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3. Geschichte der Rettung eines dem Namen nach unbekannten magdeburgischen Bürgers und Konstablers.

Beim Einbruch der Feinde in die Stadt war ich auf dem Rathause; sonst verließ ich den Wall nicht und hatte von 16 Nächten nur eine einzige in meiner Wohnung zugebracht. Ich eilte sofort nach dem Heydeck auf meinen Posten und hörte, den Breitenweg entlang gehend, viel Weinens und Heulens vom Frauenvolke. Vor meiner Tür traf ich meine Frau, die eben aus der Kirche zurückkam, wo der Prediger des Lärmens wegen hatte aufhören müssen; ich sagte ihr Lebewohl, ergriff meine Zündrute und lief damit auf den Wall; denn ich war ein Konstabler und hatte zuvor die Büchsenmacherkunst erlernt. Wie ich dahin kam, stürmte bereits das Volk des Grafen von Mansfeld; es konnte aber nichts schaffen und ward von uns und den 50 unten am Heydeck postierten Soldaten zurückgeschlagen. Dies währte von 7 bis halb 10 Uhr.

Vor unserm Schießen hatten wir nicht hören und sehn können, was aus andern Punkten vorging; jetzt erfuhren wir, daß die Stadt bereits erobert sei.

Als nun der Feind von daher auch auf unsere Posten kam, das Sudenburger Tor öffnen ließ und alles Volk hereinzog, ging unser Fähnlein ihm entgegen, in der Meinung, Quartier zu erhalten, was aber nur etlichen zuteil ward. Ich wanderte mit fünf Gefährten nach dem Ulrichstore, wo bereits alles niedergemacht war, und so in die Stadt. Auf dem Breitenwege kamen drei Kameraden von uns ab und fanden den Tod; der vierte erreichte sein Haus. Ich ging mit dem fünften weiter, und wir gelangten, nachdem wir einem feindlichen Soldaten alles hatten geben müssen, was wir bei uns trugen, glücklich in sein Haus. Es war bereits ganz ausgeräumt. Die Plünderer umringten mich und schrien, ich solle ihnen Geld geben, oder sie würden mich niederhauen. Ich sagte ihnen, ich hätte nichts bei mir; wenn ich in meinem Hause wäre, wollte ich ihnen etwas geben. Darauf sprach einer: »Komm, ich will dich hinbringen! Ist es weit ab?« Ich antwortete: »Nein!« und so ging er mit mir. Daselbst angelangt, fanden wir auch schon alles ausgeplündert und ein solches Umsuchen darin, daß ich meinem Begleiter nichts geben konnte. Meine Frau hatte sich zu einem Nachbar hingeflüchtet in der Meinung, da sicher zu sein, war aber sehr übel angekommen. Als sie mich erblickte, eilte sie zu mir. Wie sie aber quer über den Breitenweg ging, rissen ihr die Soldaten den Pelz vom Leibe, weil sie eingenähtes Geld darin vermuteten. In unserm Hause traf sie es noch schlimmer. Meine Mutter war arg gemißhandelt, konnte aber noch ein wenig heruntergehen. Meine 4 Kinder waren, was ich nicht wußte, mit Hackenbergs Tochter Gertraud auf dem obersten Boden, wohin sich aber noch keiner von den Feinden gewagt hatte. Bei meinem Eintritt in das Haus umringte mich ein Trupp böser Buben; einer wollte mich durchstechen, ein anderer durchschießen, ich sollte Geld geben. Ich sagte, sie sähen wohl, daß alles weg wäre; ich hätte keins. Indem blies einer die Lunte auf, mich zu erschießen. Da sprach ich, wenn ihm mit einer Hand voll Blut gedient wäre, könnte ich nichts dazu tun; ich wäre ein gefangener Mann, zudem hätte mir der, welcher mich ins Haus gebracht, Quartier versprochen. »Hast du ihm Quartier gegeben?« fragte er meinen Begleiter. »Ja!« war dessen Antwort. Da stieß mich einer mit der Muskete so in die Seite, daß ich glaubte, ich hätte mein Teil, aber es schadete nichts. Mein Junge bat für mich, erhielt aber mit einem Beile einen Schlag über den Kopf, daß er umsank; allein er kam auch ohne Schaden davon. Indem erhob sich ein Lärm auf der Straße; die bösen Gäste eilten hinaus und ließen mich allein. Nun ging ich in meine Küche; da war es finster, und an finstere Orte gingen sie nicht gern, bis zuletzt. Um mich noch besser zu verbergen, stieg ich auf den andern Boden, kroch in einen Winkel hinter der Feuermauer und zog die geflochtenen Strohseile, deren ich viele liegen hatte, davor hin. Es war etwa gegen elf Uhr. Da mußte ich über zwei Stunden aus den Knien sitzen, die mir davon sehr weh taten, und nun bekam ich ein wenig Zeit, mein Gebet an Gott zu richten, vorher konnte man es nicht wegen des greulichen Unwesens. Inzwischen suchten die Beutemacher alles um auf dem Boden; zu mir aber kam gottlob! keiner, wiewohl sie mir oft sehr nahe waren, ich auch stets Sorge hatte, daß sie von des Nachbars Seite her durchbrechen würden. Aber ich schwieg immer still. Aus der Ferne her vernahm ich viel Rufens, Schreiens, Niederhauens und Niederschießens. Meine Frau und meine Mutter waren unten im Hause, und die Soldaten gaben denselben gute und böse Worte, um Geld von ihnen zu erhalten. Erstere stand kläglich weinend und die Hände ringend in der Tür; denn das Feuer nahte sich unserm Hause immer mehr, und ihr bangte für mich und die Kinder. Da gehen drei vornehme Offiziere mit ihren Dienern vorüber; einer von ihnen, ein stattlicher Mann, war der Obristleutnant Byzarte vom Bernsteinischen Kavallerie-Regimente. Sie fragten meine Frau, warum sie so übel tue. »Ach,« sprach sie, »sollte ich nicht übel tun? Ich bin um alles gekommen; nun ist das Feuer nicht weit, und ich weiß nicht, wo mein Mann ist.« »Wo ist euer Mann?« fragten sie; »er soll Quartier haben.« Sie traute aber ihrer Zusage nicht und erwiderte, ich sei auf dem Walle, und sie wisse nicht, wo ich hingekommen, »Wenn euer Mann auf dem Walle angetroffen ist,« war ihre Antwort, »dann wird er wohl hin sein,« und damit wollten sie weiter gehn. Da meine Frau aber immer kläglicher tat, so sprach einer zum andern: »Die Frau muß sonst ein großes Anliegen haben,« und sie wiederholten ihre Frage nach mir. Nun sprach sie: »Wenn die Herren meinem Manne Quartier zusagen, dann will ich sehn, wo ich ihn finde.« Sie versprachen ihr dies in die Hand, so wahr sie redliche Leute wären; sie müßten aber eine Ergötzlichkeit haben; wir hätten wohl noch etwas verborgen, das sollte sie ihnen geben. Sie versprichts, kommt dann auf den Boden hinauf, und der Obristleutnant hinter ihr her; denn sie wußte, daß ich dort war, und rief mir zu, es sei ein Obrister da, welcher mir Quartier geben wolle. Ich machte mich nun hervor und ging auf den Obristleutnant zu, der mir die Hand reichte mit den Worten: »Es ist mir leid, daß ich euch so finde; ihr sollt Quartier haben, aber ich verlange dafür eine Ergötzlichkeit; ihr habt wohl noch etwas verborgen, ihr kommt doch darum, deshalb gebt es nur her.« Wir stiegen nun sogleich hinunter. Ich hatte aber im Keller in einer eisernen Lade etwas beisetzen lassen an Silber, goldnen Bechern, Armbändern, Ringen, und andern Sachen von Wert, um darin einen Notpfennig zu haben. Bloß der Feuersgefahr wegen, und da ich mich eines solchen Übergangs der Stadt nicht versah, hatte ich auch in meiner Küche durch meine Mutter eins und das andere ein wenig einscharren lassen; dies aber war von den gemeinen Soldaten sogleich gefunden worden, und so mußte denn das im Keller verwahrte hervor. Die drei Offiziere nebst ihren Dienern gingen mit mir hinunter und brachten die eiserne Lade, weil sie ziemlich eingezwängt in der Erde stand, mit großer Mühe heraus. Da ich den Schlüssel verloren hatte, so ward der Deckel mit Gewalt aufgesprengt, und die drei Offiziere teilten sich sogleich gütlich in den Inhalt. Nachdem dies geschehen, bat ich den Obristleutnant, mich und die Meinigen mit nach seinem Quartier zu nehmen. Der wackere Mann, anscheinend 50 Jahre alt, sprach: »Ja, Kommt nur alle; ich habe draußen Kutsche und Pferde stehn; ihr sollt mitfahren, aber ihr müßt mir draußen noch Geld geben, dann will ich euch hinbringen lassen, wohin es euch gefällt; was soll ich dafür haben?« Ich verhieß ihm 100 Taler. Darauf sagte er: »Haltet euch an meinem Pferde.« Damit nahm er meine Frau bei der Hand und sie die Kinder, ich hielt mich an des Obristleutnants Pferd, und so folgten wir ihm. Meine Mutter wollte, alles Bittens ungeachtet, nicht mit uns. Sie meinte, sie könne nicht gehen und werde noch etwas bleiben. Wir durften nicht zögern, oder der Obrist hätte uns stehen lassen, vier Häuser, einen Garten und alles Eigentum, darunter auch viel Geld, mußten wir mit dem Rücken ansehen; keiner von uns hatte einen Pfennig bei sich oder auch nur ein gutes Kleid auf dem Leibe. Am schmerzlichsten aber war es mir, meine geliebte Mutter zurücklassen zu müssen, von der ich nicht weiß, wo sie hingekommen ist.

Wie wir nun in dem großen Getümmel mit dem Obristleutnant an das Sudenburger Tor gelangt waren, – es war so nach 2 Uhr – da sollte weder Bürger noch Bürgersfrau aus der Stadt. Unser Beschützer aber redete in fremder Sprache mit der Schildwache, daß er mich hinausbrächte, und ich nahm meinen Sohn Simon mit mir. Da mußten meine Frau und ich abermals von einander scheiden. Sie und die übrigen Kinder wurden in ein Haus am Tore gewiesen, in welchem schon viele Frauen von Adel untergebracht waren. Es war mit einer Wache besetzt, und Tilly selbst hielt mit seinem Pferde davor, wir verabredeten, uns in Quedlinburg wieder zusammenfinden zu wollen. Der Obristleutnant versprach, meine Frau und die Kinder des anderen Tags zu holen, setzte aber hinzu, wenn wir zu lange machten, dann müsse ich auch zurückbleiben. Da trieb mich meine Frau zur Eile, denn sie fürchtete noch immer, ich könnte niedergemacht werden, weil sie überall so viele Tote liegen sah. Durch das Gedränge kam ich mit meinem Sohne glücklich aus dem Tore, indem ich mich stets an des Obristleutnants Pferde hielt. Die Musketiere draußen waren alle toll und voll, hatten große vergoldete Becher und andere Beutestücke in Händen und riefen: »Haut den rebellischen Schelm nieder!« aber der Obristleutnant verteidigte mich wohl. Als wir nach Kloster Bergen kamen, vermochte ich kaum noch einen Schritt zu tun, denn es war ein sehr warmer Tag. Hier hatte unser Retter eine Kutsche mit sechs Pferden stehn; er setzte sich hinein, nahm mich und meinen Sohn zu sich, und fuhr mit uns nach seinem Quartier, das im Dorfe Dornitz war, eine halbe Meile von Calbe und viertehalb Meilen von Magdeburg. Letzteres sahen wir bei unsrer Abfahrt in vollen Flammen. Ungefähr um 8 Uhr kamen wir an. Unser Obristleutnant nahm uns mit in seine Stube; wir mußten mit ihm und seinen Offizieren speisen, und er legte meinem Sohne und mir zu essen vor mit den Worten: mein Trauern könne mir doch nichts helfen; ich solle mich zufrieden geben und Gott danken, daß ich mein Leben davon gebracht. Unterdessen besah er meine vergoldeten Becher, die er zu seinem Anteil bekommen hatte, fing an, aus ihnen auf Tillys Gesundheit zu trinken, und ich mußte, ohne mich weigern zu dürfen, ihm Bescheid tun.

Am andern Tage holte unser Retter meine Frau und die übrigen Kinder, und erst, als wir alle in Quedlinburg wieder zusammentrafen, fühlten wir uns vollends geborgen.

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