Sagen aus Böhmen
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Der Tod des Golem

Nachdem ein Erlaß herausgekommen war, der die Blutbeschuldigungen als grundlos bezeichnete und jede Anklage dieser Art untersagte, beruhigten sich die Gemüter und R. Löw beschloß, dem Golem seinen Odem wieder zu nehmen. Er ließ ihn auf ein Bett legen, befahl seinen Schülern, ihn abermals siebenmal zu umkreisen, wobei sie die Worte herzusagen hatten, die seinerzeit bei der Erschaffung des Golems gesprochen worden waren, nur in umgekehrter Ordnung. Als die siebente Umkreisung zu Ende war, ward der Golem wieder zum Klumpen. Man zog ihm die Kleider aus, wickelte ihn in zwei alte Gebetmäntel und verwahrte das tönerne Bild unter einem Haufen alter, schadhafter Bücher in der Dachstube des Rabbi.

R. Löw erzählte, daß, als er darangegangen sei, dem Golem den Odem einzublasen, zwei Geister zu ihm gekommen wären, der des Joseph Scheda und der des Jonathan Scheda. Er wählte den Geist Josephs, weil dieser sich schon bei den Schriftgelehrten des Talmuds als Retter bewährt hatte. Die Kraft der Rede konnte er dem Golem nicht eingeben, denn was diesem innewohnte, war eine Art Lebenstrieb, aber keine Seele. Er war wohl mit einem gewissen Unterscheidungsvermögen ausgestattet, aber Dinge der Weisheit und höhere Einsicht blieben ihm versagt.

Wiewohl nun der Golem keine Seele hatte, merkte man ihm am Sabbat etwas Besondres an, und sein Gesicht erschien freundlicher als an Wochentagen. Andre wiederum sagen, daß R. Löw an jedem Rüsttage zum Sabbat das Schildchen mit dem heiligen Gottesnamen, das unter der Zunge des Tongebildes steckte, zu entfernen pflegte, weil er befürchtete, daß der Sabbat ihn unsterblich machen könnte und die Menschen ihn als Götzen anbeten würden.

Der Golem barg in seinem Innern keinerlei Neigungen, weder gute noch sündhafte. Was er tat, geschah nur unter Zwang und aus Furcht, zurück ins Nichts versenkt zu werden. Alles, was zehn Ellen über und zehn Ellen unter der Erde lag, war für ihn mit Leichtigkeit zu erreichen, und nichts konnte ihn an der Ausführung des einmal Unternommenen hindern.

Er mußte ohne Zeugungstrieb erschaffen werden, sonst hätte sich kein Weib vor ihm retten können und es wäre wieder das eingetreten, was sich in der Urzeit begeben hatte, als die Engel an den Menschentöchtern Gefallen fanden. Weil er aber keinen Trieb kannte, so haftete ihm auch keine Krankheit an. Auch besaß er die Eigenschaft, daß er den Wechsel der Stunden zur Tages- und Nachtzeit genau empfand. Es weht nämlich zu jeder Stunde vom Garten Eden ein Wind auf die Erde, der die Luft reinigt, und diesen Lufthauch spürte der Golem dank seinem feinen Geruchsinn.

R. Löw behauptete, daß der Golem auch Anteil am ewigen Leben haben werde, da er sovielmal Israel vor schwerer Not bewahrt hatte. Auch sagte er, daß er dereinst zusammen mit den Toten erwachen werde; er werde aber dann nicht mehr die Gestalt Joseph Schedas noch die, die er jetzt hatte, tragen, sondern in einer ganz neuen Gestalt erscheinen.

 


 


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