Sagen aus dem Salzburger Land
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Der Weinfuhrmann

Es mag mehr als 150 Jahre her sein, da brachte ein Weinfuhrmann mit seinem Wagen eine Ladung Wein von Tirol nach dem Land Salzburg, um sie in der Stadt Hallein zu verkaufen. Als er zur Albrücke bei Niederalm, einem Dorf am Fuß des Untersberges, kam, trat ihm ein Zwerg entgegen, der aus dem Wunderberg stammte, und fragte ihn, was er da führe. Der Fuhrmann erwiderte, er wolle eine Ladung Wein nach Hallein zum Verkauf bringen. Da sagte das Männlein: »Fahre mit mir, ich will dir den Wein mit barer Münze bezahlen, du sollst mehr dafür erhalten, als du in Hallein dafür bekommen würdest«

Der Fuhrmann weigerte sich entschieden mitzukommen und meinte: »Ich muß doch den Wein dem Herrn bringen, der ihn bestellt hat.« Dabei knallte er mit der Peitsche und wollte die Pferde antreiben, ihren Weg wieder fortzusetzen.

Aber das Männchen fiel den Pferden in die Zügel und rief dem Mann zornig zu: »Fuhrmann, wenn du nicht mit mir fahren willst, sollst du auch nicht nach Hallein kommen. Ich will dich so in die Irre führen, daß du Weg und Richtung verlierst.«

Diese Drohung schüchterte den Fuhrmann ein. Er wußte nicht, wie er dem Männlein entkommen noch was er anfangen solle. Der von dem Zwerg versprochene Kaufpreis für den Wein schien ihm zwar sehr unsicher und nebelhaft, aber um nicht alles zu verlieren, fügte er sich schließlich ins Unvermeidliche und gab dem Kleinen zu verstehen, daß er sich eines Besseren besonnen habe und mitfahren wolle.

Zufrieden mit dem Kopf nickend, bestieg das Männchen den Kutschbock, und der Fuhrmann setzte sich daneben. Nun ging's in flotter Fahrt geradewegs dem Berg zu, und so glatt und eben schien der Weg, als führen sie auf der schönsten und ebensten Straße. Als sie schon ganz nahe am Berg waren, überkam den Fuhrmann große Müdigkeit; er war nicht imstande, sich wach zu halten, und schlief ein.

Als er wieder erwachte, fuhr der Wagen gerade auf ein prächtiges Schloß zu, das sich auf einem steilen, künstlich behauenen Felsen erhob. Aus rotem und weißem Marmor waren die Mauern erbaut, und eine lange Reihe kristallener Fenster unterbrach die marmorne Front, über die ein mächtiger Turm hinausragte, dessen kupfernes Dach sich leuchtend vom Abendhimmel abhob. Rings um das Schloß lief ein breiter, tiefer Graben, und außerdem verwehrte eine mächtige Ringmauer, die sich vor dem Graben erhob, den Zugang zum Schloß. Wollte man aber hineingelangen, so mußte man sieben Brücken und Tore und ebenso viele Fallgitter passieren.

Staunend lenkte der Fuhrmann seinen Wagen durch all diese Befestigungen hindurch und kam ins Innere des Schlosses in einen weiten Hof, wo sich an allen Fenstern Gesichter zeigten, die neugierig auf den Ankömmling mit seinem Fuhrwerk hinabschauten. Es schien dem Mann, als wäre in all diesen Gesichtern große Freude über seine Ankunft zu lesen. Bald kamen auch viele Männchen aus dem Gebäude in den Hof gelaufen, manche in schönen Röcklein, andere nur halb bekleidet; sie mochten zur Dienerschaft oder zum arbeitenden Volk gehören. Einer von den Zwergen machte sich durch sein Gehabe bald als Kellermeister erkenntlich. Ein grauer Bart wallte bis über sein dickes Bäuchlein herab, und die eisgrauen Haare reichten weit über die Schultern; an der Seite trug er eine Tasche und einen Schlüsselbund.

Schwerfällig trat er an den Wagen heran und schaute mit Kennerblicken die gerngesehene Ladung. Dann wandte er sich an den zitternden Fuhrmann und sprach: »Willkommen, lieber Freund! Hab keine Angst; du sollst reichlich bewirtet werden. Ich will dir zu essen und zu trinken herbeischaffen lassen, was dein Herz begehrt« Aber trotz der freundlichen Worte schlotterten dem Fuhrmann die Knie, und er konnte vor Angst keinen Laut hervorbringen.

Auf einen Wink des Kellermeisters sprangen flink ein paar der Männlein heran, spannten die Pferde aus und führten sie in den Stall; andere nahmen den Fuhrmann in ihre Mitte und begleiteten ihn in eine freundliche Stube im Erdgeschoß des Schlosses, wo sie ihn nötigten, sich an einem sauber gedeckten Tisch niederzulassen. Tüchtig eilten sie hin und her und brachten blitzblank geputztes Zinngeschirr auf den Tisch. Es dauerte nicht lange, so schleppten wieder andere Speisen und Getränke in Hülle und Fülle herbei, daß er sich wohl satt essen konnte. Als sich der Fuhrmann nach dem guten Essen zurücklehnen wollte, luden sie ihn freundlich ein mitzukommen; sie wollten ihm das ganze Schloß und alle Schätze und Herrlichkeiten zeigen.

Nun wäre der Mann wohl lieber noch ein wenig sitzen geblieben, um das gute Mahl zu verdauen und auszuruhen, aber er wagte keinen Widerspruch und folgte seinen liebenswürdigen Wirten. Diese führten ihn zunächst über eine Stiege von 35 mattvergoldeten Stufen in einen großen, prächtigen Saal, dessen Wände kostbare Stickereien bedeckten. Durch hohe, breite Fenster, die unverglast waren, fiel Licht in den weiten Raum. Von hier aus wandten sie sich in einen zweiten Saal, der den ersten an Schönheit weit übertraf. Der Fußboden war mit blanken Marmorplatten belegt, in denen sich das leuchtende Gold der Wände und die prächtigen Zieraten der hochgewölbten Decke in hellem Glanz spiegelten; das Kristall der mächtigen Bogenfenster zerlegte die einfallenden Sonnenstrahlen in vielfältigen Schimmer, daß die ganze Halle in allen Farben glänzte. Das Merkwürdigste aber in dem ganzen Saal waren vier aus edlem Metall gegossene Standbilder, die ein riesiges Ausmaß hatten und mit höchster Kunst gearbeitet waren. Die riesigen Gestalten trugen goldene Ketten an den Armen, als ob sie Gefangene wären. Ein kleines Männlein, das eine goldene Krone trug, hielt die vier Enden der Ketten.

Der Fuhrmann betrachtete die vier metallenen Männer eine Zeitlang. Da fragte ihn einer seiner kleinen Begleiter: »Fuhrmann, verstehst du, was diesen Riesen mit den goldenen Ketten und das kleine Männchen mit der goldenen Krone für die Zukunft bedeuten sollen?« Jener aber meinte, das wisse er nicht; da sagte das Männchen nichts weiter, und niemand hat später dieses Rätsel gelöst. Manche meinen, die vier Riesen und das Bergmännchen bedeuten, daß einst in vier Weltteilen sich Krieg erheben wird oder daß die vier größten Herrscher von dem kleinsten abhängig werden.

Im Weitergehen sah der Fuhrmann in diesem Saal noch eine große Menge kostbarer, mit Gold und Edelsteinen verzierter Rüstungen, Helme und Schwerter sowie viele unbekannte Geschosse. An den Wänden sah er viele Tische, ob aus Stein oder edlem Metall, konnte er nicht unterscheiden, doch waren alle reich mit blinkendem Gold und funkelnden Edelsteinen verziert.

Nun traten sie in einen dritten Saal, der sich an Schönheit und Pracht mit dem soeben verlassenen wohl messen konnte. Da standen in Reihen wohlgeordnet prächtige Lagerstätten, die zierliche Schmiedearbeit aufwiesen und mit edelsteinglänzenden Verzierungen geschmückt waren.

Hier machten sie halt, und einer der Zwerge setzte sich an den Tisch und lud den Fuhrmann ein, neben ihm Platz zu nehmen. Dann zog er einen großen Beutel mit Gold aus der Tasche, zählte dem freudig überraschten Mann 180 Dutzend Dukaten vor und sagte: »Hier hast du den versprochenen Kaufpreis. Verschaffe dir damit einen anderen Wein, du wirst damit dein Leben lang Handel treiben können, und alles wird dir immer gut ausgehen! Von dem, was du hier im Berg erlebt hast, sprich aber, solange du lebst, zu keinem Menschen ein Wort!«

Der glückliche, reich beschenkte Fuhrmann verwahrte sein Geld, dann begleiteten ihn die Zwerge in den Schloßhof hinaus, wo schon andere Männchen dabei waren, die Pferde des Mannes aus dem Stall zu ziehen und an den geleerten Wagen zu spannen. Als sie bemerkten, daß eines der Pferde blind waren, nahmen sie einen Stein, der einen roten und blauen Glanz ausstrahlte, und strichen damit über die Augen des Pferdes. Sogleich wurde es wieder sehend. Den Stein schenkten sie dem Fuhrmann und sagten, er möge damit anderen blinden Pferden helfen. Hierauf verabschiedeten sie sich von dem Mann und kehrten in das Schloß zurück.

Aber gleich danach traten drei andere Zwerge zu ihm, die schwarze Kleider, auf dem Kopf aber grünsamtene Mützen mit roten Federn trugen. Diese sagten zum Fuhrmann: »Du hast recht getan, den Wein, den du führtest, uns zu verkaufen. Ermahne auch deinen Bruder, daß er von dem Wein, den er im Überfluß hat, uns verkaufen möge!«

Voll Staunen und Verwunderung über all das, was er gesehen und gehört hatte, fuhr der Mann weiter und sah sich plötzlich wieder an dem Ort, wo er mit dem ersten Männchen zusammengetroffen war. Glücklich erreichte er seine Heimat und konnte von nun an ein sorgenfreies Leben führen. Die 180 Dutzend Dukaten vermehrten sich zwar nicht, aber sie gingen auch nie zu Ende, obwohl er den Armen viel gab.

Getreu dem Gebot der Bergmännlein sprach er niemals ein Wort von dem, was er im Wunderberg gesehen und gehört hatte. Erst als er auf dem Sterbebett lag, offenbarte er alles, was ihm damals zugestoßen war.

 


 


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