Aufmerksamkeit für sie, die, gehüllt in einen weiten Staubmantel, und dicht verschleiert, langsam neben ihr ging, ohne jemals einigen Antheil an unserm Gespräch zu nehmen.

Wir hatten unsern angenehmen Waldweg nicht allzueilig zurückgelegt, und fanden vor dem Wirthshaus den Wagen schon angelangt. Die Verschleierte verneinte die Frage ihrer Reisegefährtin, ob sie gesonnen sei im Gasthofe abzutreten; zugleich wandte sie sich nach mir, und dankte mir mit wenig Harmonikatönen, den ersten, die ich von ihr hörte, für meine Begleitung. Bei der Bewegung gegen mich theilte sich ihr Staubmantel, der Schleier wich zurück und ein blonder Madonnenkopf wendete ein paar blaue Augenhimmel mir zu, die zugleich alles Süße der Liebe und jede Bitterkeit des Schmerzes aussprachen.

Die Antwort auf ihren Dank stockte mir auf der Lippe. Ihr Auge ruhte einige Augenblicke forschend und mit seltsamen Ausdruck auf mir, dann, indem sie das schöne Gesicht tiefer in den Schleier hüllte, sagte sie leise zu ihrer Freundin: Ich bin doch durch den kurzen Weg etwas ermattet: Laß uns einige Minuten ausruhen.

Ich folgte ihr maschinenmäßig in das Wirthshaus. Man trug Erfrischungen auf. Die Freundin, wie es mir vorkam, auf einen leisen Wink der Verschleierten, lud mich ein Theil zu nehmen.

Ich bin nicht immer so schwach – sagte die Verhüllte – halten Sie es meiner Ermüdung zu gut. Es geht auch schnell darüber.

Sie stützte den Arm auf das Sophakissen, und legte den Kopf in die Hand, wie es schien, um auszuruhen. Wir andern zwei sprachen indessen mancherlei über die benachbarten Gegenden, ihre Schönheiten und Merkwürdigkeiten. Sahen Sie die Gegend bei Saalfeld? lispelte einmal die Verschleierte mit fast accentloser Frage dazwischen.

Mehre Male – erwidert' ich – noch vor wenig Tagen stand ich dort am Denkmal des ersten theuren Heldenopfers, das in jenen blutigen Schlachten fiel.

Bezeichnet das Denkmal die Stelle, wo der Prinz fiel? fragte sie weiter, und ihre Stimme schien zu zittern.

Nicht ganz genau – antwortet' ich – das Denkmal ist zur Seite der Landstraße errichtet; etwas weiter abwärts, nahe bei einem Busch...

Fochten Sie selbst in jener unglücklichen Schlacht? – sprach sie jetzt mit festerer Stimme, und erhob sich langsam aus der liegenden Stellung, indem sie den Schleier etwas zurückschlug. Die blassen Rosen ihrer Wangen glühten schnell zu hohem Purpur auf, indem die Augen mich groß und flammend anblitzten.

Ich selbst nicht – gab ich zur Antwort – aber ein sehr lieber Freund von mir kämpfte an derselben Stelle, leider fruchtlos...

Und blieb – ergänzte sie seufzend, als kläng auch in ihrer Erinnerung eine Trauerglocke über dem Grab eines geliebten Helden. Ich wollte ihre Meinung berichtigen, aber sie winkte mir schmerzhaft mit der Hand zu schweigen.

Lassen Sie uns nicht diese wehmüthigen Erinnerungen jetzt aufwecken – setzte sie leise, kaum hörbar, hinzu, und neigte sich leicht wie zum Abschied gegen mich. Ihre Freundin verstand sie, auf ihren Wink eilten die Diener herbei, der Schlag öffnete sich, und in wenig Augenblicken war mir der Wagen mit den schönen Fremden aus dem Gesicht.

2.

Ich war Willens den schönen Unbekannten zu folgen, aber der Mittag war vorüber, und mein Versprechen rief mich nach Paulinzell, wo ich eine Gesellschaft von Freunden und Freundinnen anzutreffen hoffte, um mit ihnen die ehrwürdige romantische Ruine der alten Klosterkirche zu betrachten. Ich wollte schon um das Wirthshaus herum nach dem Amthofe den Weg nehmen, denn ich hatte mich verspätet, und glaubte meine Freunde schon unter den Resten der Vorwelt in Bewundrung umherwandelnd zu finden, da hört' ich bekannte Stimmen meinen Namen rufen, und man winkte mich hinauf, auf den kleinen Hügel, wo die Gesellschaft unter einer Linde versammelt war und auf mich wartete.

Um in dem günstigsten Licht den Anblick der prächtigen Ruine zu genießen, die nach allen Zerstörungen des Fanatismus, der Zeit, und, was am meisten schadete, des Finanzgeistes, doch groß und herrlich, wie wenig andre, von alter Art und Kunst zeugt, hatte man beschlossen, erst am Abend, in der Beleuchtung des Mondes, den Weg dahin anzutreten. Mich hatte man zum Führer ausersehn, weil ich mehrmals schon die Gegend bereiset hatte, und die Ruine aus Zeichnungen, Modellen und noch mehr aus eigner Beschauung kannte. Der heitere Himmel ließ eine helle Mondnacht hoffen, und selbst die kleinen Wölkchen, die einzeln in der blauen Luft schwammen, konnten die Magie der Mondbeleuchtung nur durch Abwechselung des Hellen und Dunkeln erhöhn.

Der Anblick der Ruine, wenn man sich ihr durch den Amthof von der Abendseite nähert, hat allerdings viel Ueberraschendes und Imponirendes. Der noch im Verfall ziemlich hohe Thurm zur Rechten zieht zuerst das Auge an. Sogleich aber wendet sich der Blick zu dem achtsäuligen Portale, das aus der geräumigen Halle zum Schiffe der Kirche führt. Durch dieses sieht man in die Säulenreihe der Kirche selbst, und über ihm, auf dem Vorsprunge, den seine Säulen tragen, hohe, und doch seit dem Verfall dieses uralten Baues mehre Mal abgestorbene und jung hervorgewachsene Fichten. Allein für die Beschauung beim Mondlicht schien mir diese Ansicht, wenigstens für den ersten Anblick, nicht die günstigste, weil sie, den Mond verdeckend, die Ruine unter den andern Wirthschaftgebäuden nur als eine dunkle, beschattete Masse zeigt. Ich beschloß daher, den Weg von der Morgenseite zu nehmen, und weil die Sonne sich eben dem Untergang zuneigte, schlug ich einen Spaziergang in den Wald vor, aus dem wir zu rechter Zelt hervortreten wollten, um die Ruine von dieser sehr romantisch gelegenen Seite erst aus der Ferne in der Mondbeleuchtung zu betrachten.

3.

So lange der Tag uns noch umdämmerte, schwärmte die Gesellschaft fröhlich im Walde umher. Einige suchten sich heimliche Plätzchen zu vertrauten Gesprächen, andre pflückten sich Waldbeeren und schmückten Kleider und Hüthe mit röthlich aufblühender Haide. Mich, den die schöne Fremde zuweilen noch still und nachdenkend machte, neckte man mit dem kleinen Abenteuer, das ich gutmüthig erzählt hatte, und behauptete: die räthselhaft Verschleierte, die sich so angelegentlich nach dem Monumente bei Saalfeld erkundigt hatte, könne niemand anders gewesen seyn, als die Prinzessin, die man im Bade erwarte. Als es aber unter den hohen schwarzen Fichten und Tannen anfing zu dunkeln, fanden sich die Einsamen bei der Gesellschaft ein, man schloß sich näher an einander, und selbst der Muthwille, den einige mit den Geistern treiben wollten, die nach der Erzählung des Wirthes in der Ruine sich neuerlich wieder gezeigt hatten, ward immer kleinlauter, je mehr die Dämmerung sich ausbreitete, und verstummte endlich ganz in der weiten, öden Stille, die uns zwischen den Bergen in dem dichten Walde umgab.

Schauerlich und düster genug – sagte Julius – hat die heilige Pauline den Ort für ihr Kloster ausgesucht. War es Vorliebe für tiefe Abgeschiedenheit, oder wollte sie in dieser vormals gewiß sehr rauhen Gegend schwere Vergehen abbüßen? Es wär' interessant, die Geschichtbücher ihrer Zeit darüber zu befragen.

Da ist wenig Ausbeute zu finden – erwiderte Theodor – und das Wenige, was man aufgezeichnet findet, ist kaum des Suchens werth.

O theilt uns mit, was Ihr davon wißt, Ihr Herren – rief eine von den Frauen – ist es auch wenig, so muß es uns doch hier, so nah an Paulina's Ruhestelle, sehr interessant seyn.

Sie werden sich getäuscht finden – entgegnete Theodor – Solche unvollständige Notizen stören die Phantasie mehr, als daß sie dadurch sollte aufgeregt werden. Jetzt denken Sie Sich vielleicht Paulinen als schöne Unglückliche, als heilige Jungfrau, die in der geweihten Zelle die Leiden unbefriedigter Sehnsucht vergessen und vertrauern will, als eine Art von schönerer Heloise, die das kalte Schicksal von dem Geliebten getrennt hat, und die vielleicht nur fremde Vergehungen abbüßt, in die ein dunkles Geschick die Unschuldige verflocht. Wenn Sie aber in den Chroniken lesen: St. Paulina war die Gemahlin, oder nach andern die Tochter des thüringischen Markgrafen Morichon, zur Zeit Kaiser Heinrichs des Vierten. Sie baute das Kloster Paulinzell, zwischen Königsee und Ilm. Als sie nun mit ihrem Sohn Werner den ersten Abt Gerung daselbst einführen wollte, und deshalb zu seinem Kloster ritt, ihn abzuholen, fiel sie vom Pferd und brach den Arm, an welcher Verletzung sie auch bald darauf gestorben ist – was haben Sie durch diese prosaische Relation gewonnen? Die junge Schöne hat sich in eine betagte Matrone verwandelt, die Jungfrau in die Mutter eines großen ritterlichen Sohnes, und die Wirklichkeit hat wieder einmal den schönen Zauber der Phantasie zerstört.

Doch nicht so ganz – sagte Mathilde – Muß denn der Sohn eben ein großer schlagfertiger Ritter seyn und die Mutter eine alte Matrone? Den häßlichen Armbruch abgerechnet, kann ich mir den Zug nach dem Kloster des Abtes Gerung recht wohl unter dem Bild einer Flucht nach Aegypten denken.

Und welchen romantischen Stoff – fiel Otto, Mathildens Bewunderer, ein, bringt allein dieses Bild in Paulina's ganze Geschichte! Welche Bedeutung kann der Abt dadurch bekommen!

Was – setzte Julius hinzu – was öffnet die Ungewißheit der Chronisten, ob Paulina Morichon's Gemahlin oder Tochter gewesen, für ein weites Feld! Mir ahndet so etwas von einer deutschen frühern Cenci. Dann wäre das düsterschöne Romantische dieses Kloster wohl ein treues Abbild eines tief gebeugten, verdüsterten, aber schönen, trefflichen Gemüthes.

Werner – fragte Amalie – war dieses nicht der Name des Abtes?

Gerung vielmehr – erwiderte Theodor – Werner hieß Paulina's Sohn.

Noch sonderbarer! – fuhr Amalia fort – Wir durchblätterten vorhin das Fremdenbuch; waren es nicht die Namen, Werner und Pauline, die wir mit Bleistift geschrieben und mit einem dornigen Rosenkranz umschlungen fanden?

Richtig, dieselben! – rief Otto – Werden Sie nun bald Gespenster glauben, da Pauline und Werner als Revenants kommen und sich sogar unter die Beschauer ihrer Ruine einschreiben? Wer weiß, ist der Mönch, den die Wirthsleute bei der Ruine gesehen haben, nicht dieser Werner, und uns begegnet vielleicht heute Pauline selbst in der Ruine.

Spotten Sie jetzt nicht – sagte Amalie – Stand nicht neben diesen Namen: Karlos und Elisabeth mit leichten Zügen hingeschrieben? und läßt sich nicht hieraus auf ein verborgenes Verhältniß Paulina's schließen, das irgend einem Besucher dieser Ruine bekannt geworden seyn muß, weil er durch diesen Zusatz darauf deutete?

Sie haben Recht – antwortete Julius – Hat denn jener etwas magre Chronist alle Urkunden des Paulinzeller Archives gelesen, die vielleicht seit vielen Jahrhunderten verbrannt, vermodert oder zerstreut sind? Wie viel könnte man noch jetzt finden, wüßte man nur, wo man suchen sollte.

Theodor erinnerte mich jetzt, daß ich eine Geschichte Paulina's und ihres Klosters hier an Ort und Stelle mitzutheilen versprochen hatte. Ich führte die Blätter bei mir und erneuerte das Versprechen. Der Verfasser, setzte ich hinzu, einer von meinen liebsten Freunden, interessirte sich auf das lebhafteste für diese Ruine und für alles, was geschichtlich oder artistisch darauf Beziehung hat. Er forschte in alten Urkunden und hörte gern jede mündliche Ueberlieferung. So trug er fast ein kleines Paulinzeller Archiv in sich, von welchem diese Erzählung die Resultate erriet. Er kleidete sie nach seiner Art novellenmäßig ein, und sonderbar, daß seine Erzählung ein ähnliches Verhältniß, wie Sie vermuthen – Doch ich will dem Erzähler nicht vorgreifen.

Wohl möglich – sagte Julius – doch möcht' ich die Namen Karlos und Elisabeth im Fremdenbuche weniger auf die heilige Paulina, als vielleicht auf Besucher dieser Ruine deuten. Es klang mir schon vorhin wie eine dunkle Erinnerung davon an.

Man drang in Julius, sich näher zu erklären.

4.

Die Sache liegt mir nahe – sagte er – da sie Personen aus einer mir bekannten Familie betrifft. Vielleicht hörten mehre von Ihnen schon früher davon, indessen werden Sie mir es nicht verübeln, wenn ich Ihnen bloß das gebe, was eigentlich das Interessante ist, nämlich die Erzählung ohne die Namen selbst.

Die junge Gräfin Pauline war nach ihrer Mutter Tode außer dem väterlichen Hause erzogen worden. So streng auch die Aufsicht war, welcher ihr Vater sie anvertraut hatte, so konnte sie doch nicht hindern, daß Pauline bei Spaziergängen und an öffentlichen Orten zuweilen einen jungen Mann sah, dessen Augen sie überall suchten, und dem die ihrigen eben so gern begegneten. Es war ein gefangener Officier, der sich von Werner nannte, und dem es endlich nach viel vergeblichen Versuchen gelang, sich als Miniaturmaler bei der Aufseherin des Institutes, in welchem Pauline erzogen ward, einzuführen.

Die Liebenden hatten sich indessen kaum mit den ersten schüchternen Worten der Liebe heimlich begrüßt, als Nachrichten von schneller Annäherung der Armee, die schleunige Entfernung der schwachen Besatzung mit allen Gefangenen nöthig machte. Werner hatte kaum so viel Zeit in die Wohnung seiner Geliebten zum kurzen Abschied zu eilen, aber eben sein eilfertiges Drängen machte ihn der Vorsteherin verdächtig, und weder Bitten noch Versprechungen konnten sie bewegen, ihm eine Unterredung, oder auch nur den letzten Anblick der Geliebten zu gestatten.

Die feindlichen Truppen hatten kaum die Stadt geräumt, als deutsche Truppen sie wieder besetzten. Der Kommissarius, welcher Stadt und Gegend im Namen des rechtmäßigen Regenten förmlich in Besitz nehmen sollte, war Paulinens Vater. Man wollte ihn mit Feierlichkeiten überall begrüßen und Pauline, die bei einer solchen Festlichkeit ihm einen Kranz überreichte, fesselte durch ihre Schönheit, und die Anmuth, die jede ihrer Bewegungen begleitete, alle Augen, und besonders die Aufmerksamkeit des kommandirenden Generals, eines schönen, und in seinem mittlern Alter noch fast jugendlich lebhaften und feurigen Manne. Er gab mehrere Feste, deren Seele und Königin die schöne Pauline war, und nach wenig Wochen erklärte er gegen Paulinens Vater seine Liebe. Die Zufriedenheit des Vaters mit dem allgemein bewunderten Kriegshelden, der an Glücksgütern nicht weniger reich war, als an Ruhm, litt keinen Zweifel, und selbst Paulinens Zustimmung hielten Vater und Bewerber für so gut als gewiß, da sie den General überall sehr bemerkbar den andern Männern vorzog, und es nicht verbarg, daß sie sich durch seine geistvolle Unterhaltung, durch sein Betragen, und selbst durch manche ihr sehr wohlgefällige Züge seines Gesichtes zu ihm gezogen fühle.

Dennoch erblaßte sie, als ihr Vater ihr von den Bewerbungen des Generals um ihre Hand sagte. Sie suchte vergebens Ausflüchte, endlich, ergriffen von den freundlichen Ermahnungen des Vaters, entdeckte sie ihm sogar ihre frühere Neigung zu Werner. Unbekannt mit den Ansichten der Welt, ahndete sie nicht, daß gerade diese Entdeckung ihr jede Hoffnung benehmen mußte, denn nun erschien dem Vater jede Weigerung bloß als eine neue, veränderte Maske dieser seinen Wünschen entgegenstehenden Liebe, und die Wahl zwischen dem Kloster, und dem Gehorsam gegen den Willen des Vaters, war die Folge jener Entdeckung. Vielleicht hätte die schwärmerische Pauline, selbst durch ihre Wahl noch die Wünsche ihres Vaters vereitelt, aber der Tod eines Rittmeisters Vernier, der damals bekannt gemacht, und ihr mit einer verstellten feinen Schonung hinterbracht wurde, so wie die scheinbare Theilnahme des Vaters an ihrer Trauer, bewirkte nach einigen Monaten doch die Erfüllung der väterlichen Wünsche.

Die Bemühungen des Generals, seine junge Gemahlin jede Freude der Jugend und Schönheit in glänzenden gesellschaftlichen Verhältnissen genießen zu lassen, verdunkelte allerdings Werner's Bild etwas. Sie fühlte sich glücklich und dachte immer seltener an das Glück, das sie einst mit so viel Thränen dem Wunsch ihres Vaters geopfert hatte. Werner lebte als ein abgeschiedener Freund mehr in ihrer Erinnerung, als in ihrem Herzen. Indessen gab es doch Stunden, wo die ganze energische Gewalt der ersten Liebe diese Erinnerungen umleuchtete, und die glänzende Pracht ihres Lebens erschien ihr dann bloß wie ein vorüberrauschendes Fest, in dessen Freuden man nicht heimisch werden kann, weil seine Beziehung verloren ging.

Einst, als eben eine frohe Siegesnachricht gefeiert wurde, und Pauline, umstrahlt von leuchtenden Kerzen, und gefeiert von dem glänzenden Kreis der Gäste ihres Gemahls die Huldigungen ihrer Reize annahm, ward der General plötzlich aus dem Gesellschaftssaale gerufen. Pauline blickte ihm, von unerklärlicher Angst getrieben, nach, sie bemerkte, daß er freudig in die Arme eines jungen Officiers eilte. Ahndungsvoll und bebend sieht sie nach dem Gesicht des Fremden. Mein Sohn! mein vom Tod erstandner Sohn! ruft der General, und führt den Officier im Rausche der Freude seiner Gemahlin entgegen. Pauline sank bei seinem Anblick leblos zu Boden.

5.

In diesem Augenblick traten wir aus dem Wald und der überraschend schöne Anblick unterbrach die Erzählung. Uns gegenüber beleuchtete der Mond die hohen Mauern der großen, weit ausgedehnten Ruine. Zur Linken trat die lange Säulenreihe des Schiffes, entblößt von der verfallenen äußern Mauer, im hellen, weißen Mondlicht hervor, die rechte Seite lag im Schatten. Vorn, wo ehemals der hohe Chor mit seinen Altären stand, drang der volle Schimmer des Mondes ein. Er fiel durch das prächtige hohe Portal in die Kirche selbst, und mahlte die Schatten der Säulen, wie wandelnde, dunkle Gestalten an die innere Mauer der nördlichen Abseite. Die Krümmungen unseres Weges zeigten uns bald die freistehende Seite mit ihren Säulen deutlicher, bald öffneten sie uns die tiefe Einsicht in die ganze Länge des Schiffes durch das vordere Portal, wo sich die Pfeiler der Vorhalle nur innig und seltsam beleuchtet in unermeßlicher Perspektive zu verlieren schienen.

Mancher Ausruf der Bewunderung unterbrach die Betrachtung, bis wir endlich auf der Stelle ankamen, wo vormals der Hochaltar stand. Ein Baum bezeichnet sie vielleicht nur zufällig. Wir bewunderten die schönen Verhältnisse des innern Portales, dessen ungewöhnliche Höhe durch die Täuschung der Mondbeleuchtung noch mehr in das riesenhafte gehoben ward. Die Nische, welche der Sage nach Paulina's Grabstätte enthält, lag im Dunkel, das der Täuschung Raum gab, als decke die halbversunkene moosbewachsene Steinplatte die Reste der Heiligen. Wir betrachteten ernst die ruhige einsame Stelle, und nur der Abendwind, der in den Zweigen des Holunderbusches an dem Grabe flüsterte, unterbrach die Stille.

Wir durchwandelten nun einigemal Schiff und Abseite der Kirche nebst der Vorhalle, weniger um das Einzelne zu betrachten, als um den Gesamteindruck dieser feierlich ernsten Umgebungen aufzunehmen. Die Beschauung der Theile sparten wir bis auf den folgenden Tag. Ermüdet begaben wir uns endlich in das an der Mittagsseite der Kirche gelegene, zu dem Amthause gehörige Gärtchen, wo wir gelagert auf die weiche grüne Moosbank unter einem schönbelaubten Birnbaum den herrlichen Anblick der mondbestrahlten Ruine genossen.

Hier, wo jetzt Blumen uns umblühten und der alte Birnbaum seine mächtigen Aeste weit über unsre Häupter hinstreckte, waren ehedem Plätze für fromme Beter und kirchliche Processionen der vormaligen Klosterbrüder, denn das Gärtchen liegt ganz in der ehemaligen südlichen Abseite der Kirche, und zu dem Eingange selbst gelangt man von außen nur auf dem Wege durch den hohen Chor der Kirche, Paulina's Grabstelle südlich gegenüber. Die eine Seite des Gartens wird von den Säulen des Schiffes selbst begränzt, und von unsrer Moosbank sah man durch die hohen Bogen dieser Säulen in die gegenüberstehende Säulenreihe, durch diese wieder das Portal, welches an der Abseite zum hohen Chore führt, und nochmals durch dieses den Bogen von Paulina's Grabnische. So sahen wir durch eine lange Perspektive von vier hohen Bogen, bis an den Punkt, der jetzt nach Zerstörung der Altäre, das einzige Heiligthum dieser Kirche, die Gebeine der Stifterin selbst, wenigstens in der frommen Sage des Volkes, aufbewahrt.

Der Mond zauberte mit den Schatten der Bäume, die der Wind leicht bewegte, ein fantastisches Scheinleben in diese jetzt verödeten Räume, wo das stille Leben andächtiger Zurückgezogenheit an das noch stillere der Pflanzenwelt übergegangen war, und die Wipfel der Bäume lispelten mit ihren Nadeln und Blättern den leisen Nachhall ehemaliger Horen und Vigilien.

Man mahnte mich von allen Seiten an die versprochene Mittheilung von Paulina's Geschichte. Ich zog die Blätter hervor, erinnerte aber, während ein Windlicht zu dem Lesen besorgt wurde, Julius an die Fortsetzung seiner vorhin unterbrochenen Erzählung.

6.

Julius begann:

Als Paulina von ihrer Ohnmacht erwachte, fand sie sich allein mit Natalien, der ehemaligen Vertrauten ihrer Liebe. So schwach sie noch sich fühlte, so war es dennoch nothwendig, ihr die erforderlichen Aufschlüsse über den Vorfall und seine Folgen zu geben. Der General, ganz überwältigt von der Freude, den todtgeglaubten Sohn wieder zu sehen, hatte nur die schnelle Ohnmacht seiner Gemahlin bemerkt, nicht aber die Veranlassung dazu. Er schrieb den Zufall auf Rechnung der heftigen Ueberraschung, deren Wirkung er an sich selbst fühlte, und das Erschrecken seines Sohnes schien bei dem Anblick eines so unerwarteten Zufalls ebenfalls auf nichts Verborgenes zu deuten. Der junge Officier aber war in der That kein anderer, als jener Werner, der in seiner Gefangenschaft, um unerkannt zu bleiben, seinen Vornamen statt des Familiennamens geführt hatte. Jetzt war die Bedeckung einer Anzahl Gefangenen angegriffen worden, und Werner, der mit seinen Kameraden den günstigen Zeitpunkt zu benutzen wußte, hatte sich nebst den Andern befreit, und nach ehrenvoller Theilnahme an einem glänzenden Siege, war er zu seinem Vater geeilt, um von neuem unter seinem Oberbefehl zu fechten, und seine Zustimmung zu der Verbindung mit der Geliebten zu erhalten. Unbenachrichtiget von den Veränderungen in dem väterlichen Hause fand er nun die Geliebte als seine Mutter unwiederbringlich und hoffnunglos für ihn verloren, wieder.

Natalie führte sogleich den jungen Grafen Werner zu Paulinen, um die erste, doch einmal unvermeidliche Zusammenkunft, nur den vertrauten Augen der Freundin auszustellen. Sie gönnte ihnen ungestört die erste, thränenvolle Umarmung des schmerzlichen Wiedersehns, um die Augen ausweinen und die Herzen ihren Schmerz ergießen zu lassen. In der ersten Erhebung des Geistes beschlossen beide ewige Trennung; wie es liebenden Herzen und edlen Gemüthern eigen ist. Aber das Geschick, als wär' es dem Guten selbst feindlich, scheint oft den Entschluß des reinsten Willens nicht zu begünstigen. Der Vater wollte den nur wiedergefundenen Sohn nicht so schnell entlassen, und bald vereitelte auch der wider Erwarten schnell geschlossene Friede jede Hoffnung des unglücklich Liebenden, im Schlachtgewühl, unter feindlichen Schaaren die Ruhe zu finden, die so nah an Allem, was die Welt von Glück für ihn hatte, ewig von ihm zurückfloh.

Wer sich stärker fühlt, vielleicht auch nur weniger tief von Empfindung bewegt wird, mag die Liebenden tadeln, die bei der Vertraulichkeit, und der Nähe, welche ihr Familienverhältniß nicht allein gestattete, sondern forderte sich endlich mehr an die süßen Namen ihres frühern, kurzen Zusammenlebens gewöhnten, als an die ehrfurchtvollern Beziehungen des gegenwärtigen. Eine Reise, welche der General mit seiner Familie in ein Bad machte, brachte die Liebenden sich immer näher. Hier in der Ruine von Paulinzell erneueten sie die frühern Schwüre ewiger Liebe, und damals wurden wahrscheinlich die doppeldeutigen Namen, Werner und Pauline, in das Fremdenbuch eingetragen und mit dem deutungvollen Kranz von Dornen und Rosen umwunden.

Einst, an einem der schönen warmen Abende jenes für das nördliche Deutschland verhängnißvollen Herbstes, suchte der General seine Gemahlin in den weitläuftigen Gärten seines Schlosses. Die Gewitterwolken, die der heiße Tag gesammelt hatte, zogen herauf und fingen schon an, sich in fernen Blitzen zu entladen. Besorgt um seine Gemahlin, deren Gewitterfurcht er kannte, durchsucht er jede Laube, und endlich findet er sie in einem entfernten Pavillon, hingelehnt auf ein Sopha und die Arme liebkosend um einen jungen Officier geschlungen, der vor ihr kniet. Ein Ausbruch des Schreckens und Unwillens verrieth ihn den Liebenden, der Officier wendet sich nach dem Eintretenden, und der General erblickt mit Entsetzen seinen eignen Sohn von den Armen der Mutter liebend umfangen. Alle Furien getäuschter Liebe und beleidigter Ehre reizen den Zurückschaudernden zur wildesten Wuth, die bisher reine Unbescholtenheit der schönen Verbrecherin, die so oft ihn auf sein seltenes Glück stolz machte, steht auf einmal als schauderhaftes Erzeugniß der ungeheuersten Schuld vor ihm. Nie gesprochene Worte des Abscheues drängen sich über seine Lippen. Bittend naht sich der Sohn, entehrende Beleidigung treibt ihn zurück; flehend erhebt die Schuldige die Hände; unwürdige Mißhandlung des Zürnenden stößt sie hinweg. Beschützend stellt sich der Sohn vor die Weinende und betheuert die Reinigkeit ihrer Liebe, der Ergrimmte hört ihn nicht, schmähend faßt er ihn an der Brust und tritt das entrissene Ordenskreuz mit Füßen. Da hält sich die beleidigte Ehre des Kriegers nicht mehr. Sein Säbel zischt aus der Scheide, und im Augenblick flammt der Degen des Vaters über dem Haupt des Sohnes. Schlag fällt auf Schlag, die Blitze spiegeln sich in den glänzenden Klingen, und beleuchten allein den unnatürlichen Kampf. Vergebens ringt Paulina flehend die Hände, der Donner überbraust ihre Stimme, sie reißt sich empor die Kämpfenden zu trennen; in wilder, selbstvergessener Wuth führt der General nach ihr einen fruchtlosen Hieb, und im Augenblick röthet sich die Klinge des Sohnes mit dem Blute aus der bloßgegebenen Seite des Vaters. Fluch! schreit der General aus der verwundeten Brust, und sinkt mit dem letzten kraftlosen Hieb, der Ströme Blutes aus der weitgeschlagenen Wunde preßt, entseelt zu Boden.

Vatermörder! rief Donner und Sturm dem Hingesunkenen bei der blutigen Leiche zu, und: Vatermörder! hallte ein unendliches Echo in seinem Herzen. In Verzweiflung wendet er die blutige Klinge gegen die eigne Brust, und er wär' als Sühnopfer der entsetzlichen That von eigner Hand gefallen, hätte nicht ein Officier, der den General suchte, und auf den Lärm des Gefechtes herbeieilte, die That verhindert. Der Officier, ein Freund des Unglücklichen, errieth die gräßliche Begebenheit, und trieb den Grafen zur eiligsten Flucht. Den General, so meinte er, könne man vielleicht noch in das Leben zurückrufen, nur dürfe er dann den Sohn nicht sehn, den er ja selbst der Strafe übergeben müßte, wollt' er auch alles Vergangene vergessen. Nur diese Vorstellung konnte Graf Wernern zur Flucht bewegen. Er warf sich scheidend neben Paulinen nieder, aber mit Abscheu wies ihn diese von sich. Flieh, Unglücklicher! – rief sie ihm zu – flieh, und niemals, niemals, seh' ich Dich wieder. Der schnellste Tod fasse mich, eh' ich jemals Dir wieder nahe. Ein furchtbarer Donnerschlag schien ihren Worten das Ja des Schicksals zuzurufen. Der Graf verhüllte sein Gesicht, und in der furchtbaren Gewitternacht, die Stille gegen die Stürme in seinem Innern war, verließ er die Geliebte und das väterliche Schloß.

Er wählte nicht lange, wohin er seinen Weg richten sollte. Der Krieg Preußens gegen Frankreich war eben ausgebrochen, und vor Begier nach Kampf und Sieg zogen die preußischen Krieger den französischen Heeren entgegen. Graf Werner eilte dahin, wo er am ersten die Schlacht, und in ihr den willkommnen Tod zu finden hoffte. Er focht am zehnten Oktober jenes Jahres mit bei Saalfeld, seine Ungeduld strebte selbst dem zu raschen Vordringen der tapfern Krieger zuvor, der heldenmüthige Prinz war das Opfer des muthigen Angriffes. Werner kämpfte mit Löwenkraft. Er focht an der Seite des Prinzen, und war schon nahe daran ihn aus der Mitte der Feinde glücklich zu befreien, als er und bald nach ihm der Prinz verwundet zu Boden sanken.

Doch sollte der unglückliche Werner den Tod nicht finden, den er so sehnsuchtvoll gesucht hatte. Er ward von den Siegern unter den Verwundeten aufgehoben, und da man ihn, als den schon früher Gefangenen erkannte, sorgfältig bewacht und nach Frankreich abgeführt. Hier heilte zwar die Kunst der Aerzte seine Wunden, aber sein krankes Gemüth vermochte keine Kunst zu heilen. Seine Schwermuth ging nach und nach in Melancholie, und endlich in stillen Wahnsinn über. Er lebt in Frankreich in einer anständigen Versorgung, und sein einziger Wunsch, dessen gewisse Erfüllung ihm zur festen Vorstellung in seinem Wahnsinn geworden ist, besteht in einem großen Sieg seines Vaterlandes, den er erfechten helfen werde. Man läßt ihm den unschädlichen Wahn, der allein sein freudenleeres Daseyn mit einem leichten Schimmer von Frohsinn überglänzt.

Armer Unglücklicher! – seufzten mehre Stimmen in der Gesellschaft. Ich seufzte leise mit, denn nun ward es mir klar, daß dieser Graf Werner, und jener Graf O.., dessen Bekanntschaft ich in Frankreich gemacht hatte, dieselbe Person war. So innig vertraut wir auch in kurzer Zeit zusammen wurden, so hatte er mir doch niemals das Geheimniß seiner tiefen Schwermuth entdeckt, die ihn Allen so ungemein anziehend machte. Nur aus seinem Interesse für Paulinzell, aus dem Feuer, mit welchem er von der heiligen Pauline, als von seiner Schutzheiligen sprach, und aus der Art, wie er die verschiedenen Ueberlieferungen von ihr zu einem Ganzen verarbeitet hatte, konnte ich auf ähnliche Begebenheiten in der Geschichte seines Lebens und seiner Liebe schließen. Ich verschwieg indessen meine Vermuthung und bereitete mich, die Blätter meines unglücklichen Freundes, die nun selbst ein neues Interesse für mich erhalten hatten, vorzulesen.

7.

    Umfanget mich, einsame Klosterhallen,
Ihr heil'gen Reste altehrwürd'ger Pracht!
Euch baute Liebe, Haß ließ euch verfallen;
Stets unterliegt ja Schönes dunkler Macht!
Kein Glück erblüht; sie fordert streng von Allen
Ein blut'ges Thränenopfer sich gebracht:
Verbundne Herzen müssen qualvoll scheiden,
Grausam getrennt, und nur vereint durch Leiden.

    O steigt herauf, ihr mitternächt'gen Schatten,
Verlaßt der Grabeszellen finstre Räume,
Erhebt von eurer Gruft die schweren Platten,
Umschwebt mein Aug, gleich Bildern luft'ger Träume,
Jetzt, wo die dunklen Stunden es gestatten,
Sprecht mit dem Nachtgeflüster dieser Bäume,
Die aus der Gräber heil'gem Boden sproßen,
Sprecht mir vom Leid und Glück, das ihr genossen.

    Sprecht: hat wol unter diesen kalten Steinen
Die heiße Menschenbrust einst ausgeglüht?
Vergißt das müde Auge dort zu weinen?
Keimt unten Trost verzweifelndem Gemüth?
Saht ihr das Land, wo modernden Gebeinen
Der schöne Lenz des Glaubens jung entblüht?
Wo nichts der Liebe sel'gen Frieden störet,
Und sich verbindet, was sich angehöret?

    Was deutet mir das düstere Geflimmer,
Das fern im Chor dem Grabesstein entstralt?
Es naht sich durch des Doms bemooste Trümmer,
Vom Grab her schwebt die blasse Nachtgestalt,
Gleich Mondesstralen, wenn der matte Schimmer
In Säulenreih'n bewegte Bilder malt:
Du bist's! am wehmuthvollen Ernst der Miene,
Erkennt mein Aug' dich, heilige Pauline!

    Du kommst mit Trost aus lichterfüllten Fernen,
Des Himmels Frieden stralt dein Angesicht:
Nicht wie bei Menschen, – soll ich von dir lernen,
Hält dort Gewalt und irrer Wahn Gericht;
Ein heil'ger Recht gilt droben über Sternen:
Gut ist, was reines Herzens Stimme spricht!
Und Rosen blühn aus rauher Dornenkrone
Dort in des Himmel ew'ger Frühlingzone.

 

Während dem Lesen des letzten Verses bemerkte ich eine fast störende Unruhe unter meinen Zuhörern. Was ist das? schrie jetzt Mathilde laut auf, und ein heftiger Schauder zitterte durch ihre Glieder.

Sehen Sie es auch? – fragte Theodor – ich glaubte, ich täuschte mich.

Was denn? Was? fragten Mehre – und blickten starr nach dem Orte, dem Theodor die Augen zuwendete.

Ein blasser Schein bewegte sich in der Ferne am Schluß der Aussicht durch die verschiedenen Säulenbogen.

Es ist dort – sagte Amalie mit etwas erzwungener Fassung – dicht vor der Nische im Chor.

Die Frauen schauderten zusammen. Dort sahen sie Paulina's Grab.

Es ist nichts – sagte Theodor verweisend – gar nichts. Wer wird sich denn vor Schatten fürchten! Sie sehen doch, daß, seit wir hier gesessen haben, der Mond höher gestiegen ist. Er beleuchtet jetzt die Stelle, die vorhin – –

Es bewegt sich! – rief Mathilde, und die Frauen wollten davon eilen.

Welche kindische Furcht! – wiederholte Theodor unwillig – Wollen wir uns von Mondschatten verjagen lassen, und morgen uns gegenseitig auslachen, wenn der Tag uns wieder beherzt gemacht hat? Haben Sie denn jenen Holunderbaum dort vergessen, und sehn Sie nicht, daß der Mond die Aeste beleuchtet, welche der Wind bewegt?

Man suchte sich Herzhaftigkeit abzugewinnen. Einige sahen deutlich die Bewegung der mondbeleuchteten Zweige, und zeigten den Andern, wie die Täuschung entstanden war.

Gestehn Sie aber – sagte Amalie – es ist äußerst täuschend, sehen Sie, jetzt – jetzt – Nein, das ist wirklich etwas!

Unverkennbar schwebte jetzt ein weißer, düsterer Schatten von der Grabstelle Paulina's hervor, durch den Chor der Kirche nach der gegenüberstehenden Seite hin.

Die Beherztesten verstummten jetzt. Man dachte an Flucht, man blickte nach der Thür, aber nahe vor dieser schwebte schon die Gestalt von Paulina's Grab, in ihrem weißen, faltigen Todtengewande.

Ein lauter Schrei des Entsetzens zitterte durch die Gesellschaft. Paulina! Paulina! riefen in bewußtloser Angst mehre Stimmen.

Wer nennt hier meinen Namen? – tönte jetzt eine sanfte leise Stimme – Ich bin Pauline.

8.

Theodor, bei dem die Besinnung zuerst wiederkehrte, trat der Erscheinung einen Schritt entgegen. Wer geht hier in der Mitternacht umher? – fragte er mit fester Stimme.

Auf keinen Fall – antwortete eine andre Gestalt, die ebenfalls aus dem Chor der Kirche in den Garten trat – auf keinen Fall ein Nachtgeist, oder ein Spiel damit. Wahrscheinlich führte Sie die gleiche Absicht hieher, diese Ruine in der Mondbeleuchtung zu sehn.

Es thut mir leid auf unangenehme Art hier gestört zu haben – setzte die Erste hinzu, indem sie mit einer leichten Verbeugung sich wendete.

Theodor stand etwas betroffen. Seine nicht ganz unbefangene Herzhaftigkeit, mit welcher er die Erscheinung angeredet hatte, warf selbst auf ihn den Schein des Gespensternglaubens, und überdies hatte der feste Ton seiner Anrede durch die leichte Auflösung des Abenteuers in ein geselliges Zusammentreffen einen Anstrich von pedantischer Ungeschicklichkeit bekommen, der ihn, den Angekommenen gegenüber, in einige Verlegenheit setzte. Er entschuldigte sein Entgegentreten mit der Geisterfurcht der Gesellschaft, und diese mit der, durch Gespräch, Lektüre und das Ungewohnte von Zeit und Ort erhöhten Stimmung. Man kam sich gegenseitig zu Hülfe, und die beiden Fremden mischten sich bald gesellschaftlich in unser Gespräch.

Ich erkannte an den melodisch sanften Tönen sogleich meine schöne Unbekannte von diesem Mittag. Ihr Schleier hatte im Mondlicht die Täuschung mit einer Geistererscheinung erhöht. Sie war gesprächiger und überhaupt lebhafter als bei unserm frühern Zusammentreffen. Es schien, als wär' ein großer Schmerz von ihr genommen, und ihr Geist bewege sich nun freier in der Aussicht auf eine neue ungetrübte Zukunft. Dagegen schien ihre Begleiterin ernster geworden, und wegen der frohen, beinah exaltirten Stimmung ihrer Freundin etwas besorgt.

Nach einigen Gesprächen bat Pauline, die Erzählungen von dem Leben ihrer heiligen Namensschwester, die sie unterbrochen hatte, fortzusetzen. Ich ergriff die Blätter, sie setzte sich in meine Nähe, so, daß der Mond ihr schönes, blasses Gesicht wie das einer wiedergekehrten Heiligen verklärte. Mir ward es schauerlich zu Muth bei ihrem Anblick, und eine ähnliche Stimmung schien sich über die ganze Gesellschaft zu verbreiten. Man sehnte sich ihr näher zu seyn, und doch war es als lagere sich etwas Fremdartiges um sie her, was Jeder zu berühren scheute. Oft während dem Lesen von Paulinens Geschichte bemerkte ich Thränen in ihren Augen und fast immer glänzte ihr tiefblaues Auge von einem schwärmerischen Lächeln durch feuchte Wolken.

9.

Ich fuhr fort zu lesen:

Vor dem Altar der heiligen Kreuzes stand die Priorin Klara mit dem jungen Ritter Werner, dessen Blicke wohlgefällig an den Säulenreihen der Kirche hinglitten, und hier und da an Bildern oder Verzierungen bald lächelnd, bald ernst hafteten. Zuweilen blitzte sein Auge von hellerem Feuer, ein flüchtiges Roth überflog seine Wange, als gehe das Licht eines großen Gedanken in ihm auf, und verklärte noch mehr seine jugendliche Schönheit.

Ihr seid so jung noch, Herr Ritter – sagte die Priorin, als sie einige Zeit ihn verwundert und mit Beifall betrachtet hatte – und dennoch spricht aus Euren Worten, und noch mehr fast aus Euren Blicken der Ernst und die Erfahrenheit eines geübten Meisters. Ihr habt auf Euren Reisen durch Italien und im heiligen Lande sicherlich viel schöne Kirchen und Münster gesehen. Unser armes Kirchlein kann sich freilich mit jenen Prachtgebäuden nicht messen, aber doch säh' ich es gern, wenn Ihr unverholen sagtet, was Euch hier mißfällig ist, und guten Rath gäbet, wie es zu bessern.

Ihr irret, fromme Frau Priorin – entgegnete der Ritter – wenn Ihr meint, ich werfe hier meine Augen umher, um an dem Bau und Bildwerk Eurer Kirche zu mäkeln und zu meistern. Ich mag solches Kritteln bei Niemand wol leiden, denn es nutzt selten, und verdirbt dem Menschen nur sein Wohlgefallen und seine Freude an dem, was ihm lieb ist, wie sollt' ich also selbst solch thörichtes Ding beginnen. Vielmehr lob' ich den Meister, der Eure Kirche gebaut hat. Er hat Alles verständig überlegt, und recht nach der Kunst ausgeführt, daß er vor italischen und griechischen Meistern bestehen kann. Ueberdieß hat er in diesen Bau noch einen verborgenen Funken gelegt, der herausspringt und zündet, wenn ihn das rechte Auge trifft.

Wie meint Ihr das? – fragte die Priorin.

Ich meine – fuhr der Ritter fort – sein Werk ist gleichsam wie ein Samenkorn, dergleichen manches wol auch äußerlich von anmuthiger Gestalt ist, aber neben der Gestalt hat es innres Leben, das sich regt, und, wenn es den rechten Grund findet, sich ausdehnt zu noch viel herrlichern Gestaltungen. Was Ihr mir vorhin ansahet, als ich das Gebäude Eurer Kirche betrachtete, war vielleicht so ein Keimen jenes Samenkornes. Das ist denn wol auch ein Zeichen eines recht trefflichen Geistes, wenn sein Werk in einem andern Geiste zündet, und Keime neuer Werke weckt. Der Meister hat, was ich schon vorhin sagte, alles verständig geordnet und gemessen, aber denkt Euch nun das kleine Kirchlein auf einen größern Raum, Säulen und Pfeiler streben, gleich wachsenden Cedern, zu größerer Höhe, sie vermehren sich in Schiff und Halle, und mit ihnen steigen diese schön gewölbten Portale hoch und immer höher hinauf, daß der Glanz der Lichter am Hochaltar kaum ihre Wölbung erreicht – wie würdet Ihr dann diese großen edlen Massen anstaunen! Solch ein Werk dämmerte vor meinem Geist vorhin, aber – –

Ich versteh Euch – sagte die Priorin – das wär' kein Werk für diesen Platz, und noch weniger für unser Kloster.

Allerdings – erwiderte der Ritter – eine solche Kirche würde Euer Klostergut erschöpfen und überdies zu Eurem Münster passen, wie eine Riesensäule in diese Kirchenhallen. Ueberall ist nichts nachtheiliger, als nach Dingen streben, oder gar sie ergreifen, die zu groß und zu hoch sind für den Menschen und seinen Kreis.

Ihr sprecht ein wahres Wort – sagte die Priorin seufzend – Möchten doch manche Große es beherzigen! Doch, vergebt mir...

Sprecht ohne Scheu – fuhr der Ritter fort – wer hat es nicht gesehen, daß die herrliche deutsche Kaiserkrone, diese glänzende Sonne von Europa, nicht in der Grafenburg Raum fand? Welch ein Mann war Rudolph, eh' er nach der Krone die Hand streckte! Welch ein edler, trefflicher Held der Baierherzog Otto! Er nahm die Krone und ihre Last zerbrach ihm Herzogthum und Leben. Der rechtlich häusliche Hermann ließ sich vom Glanz verlocken und zerrissen war das schöne Gewebe seines Lebens, verstört jede Freude aus seiner Burg, bis er selbst das gefährliche Herrscherskleinod in die Hände des Mächtigen zurückgab, dem es gebührt. Und wie mancher...

Ihr brecht ab – sprach die Priorin – so ist es denn gegründet, daß auch der Markgraf von Thüringen...

Dessen verläumden ihn, ich hoff' es, nur seine Feinde oder Neider – erwiderte der Ritter etwas heftig.

Gewiß nur diese – tönte eine sanfte Stimme in der Nähe und eine junge Nonne trat aus einer Seitenhalle – Sollten denn diese unsel'gen Unruhen, die Deutschland verwüsten, ewig dauern?

Der Ritter vergaß über der schönen Erscheinung seine zürnende Rede fortzusetzen.

Eine meiner Kostgängerinnen – sagte die Priorin, auf die Herzugekommene deutend – Wie kommst Du hieher, Pauline?

Vergebt, ehrwürdige Frau – antwortete diese – Ich betete hier in der Halle vor dem Muttergottesbilde, aber Euer Gespräch, dem ich zuhörte, zog mir die Gedanken vom Gebet ab. Als Ihr von dem Bau der Kirche redetet, war es mir, als sprächt Ihr ein heimliches Wort aus meiner Seele. So erhöht und erweitert, ganz anders und doch ganz dieselbe, sah' ich diese Kirche im Traum, als ich zum erstenmal hier gebetet hatte, ich stand am Altare des heiligen Kreuzes, als Braut herrlich geschmückt, und freute mich des schönen Kirchenbaues. Den Traum hatte ich längst vergessen, aber Eure Rede rief ihn wieder vor mein Gedächtniß.

Ist es nicht seltsam – sprach die Priorin – einen jungen Ritter, gleich einem baukundigen Meister sprechen zu hören?

Ei – entgegnete dieser – meint Ihr denn, ein Ritter solle bloß mit dem Schwerte drein schlagen? Ist es doch nicht weniger zur Ehre Gottes, die dem Ritter das Höchste ist, wenn er die Steine und Balken ordnet, daß sie, zum schönen Dom zusammengefügt, die Gemüther zur Andacht wecken und das Kyrie und Gloria freudig wiederhallen, gleichwie die Steine um jenen frommen Heiligen das Amen. Mein Schwert ist darum nicht müßig gewesen, aber, wie ich den Rittern die Streiche abzulernen suchte, so hatte ich auch Acht, was meine Andacht erweckte und lernte gern von den Meistern in der Kunst, und von ihren wundervollen Werken.

Während des Gesprächs führte die Priorin den Ritter weiter durch die Kirche und Hallen, und fragte ihn manches über Malerei und Bildwerke. Auch Pauline fragte ihn viel und hörte mit Wohlgefallen seine Antworten. Als sie nun in eine Halle traten, blieb der Ritter mit sehr ernsten Mienen vor einem Muttergottesbilde stehen, und seine Blicke ruhten darauf wie angeheftet.

Mit diesem Bilde müßt Ihr Nachsicht haben, Herr Ritter, sagte die Priorin lächelnd – Es ist bloß ein Werk andächtiger Liebe zur heiligen Mutter.

Ich sag Euch – erwiderte Werner – daß dieses Bild eine der ersten Zierden Eures Klosters ist. Ihr habt keines, das ihm gleiche. Es ist noch neu, und ich bitt' Euch, nennt mir den Meister, der dieses Wunderbild malte, daß ich zu ihm eile...

Ihr spottet wol – unterbrach die Priorin – dieses Bild hat meine liebe Tochter Pauline gemalt. Du brauchst Dich Deiner Andacht nicht zu schämen, mein Kind. Es war ein wälscher Meister hier, der ein Bild unsrer Heiligen malen sollte, und weil Pauline zugegen war, als er mir Proben seiner Kunst zeigte, so bestand er darauf, ihr Angesicht fürs das Muttergottesbild abzumalen, aber meine fromme Tochter verweigerte ihm ihr Antlitz standhaft, weil sie es für Frevel hielt, ihr Bildniß im Kloster zur Anbetung aufstellen zu lassen, und weil der Maler nicht anders malen wollte, als nach ihrem Angesicht, so malte sie selbst unter heißen brünstigen Gebeten das Bild, welches Ihr seht. Wenn Ihr nun meinet, es sei gelungen, so müssen wir die Heilige preisen, welche das Flehen ihrer Magd erhöret hat.

Der Ritter konnte nicht aufhören, das Bild zu betrachten und zu preisen; als ihn aber Pauline noch manches fragte, worüber sie seinen Rath begehrte, und deswegen ihren Schleier zurückwarf, da konnte er die Augen nicht von dem himmlischen Angesicht wenden, das ihn aus dem Schleier, wie ein Engel auf einer lichten Wolke entgegenblickte. Pauline bemerkte, in Fragen vertieft, sein Erstaunen nicht; aber zu der Priorin sprach der Ritter heimlich: der wälsche Maler hatte Recht: das heiligste Muttergottesbild hat Pauline gebildet, aber das schönste bildet die Natur in Paulinen.

Nach wenig Tagen sprach der Ritter in dem Kloster wieder zu. Er entdeckte der Priorin bald, daß seit Paulinens Anblick eine unbezwingliche Sehnsucht sein Herz erfülle; er sei der Sohn des thüringischen Markgrafen Egbert, und wenn Pauline sich nicht unwiderruflich dem Kloster vermählt habe, so sei er Willens, sie zu seiner Hausfrau zu erwählen.

Für mich selbst, Herr Ritter – erwiderte die Priorin – würde ich Euch jede Hoffnung gern zusagen, denn Pauline, wie Ihr schon vernommen habt, ist weder Nonne, noch Novize, sondern meinem Kloster nur zur Pflege und Erziehung anvertraut. Wer aber ihre Aeltern seyen, und ob sie von ihnen dem geistlichen Stande bestimmt sei, das ist mir selbst ein Geheimniß. Der Mann, von dem ich sie erhielt, sagte mir nur, sie sei die Tochter eines sehr vornehmen und reichen Ritters, mit Namen Moricho. Die Summen, welche mir jährlich für dieses Kind ausgezahlt werden, bezeigen allerdings den Reichthum des Vaters. Wer aber dieser Moricho sei, und warum er sein Kind, das ihm so lieb scheint, so fern von sich erziehn läßt, das hat mir noch Niemand kund gemacht. Kennt ihr nun vielleicht unter den Rittern einen dieses Namens, so wißt Ihr, an wen Ihr mit Eurer Liebeswerbung Euch zu wenden habt. Indessen will ich Euch nicht verbergen, daß der Markgraf, Euer Vater, vor nicht langer Zeit unser Kloster besucht, und reichlich beschenkt hat. Damals hat er besonderes Wohlgefallen an Paulinen gefunden, und ihr fast väterlich zugesprochen, sie auch gegen jedermann sehr gelobt, so daß von ihm wol kein Hinderniß zu fürchten seyn möchte.

Dem Ritter war der Name Moricho so unbekannt, als der Priorin. Er beschloß, am Hofe des Kaisers nach ihm zu fragen, und die Priorin, welcher der Sohn des mächtigen thüringischen Markgrafen ein willkommener Bewerber um ihren Liebling war, gestattete ihm gern noch einige Zusammenkünfte unter ihren Augen mit Paulinen, und segnete ihre junge, schönaufblühende Liebe beim Abschiede des Ritters mit den besten Segenswünschen und Gebeten.

Während Ritter Werner am Hofe Kaiser Heinrichs Nachfrage nach dem Ritter Moricho hielt, fand sich Markgraf Egbert wieder in der Nähe des Klosters ein. Das Wohlgefallen an der jungen, fast noch kindlichen Paulina, das die Priorin für väterliche Zuneigung des bejahrten Mannes hielt, war von ganz anderer Art. Paulina's seltne Schönheit hatte das Herz des Markgrafen zu der heißesten Liebe entzündet, die er gleichwol tief in seinem Innern verbergen zu müssen glaubte, nicht allein, weil der Unterschied der Jahre ihn mehr die Gesinnung einer Tochter, als einer Braut bei Paulinen erwarten ließ, sondern vorzüglich, weil er eine Entdeckung fürchtete, die seine Leidenschaft aus verzeihlicher Thorheit in ein furchtbar entsetzliches Verbrechen umwandelte.

Markgraf Egbert hatte in frühern Zeiten diesem Kloster ein theures Pfand anvertraut, die Frucht einer Liebe, die, so mächtig die Liebenden auch waren, doch vor der noch mächtigeren Kirche ewig verborgen bleiben mußte. Vater und Mutter durften weder dem Kinde noch seinen Pflegern bekannt werden, und nur selten wagte selbst der Markgraf auf seinen Zügen wie von ungefähr bei dem Kloster zu verweilen, und unter dessen Zöglingen sich das schönste Kind zum Liebling auszuwählen. Dann schmeichelte er sich gern mit der Möglichkeit, daß die Vorgezogene ihm vielleicht näher, als durch bloßes Wohlgefallen angehöre. Seit dem letzten Besuch aber fürchtete er das, was er sonst so gern zu hören wünschte, und er bestritt mit Heftigkeit die Behauptung seines alten Dieners, des einzigen Mitwissers um jene Liebe, daß Pauline das Kind dieses Geheimnisses sei. Die Frage nach dem Namen, unter welchem das Kind aufgenommen ward, konnte freilich den Schleier heben; allein eben weil der Markgraf ein Bild des Entsetzens unter diesem Schleier zu erblicken fürchtete, scheute er die Berührung. Ungewißheit, Täuschung über das Mögliche, war sein einziger Trost, denn Paulina's Bild war nun einmal so tief in sein ganzes Leben verwebt, daß er es nicht tragen konnte, sie anders, denn als seine Geliebte zu denken.

Lange sucht' er vergebens diese Neigung zu verbergen, die ihm oft als eine Rächerin der frühern, verbotenen Liebe erschien. Zuweilen aber gab eben diese Vorstellung seiner Leidenschaft neue Nahrung. Er glaubte dem Geschick nicht entgehen zu können, und so wie er auf einer andern Seite von einem angefangenen Werke gewaltsam fortgerissen wurde, so schien auch hier eine höhere Macht ihn ergriffen zu haben, und ihn gegen sein Widerstreben zu ihrem eigenen Ziele zu leiten.

Was dreimal, durch Rudolph, Otto und Hermann, den sächsischen und thüringischen Fürsten mißglückte, sollte Markgraf Egbert ihnen erringen: Freiheit von der verhaßten Regierung Kaiser Heinrichs. Die größere Zahl der Fürsten und Bischöfe hatten dem Markgrafen die deutsche Königskrone bestimmt, von Rom aus brachten Kardinäle und Legaten dem begünstigten künftigen Reichsoberhaupt, mit dem apostolischen Segen, Versicherungen des Gelingens zu dem kühnen Unternehmen, und Ablaß für jede vergangene oder zukünftige That, welche das Gelingen fördern oder um es zu fördern unternommen werde. Jedes Kleinod der kirchlichen Löse- und Bindegewalt ward vom apostolischen Stuhl aufgeboten, um den zögernden Egbert zur raschen That anzufeuern, denn, daß eine verzehrende Leidenschaft, sein eignes Sehnen und Entsetzen, ihn unthätig um das Kloster treibe, muthmaßte Niemand. Sein Zögern galt für Unentschlossenheit, gegen die man gern alle Verheißungen aufbot.

Was treibt Ihr Euch in der finstern Sturmnacht an diesen Mauern umher – redete ihn einmal sein alter Diener an – Ich kenne wohl Euer Herzleid, wenn Ihr es auch noch so tief zu verbergen meint. Ihr liebt die schöne Pauline im Kloster. Nehmt sie zu Eurer Hausfrau, forschet nimmer nach dem Geheimniß ihrer Geburt, so bleibt Euer Gewissen ruhig. Wer weiß denn, ob gerade diese Eure Tochter ist!

Bestandest Du nicht ehedem selbst darauf? fragte der Markgraf.

Das wol – entgegnete Benno – bin ich aber doch kein Papst, der nicht irren kann! Was man wünscht, sieht man leicht, und damals wünscht' ich Euch das schöne Fräulein zur Tochter.

Egbert ließ sich gern überreden. Er begab sich des folgenden Tages zur Priorin, und erklärte ihr seine Absicht mit Paulinen.

Die Priorin, die ein näheres Verhältniß des Markgrafen zu Paulinen nicht ahndete, entsetzte sich bloß vor dem Gedanken, Vater und Sohn als Nebenbuhler zu sehn, doch hielt sie es für rathsam, dem Markgrafen die frühere Liebe seines Sohnes zu verbergen. Sie glaubte ihre geliebte Pflegetochter wenigstens bis zu Werners Rückkehr gesichert, wenn sie sich auf die Entscheidung des Ritters Moricho, als Paulina's Vater berief, ohne dessen Vorwissen sie über Paulina nichts verfügen dürfe. Egbert hörte mit Entsetzen im Namen Moricho. Unter diesem Namen, den er seit seiner Liebe zu hören und zu nennen scheute, hatte er vormals Paulinen dem Kloster anvertraut. Die langgefürchtete Gewißheit stand nun auf einmal mit allen Schrecken vor ihm. Kaum vermocht' er so viel Besonnenheit zu sammeln, daß er gegen die Priorin seine heftige Bewegung nicht verrieth. Ich kenne den Ritter Moricho – erwiderte er mit erzwungenem Stolz – und werde sehn, ob er dem Markgrafen seine Tochter versagt.

Werner hatte indessen vergebens am Hofe der Kaisers nach dem Ritter Moricho gefragt. Niemand gab ihm Auskunft. Mit gleich geringem Glück forschte er an den Höfen der andern Fürsten. Ueberdrüssig des langen vergeblichen Suchens zog er nach Paulinens Kloster zurück, überzeugt, daß der Moricho, der für ihn nicht aufzufinden war, eben so wenig erscheinen werde, die Tochter zurückzufordern.

Er fand die Priorin in höchster Bekümmerniß, doch suchte er vergebens, sie zur Entdeckung ihres Kummers zu bewegen. Sie schien etwas beruhigt, als er alle Gründe der Wahrscheinlichkeit aufbot, ihr zu beweisen, Ritter Moricho müsse verschollen, oder in fremdem Lande, vielleicht gegen die Ungläubigen, geblieben seyn; denn so konnte sie hoffen, daß der Markgraf so wenig als sein Sohn die Zustimmung von Paulina's Vater erhalten werde, und dann war wenigstens die Hoffnung, ihren Liebling zu retten, nicht auf einmal vernichtet. Doch hielt sie es nicht für gut, dem Sohne die Neigung seines Vaters zu Paulinen zu entdecken. Um ihn zu entfernen, beschwor sie ihn nochmals den Ritter Moricho aufzusuchen, aber Werner, ungeduldig über die Hindernisse, die seiner Liebe sich entgegen stellten, und selbst unzufrieden mit den Bedenklichkeiten der Priorin, eilte, seinen Vater aufzusuchen, und von ihm Rath und Beistand zu begehren.

Auf Markgraf Egbert war indessen der längst ihm drohende Streich gefallen. Befangen in seiner wilden Leidenschaft, vergaß er die Besonnenheit und Thätigkeit, welche auf seinem Weg zum deutschen Kaiserthron nöthig war. Mangel an Zusammenhang war jetzt in seinen Plänen, Säumniß oder Uebereilung störten ihre Ausführung. Die Verbündeten verloren das Vertrauen, mehre verließen ihn. Jetzt in dem entscheidensten Augenblick sprach auch der Kaiser die Acht über den Empörer. Unsicher, oft nur von wenig Reisigen begleitet, zog der Markgraf jetzt von Burg zu Burg umher, und suchte mit den wenigen ihm noch treuen Verbündeten mehr dem Untergange zu entgehen, als das stolze Ziel seines Strebens zu erreichen. Werner suchte den Geächteten, Flüchtigen vergebens. Nach langem Umherziehen beschloß er endlich zu dem Aufenthalt seiner geliebten Pauline zurückzukehren, entschlossen, sie zu besitzen, sei es durch Beistimmung der Priorin, oder durch Gewalt. Briefe Paulinens machten ihm zu dem erstern Hoffnung, denn die gebrochene Macht des Geächteten hob die Furcht vor dem vormals gewaltigen Markgrafen, und die Priorin zeigte jetzt Paulinen selbst frohere Aussichten in die Zukunft.

Voll der schönsten Hoffnungen zog nun Werner nach dem Kloster, aber weinend und trostlos kam ihm die Priorin entgegen. Ritter Moricho hatte einen Boten gesendet, der Paulinen ihrem Vater zuführen sollte. Vergebens hatte die Priorin jedes Mittel versucht, der Auslieferung ihres Lieblings auszuweichen, der Bote war mit zu glaubwürdigen und unzweifelhaften Zeugnissen versehen, daß derselbe Ritter ihn sende, der einst Paulinen dem Kloster übergeben hatte, sie mußte endlich nachgeben. Ihren Kummer erhöhte noch die Ungewißheit über Paulinen's Zukunft, denn der Bote verschwieg als ein tiefes Geheimniß den Ort, nach welchem er seine Reise richtete.

Werner wütete, als er diese Nachrichten vernahm. Er forschte bei allen Umwohnern des Klosters nach dem Wege, den Paulina's Entführer genommen habe; vergebens: Niemand wußte etwas Bestimmtes nachzuweisen. Auf eine schwache Wahrscheinlichkeit bauend, daß der Weg nach Braunschweig zu gewählt worden sei, sammelte er seine Leute, diese Spur zu verfolgen, aber kaum traute er seinen Augen, als er jetzt Paulinen selbst, begleitet von einigen Landleuten, dem Kloster zueilen sah.

Ueberrascht und entzückt flog er der Geliebten entgegen, aber abgewendet und mit allen Zeichen des Grauens wies ihn Pauline zurück. Flieh, Unglücklicher! – rief sie ihm zu – flieh weit von mir! und schneller Tod fasse mich, ehe ich jemals Dich wiedersehe.

Starr vor Schrecken stand der Betroffene und Pauline floh abgewendet vor ihm vorüber in die Arme ihrer mütterlichen Freundin Klara.

10.

Die Fremde wurde hier von einer schmerzlichen Bewegung ergriffen. Ihr Bestreben, sie zu unterdrücken, verrieth noch mehr den Eindruck, den die Erzählung auf sie zu machen schien. Ich hielt deswegen mit Lesen ein, und ihre Begleiterin näherte sich ihr mit Zeichen der Besorgniß. Allein sie wies diese mit dankbarem Lächeln zurück, dann bat sie mich fortzulesen. Man sollte – setzte sie hinzu – mit dergleichen raschen Vorsätzen nicht freveln, und Frevel bleibt immer jedes Gelübd, auch das Heiligste. Ich ahnde, auch Pauline wird diesen Frevel büßen, und glücklich genug, büßet sie ihn nur durch Tod, und nicht durch herbere Schmerzen.

Sie sprach diese Worte mit erhöhter Anstrengung und legte am Schluß, wie ermattet den Arm um den Hals ihrer Freundin.

Sie sind zu streng – sagte Amalie, um den Ernst des Augenblickes etwas zu mildern – Sie vergessen, daß es Augenblicke giebt, wo dem geängsteten, verstörten Gemüth kein Trost bleibt, als sich mit unzerreißlichen Banden des Gelübdes fest und immer fester um das Heilige zu schlingen.

O, ich kenne das Lockende dieser heiligen Versuchung – erwiderte die Fremde – der das Gemüth nur zu leicht erliegt! Da vergißt es, daß es frevelhafte Anmaßung ist, die trügerische Einsicht des Augenblickes, durch unverletzliche Heiligkeit des Gelübdes zu ewiger Wahrheit zu stempeln, und gewiß, niemals bleibt solcher Frevel ungestraft!

Sie sind doch zu streng – wiederholte Amalie – kann wol ein Gelübd das Rechte und Gute zu thun, jemals auf trüglicher Einsicht beruhn?

Gewiß niemals – antwortete Jene mit weichem und dennoch überzeugend festem Ton – Das Gute bleibt ewig gut, aber nicht immer derselbe Weg zu dem guten Ziele.

Sie neigte sich bei diesen Worten mit einem leisen Kuß zu Amalien, dann, gegen mich gewendet, winkte sie mir weiter zu lesen.

Ich fuhr in der Erzählung fort:

An einem stürmischen Abend saß Markgraf Egbert, flüchtend vor seinen Verfolgern, voll düsterer Verzweiflung in der Mühle zu Eisenbüttel. Benno und ein Mönch saßen neben ihm, und der Müller spähte draußen und von dem Dach der Mühle, ob die Straße ruhig, und sein erlauchter Gast bei ihm sicher sei. Zuweilen kamen einzelne Wanderer und begehrten Einlaß, die erzählten dann, unkundig, vor wem sie sprachen, dem forschenden Mönch von der Acht gegen den Markgrafen, und wie einer der Fürsten nach dem andern von ihm abfalle, weil sie die Reichsacht scheuten, und der Markgraf in feiger Unentschlossenheit die Zeit zum Handeln versäume. Er soll, setzte mancher hinzu, am Gemüth leiden, und seiner Sinne nicht ganz mächtig seyn. Ja wol, ja wol! hörte man dann den Markgrafen tief und kummervoll seufzen, denn ihm war zuweilen als durchschaure ihn eine Ahndung von nahem Wahnsinn und als müsse er sich abmühen, zu unterscheiden, ob der Wahn noch künftig sei, oder vielleicht gar schon anfange seine Gedanken zu umspinnen. Den Wandrern ward dann unheimlich bei seinem bangen Seufzen und sie gingen lieber in die stürmische Nacht hinaus, als daß sie mit dem trüben Gast in derselben Herberge verweilten.

Spät in der Nacht kam noch ein Reisiger und erzählte neue Unglückbotschaft. Die Markgräflichen waren von neuem theils geschlagen worden, theils zu dem Kaiser übergegangen. Wer kann's ihnen verargen – setzte der Erzähler hinzu – Markgraf Egbert kann Kaiser Heinrichen nichts anhaben, so wenig, wie Otto, und Rudolph und Hermann es konnten. Das hätten die Fürsten vorhersehen können.

Der Mönch forderte Erläuterung.

Denkt Ihr denn nicht mehr an die Prophezeihung – sagte Jener – Ich hab's bei Rudolph zuvorgesagt und bei Otto, und nun auch bei dem Markgraf, das ist alles pünktlich zugetroffen.

Was meint Ihr denn? – fragten Benno und der Mönch.

Nun, was alle Welt weiß, wenigstens in Wälschland – erwiderte der Reisige – Da hat ein prophetisch Weib Kaiser Heinrichen geweissagt, daß kein Feind ihn besiegen könne, der nicht zugleich die Natur in ungeheurem Frevel erzürnt. Warum vermochte denn Hildebrand allein über Heinrichen? Weil der einen Bund mit dem Bösen hatte. Das war der Frevel wider die Natur. Wenn der Markgraf nicht auch solche Teufelei treibt, oder ähnliche Dinge, so paßt auf ihn die Weissagung nicht. Er richtet nichts aus gegen Heinrichen.

Der Markgraf hatte den Sprecher während seiner letzten Rede starr angesehen. Jene Weissagung war ihm früher bekannt gewesen, allein er hatte ihrer nicht geachtet. Jetzt im Augenblicke der Entscheidung klang sie voll tiefer, furchtbarer Bedeutung ihm entgegen. Mit einem ungeheuern Gelächter, als habe ein wilder Geist sein Innres verkehrt, und auf einmal jede fromme Regung in ihm zu einer fratzenhaften Larve umgestaltet, sprang er auf – Ei Bursch! – rief er, und seine Stimme kreischte widerlich – verstehst Du Dich auf Teufeleien? Fort, hinaus! hier ist Dein Platz nicht, ich bin Dein Meister!

Der Reisige lachte so wild wie der Markgraf, schüttelte diesem die Hand, pfiff sich dann ein Schelmenlied und ging hinaus.

Antworte mir – sprach jetzt der Markgraf zum Mönche – Giebt's größere Sünde, als die der schlechte Gesell nannte?

Hilf Herr! – erwiderte der Mönch – von allen Sünden ist diese die entsetzlichste.

Giebt's Ablaß für sie? – fragte der Markgraf weiter, und zitterte in der Frage, als verließ ihn die letzte Kraft. Er hielt sich an des Mönches Schulter.

Diese Macht hat kein Priester in der Welt – antwortete der Mönch.

Der Markgraf schauderte zusammen. Mühsam erhielt er sich aufrecht. Er starrte den Mönch mit wilden Blicken an. Auch der heilige Vater nicht? fragte er, und der grelle Ton der Verzweiflung hallte schwirrend von den Wänden des Zimmers zurück.

Der Mönch faltete die Hände. Der heilige Vater – sprach er – löset von jeder Sünde, so glauben wir.

Also noch sicherer von den geringern – rief der Markgraf mit gräßlichem Frohlocken, und seine Augen flammten wie Blitz umher – Hab' ich doch Ablaß für Alles, was das Werk fördert, für Alles, Alles!

Er ging die Nacht durch in der heftigsten Bewegung umher, und die einzelnen Worte, die er dann und wann, unterbrochen von wildem Gelächter ausstieß, bestätigte die Vermuthung Benno's, daß Leidenschaft und Unglück seines Herrn Gemüth zerrüttet habe. Mit der Morgendämmerung kamen indessen günstigere Nachrichten. Die zerstreuten Truppen hatten sich gesammelt, ein fremder Reisiger hatte die Tapferkeit und Entschlossenheit des Markgrafen gerühmt, und mit wunderbarer Beredsamkeit das Vertrauen zu diesem Heerführer und zu seinem Glück, hergestellt. Jetzt kamen Boten von dem gesammelten Heere und begehrten Befehle von dem Markgrafen mit erneuter Versicherung unwandelbarer Treue.

Den Markgrafen schauderte etwas bei dieser frohen Botschaft, doch scheuchte er bald mit neuem wilden Gelächter das Grauen, das ihn einigemal wie düstere Wolken umfing, als die glücklichen Begebenheiten sich bestätigten. Er ordnete mit Besonnenheit eine Schlacht, man war zum Angriff bereit, aber ein dicker Nebel brachte Unordnung in die Ausführung seiner Pläne, und die wankelmüthigen Fürsten drohten von neuem ihn zu verlassen.

Harret noch bis Morgen! – rief der Markgraf – Morgen müssen wir siegen!

Seine Stimme hatte etwas furchtbar gebietendes und zuversichtliches. Die Fürsten und Ritter versprachen den Morgen abzuwarten.

Da winkte der Markgraf einen vertrauten Reisigen zu sich. Nimm Dir – sprach er – eine Schaar Knechte und zieh nach dem Kloster, das unfern der nächsten Stadt liegt. Dort fordre im Namen des Ritters Moricho von der Priorin das Fräulein Pauline, und führet sie nach der Mühle von Eisenbüttel. Dort soll sie der Müller wohl pflegen, bis ich selbst komme. Wenn die Priorin das Fräulein Dir weigert, so zeig' ihr dieses Pergament: daraus wird sie ersehn, daß Ritter Moricho Dich sendet.

Mit einer wilden Zuversicht ging nun der Markgraf unter seinem kleinen Heer umher. Verwundert sah er, daß der anhaltende dichte Nebel nicht ihn selbst, sondern den feindlichen Truppen verderblich gewesen war. Er benutzte schnell ihre Unordnung, hinderte durch seine Stellung die Vereinigung ihrer Scharen, und alle Fürsten sahen die unvermeidliche Niederlage des Feindes, die nur durch die eben einbrechende Nacht bis zum Morgen aufgeschoben ward.

Froher Jubel schallte durch das Heer, Alles rüstete sich, mit dem ersten Stral des Morgens die Schlacht zu beginnen. Da zog Markgraf Egbert von einem einzigen Knappen begleitet, still auf dem Lager nach der Mühle von Eisenbüttel.

Die Mühle rauschte mit allen ihren Gängen und der Sturmwind streute den Schaum, den die Räder in schnellem Umtrieb emporrissen, weit umher. Egbert schauderte fast zusammen, als er dem Knappen sein Roß gab, und nun mit dem Müller durch den sprudelnden Schaum, der ihn naß durchkältete, zwischen dem finstern Gewühl und Gebraus von Rädern, Stampfen und scharfen Sägen hindurchschritt.

Ihr findet Alles bereit – sagte der Müller – auch der Mönch harret Eurer, aber die Braut sitzt drinn und weint. Sie fragt nach ihrem Vater, und ruft alle Heiligen zu ihrer Hülfe.

Egbert schritt stumm neben dem Müller her, der jetzt eine Thür öffnete. Pauline trat in aller Glorie der leidenden Schönheit ihm entgegen. O Herr Markgraf – klagte sie – Euch führt mein Engel her. Nehmt Euch einer Unglücklichen an, die schändlich aus ihrer Freistatt, vom heiligen Altar weggeraubt wurde! Schützt mich, führt mich zu meiner Mutter Klara zurück.

Ihr seid im Irrthum, schöne Pauline – erwiderte der Markgraf – wenn Ihr Euch entführe glaubt, Ihr seid unter dem Geleit meiner Reisigen hierhergekommen, ich selbst bin es, der um Eure Hand wirbt, ich hoffe, Ihr werdet mir Euer Jawort nicht versagen.

Starr von Entsetzen hörte Pauline diese Rede an.

Ich liebte Euch vom ersten Anblick – fuhr der Markgraf fort. – Sollte Euch die Priorin nicht von meiner Werbung um Euch gesagt haben? Diese Nacht ist unsre Verbindung. Die nächste Morgensonne begrüßt Euch als Markgräfin, die Abendsonne vielleicht schon als...

Als Leiche! – fiel Pauline voll Verzweiflung ein – Hofft nicht, mich zu besitzen! Ihr seid ein Räuber; wie könnt Ihr mich wegführen, und mir von Verbindung sprechen, ohne Gegenwart und Einwilligung meines Vaters? Ich fordre, daß Ihr mich augenblicklich in mein Kloster zurückgeleiten lasset.

Euer Vater, schöne Pauline – entgegnete der Markgraf – kennt und billigt meine Wahl. Ueberzeugt Euch selbst. Würde er mir diese Pergamente anvertraut haben, ohne die Euch die Priorin nimmermehr ausantworten durfte?

Pauline erblaßte. – So laßt mich – sprach sie – meinen Vater sehn. Ich will ihn beschwören mein Unglück nicht zu bereiten. Er wird das Verderben seiner Tochter nicht wollen.

Ihr werdet ihn sehn – erwiderte der Markgraf – doch erst als Markgräfin. Jetzt entschließet Euch. Die Zeit ist kurz. Der Priester wartet.

Der Mönch trat herein. Vergebens rief Pauline laut um Hülfe. Der Sturm und das Gebraus der Räder übertäubten ihre Stimme. Vergebens rang sie mit dem Markgrafen um die Flucht, die Kräfte wichen von ihr, sie sank ermattet zu Boden. In dem Augenblick der Erschöpfung sprach der Mönch den furchtbaren Segen über diesen entsetzlichen Bund.

Der Markgraf wollte nun seine Gemahlin umarmen, aber mit neuer, erhöhter Kraft stieß Pauline ihn von sich. Alle Heilige nehm' ich zu Zeugen – rief sie, indem sie sich aufrichtete – daß ich diesen Bund verfluche! Gott hat einen Greuel an solcher Gewaltthätigkeit, und, so wahr sein Auge sie erblickt, so wahr wird seine Rache auf Euch fallen.

Der blutroth aufgehende Mond warf eben seine ersten Stralen auf Paulinens Angesicht, das furchtbar ernst, wie das Antlitz einer Rachgöttin gegen den Markgrafen gerichtet war. Er schien erschüttert, und nahte sich ihr mit bittenden Worten.

Zurück! – rief die Zürnende nochmals – Vollendet Euren Frevel nicht! Wißt es denn mein heiligsten Geheimniß, hört es und wagt es dann, wenn Ihr gegen die Natur selbst freveln wollet, mich zu berühren. Ich bin die Geliebte, die Verlobte Eures Sohnes!

Der Markgraf war erblaßt. Er glaubte sein Geheimniß an Paulinen verrathen. Jetzt, da er das ihre vernahm, erglüht' er vor Zorn, und in selbstvergessener Uebereilung rief er: Wie, Unglückliche? Verbrecherin! Du liebst Deinen Bruder?

Meinen Bruder? wiederholte Pauline, und ihr Blut erstarrte vor der Ahndung eines finstern Abgrundes von Geheimniß. – Meinen Bruder! Wer ist denn mein Vater?

Der Markgraf bebte und wankte zurück. Er hatte das Wort gesprochen. Sein Zusammensinken und die Todesblässe auf seinem Gesicht verrieth alles der schaudernden Pauline.

Gerechter Himmel! – schrie sie, die Hände empor ringend. – Dieser also, mein Vater! und er weiß es! o Gott, er weiß es!

Mit Blitzesschnelle flog sie aus dem Zimmer der Greuel, um sie brausten die Räder der Mühle und mengten Dunkel und spritzenden Schaum im Mondschein zu abenteuerlichen Gestalten, die ihr in den Weg traten und den Lauf hemmten. Verfolgend eilte der Markgraf ihr nach und rufte mit wilder Stimme die Braut. Schon faßte er auf der schmalen Brücke das Kleid der Fliehenden. Schützt mich, ihr Heiligen! rief die Verzweifelnde: mit Löwenkraft rang sie mit dem Verfolger. Sie riß sich aus seiner Umflechtung und ein gewaltiger Stoß stürzte den Taumelnden hinab, wo Flut und Räderwerk sich in den Raub seines Lebens theilten.

Der herzueilende Müller trug die bewußtlose Pauline aus dem Orte des Schreckens in ein entfernteres Gebäude. Auf seinen Ruf hemmten die Knechte das Räderwerk der Mühle, doch zu spät für die Rettung zog man den zerschmetterten Leichnam hervor.

Jetzt ward es auch von außen lebendig. Eine Schaar Reisige, die zu Heinrichs Heer stoßen wollte, zog bei der Mühle vorüber. Einige von ihnen begehrten Einlaß und Lebensmittel. Da fanden sie den Leichnam des feindlichen Heerführers. Jauchzend zogen sie mit dieser Nachricht, die mehr ihnen galt, als ein Sieg, zu des Kaisers Heer, und der Lohn, der ihnen dafür ward, ließ zweifelhaft, ob er der That, oder der Botschaft davon gelten sollte.

Pauline mußte nun auf die schleunigste Flucht denken. Der zerschmetterte Leichnam lag noch blutig auf ihrem Wege. Mit heißen Thränen des Schmerzes und der Versöhnung sank sie neben ihm nieder und gelobte ein Kloster zu stiften zu Büßung der schweren Schulden dieser greuelvollen Nacht. Der Müller mit seinen Knechten geleitete sie nach dem Kloster zu der frommen Priorin Klara.

Vergebens bot Werner alles auf, die Geliebte noch einmal zu sehen. Durch die Priorin erfuhr er alle Schrecken jener Nacht, die nun unwiderruflich ihn von der Geliebten, Schwester und Mutter trennten. Verloren für jede Freude des Lebens, suchte er die Ruhe im Kloster zu Hirschau, wo er als Bruder Hieronymus ein heiliges Leben führte. Paulina aber beschloß in dem gelobten Münster zugleich ein Denkmal ihrer unglücklichen Liebe zu errichten. Sie sendete Boten in das Kloster Hirschau und ließ um den kunstreichen Bruder Hieronymus bitten, der das Kloster nach seiner Einsicht bauen sollte. Hieronymus gedachte sogleich jener Klosterkirche, wo er die Geliebte zuerst gesehen hatte, und beschloß, den großen Kirchenbau auszuführen, den er damals im Geist sah, und den Pauline nach dem Bilde ihres Traumes so eifrig herzustellen wünschte.

Allwöchentlich kam nun der fromme Baumeister, und ordnete und trieb die Arbeiter, das Werk zu fördern. Aber wenn er zurückreisete in sein Kloster, kam die liebende Pauline und freute sich der Werke des brüderlichen Geliebten, betrachtete jedes und legte die Hände gleichsam segnend auf die Steine und Säulen. Das sahen die Arbeiter, und falteten andächtig die Hände, wenn die fromme Pauline mit den Steinen und Werkstücken heimlich sprach und sie berührte. Kam dann der Baumeister zurück, nach der Arbeit zu sehn, so zeigten die Werkleute ihm die Stelle, wo die fromme Stifterin wie eine Heilige gestanden, und die Steine segnend berührt hatte. Da kniete Hieronymus nieder, wo sie mit ihren Füßen gestanden war, und küßte lange und oft die Steine, worauf ihre Hände geruht hatten, und die Arbeiter knieten mit ihm nieder, und beteten um Segen und um Gelingen zu ihrem Werk. Aber sehen wollten sich Hieronymus und Paulina niemals, denn sie gedachten beide des schweren Wortes, das Paulina zwischen sie und ihr Wiedersehn gestellt hatte.

Als nun das große Münster vollendet war, und weit umher geistliche und weltliche Herren herbei kamen, es zu betrachten, fehlte nur noch der Abt, der den Klosterbrüdern vorstehen sollte. Paulinen kam es zu, das Oberhaupt zu berufen, und sie wählte dazu den frommen Baumeister des Klosters, den Bruder Hieronymus in Hirschau. Der Sitte gemäß und auf Zureden des Bischofes, zog sie, zu Erhöhung der Feierlichkeit, selbst dem Abt' entgegen, um ihn einzuholen und in sein Kloster einzuführen. Zwar scheuete sie seinen Anblick, aber die Heiligkeit und Würde der Handlung schien ihr dieses Wiedersehn zu rechtfertigen. Sie ritt auf einem einfach geschmückten Zelter, die erste und demüthigste ihres Gefolges. Schon hörte man aus der Ferne den Chorgesang der Klosterbrüder, die den Abt geleiteten, schon stimmte Paulina's Gefolge dem Kommenden das Benediktus an, und das Volk, das von allen Orten herbeigeströmt war, sank auf die Knie, den Segen des Herannahenden zu empfangen. Schon hob der Abt segnend die Hände, da erblaßten Paulina's Wangen, ihre Augen starrten in einen tiefen Abhang des Felsweges hinab. Jetzt schwebte ein himmlisches Lächeln um ihren Mund. Vater – rief sie – Vater, versöhnt! Ein Engel hebt den Schleier der Schuld von uns. Ich komme, ich eile in die Arme des Vaters! Ihr Roß scheuete, und die Seherin Pauline sank in den Felsengrund. Man hob sie entseelt auf. Ihre Glieder waren zerschmettert, aber unentstellt, und vom Frieden des Himmels verklärt, lächelte ihr Angesicht im Tode.

Sie starb den leiblichen Tod ihres Vaters – sagte die leise Stimme der Priorin Klara – aber wie eine Heilige.

Abt Hieronymus, auch Jerung genannt, führte nun den Leichnam der Entschlafenen in das von ihr gestiftete Münster, und begrub ihn vor dem Altar des heiligen Kreuzes, und nach Jahren voll stillem Schmerz fand er an ihrer Seite die Ruhe des Grabes.

Dort hat nun, unter kalten Grabessteinen
Die heiße Brust voll Liebe ausgeglüht,
Vergessen hat das Auge dort zu weinen,
Dort findet Trost das duldende Gemüth.
In jenem Land, wo schlummernden Gebeinen,
Ein schöner Lenz des Glaubens neu entblüht,
Dort wandeln sie, wo nichts die Liebe störet,
Und sich verbindet, was sich angehöret.

11.

Die Gesellschaft sprach manches Wort der Theilnahme an Paulina's Schicksal. Die Fremde, welche sich ebenfalls Pauline nannte, war vorzüglich bewegt.

Paulina's Geschichte – sagte sie, zu mir gewendet – interessirt mich ungemein. Gründet sich Ihre Erzählung auf geschichtliche Nachrichten?

So viel mir bekannt ist – erwidert' ich – widerspricht wenigstens die Geschichte ihr nicht. Mein Freund, dem ich sie danke, schrieb sie auch, nicht ohne fleißige Forschung der Geschichte jener Zeit.

Wo lebt der Verfasser? – fragte sie mit gesenktem Blick, als fürchtete sie die Antwort.

Zuletzt in Frankreich – antwortet' ich ihr – er ward als tödtlich verwundet gefangen.

Besitzt er nicht ein Porträt von Ihnen? – fragte sie schnell und heftig.

Es war allerdings so, er hatte es selbst gemalt und ich mußte ihre Frage bejahen.

O, dann beschwör ich Sie, – fuhr sie fort – sagen Sie alles, was Sie von ihm wissen. Sie waren ihm der liebste seiner Freunde. Ihr Bild war oft sein Trost und er sehnte sich nach Ihrer Beruhigung, die ihm früher oft seine Leiden erleichtert hatte. An den Zügen dieses Bildes erkannt' ich Sie sogleich. Sprechen Sie, wo ist Graf Werner?

Die Heftigkeit ihrer Frage erschreckte mich, doch suchte ich mich zu fassen.

Die letzten Nachrichten – antwortet' ich ihr – von meinem Freund – erhielt ich aus Besançon. Freilich waren sie traurig. Ohne Zweifel wissen Sie, daß er dort unter Aufsicht in einem stillen Wahnsinne lebt, der vielleicht nur mit seinem Leben endiget.

O, wollte Gott – rief sie schmerzlich – es wär so! Ich komme von Besançon. Dort wird er vermißt, und nach aller Wahrscheinlichkeit fand er seinen Tod in dem nahen Fluß. Ich hörte, als ich ihn schon lange als einen Todten beweint hatte, von seinem Zustande. Mehre Umstände ließen mich hoffen, daß mein Erscheinen günstig auf ihn wirken werde. Ich eile hin. Ach, zu spät! Wenig Tage vor meiner Ankunft war er seinen Aufsehern entschlüpft – ein Tuch, nah' am Wasser gefunden, bestätigt die schreckliche Vermuthung.

Und Allen blieb kaum ein Zweifel, daß die Fremde, und jene Pauline, von welcher Theodor erzählt hatte, eine und dieselbe Person war. Man berührte mit aller Vorsicht die Geschichte ihrer Liebe, und suchte ihr glaublich zu machen, daß Werner vielleicht noch in jener Gegend umher irre, allein ihre Nachforschungen waren zu sehr mit aller Besorgtheit der Liebe unternommen, als daß man ernstlich eine solche Hoffnung hätte hegen können. Julius erinnerte sie hierbei behutsam an jenes übereilte Wort bei der Trennung, und wie auch hier der Bruch jenes Wortes in wunderbaren Zusammenhang mit dem Tode hätte kommen können, wenn nicht durch eine andre Wendung des Schicksals er selbst dem gefährlichen Wiedersehn entgangen wäre.

O, mich hätt' es treffen sollen, nicht ihn! – rief Pauline – Ich sprach ja selbst jenes unbesonnene, frevelhafte Wort.

Man suchte Paulinen, die von neuem in düsteres Nachdenken verfiel, von den trüben Erinnerungen zu entfernen, und wendete das Gespräch auf die Ruine, die jetzt von dem immer höher gestiegenen Monde auf das prächtigste beleuchtet war. Die Kühle der Mitternacht erinnerte uns aufzubrechen, und als uns der Weg durch den Garten längst der Säulenreihe dieser kirchlichen Ruine hinführte, und unsre Schatten an den Säulen wechselnd erschienen und verschwanden, scherzten einige in der Gesellschaft über die vorige gespenstische Erscheinung Paulina's.

Kaum aber traten die Ersten von der Gesellschaft durch die Gartenthüre in den ehemaligen hohen Chor der Kirche, als sie erschrocken und zweifelhaft zurücktraten. Eine Mönchgestalt in schwarzer Benediktinertracht kniete unbeweglich in betender Stellung an Paulina's Grabe.

Wir sind doch heute fast ausersehn, auf Phantome zu treffen – sagte Theodor – was mag dieses wieder seyn?

Er ging nach der Gegend zu, aber nach wenig Schritten erhob sich die Erscheinung und ein blasses Gesicht sah uns aus der Verhüllung an.

Das Mönchgespenst! – riefen Mehre, denen die frühern Erzählungen einfielen, und selbst Theodor schauderte zusammen und trat muthlos zurück.

Was geht denn vor? – rief Pauline, die sich in dem Garten verweilt hatte, heraustretend – Ach, das sind unzeitige Scherze!

Sie ging unwillig auf die Gestalt los, ihr die Verhüllung abzunehmen, aber kaum hatte sie in der Nähe das blasse Todtengesicht erblickt, als sie laut vor Schreck aufschrie und zu Boden sank. Die Mönchgestalt stand starr und regunglos neben ihr.

Der Trieb zu helfen überwand hier die Furcht. Wir eilten hinzu, die Ohnmächtige aufzurichten, vor der, wenig Schritte entfernt, die bleiche Gestalt noch immer bewegunglos stand. Pauline! – rief jetzt ihre Begleiterin, und Pauline! wiederholte des schwarzen Mönches dumpfe Stimme. Vorgebeugt und die Leblose anstarrend, rief die Erscheinung nochmals mit entsetzlicher Mischung von Freude und Grausen den Namen der Ohnmächtigen, und sank dann neben ihr zu Boden.

Der Schreck fesselte uns nur auf Augenblicke die Sinne. Wir bemühten uns die furchtbare Mönchgestalt von Paulinen zu entfernen. Sein Gesicht war durch die Anstrengung des Falles mehr enthüllt. Wo bin ich? fragte er, wie aus einem Traum erwachend, und Theodor und ich erkannten Stimme und Züge unsere Freundes Werner.

12.

Während der Bemühungen Paulinen in das Leben zurückzurufen, enthüllte sich auch das Räthsel von der unerwarteten Erscheinung des Grafen Werner. Seine Schwermuth war immer mehr in stillen Wahnsinn übergegangen und die Nachrichten von den fehlgeschlagenen Versuchen der Deutschen sich von der französischen Herrschaft zu befreien, hatten in Verbindung mit seiner unglücklichen Liebe, Gemüth und Besinnung ihm fast völlig zerrüttet. Doch hatte sich die Vorstellung, daß er einen Sieg zu Befreiung seines Vaterlandes erfechten werde, immer in ihm lebendig erhalten. Jetzt waren ihm, wie er erzählte, in seinem traumähnlichen Zustande, Bilder von siegenden deutschen Heeren erschienen, die stets ihn aufforderten, mit ihnen zu kämpfen. Ohne deutlich zu wissen, wie? war er ihnen gefolgt. Wie er zu seiner Mönchtracht gekommen, wie er seit seiner Entweichung aus Besançon sein Leben erhalten, war ihm selbst ein Räthsel. Die Vergangenheit lag wie ein verworrner Fiebertraum hinter ihm, er konnte nicht unterscheiden, was der Wirklichkeit angehörte, und was leeres Bild des Wahnsinns war. An die Ruine von Paulinzell hatte ihn ein dunkles, unbeschreiblich seliges Gefühl gebunden, er kannte sie nicht während seines Wahnsinnes, und nur jetzt bemerkte er das sonderbare Zusammentreffen, daß eben diese Ruine, die selbst seinen Wahnsinn mit Erinnerungen aus glücklichern Zeiten durchglänzte, nun auch die Entwickelung seines Schicksales herbeiführte.

Pauline athmete noch einige Tage in bewußtloser Betäubung, aber keine Kunst der Aerzte konnte sie dem Leben erhalten. Die Gewalt der Ueberraschung hatte sie getödtet, und ihr eignes, früher gesprochenes Wort gegen das Wiedersehn bewährt. Dieselbe Gewalt des Unerwarteten hatte ihrem Geliebten die Besinnung zurückgegeben, aber, grausam genug, zeigte ihm das Schicksal die Geliebte in dem Augenblick, wo sie für immer ihm entrissen ward, und gab ihm mit der rückkehrenden Besinnung nur die Empfänglichkeit für den Schmerz des Verlustes.

Wir sehn uns bald wieder, – sprach er, wenn seine Freunde mit ihm klagten – und dann bring' ich ihr, statt des Myrtenkranzes, den deutschen Siegeskranz von Eichenlaub.

So eilte er zu den preußischen Fahnen. Die Verlängerung des Waffenstillstandes, die so manchem Gemüth den letzten Hoffnungfunken verlöschte, schlug ihn nicht nieder, eben so wenig konnten die unglücklichen Tage bei Dresden ihm den Muth erschüttern. Die siegfrohen Bilder, die vormals seinen zerrütteten Geist erhellten, gingen wieder durch seine Träume, und oft hörte selbst der Wachende, wie aus weiter Ferne, Siegesgeläut und Triumphlieder gegen sich herantönen.

Am blutigen Nachmittag des sechzehnten Oktobers stürmte er mit der tapfern Schaar Bülow's über Möckern her gegen Leipzig. Er sah den Sieg für die Sache sich entscheiden, an der sein deutsches Herz mit voller, liebender Sehnsucht hing. Immer feuriger riß sein Muth ihn vorwärts. Er sah die Feinde weichen. Die Triumphlieder seiner Träume klangen um ihn, und Glockengetön, wie von den Thürmen der nah vor ihm liegenden Stadt, hallte zu ihm her.

Sieg! Sieg! – rief der Begeisterte, immer vorwärts dringend. Da warf ihn eine feindliche Kugel vom Rosse. Seine treuen Kameraden trugen ihn unter einen Baum. Da kam das Gerücht von dem Siege des Feindes zu dem Sterbenden und die Glocken, die jene Nachricht in der Stadt feiern mußten, schallten dumpf wie Todtenglocken zu ihm heran. Seinen Freunden schien auf Augenblicke der Muth zu sinken, aber der Sterbende feuerte sie von neuem zu thatenreichem Vertrauen an. Verzagt nicht – sprach er – Euer Siegruf wird bald kräftiger schallen. Fort in den Kampf! Mich laßt hier. Diese Glockentöne sollen mein Grabgeläut seyn.

Als mit dem Abend das Feld erkämpft war, traf man ihn entseelt, Paulina's Bild an seinen Mund gedrückt. In seinem Taschenbuche fand man diese Zeilen:

Hört ihr den bangen Angstruf jener Glocken?
Sie hallen mahnend durch der Schlacht Gedröhne:
Zu euch, ihr Krieger, sprechen diese Töne!
Zu schneller Rettung wollen sie euch locken.

Auf, Brüder, kämpft voll Muth, stürmt unerschrocken,
Daß kein Tirann mehr Gott und Recht verhöhne;
Kämpft, daß den Sieg Lorbeer und Palme kröne,
Und Jubel schall' in des Triumphs Frohlocken.

Ich kann den mächt'gen Schwerdtkampf nicht mehr schlagen,
Des Lebens Blutstrom quillt aus tiefer Wunde,
Doch freudig wird mein Geist emporgetragen.

Entgegen tönt Gruß vom geliebten Munde,
Mein goldnes Morgenroth beginnt zu tagen,
Sieg, Freiheit, Liebe glänzt in heil'gem Bunde.



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