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Das erste Kind

Luis Taboada

 

»Es wäre wahrhaftig ein Segen, wenn Don Filomeno, unser Nachbar, das Glück, das ihm in seinen alten Tagen noch beschieden, ruhig allein genösse und uns, die übrigen Bewohner das Hauses, in Frieden ließe,« stöhnte einer nach dem anderen.

»Aber nein, Herrgott im Himmel! Ihm ist nach dreiundzwanzigjähriger Ehe das erste Kind geboren, und das bringt uns täglich neue Unbequemlichkeiten.«

»Seit der Geburt des Kindes hat er jeden Tag ein anderes Anliegen.«

»Der gnädige Herr lassen bitten« – mit diesen Worten kommt das Dienstmädchen –, »die Herrschaften möchten doch gefälligst nicht so stark auftreten, den Fußboden nicht so häufig scheuern lassen und bei Tisch nicht so arg mit den Tellern klappern.«

»Ist bei Ihnen jemand schwer krank?«

»Nein, aber die gnädige Frau ist etwas angegriffen, und das Kind schläft gerade.«

Don Filomeno, dessen Leben früher daraus bestand, daß er sich Zigaretten drehte und seinen Kanarienvögeln Wasser gab, hat diese wichtigen Beschäftigungen aufgegeben, um sich mit Leib und Seele den Pflichten seiner Vaterschaft zu widmen.

Er geht in die Küche, um nachzusehen, ob das Wasser kocht, da der Arzt wünscht, das Kind solle mit Weidenblüten- und Wolfskirschentee gewaschen werden; von der Küche ins Schlafzimmer zurück, um zu fragen: »Ist alles in Ordnung? Zieht's auch nicht zu sehr?« vom Schlafzimmer auf den Balkon, um auf den Doktor zu warten, vom Balkon an das Hoffenster, wo er selbst die Windeln des Kindes zum Trocknen ausgelegt hat, da er diese zarte Pflicht um keinen Preis einem anderen Menschen überlassen würde.

Die Freundinnen, die kommen, um die junge Mutter zu besuchen, werden von Filomeno in einem abgelegenen Saal im äußersten Flügel des Hauses empfangen.

»Sie nehmen mir's wohl nicht übel, daß ich Sie hier hereinführe. Aber dieses Zimmer ist am weitesten von Anicitas Schlafgemach entfernt, und man kann wirklich nicht vorsichtig genug sein.«

»Ich gebe Ihnen vollständig recht,« entgegnet eine der Damen. »Und wie geht's dem Kinde?«

»Danke, gut.«

»Ich würde es so gern mal sehen!«

»Wenn Sie wüßten, wie klug und verständig der kleine Schlingel schon ist!«

»Ach, wirklich?«

»Wenn er sieht, daß seine Mutter schläft, steckt er sich die Fingerchen in den Mund, um nicht zu weinen.«

»Nein, aber so was!«

»Und mich kennt er schon ganz genau. Das sind die Bande des Blutes ... Ich will ihn Ihnen aber lieber ein andermal zeigen, denn heute ist er schon ein wenig müde. Gestern Abend ging's ihm sehr schlecht, dem armen, kleinen Engel! Er kennt natürlich noch kein Maß, und da seine Mutter ihn soviel trinken läßt, wie er will, hat er sich den Magen überladen. Aber Sie werden sehen, das wird dem klugen, kleinen Kerl eine Warnung sein.«

»Selbstverständlich!«

»Außerdem hat sich gestern jemand aus der Nachbarschaft das Vergnügen gemacht, stundenlang die Trompete zu blasen, so daß der Kleine Kopfschmerzen davon bekommen hat. Ich werde es noch heute zur Anzeige bringen; der Mensch muß ganz empfindlich bestraft werden, denn ich habe ihn mindestens dreimal bitten lassen, aufzuhören, und es hat alles nichts genützt. Ist Ihnen schon solch eine Rücksichtslosigkeit vorgekommen?«

Don Filomeno schien sich einzureden, daß außer ihm niemand auf der Welt Kinder habe, und daß die ganze Menschheit verpflichtet sei, auf den Schlaf dieses Neugeborenen Rücksicht zu nehmen. Selbst die fliegenden Händler versuchte er vom Balkon aus zu vertreiben.

»Still, still!« ruft er ihnen zu.

»Warum denn?« fragt der also Angeredete.

»Weil meine Frau sehr angegriffen ist. Was für ein Land, in dem kein Mensch auf den anderen Rücksicht nimmt!«

Den Wasserträger zwingt er, sich die Stiefel auszuziehen, wenn er über die Treppe geht, das Wasser Tropfen für Tropfen in den großen Zuber zu gießen und den Atem dabei anzuhalten, wenn das Mädchen niest, rennt er in die Küche und fährt sie an:

»Wenn Sie noch einmal niesen, sind Sie entlassen!«

»Warum denn?«

»Weil das Kind sich zu Tode erschreckt; das weiß noch nicht, was »Niesen« ist, und glaubt, in der Küche würde geschossen.«

Auch abgesehen von den Kopfschmerzen wird der kleine Engel mit väterlicher Sorgfalt überhäuft. Wenn er weint, zieht Don Filomeno ihm das Hemdchen und die Windeln ab und reibt ihn mit Öl ein.

»Wo tut's dir weh, mein kleiner Liebling?« fragt er ihn voller Mitleid. »Du hast es ja so gut! So, so, nun wird's schon wieder besser!«

Wenn der Kleine mit den Beinchen strampelt, glaubt Don Filomeno, er sei ungeduldig, und sagt zur Kinderfrau:

»Kommen Sie mal her und schütteln Sie ihn ein wenig wie eine Baldrianflasche. Er ist so furchtbar nervös und kann nicht lange auf einem Fleck liegen.«

Don Filomeno gehört dem Verein der Landwirte an; aber seitdem er das unbeschreibliche Glück genießt, Vater zu sein, hat er keiner einzigen Sitzung mehr beigewohnt.

Eines Tages kommt der Vorsitzende des Vereins zu ihm und fordert ihn auf, am Abend zur Sitzung zu kommen, da er allgemein schmerzlich vermißt werde.

»Unmöglich, ich kann meinen Kleinen nicht allein lassen.«

»Aber ...«

»Und außerdem zwingt mich noch ein anderer Grund, den Sitzungen fernzubleiben.«

»Und das wäre?«

»In den Statuten steht, daß man das zwanzigste Lebensjahr erreicht haben muß, um Mitglied des Vereins zu werden. Dieser Paragraph verwehrt meinem Sohn den Zutritt. Und wo mein Sohn nicht sein kann, da will ich auch nicht sein ...«


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