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2. Geschichte der Errettung des Oberstadtschreibers Daniel Friese und seiner Familie.

Auf die Nachricht, die Stadt sei von dem Feinde gewonnen, hatte auch der Vater das Rathaus verlassen und sich zu uns begeben, um bei der drohenden Gefahr noch schnell einige Vorkehrungen zu treffen. Da er etlichemal zu den kaiserlichen Generalen Tilly, Pappenheim und andern hinaus in das Lager gesendet und deshalb ziemlich bekannt war, so fürchtete er, man möchte ihm ein hohes Lösegeld abfordern. Um nun für einen geringen Bürger angesehen zu werden, zog er ein ledernes Wams und graues Beinkleid an, auch die aus der Heil. Geistkirche herbeigeeilte Mutter wählte ihren schlechtesten Anzug. Inzwischen ward das Schießen immer heftiger; endlich erfolgte eine entsetzliche Salve; das Feuer schwieg jetzt, der Widerstand hörte auf, und die fliehenden Bürger eilten mit ihren Gewehren unter Ach- und Wehgeschrei in ihre Häuser. Alle Türen wurden nun verschlossen und aufs beste verwahrt. Nicht lange hernach ertönte das »All gewonnen, all gewonnen!« der kaiserlichen Soldaten durch die Gassen, und sie schlugen an die Türen wie lebendige Teufel.

Wir armen Leute hätten vor Furcht in den Häusern sterben mögen und beteten zu Gott um gnädige Errettung. Jetzt ward auch bei uns angepocht. Die Soldaten drohten alles im Hause umzubringen, wenn man ihnen nicht augenblicklich öffne, wir machten auf. Zwei Musketiere traten ein und verlangten Geld. Vater und Mutter gaben, was sie hatten, auch noch Kleider und Geräte. Sie entfernten sich damit, unsere Bitte, uns gegen ein Lösegeld aus der Stadt zu helfen, mit der Antwort zurückweisend, sie müßten erst Beute machen.

Nachdem die Soldaten hinweggeeilt waren, zerschlug der Vater mit einer Axt Ofen, Türen und Fenster, riß das Stroh aus den Bettladen, warf die Gesindebetten, auch die Töpfe aus der Küche überall umher und sperrte die Tür angelweit auf. In eine Ecke des Flurs ließ er einen mit Speisen besetzten Tisch aufstellen, jedoch so, daß er nicht sogleich in die Augen fiel. Die plündernden Soldaten hielten das Haus, seinem wüsten Aussehen nach, bereits für ausgeräumt, und achteten es daher nicht mehr der Mühe wert, hineinzugehen. Unglücklicherweise aber bemerkten vier gerade vorüberkommende Musketiere die Mutter, stürzten mit ihren brennenden Lunten zu uns in die Stube und schlugen und stießen auf den Vater los. Die Mutter warf bisweilen eine Hand vor, aber es half nichts. Wir Kinder hingen uns wie Kletten an die Soldaten und weinten und schrien, sie sollten uns nur die Eltern leben lassen. Fern davon, über unsere Zudringlichkeit böse zu werden und uns zurückzustoßen, ließen sie sich vielmehr durch unser Flehn erweichen, wir gaben ihnen nun einiges Geschmeide und andere Wertsachen, auch suchten sie sich das beste Leinengerät aus und gingen dann weg, ohne sonderlich nach dem Essen auf dem Tische gefragt zu haben. Nunmehr aber getrauten wir uns nicht länger in der Stube zu bleiben, sondern flüchteten in eine finstere Kohlenkammer, die auf dem Hofe in einem wüsten Stalle lag. Wie wir eben dahin laufen wollten, stieg ein Student, der nebenan wohnte, über das Häuschen des Brunnens, welchen wir mit dem Nachbar gemeinschaftlich hatten, um sein Licht bei uns anzuzünden. Er erzählte uns, die Soldaten, die in ihrem Hause wären, verlangten Beute; man habe alles im Keller versteckt, und es fehle an Licht, um den Plünderern hinunterzuleuchten. Nachdem der Student mit seiner brennenden Kerze wieder zurückgeklettert war, öffnete der Vater die beiden Falltüren am Brunnen und befestigte sie nach unserer Seite zu, so daß dieser Paß nicht mehr benutzt werden konnte; denn er besorgte, die Nachbarn könnten die in ihrem Hause fürchterlich tobenden, fluchenden und unaufhörlich nach Beute rufenden Soldaten in ihrer großen Angst zu uns herüberweisen. Wir verhielten uns in unser Kohlenkammer mäuschenstill. Nach einer Weile schlich der Vater sich wieder ins Vorderhaus, um zu sehn, wie es dort hergehe; aber alsbald wurde ein Trupp Plünderer seiner ansichtig und stürzte mit großem Geschrei auf ihn zu. Dies hörte die Mutter, lief auch hervor, und wir Kinder folgten ihr. Es waren sieben Soldaten, alle hatten brennende Lunten, redeten eine fremde Sprache, und wir entnahmen bloß aus ihren Gebärden, daß sie Geld haben wollten. Die Entschuldigung des Vaters, daß uns bereits alles genommen sei, verstanden sie nicht und schossen zweimal im Flur nach ihm. Die Kugeln fuhren aber in die Wand, ohne ihn zu treffen. Indem sich die Eltern nun in die Stube zurückziehen wollten, hieb einer mit seiner Hellebarde nach dem Vater, verfehlte ihn aber zum Glück ebenfalls. Als der Vater endlich den Offizier lateinisch anredete und ihm, da er kein Geld mehr habe, Kleider, Leinwand, Zinn und anderes anbot, wurden sie etwas ruhiger. Der Offizier verlangte aber Geld. Bekomme er dies, dann wolle er die Soldaten alsbald wegführen. Da besann sich die Mutter auf ein Kästchen, in dem Perlen, sowie das uns Kindern gehörige Patengeld aufbewahrt lag, führte den Offizier hinauf, gab ihm dasselbe und bat ihn zugleich, uns gegen ein Lösegeld aus der Stadt zu helfen. Allein er wollte nichts davon wissen, fluchte gewaltig, nahm den besten Mantel des Vaters, den dieser nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, hing sich ihn um und ging davon, wir suchten nun unser Versteck im Kohlenkämmerchen wieder auf. Die Soldaten aber, nachdem sie dem Frühstück weidlich zugesprochen hatten, liefen noch fast eine halbe Stunde im Hause umher, schlugen alles auf und suchten nach Beute; jedoch kam keiner in den Stall.

Als es etwa um 9 Uhr wieder ein wenig still ward, sagte der Vater, nun wollten wir uns erst recht verstecken und zwar auf dem alten, wie ein Taubenschlag eingerichteten und finstern Boden. Dort aber hätten wir sämtlich verbrennen müssen, wenn wir da geblieben und nicht von Gott, den wir nicht genug dafür preisen können, wunderbar hervorgezogen wären. Unsere frühere, an einen Nadler verheiratete Magd hatte ihre Zuflucht zu uns genommen, da sie ihren Mann, der die Wache an der Lakenmacherpforte gehabt, verloren gab, und sich mit uns in der Kohlenkammer versteckt. Sie blieb, als wir die Kammer verließen, noch zurück, um einen Korb, worin ihre Habe war, dort sicher zu verbergen. Als sie damit fertig, nun über den Hof lief, ward ein Soldat ihrer ansichtig und schrie ihr sein: Halt, – Halt! zu. Sie aber floh die Treppen hinan und zu uns auf den Boden. – »Ach, Anna,« rief ihr der Vater entgegen, »du wirst mir gewiß die Soldaten hierher ziehn!«

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so drang auch schon der Verfolger mit seinem Spitzhammer auf ihn los. Die Mutter eilte laut schreiend herbei, und wir Kinder umringten alle den Soldaten und flehten ihn an, meinen Vater zu schonen. Mein vierter Bruder, Christian, der kaum laufen und lallen konnte, rief in seiner Herzensangst: »Ach, laßt doch nur den Vater leben, ich will euch auch gern meinen Dreier geben, den ich Sonntags bekomme.« Unser Flehn, und namentlich die Worte des kleinen Bruders, rührten den Soldaten. Er sah uns freundlich an und sagte: »Ei, das sind ja feine Büble!« Darauf sprach er zum Vater: »Willst du mit den Kindern zur Stadt hinaus, so geht alsobald fort; denn die Kroaten kommen in einer Stunde zur Stadt herein und da würdest du mit den Deinigen schwerlich am Leben bleiben.«

»Ja« – fuhr er nach einigem Besinnen fort – »ich habe aber noch keine Beute gemacht. Ich will dich wohl hinausführen, aber ich muß erst Beute machen.«

Wir fielen ihm zu Füßen und baten ihn, uns doch nur mitzunehmen, wir wollten ihm 200 Taler geben, wenn er uns nach Gommern brächte. Er blieb dabei, er müsse erst Beute machen; vermaß sich aber hoch und teuer, wenn er ein paar Häuser ausgesucht habe, wiederherzukommen und uns abzuholen, »Wenn ihr denn so sehr auf Beute besteht,« sprach die Nadlerin, »ich will euch Geld und Kleider von meinem Manne geben; führt uns nur aus der Stadt.« Er nahm dies Erbieten an, und beide gingen. Wir zweifelten aber an ihrem Zurückkommen, befahlen uns Gott und krochen wieder unter das Dach.

Da hörten wir erst, wie es in unserm und den anstoßenden Häusern zuging. Kisten und Kasten wurden aufgeschlagen, auch sahen wir durch die Ziegel, wie unsere armen Nachbarn geprügelt und gemartert wurden. In der fürchterlichsten Todesangst verharrten wir eine gute halbe Stunde.

Indessen hatte der Soldat von der Nachbarin die versprochenen Sachen erhalten, auf sein Befragen von ihr gehört, wer der Vater sei, und sie mehrere Male aufgefordert, ihn wieder in das Haus zu führen, wo die kleinen Büble wären. Ganz wider unser Vermuten kamen jetzt beide zurück, und der Soldat rief im Hofe nach dem Boden hinauf: »Herr Oberstadtschreiber, kommt herunter!« Diese Worte drangen dem Vater wie ein Dolchstich in das Herz; er glaubte sich verraten und rief mit Tränen: »Ach, daß es Gott erbarme, nun werden wir gewiß verloren sein!« Er und die Mutter segneten einander und meinten, wir würden nun entweder sterben oder doch eins von dem andern kommen. In großer Angst und Todesfurcht gingen wir hinunter. Als wir aber in den Hof traten, fanden wir unsern Kriegsmann mit der Magd. Das ganze Haus war voller Soldaten und Pferde. Etliche von den ersteren wollten strikt auf den Vater los; der Nürnberger aber nahm sich unserer an, sagte, wir wären seine Gefangenen, und ließ uns nicht antasten. Wir packten hierauf einige wenige gerettete Trümmer von unserer Habe in einen Korb, den die Mutter trug, legten zwei Brote darüber und machten uns dann – es war gegen 10 Uhr – auf den Weg. Wir Kinder gingen paarweise hinter dem Soldaten; unsere Eltern, die Nadlerin und unsere Magd, die kleinste Schwester in ihrem Bettchen aus dem Arme tragend, folgten. Um ungehinderter fortzukommen, trug der Vater die Muskete unsers Retters und sah in seinem Aufzuge einem Soldaten nicht so unähnlich. So gingen wir durch die Straßen und mußten oft im großen Gedränge über ganze Haufen von toten Körpern hinwegsteigen.

Unser Führer trat endlich in ein Haus, und wir folgten ihm. Er müsse, sagte er, uns Kindern etwas zu essen und zu trinken holen, denn bis zum Lager sei es sehr weit und wir könnten sonst nicht ausdauern. Darauf langte er aus dem Rauchfange Würste und Speckseiten herab und schlug sie in einen türkischen Teppich. Unterdessen aßen wir vom mitgenommenen Brote. Um uns sammelten sich etliche zwanzig kleine Kinder, die von der Mutter auch Brot verlangten und es erhielten. Der Soldat lief auch in den Keller, holte einen Eimer Bier herauf und labte uns mit einem Trunke. Dann ging's weiter. Endlich war die Pforte erreicht, durch welche die Kroaten eben einritten und neben uns alles niederhieben. Wir stiegen den Wall hinunter und kamen in das Lager, wo der Soldat uns in sein Zelt führte.

Die Frau des Soldaten, auch aus Nürnberg, empfing uns nicht sehr freundlich, »Was bringst du denn her?« sagte sie zu ihrem Manne. »Du bringst die Hütte voll Kinder! Ich dachte, du brächtest Beute.« Er beruhigte sie mit den Worten, er habe die Büble müssen herausführen, Gott werde ihm schon Beute bescheren; und damit warf er den Teppich mit den Speckseiten ab. Wir setzten uns, sehr erfreut, nun ein wenig Sicherheit und Schutz zu haben. Die Frau, die für die Offiziere des Regiments kochte, gab sich endlich auch zufrieden; denn die Mutter ging ihr bei ihrem Geschäfte zur Hand und half ihr die drei Tage, welche wir in der Hütte des Soldaten zubrachten, so fleißig, daß sie ganz wieder ausgesöhnt wurde. In der Nacht gegen 11 Uhr führte uns der Vater hinaus und zeigte uns zur unvergeßlichen Erinnerung das in Flammen stehende Magdeburg. Es war im Lager, welches doch ziemlich weit entfernt war von der großen Feuerglut, so hell, daß man einen Brief lesen konnte.

Des andern Tages, den 11. Mai, ging der Soldat mit seiner Frau in die Stadt, um Beute zu holen. Die Mutter wartete indessen das Kind beider und besorgte die Küche. Wir aber blieben in der Hütte, denn der Vater wollte nicht gern erkannt sein, sahen aber von dort aus viele Magdeburger, Männer und Frauen, an Stricken als Gefangene durchs Lager führen und priesen uns glücklich, wenigstens frei herumgehen zu können. In der Abwesenheit unsers Wirts kam ein Soldat in die Hütte, um jenen zu sprechen. Er hatte große Beute gemacht und alle Finger mit den kostbarsten Ringen besteckt. Als er die Mutter weinen sah, und von ihr hörte, daß sie nicht einmal soviel behalten hatte, uns durstenden Kindern einen Trunk Bier zu kaufen, schenkte er ihr anderthalb Taler, um dafür Getränk zu holen. Gegen Abend kehrte unser Soldat mit seiner Frau zurück, und sie brachten schönes Geschmeide, Gold und köstliches Leinengerät mit sich. Er war darüber sehr vergnügt, meinte, Gott habe ihm alles deswegen beschert, weil er die kleinen Büble hätte herausgeführt, und verwies es seiner Frau, daß sie gestern darüber unwillig gewesen war. Er war ein mildherziger gottesfürchtiger Mensch. Der Herr vergelte ihm ewig, was er an uns getan! Wir werden der Wohltaten, die er uns erwiesen, nie vergessen!

 

Am 13. Mai fuhr die Friesesche Familie auf dem Leiterwagen nach Wolmirstedt. Ihr Retter verzichtete auf jede Belohnung von ihrer Seite; der Himmel, sagte er, habe ihm genug beschert. Seine Frau nahm nach vielem Bitten zwei silberne Löffel an, welche Friese's Gattin noch zu Hause eingesteckt hatte und ihr als Andenken verehrte, von Wolmirstedt ging die Reise zunächst nach Halberstadt, wo die Geretteten Sicherheit und Unterstützung fanden. Später kam Friese nach Altenburg als Amtsschöffe; dort starb er auch.


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