Sagen aus dem Salzburger Land
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Der Zwergenstein am Untersberg

Es gab einmal eine Zeit, da kamen die Untersberger Zwerge noch häufig aus ihren Behausungen im Inneren des Berges heraus und ließen sich ohne Scheu mit den Menschen ein. Damals begab sich ein armer Bauer, der sich sein Leben lang schwer genug geplagt hatte, auf den Untersberg, um Holz zu fällen. Wie er so mitten in seiner Arbeit war und auf gar nichts anderes acht hatte, stand auf einmal ein eisgraues, langbärtiges Männchen vor ihm, in grauer Gewandung, ebensolcher Zipfelmütze, ein zierliches Stäblein in der Hand, und fragte ihn, wie er heiße. Der Bauer zeigte sich über das unvermutete Auftauchen des Zwerges gar nicht erschrocken und nannte seinen Namen, wobei er ruhig weiterarbeitete. Da machte der Kleine mit seinem Stab ein paar sonderbare Zeichen in die Luft und stieß drei gellende Pfiffe aus. Als der Bauer verwundert aufschaute, sah er sich auf einmal von Hunderten Zwergen umringt, als ob sie urplötzlich aus dem Boden hervorgekommen wären. Nun bekam es der biedere Landmann aber doch mit der Angst zu tun, besonders als die lautlose Schar der grauen Männlein sich immer näher herandrängte und ihn neugierig betrachtete. Schon überlegte er, ob es nicht ratsam sei, sich davonzumachen, da sagte das zuerst erschienene Männlein: »Du brauchst keine Angst zu haben, es wird dir kein Leid geschehen; sag mir nur, ob du uns Zwergen nicht einen Dienst erweisen möchtest.«

Aufatmend erwiderte der Bauer: »Recht gern, wenn es mir möglich ist!« Da lächelte das Männlein freundlich und meinte: »Nun, so folge mir!« Auf kaum erkannbaren Pfaden schritten sie den Berg hinan, kamen durch düstere Schluchten und standen nach langem Marsch vor einer himmelho-hen, steilen Felswand, wo es kein Weiterkommen mehr gab. Da schlug der Zwerg mit seinem Stab dreimal an den Felsen, der lautlos auseinanderrückte und einen langen, dunklen Gang freigab. Vorangehend bedeutete der Zwerg seinem Begleiter mitzukommen. Und wieder hatten sie einen langen Weg vor sich, bis sie zu einer eisernen Tür kamen, die von selbst vor ihnen aufsprang. Nun aber war es zu Ende mit der Finsternis. Ein Saal lag vor ihnen, woraus dem überraschten Bauern der Glanz von tausend Lichtern entgegenstrahlte, die sich in den marmornen Wänden und in den silbernen Fliesen des Bodens widerspiegelten. Mitten im Saal stand ein goldener Thron, von dem funkelnde Strahlen in allen Farben des Regenbogens ausgingen; so prächtig war das Leuchten der edlen Steine, die den erhabenen Sitz zierten.

Auf dem Thron saß ein altes, ehrwürdiges Männchen, die Schultern von einem wallenden Purpurmantel umhüllt, auf dem Haupt eine edelsteinfunkelnde Krone und ein goldenes Zepter in der Hand. Es war der König der Zwerge, den zwölf seiner vornehmsten Untertanen umstanden.

Soviel Glanz und Herrlichkeit hatte der Bauer noch nie in seinem Leben gesehen. Er starrte wie gebannt auf die funkelnde Tracht und wagte es nicht, auch nur einen Schritt weiter zu tun; bangend wartete er, was nun mit ihm geschehen würde. Da winkte ihm der König auch schon und rief: »Komm näher, mein Sohn!«

Der Bauer schritt zögernd an die Stufen des Thrones heran und verbeugte sich ehrfürchtig. »Bist du bereit und auch mutig genug«, fragte der König, »uns den berühmten Zwergenstein zu bringen?« Als der Bauer bejahte, setzte der König hinzu: »Dieser Stein hat nämlich die Eigenschaft, alle Zwerge, die ihn berühren, in Menschen zu verwandeln.«

Dann teilte er dem ehrfurchtsvoll Lauschenden noch mit, wo der Stein vergraben sei und wie er sich bei der Arbeit zu verhalten habe, riet ihm auch eindringlich, vorsichtig zu Werk zu gehen, wenn er den Stein aus der Erde heraushole; denn ein Riese bewache ihn. »Die Hauptsache aber ist«, schloß der König seine Unterweisung, »daß du in längstens drei Tagen zurück bist und während der ganzen Zeit auch nicht ein Wort sprichst; sonst ist alle deine Mühe und Plage vergebens, und es kann dich das Leben kosten. Gelingt dir aber deine Aufgabe, so will ich dich zum reichsten Mann der Welt machen.«

Der Bauer versprach, die Anweisungen des Zwergenkönigs genau zu befolgen, und begab sich sogleich auf den Weg.

Nach kurzer Zeit erreichte er die Stelle, an der der Stein vergraben sein sollte, und machte sich eifrig an die Arbeit. Schon hatte er ein ziemlich tiefes Loch gegraben, da sprangen plötzlich drei Zwerge aus der Grube heraus und fragten ihn, was er da mache. Fast hätte er ihnen Antwort gegeben, aber zum Glück fiel ihm noch rechtzeitig ein, daß er ja kein Wort sprechen dürfe. Daher schüttelte er nur abweisend den Kopf und setzte seine Arbeit stillschweigend fort. Aber die Zwerge ließen ihm keine Ruhe, sie neckten und fragten ihn immerfort und suchten ihn zum Reden zu bringen, so daß er schließlich, von Zorn übermannt, einen Prügel ergriff und die drei Kobolde niederschlug.

Nun ging die Arbeit eine Weile rüstig vonstatten; die Grube wurde immer tiefer, und er hoffte, nun bald in den Besitz des gesuchten Steins zu kommen. Aber neue Hindernisse und Schwierigkeiten verzögerten sein Werk, bald hemmte eine riesige Steinplatte, die auszugraben ihm viel Mühe machte, die Arbeit, bald wieder mußte er sein Werkzeug schärfen, das schadhaft geworden war, und so kostete es ihm manchen Schweißtropfen, bis er endlich doch ans Ziel gelangte. Freudestrahlend hob er den Stein aus der Grube und eilte, so rasch er konnte, um die Frist nicht zu versäumen, zum König der Zwerge zurück.

Knapp vor dem Eingang der großen Halle kamen ihm ein paar Zwerge entgegen, die ihm schon von weitem zuwinkten und ihn gleich mit der Frage empfingen: »Bringst du den Stein?« Da dachte der Bauer nicht an das Verbot und rief laut: »Ja!«

Nun war das Unglück geschehen. Kaum war das Wort seinen Lippen entschlüpft, erscholl ein furchtbarer Donnerschlag, daß der Boden erzitterte. Der Stein entfiel seiner Hand und fuhr tief in die Erde hinein, fast bis zur Mitte des Untersbergs, wo er heute noch stecken soll. Der Bauer aber stürzte tot zu Boden. Erst einige Zeit darauf, da man ihn suchte, fanden die Leute seinen Leichnam in einer tiefen, unwegsamen Schlucht

 


 


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