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Manolitas Telephongespräch

Juan Valera

1824-1905

Szene in zwei Bildern. Manolita (einzige Person).

Erstes Bild.

Reicher, eleganter Salon. Es ist Abend. Es brennen Kerzen und eine Lampe. Ein Telephon. Manolita ist allein, geht unruhig auf und ab und führt ein Selbstgespräch.

Ich habe Mama sehr lieb, aber es fehlte nicht viel und es wäre vorbei mit meiner Liebe. Das vierte Gebot lautet: »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren,« und mir wird es gewiß nicht schwer, dies Gebot zu befolgen. Ich bedauere es nicht, bin vielmehr froh darüber, daß man mich fast drei Jahre in dem Kloster gelassen hat. Ich war ein verwöhntes, eigensinniges und launisches Geschöpf. Ich war ein Teufel und verdiente wohl, daß man mich straff im Zaum hielt. Jetzt, da ich wieder nach Hause zurückgekehrt, bin ich eine wichtige Persönlichkeit. Und warum sollte ich Mama nicht ehren und lieben? Sie verwöhnt, verhätschelt und vergöttert mich. Meine Launen sind ihr Gesetz. Mama schenkt mir tausend Schmucksachen, gibt für meine Kleider und Hüte ein Vermögen aus, und ist niemals ungehalten, wenn die Rechnungen kommen. Ja, es will ihr beinahe scheinen, als gäbe sie noch zu wenig für mich aus. Und trotz alledem: ich kann es nicht leugnen, ich bin mit Mama nicht zufrieden.

Die Unschuld ist gut und heilig; jawohl – sehr gut und sehr heilig sogar; aber ich habe schon mein achtzehntes Jahr vollendet, und wenn ich auch erst vor drei Monaten aus dem Kloster des Heiligen Herzens zurückgekehrt bin, so braucht Mama deshalb doch nicht zu denken, daß ich dumm sei und nichts sehe oder höre.

Sie lebt schon über acht Jahre als Witwe, hat meinen Vater während seiner Krankheit treu gepflegt, war unglücklich über seinen Tod und hat ihn aufrichtig betrauert. Aber schließlich ist sie heute erst sechsunddreißig Jahre alt, sie könnte meine ältere Schwester sein. Manchmal beneide ich sie ein ganz klein wenig, denn ich finde, daß sie hübscher ist als ich, und ich bemerke, daß auch andere derselben Meinung sind. Ist es da wunderbar, daß Mama sich tröstet? Gott verzeih' mir den bösen Gedanken! aber ich habe den Verdacht, daß Mama bei dem General Trost sucht. Ich verurteile sie deshalb nicht. Der Zeitpunkt ist ganz richtig gewählt. Sie ist frei und kann tun und lassen, was ihr beliebt. – Was mich kränkt, ist ihr Mangel an Vertrauen zu mir; und daß sie mich ohne Grund hintergeht. Ferner, daß der General schon fünfzig Jahre, ein alter Freund meines Vaters oder, besser gesagt, meines Großvaters ist und für Liebesgeschichten, die man ihm auch nie nachgesagt, durchaus nicht geeignet erscheint. Er ist unterhaltend und liebenswürdig, aber mir ist er langweilig. Im Theater kommt der General stets in unsere Loge und bleibt während der Pause, während des nächsten und manchmal auch während des übernächsten Aktes bei uns. Er erzählt eine lustige Geschichte mit behaglicher Breite, und Mama biegt sich dabei vor Lachen. Sie begeistert sich im königlichen Theater für dieselbe Musik, wie der General, und wenn Mama in »Lara« die Witze der Valverde belacht, belacht der General sie ebenfalls, und im »Espagnol« applaudiert er nie, bevor Mama nicht applaudiert hat. Auch in Bezug auf die Politik sind sie stets einer Meinung. Nur, wenn Mama die Schönheit, die Eleganz und die Liebenswürdigkeit anderer Damen preist, stimmen sie nicht überein, was sogar oft zu heftigen Auseinandersetzungen führt. Der General ist ein echter Schwerenöter, aber bei mir verfängt das nicht, wenn wir eine Gesellschaft besuchen, ist er immer der erste, den ich erblicke; und der General spielt immer an demselben Whisttische, an dem Mama spielt. Machen wir eine Spazierfahrt, so sind wir noch nicht einmal im Retiro angelangt, und der Schlaukopf ist schon dicht neben uns auf seinem tänzelnden, unruhigen Vollblut. Zu uns kommt er an all den Tagen, an denen Mama empfängt, und oft genug auch an anderen. Mama soll nur noch versuchen, mir weismachen zu wollen, das sei reine Freundschaft! Ja, ja, weiß Gott, ich sehe ganz klar!

Ich finde das alles sehr natürlich, aber so recht billigen kann ich es erst, wenn Mama sich verheiratet, was mich ärgert, das ist ihr Mangel an Aufrichtigkeit. Daß sie mir keinen Bräutigam sucht, weil sie immer behauptet, das eile noch gar nicht, und ich hätte noch mehr als Zeit genug, ärgert mich nicht, wohl aber, daß sie, während sie sich mit ihrem General amüsiert, gar nicht an mich denkt und mich ganz der Sorge dieser alten Donna Rita überläßt, die, obgleich sie nur meine Kinderfrau war, doch ein verteufelt schlaues Weib ist.

Es steht mir ja schlecht an, das von mir selbst zu sagen; aber ich bin glücklicherweise klug genug, als daß mir die Sorglosigkeit meiner Mutter oder die zweifelhafte Aufsicht der Donna Rita irgendwie verderblich werden könnte. Und ich habe mich, seitdem ich vor drei Monaten in die Welt eingeführt wurde, doch schon unzählige Male in gefährlichen Situationen befunden.

Wenn Mama ihre Geheimnisse hat, so habe ich die meinigen und handle auch danach. Mein Geheimnis ist ein Bräutigam – und ein schmucker.

Obgleich ich noch ein Neuling in dergleichen Dingen bin, halte ich doch die Augen offen und habe noch nie einen dummen Streich gemacht. Entzückt haben mich vom ersten Augenblick an seine Eleganz und sein distinguiertes Äußere. Und was für ein hübscher Mensch er ist! Und wie respektvoll, ohne dabei im geringsten schüchtern zu sein! Jedesmal, wenn ich mit Donna Rita zur Kirche, spazieren oder zu einer Freundin gehe, flugs ist er da, unweigerlich, als hätte ich ihn gerufen, und sieht mich an mit Augen ... Gott im Himmel, was für Augen! Aber nie fällt es ihm ein, mich anzusprechen.

Ich habe ihn weder auf Bällen, noch in Gesellschaften, noch im Theater getroffen. Und trotzdem ist er kein Philister; man braucht ihn nur anzusehen, um davon überzeugt zu sein. Er wird ein Fremder sein, habe ich mir schon gedacht; aber nicht aus einer der Provinzen, sondern sicherlich aus einem fernen exotischen Lande.

So verging mehr als ein Monat, der mir lang erschien, wie ein Jahrhundert, denn mich quälte die Neugier, zu erfahren, wer dieser geheimnisvolle Fremdling wohl sein mochte. Ich hatte den Wunsch, er möge mit mir sprechen, und fürchtete es dennoch. Ich wünschte so sehr, ihn kennen zu lernen und ihn ganz so zu finden, wie ich ihn mir gedacht, und fürchtete doch, ich würde ihm, wenn er mich anspräche, ohne ihm vorgestellt zu sein, Mangel an Respekt und Aufdringlichkeit zum Vorwurf machen müssen.

Was dann geschah, erschien mir wie ein Werk der Vorsehung. Der Himmel hat meine Frömmigkeit und meine treue Liebe zu meiner seligen Großmutter belohnt. Sie war eine Heilige, – aber endlich ging sie vor zwei Jahren mit all ihren kleinen Sünden dennoch in ein besseres Leben ein. Vielleicht aber ist sie auch in die Hölle gekommen. Und daher kann man für ihre Seele nicht genug Messen lesen lassen. So dachte ich auch bei mir, als ich vor etwa acht Tagen die Sakristei betrat, um dem Pater Gonzalez zwanzig Messen aufzutragen, die ich von meinem eigenen Taschengeld bezahlte. Und wen glaubt ihr, daß ich dort traf? Meinen Verfolger, der im vertraulichsten Gespräch mit dem Pater begriffen war! – Ich wollte in einiger Entfernung warten, bis jene Unterredung beendet, aber der Pater erblickte mich und rief mir schon von weitem zu:

»Womit kann ich dienen, Donna Manolita? Sie sollen nicht warten oder sich gar zurückziehen, weil sie mich hier mit diesem Herrn sehen, denn er, seine Mutter und noch mehrere andere Mitglieder seiner vornehmen Familie sind meine ältesten und besten Freunde. Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen Don Narciso Solis vorstelle!«

So trägt Pater Gonzalez die Schuld daran, daß ich Narciso kennen lernte. Aber die Schuld daran, daß ich mit Narciso gesprochen, mich mit ihm verständigt und einen Flirt mit ihm begonnen habe, der zur Verlobung führte, trägt einzig und allein diese falsche, hinterlistige Donna Rita, und man tut ganz recht daran, solch alte Kinderfrauen oder Begleiterinnen als einen absolut ungeeigneten Schutz für lustige junge Mädchen zu bezeichnen.

Denn ich habe es bereits gesagt, und wiederhole es jetzt – man möge mir meine Unbescheidenheit verzeihen, – daß meine Klugheit mir viel genützt hat. Es klingt zwar unglaublich, daß ich das Leben schon so genau kenne, und daß ich schon einen solchen Scharfblick habe, aber ich habe mich nicht in ihm getäuscht: er ist eine durchaus ehrenwerte Persönlichkeit. Durch seine Schwärmerei für die Heiligen verdient er sich die Freundschaft des Pater Gonzalez, und durch seine Liebe zu mir, die ich auch eine Heilige bin, meine Gegenliebe. Was liegt denn darin für eine Sünde?

Ich blieb gestern Abend zu Hause, um mich, nachdem Mama fortgegangen, um zehn Uhr telephonisch mit ihm zu unterhalten. Amt IV, Nummer 500. Um zu vermeiden, daß ich etwa mit einem anderen spräche – ich kann durchs Telephon so schlecht verstehen und kenne seine Stimme noch kaum – haben wir für den Anfang des Gesprächs vier Zauberworte verabredet: das erste und das dritte sage ich, und das zweite und das vierte er. Und was für außergewöhnliche Worte! (Ein Papier hervorziehend.) In diesem Brief hat er sie mir mit Bleistift aufgeschrieben. Es wird gleich zehn schlagen. Da ich eine fürchterliche Migräne habe, – ja, ich habe eine fürchterliche Migräne –, war es durchaus keine Kriegslist. Ich hatte Mama, die mit der Gräfin ins Theater gegangen ist, einfach nicht begleiten können, (Auf der Kaminuhr schlägt's zehn.)

Die Stunde ist gekommen. – Ein wenig fürchte ich mich doch. (Sie nähert sich dem Telephon und dreht an der Kurbel.) Amt IV, Nummer 500. (Pause. Dreht wieder an der Kurbel.) Logos ... Ich erkenne seine Stimme; er sagt: Theos ... Sares ... und er hat Egéneto geantwortet.

Ach, Narciso, welch ein Wahnsinn! was für ein toller Streich! Mama würde mich mit Recht tüchtig auszanken, wenn sie mich überraschen würde, wie ich hier durchs Telephon mit einem Herrn spreche, den sie nicht einmal kennt. – – Welche Keckheit! – – »Ist das die Erziehung, welche dir die heiligen Nonnen im Kloster gegeben haben?« würde Mama ausrufen. Wenn Sie mich wahrhaft lieben, wenn Sie ein wohlerzogener junger Mann sind, und den Wunsch hegen, daß unsere Beziehungen fortdauern, so ist es unumgänglich nötig, daß Sie sich Mama so rasch wie möglich vorstellen lassen. Pause.

Nein, was wir bisher getan haben, soll und muß ein Ende nehmen. Hinter Mamas Rücken, bei Spaziergängen, auf der Straße, und unter Beihilfe der Donna Rita werde ich nie mehr mit Ihnen sprechen – oder wenigstens nur sehr selten. Sich täglich zu sprechen, wäre sehr unrecht. Die Welt würde darüber reden, und Sie selbst würden schlecht von mir denken. Mama würde es erfahren und natürlich sehr ärgerlich sein. (Pause.) Schön, ich freue mich von ganzem Herzen, daß Sie entschlossen sind, sich so bald wie möglich vorzustellen. Das ist das einzig richtige.

Was? ... Darauf kann ich nicht antworten. Ich höre zu schlecht an diesem Kasten. Ich fürchte, daß die Damen im Amt mich auslachen. (Wiederum Pause.)

Nun hören Sie mal gut zu! Es geht nicht anders, ich muß es Ihnen sagen. Ich wiederhole das, was ich Ihnen schon drei- oder viermal gesagt habe, als wir die Enten und die Fische im Teich von Retiro mit Brosamen fütterten: Sie füttere ich mit den Brosamen meines Herzens, das ganz Ihnen gehören soll, wenn Sie es mir mit Ihrer ganzen Liebe bezahlen. (Pause.)

Das ist eine große Übereilung. Mama wird, wenn sie es nicht ganz von der Hand weist, doch meinen, daß wir uns erst kennen lernen sollen, und daß diese plötzliche Werbung ihr zu überraschend komme. Schmeichler! wieso sind meine Augen die Spitzbuben, die Dolchstiche austeilen? Wieso sind Sie der Verwundete? Ich erkläre ganz im Gegenteil, daß Sie der Schelm sind. Wenn Pater Gonzalez auch nur im entferntesten vermutet hätte, was für ein gefährlicher Mensch Sie sind, und was für ein Unheil er damit anrichten würde, hätte er Sie mir, seinem Beichtkinde, ganz gewiß nicht vorgestellt. ...

So werden wir sehen, ob Ihr Ausspruch, daß alles zum Guten führt, auch auf uns Anwendung findet. Addio! Genug geschwatzt, ich fürchte, daß wir überrascht werden. Stellen Sie sich meiner Mutter vor! sie empfängt wöchentlich zweimal.

Zweites Bild.

Dieselbe Dekoration wie zuvor. Manolita betritt allein das Telephonzimmer und verriegelt die Tür.

Heute fühle ich mich sehr schlecht. Ich bin wütend. Mama, die an meine Krankheit nicht glauben will, ist ruhig in ihre Gesellschaft gegangen. Da ich bei Tisch nichts essen konnte, bekam ich furchtbaren Hunger, als Mama kaum fort war, und habe soeben zu Abend gegessen. Mir stehen viel Mühen und Kummer bevor, und dazu muß ich Kräfte sammeln.

Ich sterbe vor Ungeduld, mit Narciso zu sprechen. Ich habe ihm tausend unangenehme Dinge zu sagen. Wie viel neues von gestern auf heute! Jetzt ist es schon unnötig geworden, daß er sich Mama vorstellen läßt, er würde sehr schlecht empfangen werden. Aber ... (die Kaminuhr schlägt zehn) zehn Uhr! Jetzt werde ich mit ihm sprechen. (Sie dreht an der Kurbel.) Bitte ... Amt IV, Nummer 500! (Längere Pause. Sie dreht wiederum an der Kurbel.) Logos ... Man antwortet: Theos ... Ob Narciso erkältet ist? Was für eine heisere Stimme er heute hat! Sares ... das ist gut. Egéneto. ... Aber wie heiser seine Stimme doch klingt! Ich wollte Sie nur fragen, Narciso, was bedeuten diese vier rätselhaften Worte?

Nein, es kann nicht sein, daß es Idiome gibt, in denen man in vier Worten so viel sagen kann. Die Worte sollen griechisch sein und bedeuten: »Du bist ein Engel, der vom Himmel auf die Erde gekommen ist, eine sonderbare Gestalt angenommen und sich in Manolita verwandelt hat.«

Sie wollen sich über mich lustig machen, glaube ich.

Es ist wohl eine Umschreibung, keine Übersetzung –, ja, dann versteh' ich's!

Aber nur keine Umschreibungen, bitte! Dafür bin ich ebenso wenig, wie für Schmeicheleien.

Ich bin verzweifelt, so verzweifelt, daß ich fast zu glauben anfange, ich hätte die Krankheit nicht nur fingiert, sondern ich sei wirklich krank. Der Doktor glaubt's auch und hat mir ein langes Rezept verschrieben, das Donna Rita anfertigen lassen soll. Das ist doch wirklich eine Dummheit von solchem Doktor!

Ach, mein Gott, was für ein unangenehmer Scherz ist das! – warum antwortet Narciso mir nicht?

Der Doktor, der bei ihm ist, antwortet und sagt mir, ich sollte nur, um zu sehen, daß er nicht gar so dumm sei, sein Rezept lesen, das Donna Rita, nachdem sie es gründlich studiert, hinter den Sockel der Kaminuhr geschoben habe. Wir wollen mal sehen. (Manolita sucht, findet und liest das Rezept.

Rezept.
Um neun Uhr Consommé mit Ei. Filet mignon.
Chaud froid von Rebhühnern
Mouton Rothschild
Wiener Gebäck.
Ein großer Apfel, wie ihn die Kranke so gern ißt.
Dessert, Kaffee und ein halbes Gläschen Chartreuse, um den Magen zu stärken. Und dann als Nachtisch ein kleines Gespräch mit Narciso per Telephon oder noch etwas näher.)

Hat man jemals eine größere Keckheit gehört? Das nenne ich jemanden an der Nase herumführen. Der General nennt die Griechen Betrüger, ich habe also sehr falsch gehandelt, indem ich mich einem Griechen anvertraute. Diese Betrügerei und dieser infame Streich waren zu erwarten. (Manolita läuft wütend ans Telephon.)

Narciso! Es ist eine Infamie, daß sie mich so behandeln! Meine Liebe für Sie ist erloschen, ich hasse Sie!

Aber es ist jetzt alles so verwickelt, daß ich meinen Zorn beherrschen und mich über diese wichtigen Dinge mit Ihnen aussprechen muß.

Mama sagt, daß die Gräfin und viele andere Mitwissende oder Beschützerinnen einer Liebe seien, an die sie selbst nicht einmal gedacht hat. Der General klagt mich mit den Worten »tu quoque filia« der Mitwissenschaft an. Wir hätten sie, behauptet er, erst auf den Gedanken gebracht, ein Liebesverhältnis miteinander anzuknüpfen, – ein Gedanke, der ihnen bisher absolut fern gelegen. Da hätten sie beide ausgerufen: »Also sei es!« Und in der Tat: gestern hat er sich erklärt, und nun ist's so weit. Und da sie den Pomp und die Feierlichkeiten, die derartige Verbindungen zu begleiten pflegen, nicht lieben, so haben sie beschlossen, sich in aller Stille zu vermählen. Sie sehen also, daß Mama im Begriff ist, mir einen tyrannischen Stiefvater zu geben, der sich zweifellos binnen kurzem in unserem Hause breit machen wird. ...

Jesus, Maria und Joseph! was für ein Wirrwarr! Jetzt ist nicht Narciso am Telephon, sondern Mama, die mir sehr beleidigt zur Antwort gibt, daß sie mir den Tyrannen nicht ins Haus bringen, sondern daß sie zu ihm ziehen und mich hier allein lassen werde.

(Manolita geht ans Telephon zurück.)

Höre, Mama! Laß mich um Gottes willen nicht allein! Verzeih' mir! Ich werde vernünftig sein. Mama, kehre zu mir zurück und lebe mit mir oder nimm mich mit zu deinem Tyrannen!

Laß mich den meinigen selbst aussuchen und zwinge mich nicht, das zu tun, was der General gestern von mir verlangt hat! Ich will dir beichten. Ich habe einen gewissen Narciso, in den ich, wenn er sich auch jetzt so schlecht zu mir benimmt, daß ich ihn eigentlich hassen sollte, sterblich verliebt bin, und daran ist nun einmal nichts zu ändern, wie könnte ich wohl den Neffen des Generals heiraten, während mein Herz einem anderen gehört? Er mag reich und ein noch so guter Junge und ein Graf sein, und alles, was der General will, obgleich ich im stillen den Verdacht hege – ich weiß nicht, weshalb –, daß er nur ein ganz gewöhnlicher Andalusier ist, der in einem Dorf geboren und erzogen, der lispelt und sich viel besser dazu eignet, als Gigerl gekleidet auf den Jahrmärkten die Herzen der Zigeunerinnen und Dirnen zu erobern, als sich in einem eleganten Salon zu bewegen und dort die Neigung einer wohlerzogenen Dame zu gewinnen. Du siehst also, Mama, daß ich allen Grund habe, statt deines künftigen Neffen meinen Griechen zu lieben. Und erhebe, bitte, nicht den Einwand, daß mein Grieche ein Ketzer und ein Abtrünniger sei! Ich bin überzeugt, er ist ein sehr guter Katholik, wenn er es nicht wäre, würde er mit dem Pater Gonzalez, der ihn mir vor etwa einer Woche in der Sakristei vorstellte, nicht so befreundet sein, hörst du, Mama? ... Was? Ihr wollt mich wohl verrückt machen? Jetzt antwortet mir plötzlich der Pater Gonzalez selbst; und er behauptet, daß Narciso kein geborener Grieche sei, sondern sich nur zeitweilig in Griechenland aufhalte; daß er der erste Sekretär der spanischen Gesandtschaft in Athen und Konstantinopel und jetzt mit viermonatlichem Urlaub in Madrid ist.

(Manolita spricht wiederum durchs Telephon.)

Hören Sie, Pater Gonzalez! Wer er auch sein möge, jedenfalls tragen Sie die Schuld, daß ich Narciso kennen gelernt habe, und daß ich mit ihm auf den einsamsten Wegen des Retiro und am Teich spazieren gegangen bin, Donna Rita in weiter Entfernung zurücklassend. Deshalb erbarmen Sie sich unser, und beschwören Sie meine Mutter und den General, daß sie nicht auf meiner Heirat mit diesem fürchterlichen Neffen bestehen!

Heiliger Himmel! Was für eine entsetzliche Verschwörung gegen mich armes, unerfahrenes Kind! Jetzt ist wieder nicht mehr Pater Gonzalez am Telephon, sondern der General. Ich bin mit ihm verbunden und nicht mit Narciso. Was? – Ja! – Heute ist er mir gegenüber ungezogener und übermütiger als je.

Mama hat angefangen, mit dem Doktor und dem Pater Karten zu spielen, und der General benutzt die Gelegenheit, um mir tüchtig die Wahrheit zu sagen: daß sein Neffe durchaus nicht fürchterlich, sondern reizend, daß ich viel zu vorschnell und ein verwöhntes, eigensinniges und widerspenstiges Geschöpf sei, und daß ich Narciso, wenn er mir ihn als seinen Neffen vorgestellt, gewiß dumm, häßlich und unsympathisch gefunden hätte; und daß man diesen ganzen Anschlag und diese ganze Verschwörung, an der Mama, der General, der Doktor, der Pater Gonzalez und sogar Donna Rita teilgenommen, nur deshalb angezettelt habe, damit ich Narciso für einen Griechen oder Türken halten und mich in ihn verlieben sollte.

Hören sie, General, mäßigen Sie sich und beleidigen Sie mich nicht! Glauben Sie, was Sie wollen! Was ich glaube, und was ich auch aufrecht erhalte, ist, daß ich Narciso liebe, ja, daß ich ihn liebe, obgleich ich jetzt weiß – soll ich sagen, daß es mich freut oder daß es mich ärgert? – daß er Ihr Neffe, und daß er fast ebenso keck und unverschämt ist wie Sie. Sie haben den Mut, mich zu beleidigen, weil wir getrennt sind. Aber wenn wir uns Aug' in Auge gegenüberständen, würden Sie vor Angst umkommen, denn ich bin wütend, wütend, wütend. ...

Hallo, hallo! Sie fordern mich heraus, und ich mache mich bereit, sofort zu Ihnen zu eilen. Also, ich werde kommen, und wir werden uns in die Augen sehen –, aber wie dorthin gelangen? ... Ich erkenne dankbar Ihren Wunsch und die Hoffnung an, die Sie in mir erwecken, daß unsere Fehde keine tödliche sein möge, und daß wir heute nacht um zwölf Uhr, am Silvester, ein Glas Champagner trinken werden, um unsere Versöhnung und den Beginn des neuen Jahres zu feiern: Auch freue ich mich über Ihre Nachricht, daß in unserem Hause allmählich alles in Ordnung kommen wird, und daß sie mit Mama glücklich werden, während ich Narciso heirate. Aber da sie noch nicht mein Stiefvater sind, darf ich es einstweilen wohl noch an dem nötigen Respekt fehlen lassen, und so erkläre ich Ihnen, daß es eine Flunkerei und eine Lüge ist, daß sie mich an der Nase herumführen und mir das beweisen wollen, was keines weiteren Beweises bedarf: daß Sie ein noch größerer Windhund und ein noch ärgerer Grieche sind als Ihr Neffe. »Aber, aber, wie verderbt sind unsere Zeiten!« würden die frommen Mütter sagen, die mich erzogen haben. Und wie verrückt sind wir Frauen doch! Wollen sie mir glauben, daß Sie mir trotz alledem sehr sympathisch sind? Sie jagen mir einen Schrecken ein, wenn Sie mir sagen, daß Narciso mich in Mamas kleinem Wagen abholen wird. Wenn es der Landauer wäre, oder doch wenigstens das Coupé, dann wäre es nicht so schlimm. Aber der kleine Wagen ist so entsetzlich eng. Wollen sie mir gefälligst sagen, verehrter General und Stiefvater, wo ich Donna Rita unterbringen soll, die zwei Zentner wiegt und den Umfang eines holländischen Hukers hat?

Es ist wohl richtiger, daß ich's von der heiteren Seite auffasse und mich nicht mit allen herumzanke, denn sie treiben doch nur ihren Scherz mit mir. Der General ist vom Telephon weggegangen und hat sich als vierter an den Whisttisch gesetzt. Man sagt mir, daß seine Schwester, Narcisos Mutter, ihn so lange vertreten, und da sie sehr schlecht spielt, seine ganze Monatsrente verloren habe. Aber mit wem spreche ich denn jetzt plötzlich? Mit der entrüsteten Donna Rita, die behauptet, daß sie kein holländischer Huker sei, und daß sie lange nicht so viel wiege, und daß ich sie auf keinen Fall mitnehmen solle, um mich von unserem Hause bis in die Wohnung des Generals zu begleiten, die am äußersten Ende der Castellana liegt, weil ich sie ja doch zu nichts gut fände und sie immer eine unnütze Person nenne.

(Manolita geht ans Telephon zurück.)

So sagen sie mir doch, Donna Rita, warum kommen Sie nicht, um mich abzuholen?

(Nachdem sie am Telephon gehorcht hat.)

*

Warum haben Sie Mamas Befehle nicht ausgeführt? Warum hat der General es gelitten, daß Narciso ohne Sie weggefahren ist? Donna Rita, Sie sind ein Monstrum!...

Es antwortet niemand, Donna Rita hat den Hörer angehängt.

So will ich denn alles klar und ruhig überlegen; ich habe große Lust, die Gräfin-Witwe, meine zukünftige Schwiegermutter, kennen zu lernen, und noch größere Lust, um Mitternacht in Gesellschaft des Generals und seiner Gäste Champagner zu trinken. Und da Narciso ein Kavalier ist, will mir's scheinen, daß ich ganz gut allein mit ihm fahren kann, ohne daß mein Ruf darunter leidet. Es ist nicht nötig, daß die Welt weiß, welchen Entschluß ich gefaßt habe, aber wenn sie das erfährt ...

(Die Hausglocke ertönt.)

Es ist Narciso. Ich werde mir den Hut aufsetzen und den Umhang überwerfen, um mit ihm zu gehen. ...


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