Sagen aus Böhmen
Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Schaffung des Golem

Es lebte zu Worms ein Mann von gerechtem Wesen mit Namen Bezalel. Diesem wurde in der Passahnacht ein Sohn geboren. Es war das Jahr fünftausendzweihundertdreiundsiebzig nach der Weltschöpfung, und die Juden litten unter schweren Verfolgungen. Die Völker, in deren Mitte sie lebten, beschuldigten sie, daß sie bei der Herstellung des Passahbrotes Blut verwendeten. Als der Sohn R. Bezalels zur Welt kam, brachte seine Geburt schon Gutes. Wie nämlich das Weib von Geburtswehen erfaßt wurde, liefen die Hausgenossen auf die Straße, um die Wehmutter zu holen, und vereitelten dadurch das Vorhaben einiger Bösewichte, die ein totes Kind im Sacke trugen und es mit der Absicht, die Juden des Mordes zu beschuldigen, in die Judengasse werfen wollten. Da weissagte R. Bezalel über seinen Sohn und sprach: »Dieser wird uns trösten und uns von der Plage befreien. Sein Name in Israel sei Juda Arje, gemäß dem Vers im Segen Jakobs: Juda ist ein junger Löwe; als meine Kinder zerrissen wurden, stieg er hoch.« Und der Knabe wuchs heran und ward ein Schriftgelehrter und Weiser, dem alle Wissenszweige vertraut waren und der alle Sprachen beherrschte. Er wurde Rabbiner der Stadt Posen, bald darauf aber berief man ihn nach Prag, woselbst er oberster Richter der Gemeinde ward.

Sein Sinnen und Trachten war darauf gerichtet, seinem bedrängten Volke zu helfen und es von der Verleumdung des Blutgebrauches zu befreien. Er bat den Himmel, ihm im Traume zu sagen, wie er den Priestern, die die falschen Anklagen verbreiteten, beikommen könnte. Da ward ihm in nächtlichem Gesicht der Bescheid: »Mache ein Menschenbild aus Ton, und du wirst der Böswilligen Absicht zerstören.« Nun rief der Meister seinen Eidam wie seinen ältesten Schüler zu sich und vertraute ihnen die himmlische Antwort an. Auch erbat er ihre Hilfe zu dem Werk. Die vier Elemente waren zur Erschaffung des Golems notwendig: Erde, Wasser, Feuer und Luft. Von sich selbst sprach der Rabbi, ihm wohne die Kraft des Windes inne; der Eidam sei einer, der das Feuer verkörpere; den Schüler nehme er als Sinnbild des Wassers; und so hoffe er, daß ihnen dreien das Werk gelingen werde. Er legte ihnen ans Herz, von dem Vorhaben nichts zu verraten und sich sieben Tage lang für die Aufgabe vorzubereiten.

Als die Frist um war, es war der zwanzigste Tag des Monats Adar im Jahre fünftausenddreihundertundvierzig und die vierte Stunde nach Mitternacht, begaben sich die drei Männer nach dem außerhalb der Stadt gelegenen Strome, an dessen Ufer eine Lehmgrube war. Hier kneteten sie aus dem weichen Ton eine menschliche Figur. Sie machten sie drei Ellen hoch, formten die einzelnen Gesichtszüge, danach die Hände und die Füße und legten sie mit dem Rücken auf die Erde. Hierauf stellten sie sich alle drei vor die Füße des Tonbildes, und der Rabbi befahl seinem Eidam, siebenmal im Kreise darum zu schreiten und dabei eine von ihm zusammengesetzte Formel herzusagen. Als dies vollbracht war, wurde die Tonfigur gleich einer glühenden Kohle rot. Danach befahl der Rabbi seinem Schüler, gleichfalls siebenmal das Bild zu umkreisen und eine andre Formel zu sagen. Da kühlte sich die Glut ab, der Körper wurde feucht und strömte Dämpfe aus, und siehe da, den Spitzen der Finger entsproßten Nägel, Haare bedeckten den Kopf, und der Körper der Figur und das Gesicht erschienen als die eines dreißigjährigen Mannes. Hierauf machte der Rabbi selbst sieben Rundgänge um das Gebilde, und die drei Männer sprachen zusammen den Satz aus der Schöpfungsgeschichte: »Und Gott blies ihm den lebendigen Odem in die Nase, und der Mensch ward zur lebendigen Seele.«

Wie sie den Vers zu Ende gesprochen hatten, öffneten sich die Augen des Golems, und er sah den Rabbi und seine Jünger mit einem Blick an, der Staunen ausdrückte. R. Löw sprach laut zu dem Bildnis. »Richte dich auf! « Und der Golem erhob sich und stand da auf seinen Füßen. Danach zogen ihm die Männer Kleider und Schuhe an, die sie mitgebracht hatten – es waren Kleidungsstücke, wie sie Synagogendiener tragen –, und der Rabbi sprach zu dem Menschen aus Ton: »Wisse, daß wir dich aus dem Staub der Erde geschaffen haben, damit du das Volk vor dem Bösen behütest, das es von seinen Feinden zu leiden hat. Ich heiße deinen Namen Joseph; du wirst in meiner Gerichtsstube wohnen und die Arbeit eines Dieners verrichten. Du hast auf meine Befehle zu hören und alles zu tun, was ich von dir fordere, und hieße ich dich durchs Feuer gehen, ins Wasser springen oder dich von einem hohen Turm herunterwerfen.« Der Golem nickte mit dem Kopfe zu den Worten des Rabbi, als wollte er seine Zustimmung ausdrükken. Er hatte auch sonst in allem ein menschliches Gebaren; er hörte und verstand, was man zu ihm sprach, nur die Kraft der Rede blieb ihm versagt.

So waren in jener denkwürdigen Nacht drei Menschen aus dem Hause des Rabbi gegangen; als sie aber um die sechste Morgenstunde heimkehrten, waren ihrer vier.

Seinen Hausgenossen sagte der Rabbi, daß er, als er des Morgens nach dem Tauchbad gegangen sei, einem Bettler begegnet wäre und ihn, da er redlich und unschuldig zu sein schiene, mitgenommen habe. Er wolle ihn in seiner Lehrstube als Bedienten gebrauchen, verbiete es ihnen aber; den Knecht für häusliche Arbeiten zu verwenden.

Und der Golem saß beständig in einer Ecke der Stube, den Kopf auf beide Hände gestützt, und verhielt sich reglos wie ein Geschöpf, dem Geist und Verstand abgehen und das sich um nichts bekümmert, was in der Welt vorgeht. Der Rabbi sprach von ihm, daß ihm weder Feuer noch Wasser etwas anhaben würden, und daß ihn kein Schwert verwunden könne. Den Namen Joseph hatte er ihm zur Erinnerung an den im Talmud erwähnten Joseph Scheda gegeben, welcher halb Mensch und halb Geist gewesen war, die Schriftgelehrten bedient und sie vielmal aus schwerer Bedrängnis gerettet hatte.

Der Hohe R. Löw bediente sich des Golems nur, wo es galt, die Blutbeschuldigung zu bekämpfen, unter welcher die Juden Prags besonders zu leiden hatten. Schickte R. Löw den Golem irgendwohin, wo dieser nicht gesehen sein sollte, so legte er ihm ein Amulett um, das auf Hirschhaut geschrieben war. Das machte ihn unsichtbar, er selbst aber konnte alles sehen. In der Zeit vor dem Passahfest mußte der Golem allnächtlich durch die Stadt streifen und jeden aufhalten, der eine Last auf dem Rücken trug. War es ein totes Kind, das in die Judengasse geworfen werden sollte, so band er den Mann und die Leiche mit einem Strick, den er immer bei sich trug, und führte ihn nach dem Stadthaus, wo er ihn der Obrigkeit übergab. Die Kraft des Golems war übernatürlich, und er vollbrachte viele Taten.

 


 


 << zurück weiter >>