Sagen aus dem Salzburger Land
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Der Ritter von Tollenstein

Das Schloß Leopoldskron bei Salzburg war einstmals im Besitz der Ritter von Tollenstein. Eine mächtige Burg ragte an Stelle des Schlosses damals zum Himmel, und weitumher waren die Macht und der Reichtum der Tollensteiner bekannt und geachtet. Aber als der Letzte seines Stammes, Ritter Burkhard von Tollenstein, auf der Burg saß, war nichts von dem einst so berühmten Reichtum der Tollensteiner mehr übriggeblieben, Schmalhans war Küchenmeister in den ehemals reichlich gefüllten Vorratshallen der Burg geworden. Trotzdem warb der verarmte Ritter um die Liebe der schönen und reichen Gräfin Juliana von Hort; denn heiße Liebe zu der gefeierten Frau hatte sein Herz ergriffen. Doch die schöne Juliana hatte kein Verständnis für die Liebe des armen Ritters. Sie wies seine Werbung zurück; »denn«, meinte sie, »was nützen mir eine lange Reihe von Ahnen und ein uraltes Wappen, Herr Ritter, wenn der Hunger in Eurer Burg täglicher Mittagsgast ist.«

Außer sich über diese spöttische Abweisung und zornig über sein Schicksal und seine trostlose Lage, verließ der Ritter die Burg der Geliebten, schwang sich auf sein Pferd und jagte wie verrückt über Stock und Stein, daß die Funken stoben. Da bäumte sich plötzlich das Pferd mit schrecklichem Schnauben und war nicht von der Stelle zu bewegen. Vergebens gebrauchte der Ritter in wildem Zorn seine Sporen, es rührte sich nicht und stand da wie aus Erz gegossen. Da stieg Burkhard wütend vom Pferd, um nach der Ursache dieses sonderbaren Verhaltens zu forschen. Und siehe da, ein Männlein war's, bekleidet mit stahlgrünem Wams und Mäntlein, das vor dem Pferd ruhig auf einem moosigen Stein saß und mit blitzenden Augen zu dem Ritter emporschaute. Diesen aber befiel ein unheimliches Gefühl; denn erst jetzt bemerkte er, daß er in den Bereich des gespenstischen Untersberges geraten war, der das Heim so vieler zauberhafter Wesen bildet. Schon wollte er eilig sein Pferd zur Flucht wenden, als der Gedanke an die schöne Juliana und seine eigene Armut wie ein Blitz durch sein Gehirn zuckte.

Jetzt oder nie, dachte er und rief dem Zwerg mit kräftiger Stimme zu: »He, Kleiner, was stellst du dich mir in den Weg und hältst mein Pferd an?«

Mit spöttischem Lächeln erwiderte der Zwerg: »Was treibst du dich in dieser Stunde in meinem Gebiet herum? Wisse, du schwacher Erdenwurm, ich bin Pypo, der Herr dieses Berges; mir gehören alle die Schätze, die seit Jahrtausenden in seinem Innern ruhen. Wer nicht dazu berufen ist, darf sich meinem Reich nicht nähern.«

»Bist du wirklich der Herr dieses Berges«, rief in barschem Ton der Ritter, »so hilf mir, wenn es in deiner Macht steht! Gib mir nur einen Teil deiner Schätze, und mir wird geholfen sein; ewig will ich dir's danken.«

»Ha«, sprach der Zwerg, »Dank begehre ich nicht von dir, aber einen Tauschhandel will ich eingehen, sofern dich der Tausch nicht gereut. Ich bin zufrieden, wenn du mir für jeden Beutel mit tausend Goldgulden' den ich dir gebe, nur ein Haar deines Hauptes überläßt«

»Ein Haar nur«, meinte zweifelnd der Burgherr' der glaubte, nicht recht gehört zu haben, »einen ganzen Zopf kannst du bekommen; gib mir nur Gold genug, damit Juliana die Meine wird!«

Doch ernst wiederholte das Zwerglein: »Ich nehme nicht mehr als ein Haar für jeden Beutel«, und drohend setzte es hinzu: »Aber achte wohl, Burkhard, daß du nur genug Haare hast!« Dem Tollensteiner aber schien ein Haar für die goldene Gegengabe zu wenig; er griff zum Schwert, schnitt sich eine Locke ab und warf sie dem Zwerg in den Schoß.

»Nein, nein«, sprach dieser, »ich brauche deine Locke nicht, ein Haar von dir genügt mir vollauf.« Bei diesen Worten stand er auf, näherte sich dem Burgherrn und riß mit eigener Hand ein Haar vom Haupt des Ritters.

Grinsend rief er dann dem Edelmann zu: »Hab Dank dafür, du schmucker Rittersmann!« und eilte mit schnellen Schritten dem Berg zu, wo er hinter den Felsen verschwand. Zu Füßen des Ritters aber lag ein wohlgefüllter Beutel, aus dessen Maschen ein goldiger Glanz strahlte. Schnell nahm Burkhard die erwünschte Last an sich, bestieg sein Roß und ritt mit frohem Mute seiner Burg zu. Und Tag um Tag schleppte er nun Beutel um Beutel nach Hause, und der goldene Haufen in seiner Burg wuchs und vermehrte sich, bis er endlich genügend Schätze angesammelt glaubte, um die Habgier der schönen Juliana zu befriedigen. Nun erneute er seine Werbung und fand auch Gehör; bald war sie seine angetraute Ehefrau und folgte ihm auf seine Burg Tollenstein.

Nach wenigen Jahren konnte Juliana in Gold wühlen, aber nur mehr ein spärlicher Silberkranz umrahmte den Kopf des früh gealterten Ritters. So vergingen die Jahre. Da wollte die Schloßfrau eines Tages ein großes Turnier in der Burg geben und befahl ihrem Gatten mit harten Worten, er möge Gold hiefür herbeischaffen.

Kummervoll ritt der Herr von Tollenstein dem Untersberg zu. »Meister Pypo«, rief er verzagt, und schon stand das grüngewandete Männchen vor ihm und fragte: »Was ist dein Begehr?«

»Gib mir Gold!« stöhnte Burkhard, »doch ich habe nichts mehr zu tauschen; ich vermag dir kein Haar mehr zu bieten, denn siehe, mein gealtertes Haupt ist kahl!« Dabei nahm er seinen Helm ab und hielt dem Zwerg den Kopf hin, der kahl wie eine Kugel glänzte.

»Siehe da«, rief grinsend der Zwerg, »habe ich dir nicht gesagt, du mögest achten, daß dir die Haare nicht zu wenig werden! Nun ist diese Zeit gekommen; umsonst aber bekommst du nichts von mir!«

»So hab doch Erbarmen!« jammerte der Burgherr. »Verlange, was du willst, und was ich vermag, will ich tun.« Und traurig fügte er hinzu: »Nur verlange kein Haar mehr von mir; denn die hast du mir alle schon abgenommen!«

»Dann ist unser Handel zu Ende!« lachte das Zwerglein.

Da faßte den Ritter entsetzliche Wut. »O du Elender«, brüllte er zornig, »nun verstehe ich dein höllisches Werk. Du wolltest nur meinen standhaften Sinn untergraben, alles Gute in mir vernichten, mich zum seelenlosen Werkzeug teuflischer Gier erniedrigen. Gib mir meine Haare wieder, die du mir schändlich für Gold geraubt hast, oder du sollst die Hand des mächtigen Tollensteiners kennenlernen.«

»Der mächtige Tollensteiner!« lachte der Zwerg. »Wo ist deine Macht, dem ich allein zum Gold verholfen habe, das du nicht mehr besitzest? Deine Haare willst du wieder haben, du feiger Schwächling? Nun wohl, hier sind sie, ich brauche sie nicht länger!« Bei diesen Worten zog er ein kleines Zöpflein, aus den Haaren des Ritters geflochten, aus seinem Wams hervor und warf es dem Ritter mit gräßlichem Lachen vor die Füße. Und mit höhnischem Gelächter verschwand er unter großem Getöse in den Klüften des Berges. Der Ritter aber ritt mit verhängten Zügeln seiner Burg zu, eilte in sein Schlafgemach und schloß sich dort ein.

Schon waren alle Vorbereitungen zum festlichen Turnier getroffen, schon hatten sich die Festgäste versammelt, und die Trompeten zeigten den Einzug der Ritterschaft an, aber noch immer war Ritter Burkhard nirgends zu erblicken. Zornig stieg die Schloßherrin selbst zum Zimmer des Ritters empor, um den vergeßlichen Burgherrn zu holen. Aber die Tür war fest verschlossen und spottete allen Bemühungen, sie zu öffnen. Kein Laut drang aus dem Gemach. Erst mit Gewalt gelang es, die Tür aufzusprengen. Entgeistert starrten die Gemahlin des Ritters und mir ihr alle Eintretenden auf den grausigen Anblick, der sich ihnen da bot Mit entsetzlich verzerrtem Gesicht lag der Ritter aus seinem Bett, erdrosselt von einer Haarschnur, seine Rechte hielt einen Beutel mit tausend Goldgulden.

Das war das Ende des letzten Sprosses der mächtigen Ritter von Tollenstein. Juliana aber floh, von Gewissensbissen geplagt, aus der Burg und fand bald darauf einen unvorhergesehenen Tod.

 


 


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