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Spanische Novellen
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Und das alles durch den Dudelsack!

Alfonso Peréz Nieva

1859 - 1931

I.

Der berühmte Sänger Don Antucho Alvarez streifte durch die Straßen der Hauptstadt, als die Töne eines Dudelsacks an sein Ohr klangen. Der Künstler hielt einen Augenblick inne und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Die Musik drang aus einer der Straßen, die auf die große, mit Platanen eingefaßte Allee mündeten; und obgleich sie hin und wieder durch lautes Wagengerassel und das Klingeln der Pferdebahnen übertönt wurde, merkte man doch sofort, daß es sich bei diesem Spielmann um ein außergewöhnliches Talent handelte.

Dem Horchenden war diese Art zu spielen und dem ungelenken Instrument die Melodie zu entlocken, gar wohl bekannt; diese sichere Art, die hohen Töne weich und voll herauszubringen, diese Pausen zwischen den Akkorden, in denen Seufzer zu entschwinden schienen, diese lang ausgehaltenen Töne, die wie das Echo in den heimatlichen Kiefernwäldern klangen, konnten nur die Hände seines alten Dudelsackkameraden hervorzaubern, der einst sein intimer Freund und späterhin sein verhaßter Feind und Nebenbuhler gewesen war. Aber er täuschte sich wohl dennoch. Chiudo war jetzt sicherlich auf dem Lande, zog von einer Kirchweih zur anderen und lebte zwischen seinen heimatlichen Maisfeldern, die er niemals verlassen wollte. Und doch – er mußte es sein; so konnte nur er spielen; Alvarez hatte ihn zu oft begleitet, um sein Spiel nicht wiederzuerkennen.

»Wer spielt da?« fragte der Künstler.

»Das wird der Bettler sein, der hier von Straße zu Straße zieht. Er ist wohl mit dem letzten Auswandererschiff herübergekommen.«

Diese Antwort machte den Fragenden stutzig. Die Musik kam näher, wurde deutlich hörbar, und endlich tauchte ein zerlumpter Mensch auf. Er ging barfuß. Obgleich er noch im besten Mannesalter stand, hatten die weiten Reisen, die Sorge, die Ermüdung, vielleicht auch das Heimweh, das tiefer schmerzt, als die Wunden an den Füßen, ihn elend gemacht, und seine Stirn frühzeitig gefurcht. Seinen Dudelsack im Arm, kam er langsam näher und unterbrach sein Spiel nur einen Augenblick, um die Münzen aufzufangen, die ihm von den Vorübergehenden oder von den Balkons der umliegenden Häuser zugeworfen wurden.

»Kein Zweifel – er ist es,« murmelte Don Alvarez vor sich hin, sobald er den fahrenden Spielmann erblickte. Und seine ganze Lebensgeschichte, seine traurige Vergangenheit, die er mit jenem Manne geteilt, trat ihm plötzlich wieder vor Augen. Er dachte an die brüderliche Zärtlichkeit, die sie beide verbunden, an die Zeit, da sie zu den Festen in ihrem heimatlichen Dorfe zusammen aufgespielt hatten, und dabei fiel es ihm plötzlich ein, daß das kleine Lied, das er auf allen südamerikanischen Bühnen gesungen, und das wahre Beifallsstürme entfesselt hatte, einst von dem armen Emigranten komponiert ward, dem gottbegnadeten echten Künstler, der keine Note kannte; er dachte daran, wie sein Gefährte ihn das Instrument zu handhaben und jenes Lied zu singen gelehrt hatte, jenes Ständchen, dem er alle seine Erfolge und seinen ganzen Ruhm verdankte. Und dann endlich entsann er sich, wie sie beide dasselbe Mädchen geliebt, das den Haß zwischen ihnen entfacht und sie dann beide betrogen hatte. Und als er nun den armen ausgewanderten Chiudo wiedersah, wie er um ein Stück Brot bettelte, während das Schicksal ihn selbst mit Gütern überhäufte, da empfand er plötzlich etwas wie Scham und bittere Reue, und eilte, einer raschen Eingebung folgend, davon, noch bevor der Dudelsackspieler ihn entdeckt hatte, während er leise vor sich hin murmelte:

»Ich darf ihn nicht untergehen lassen.«

II.

Es war einer der größten Erfolge, die er zu verzeichnen hatte, seitdem er mit seinem Dudelsack von Ort zu Ort zog.

Das Theater bot einen imposanten Anblick und war bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Vorstellung war von der spanischen Kolonie arrangiert und der Ertrag zur Erbauung einer Kirche bestimmt. Das Publikum war sehr erregt, und diese Erregung wurde wohl zum Teil durch jenes eigenartige Lied hervorgerufen, das jedem einzelnen Bilder aus der schönen Jugendzeit und der fernen Heimat vorzauberte.

Don Alvarez sang zum erstenmal in X..., und das Publikum, das vor Erregung fieberte, verlangte stürmisch nach einer Wiederholung des Liedes und nach dem Namen des Komponisten. Und nun geschah etwas Unerhörtes, das die Zuhörer verstummen ließ und sie in höchstes Staunen versetzte.

Niemand hatte gesehen, daß der Sänger während seines Vortrages von Zeit zu Zeit unruhig nach einer der rechts liegenden Kulissen gespäht hatte. Ja, dort stand sein einstiger Kamerad, unbeweglich, totenbleich, gleich als wäre er aus Marmor gemeißelt und lauschte gespannt. Der Plan, der entworfen war, um ihn ins Theater zu locken, war gut gelungen; der Portier hatte sich mit ihm angefreundet und ihm für diese außergewöhnliche Vorstellung ein Plätzchen zwischen den Kulissen angewiesen.

Nachdem die Nummer beendet, brach der Applaus noch stärker los als zuvor, und der Konzertgeber rief, indem er sich weit vorbeugte, und seinem Kollegen den Dudelsack überreichte, laut aus:

»Meine verehrten Damen und Herren, der Komponist des Liedes, das ich die Ehre hatte, Ihnen vorzusingen, ist dieser arme Bettler, den sie alle wohl schon durch die Straßen der Stadt haben ziehen sehen. Er ist mein Lehrer gewesen, und er wird mit der gütigen Erlaubnis des Publikums jetzt selbst ein Lied vortragen.«

Und ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, machte der Sänger ein paar Schritte seitwärts, stellte sich vor den armen Spielmann hin und sagte, die Arme ausbreitend, mit zitternder Stimme:

»Chiudo, Kennst du mich nicht mehr? Ich kenne dich aber wohl, und ich bin es, der dich hierher hat kommen lassen, vergessen wir, was geschehen; laß uns Freunde sein wie einst, willst du? Du hast gehört, was ich dem Publikum gesagt habe. Du mußt jetzt spielen! es geht nicht anders, vorwärts, für unsere Heimat, Für Spanien!«

Der Sänger hatte stockend und in größter Erregung diese Worte hervorgestoßen. Der Spielmann hörte ihm schweigend zu, seine Lippen bebten; ringsumher stand das Personal des Theaters. Die Leute verstanden nichts, aber sie errieten, daß zwischen diesen beiden Menschen etwas Seltsames vorging. Endlich ließ der Straßensänger sich, wenn auch widerstrebend, von dem Künstler herausführen, wand sich zwischen den Kulissen hindurch, und während das Publikum wie rasend applaudierte, griff er nach dem Dudelsack und begann zu spielen. Es war ein herrliches Lied, unendlich schöner als das erste, und es trieb der ekstatischen Menge die Tränen in die Augen. Als der letzte Ton verklungen, weinten sie alle. Die Ovationen wollten kein Ende nehmen, Halb wahnsinnig vor Begeisterung, wie vom Schwindel erfaßt, schrie die berauschte Menge immer wieder: » bis! bis!« Das Lied mußte wiederholt werden, denn alle wollten noch einmal die Klänge hören, durch die das Rauschen des Morgenwindes in den Pinien, das helle Lachen der Bauern auf dem Wege zur Kirchweih, die Seufzer der verliebten Jünglinge tönten, wollten noch einmal das ganze herrliche Bild schauen, das ihnen jener Dudelsack vorzauberte. Dann umarmte der Sänger seinen Gefährten und sagte fröhlich zu ihm:

»So, jetzt werden wir beide durch die ganze Welt ziehen. Und das alles durch den Dudelsack!«

Und der arme Spielmann, der fast niedergedrückt war von diesen stürmischen Ovationen – den ersten, die er in seinem Leben erhalten – rief, ohne sich Rechenschaft abzulegen von alledem, was vorging, ohne noch ganz an eine aufrichtige Versöhnung mit seinem Jugendfreunde glauben zu können, mit schluchzender Stimme aus:

»Ja, Antucho, das wollen wir! Ich habe dir stets die Freundschaft bewahrt, und doch verdanken wir es nur diesem gesegneten Dudelsack, daß wir nun wieder unzertrennliche Freunde werden, wie einst. – Und das alles durch den Dudelsack!«


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