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2. Die Belagerung durch Tilly.

Am 26. November 1630, nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr, erhob sich ein orkanähnlicher Sturm, der in Magdeburg und Sudenburg fünf Kirchtürme abwarf, den aus dem erzbischöflichen Palast in den Dom führenden steinernen Gang zertrümmerte, sechs Wasser- und fünf Windmühlen zerbrach und an den Häusern sehr beträchtlichen Schaden anrichtete. Man sah diese Verwüstungen an als Vorzeichen eines größern der Stadt drohenden Unglücks. In eben der Stunde, wo Magdeburg die verheerenden Wirkungen dieses furchtbaren Sturmes empfand, hielt Tilly zu Hameln einen Kriegsrat, in dem der Angriff auf unsere Stadt beschlossen ward.

Nachdem dieser Beschluß gefaßt, war Pappenheim sofort in das Erzstift geeilt und, nachdem er Neu-Haldensleben erobert, vor Magdeburg gerückt. Tilly, der seit Wallensteins Absetzung auch kaiserlicher Oberbefehlshaber war, folgte ihm mit der Hauptmacht und erließ unterm 29. Dezember 1630 von Halberstadt aus ein Schreiben an unsere Stadt. Er zeigte ihr darin an, daß er das Kommando über die kaiserliche Waffenmacht erhalten habe, und ermahnte sie, sich Sr. Majestät zu unterwerfen, indem sie nicht die geringste Ursache zur Widersetzlichkeit habe. Sollte die Stadt jedoch wider Erwarten diese Warnung nicht beachten, dann werde sie ihren gänzlichen Ruin und ihren Untergang unfehlbar zu gewärtigen haben. Auf dies Schreiben versicherte der Magistrat, daß die Stadt nie den Gehorsam gegen das Reichsoberhaupt verletzt habe und auch jetzt nicht gewillt sei, es zu tun. Der Administrator, durch den Generalissimus ebenfalls aufgefordert, von seinem Vorhaben abzustehen, oder aber zu gewärtigen, daß andere Mittel in die Hand genommen würden, um ihn und die Stadt zum Gehorsam zu bringen, antwortete: er sei als deutscher Reichsfürst nicht gesonnen, sich in seinen wohlerworbenen Rechten kränken zu lassen, sehe die Rechtmäßigkeit der Expeditionen und Handlungen Tillys nicht ein und werde sich an seine Abmachung nicht kehren. Gegen die vielen erlittenen Bedrückungen habe er keine andere Hilfe als die des Königs von Schweden finden können und wolle daran festhalten. Er werde für seine Untertanen kämpfen, mit ihnen alles wagen für Religion und Gewissen und das Äußerste erwarten. – Um eben diese Zeit suchte auch Pappenheim den Obristen von Falkenberg durch glänzende Versprechungen dahin zu bringen, daß er ihm die Stadt Magdeburg übergebe. Der Ehrenmann wies aber die ihm gemachten Anträge mit gerechtem Unwillen zurück und drohte, im Wiederholungsfalle den Überbringer ohne weiteres aufknüpfen zu lassen.

Für den Augenblick ging die Gefahr noch glücklich vorüber, die die Stadt von der Nähe einer so großen Streitmacht zu fürchten hatte. Denn Tilly eilte im Januar 1631 zunächst ins Brandenburgische und dann ins Mecklenburgische, wo ein fester Platz nach dem andern mit den kaiserlichen Magazinen in die Hände Gustav Adolfs fiel. Zwar nahm er Neu-Brandenburg am 9. März durch Sturm wieder ein und ließ die 2000 Schweden, zu welchen der Befehl ihres Königs, sich zurückzuziehen, nicht gelangt war, niederhauen; weil es ihm aber an Lebensmitteln fehlte, sein Gegner sich auch auf keine Feldschlacht einlassen wollte, so kehrte er wieder in das Erzstift zurück, entschlossen, die Stadt Magdeburg mit aller Macht feindlich anzugreifen und sie, bevor Gustav Adolf zu ihrem Schutze herbei eilen könne, in seine Gewalt zu bringen.

Während seiner Abwesenheit konnte Pappenheim mit dem wenigen Kriegsvolke, das Tilly ihm gelassen hatte, nichts Ernstliches gegen Magdeburg unternehmen. Er konnte nicht einmal den Ausfällen der Eingeschlossenen wehren. Die Verteidiger der Stadt wagten sich 5-6 Meilen weit hinaus, überfielen die Kaiserlichen in ihren Quartieren, machten sie nieder und erbeuteten eine Menge Vieh. Bei einem Streifzuge ward ein kaiserlicher Obristleutnant aufgefangen und niedergehauen. Man fand bei ihm einige Schreiben, aus denen man die Anschläge der Feinde auf die Stadt Magdeburg kennen lernte.

Als Anfang März mildere Witterung eintrat, ließ der schwedische Kommandant von Falkenberg die unterbrochenen Befestigungsarbeiten wieder aufnehmen. Im Rehberge bei Pechau, in der Kreuzhorst und auf der Spitze des roten Horns wurden Schanzen aufgeworfen, an andern Stellen Kron- und Hornwerke angelegt. Die Kaiserlichen versuchten sich der Schanze in der Kreuzhorst, nachdem sie kaum vollendet war, zu bemächtigen, wurden aber mit einem Verluste von 100 Mann zurückgeschlagen. Allein gegen die bald darauf herandringende Übermacht des Feindes konnte sich dieses Werk so wenig wie die übrigen neuangelegten behaupten. Sie fielen alle, und mit ihnen verlor die Stadt viel Volk, Geschütz und Munition, was ihr doppelt empfindlich, da die Besatzung nur schwach und der Pulvervorrat äußerst gering war.

In der letzten Hälfte des März kehrte Tilly mit einem zahlreichen Heere aus Mecklenburg in das Erzstift Magdeburg zurück, nahm sein Hauptquartier zu Möckern, legte in Zerbst Magazine an und rückte dann bis Pechau vor, wo er sich im Rehberger Holze lagerte und verschanzte. Nachdem er die von den Magdeburgern angelegten Werke in Augenschein genommen, gab er den Generalen Mansfeld und Pappenheim seine auf den Angriff bezüglichen Befehle, worauf letzterer sofort das blutige Drama eröffnete. Er zog am 30. März bei Tagesanbruch gegen die Schanze im Rehberge, der die Magdeburger ihm zum Hohn den Namen » Trotz Pappenheim« beigelegt hatten. Sie ward erstürmt, die Besatzung niedergehauen, und die Leiber der Erschlagenen wurden in den Elbstrom geworfen. Dann kam die Reihe an ein befestigtes Wachthaus in der Kreuzhorst, » der Magdeburger Succurs« Succurs = Hilfe, Verstärkung. geheißen, in dem ein Leutnant mit 24 Mann lag. Dieser schlug mit seinem tapfern Häufchen fünf Stürme zurück, bei denen die Kaiserlichen an 100 Mann einbüßten, und ergab sich erst, als eine Drahtkugel ihm den rechten Arm zerschmettert und ihn kampfunfähig gemacht hatte. Tilly, der persönlich zugegen war, schenkte dem Mutigen das Leben und schickte ihn nach Magdeburg, die kleine Besatzung aber ward ohne Gnade getötet. Hierauf wurde die mit vier Geschützen besetzte Schanze in der Kreuzhorst angegriffen, der man den Namen » Trotz Tilly« gegeben hatte. Da diese aber aus bloßem Sande aufgeschüttet war, so glaubte der Kapitän Böse, sie gegen eine solche Übermacht nicht verteidigen zu können, zumal er auf keine Hilfe aus der Stadt rechnen durfte; er ergab sich daher mit seinen 80 Soldaten zu Kriegsgefangenen. Am nächsten Tage wurde der befestigte Turm in Krakau angegriffen, der nur durch ein Fenster zugänglich war, zu dem man vermittelst einer Leiter gelangte. Vom frühen Morgen bis an den Mittag ließ Pappenheim den Turm aus fünf Geschützen und mit dem kleinen Gewehr beschießen. Als die 15 Falkenbergischen Soldaten im Turme keine Hilfe aus der Stadt erhielten, wünschten sie zu kapitulieren und ließen die Kaiserlichen ein, von denen sie aber sofort niedergemacht wurden. Außer den genannten wurden noch mehrere andere Schanzen von den Kaiserlichen genommen. Mit Schrecken sahen die Magdeburger sich im Laufe zweier Tage des größten Teils ihrer Außenwerke beraubt. Der Verlust an Toten und Gefangenen betrug über 500 Mann.

Nach dem Verluste der entfernteren Werke, denen man wegen der großen Übermacht der feindlichen Streitkräfte keine Hilfe leisten konnte, wenn man nicht auch das noch übrige Volk aufs Spiel setzen wollte, ließ der Obrist Falkenberg die Sicherung der Elbbrücken seine vorzüglichste Sorge sein. Auf dem Krakauer Werder, diesem gegenüber auf dem Steinwege am Krakauer Damme und unterhalb der Zollschanze ließ er Schanzen aufwerfen. Dann ließ er rings um die Zollschanze ein neues Verteidigungswerk von 3 ganzen und zwei halben Bastionen abstecken und ersuchte den Rat, dieses Werk durch die Bürger fertigen zu lassen. Es wurde damit auch ein tüchtiger Anfang gemacht. Nachdem aber die Kaiserlichen aus einer bei Krakau angelegten Batterie mit fünf halben Karthaunen Karthaune ist eine alte Bezeichnung für ein schweres Geschütz. die Stadt und die Zollschanze zu beschießen anfingen, mußte die Arbeit eingestellt werden. Da nur eine rauhe Brustwehr nebst einem kleinen Graben fertig geworden, das Werk also von allen Seiten zugleich ohne Schwierigkeit angegriffen werden konnte, so war man genötigt, um es gehörig besetzen zu können, das Volk aus der Zollschanze und von andern Posten wegzunehmen. Tilly, dessen Heer täglich wuchs, näherte sich nicht nur mit vielen Laufgräben der Zollschanze und beschoß sie und die Stadt von zwei angelegten Batterien sehr heftig, sondern ließ sie auch am 15. April erstürmen. Allerdings vergeblich: die Kaiserlichen wurden von der Besatzung zurückgeschlagen und verloren 200 Mann. Zu Wasser sollten 300 Musketiere den Angriff versuchen; sie blieben aber mit ihren Kähnen auf dem Sande und zwischen den Pfählen sitzen, und ein Teil von ihnen versank mit den zertrümmerten Fahrzeugen.

Da es unmöglich schien, das stärkste der magdeburgischen Außenwerke, die Zollschanze, durch einen Angriff von vorn her zu erobern, faßte Tilly den Entschluß, sich von der hintern, der Brücke zugekehrten Seite heranzumachen, wo man jedenfalls ein leichtes Spiel haben würde. Um dies aber zu können, mußte er zuvor die Schanze auf der Spitze des roten Horns in seiner Gewalt haben. Er legte daher, um sie zwischen zwei Feuer zu bringen, auf dem Krakauer Werder und linksseits der Elbe bei Buckau zwei Batterien an, deren jede mit sechs Geschützen besetzt ward, und diese mußten das von bloßem Sande aufgeführte Werk einen ganzen Tag und eine Nacht hindurch so heftig beschießen, daß die kleine Besatzung sich genötigt sah, es aufzugeben und sich zurückzuziehen. Am 18. April, frühmorgens um 2 Uhr, ließ Tilly nun auf zwei großen Kähnen, die zu Lande bis Buckau geschafft waren, weil die Magdeburger an der Spitze des roten Horns die Elbe durch große Bäume gesperrt hatten, ein Regiment zu Fuß und etliche Kompagnien Reiter übersetzen. Diese bemächtigten sich der Schanze und machten sogleich Laufgräben, um vordringen zu können und dann die Besatzung der Zollschanze ganz von der Stadt abzuschneiden. Obwohl Falkenstein den Kaiserlichen ihre Eroberung gern wieder entrissen hätte, so unterließ er doch jeden Versuch, um seine Leute zu schonen, die dabei dem Feuer der Batterien auf beiden Elbufern ausgesetzt gewesen wären. Man schoß zwar heftig nach dem roten Horn hinüber, konnte aber dem Feinde nichts anhaben, da er durch das Gebüsch gedeckt war, traf oft mit dem zwanzigsten und dreißigsten Schusse nicht einen Mann und verschwendete nur unnötigerweise den kleinen Pulvervorrat der Stadt. Tilly drang unterdessen mit seinen Laufgräben gegen die zur Sicherung der Zollschanze angelegten Werke so rasch vor, daß man die Schanze Trotz-Kaiser, sowie die am Krakauer Werder, nicht länger behaupten konnte und in derselben Nacht verlassen mußte. Auch das neue Werk geriet in die äußerste Gefahr, als der Feind sich bis in den Graben desselben hineingearbeitet hatte. Überließ man es ihm aber, dann war auch der Verlust der Zollschanze unvermeidlich. Tilly unternahm am 20. April einen Angriff darauf, der aber durch die Ungunst der Witterung ganz und gar mißglückte. Vor dem herabströmenden kalten Regen und dem heftigen Winde konnte fast kein Soldat im Felde aushalten, und die Laufgräben wurden unter Wasser gesetzt. Am nächsten Tage sollte ein neuer Sturm unternommen werden; er unterblieb aber, weil die Schanze bereits von ihren Verteidigern aufgegeben und geräumt war. Falkenberg hatte nämlich noch um 11 Uhr abends den Magistrat zusammenberufen und ihm die Unmöglichkeit erklärt, besagten Punkt länger zu verteidigen. Mit Genehmigung des Rats rief er in eben dieser Nacht die Besatzung ab, die bei ihrem Rückzuge die Zugbrücke vor dem Zollhause hinter sich aufziehen und ein Joch der langen Brücke abwerfen mußte. Durch das Aufgeben dieses so festen Werkes, das durch Palisaden und einen morastigen Graben geschützt war, sah sich die Stadt nunmehr gänzlich von dem rechten Elbufer abgeschnitten und konnte also von dorther keine Hilfe mehr erwarten. Daß man ihm diese Hauptschanze so bald und so leichten Kaufes überlassen würde, hatte Tilly nicht erwartet; die Nachricht von dem Abzuge der Besatzung war ihm überraschend. Aus Furcht vor versteckten Minen ließ er aber erst gegen Abend etliche Kompagnien hineinrücken, die die Brücke abbrannten und die Schanze nach der Stadtseite zu befestigten.

Die Stärke des Belagerungsheeres und die von ihm errungenen Vorteile erregten bei einem großen Teile der hiesigen Einwohner die lebhaftesten Besorgnisse. Da die verheißene schwedische Hilfe immer noch ausblieb, so rieten viele, man solle sich an die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, sowie an die Hansastädte wenden, um durch deren Vermittlung vom Kaiser einen Waffenstillstand und die Aufhebung der Belagerung zu erhalten. Der Administrator und Falkenberg wußten aber die ängstlichen Gemüter durch die Nachricht etwas zu beruhigen, daß Gustav Adolf in vollem Marsche auf Magdeburg begriffen sei, bereits in der Mark stehe und bitte, die Stadt möge sich getrost halten, er wolle sie bald königlich entsetzen.

Nachdem Tilly den Magdeburgern die Außenwerke entrissen hatte, führte er seine Hauptmacht auf das linke Ufer des Stromes, um nun die Stadt selbst anzugreifen. Da letztere mit ihrer kleinen Truppenzahl die sehr unvollkommen befestigten Vorstädte Neustadt und Sudenburg nicht verteidigen konnten, so ließ Falkenberg dieselben – im Einverständnis mit dem Magistrat – demolieren: beide wurden angezündet, und tags darauf wurde alles noch stehengebliebene Mauerwerk vollends niedergerissen. Die unglücklichen Bewohner beider Ortschaften wurden mit ihrer Habe in die Altstadt aufgenommen und die ärmeren, die keine Herberge finden konnten, im Kreuzgange der Nikolaikirche untergebracht. Von den noch rauchenden Brandstätten nahmen die Kaiserlichen sofort Besitz und fingen an, sich dort zu befestigen.

Das Kriegsvolk, das bisher in der Sudenburg und Neustadt gewesen, dessen Stärke sich noch auf 1100 Mann zu Fuß und 250 zu Pferde belief, mußte man nun notwendigerweise in die Stadt hineinnehmen. Etliche vermögende Ratsglieder schossen darlehnsweise einige hundert Taler zusammen, und jeder gemeine Soldat erhielt jetzt wöchentlich 21 gute Groschen. Damit konnte er seinen Unterhalt gar wohl bestreiten, weil in der Stadt gegen Zahlung noch Lebensmittel genug zu bekommen waren. Quartiergeld aber ward diesen Mannschaften nicht verabreicht, weil sie täglich auf dem Walle oder in den Wachthäusern liegen mußten. Überdies brachten die Bürger für die Soldaten Speck, Würste, Bier und dergleichen zusammen und trugen ihnen das auf ihre Posten hin. Für den Unterhalt der Offiziere sorgte Falkenberg, der bei den Kaufleuten offenen Kredit hatte.

Mitte April trafen Falkenberg und dessen höhere Offiziere mit einigen Ratsgliedern gemeinsam die nötigen Anordnungen hinsichtlich der Besetzung der Posten. Die Bürgerschaft war in 18 Stadtviertel geteilt. Von diesen sollten 12 Viertel den Hauptwall rings um die Stadt bewachen. Den Fischern, die ein eigenes Viertel bildeten, nebst noch 2 andern Vierteln ward das Fischerufer und die ganze Wasserseite zur Obhut anvertraut. Die übrigen 3 Viertel wurden zur Reserve bestimmt und hatten ihren Sammelplatz auf dem alten Markte. Die Bürgerschaft schätzte man auf 2000 Köpfe, die waffenfähigen Bürgersöhne, Knechte und Handwerksburschen auf 3000. Das eigentliche Kriegsvolk, mit Einschluß des Falkenbergschen Regiments, der beiden Stadtkompagnien und der des Administrators, belief sich auf nicht ganz 2000 Mann zu Fuß und 250 Reiter.

Die Bürger sollten die ihnen überwiesenen Posten auf dem Hauptwalle des Nachts in voller Anzahl, bei Tage aber nur zur Hälfte besetzen. Die Soldaten waren unten im Wall in die Zwingermauern verteilt, und es würde nicht im geringsten an guter Ordnung gemangelt haben, wenn nur alle Bürger sich derselben willig hätten unterwerfen und dem Befehle ihrer Vorgesetzten nachkommen wollen. Aber da herrschte eine große Nachlässigkeit: der eine sah mehr auf den andern als auf sich selbst und wollte nicht das geringste mehr tun als jener; der Arme mißgönnte dem Reichen seine Wohlfahrt, obgleich dieser an seiner Statt oft seine Diener, also zwei oder drei statt eines, zu Wall schickte. Von denen, die auf ihren Posten gingen, hatten die wenigsten die Absicht, dem Feinde Abbruch zu tun, sondern gingen hin aus bloßer Neugier, um etwas Neues zu hören. So kam es, daß viele wohl den ganzen Tag auf dem Walle lagen, aber ihre Flaschen Bier viel besser gebrauchten als ihre Musketen.

Um dem Feinde zu zeigen, daß man durch die erlittenen Unfälle und Verluste keineswegs entmutigt sei, ward gleich, nachdem sich Pappenheim auf den Ruinen der Neustadt festgesetzt hatte, ein Ausfall nach dem Holzmarsch hin unternommen. Man schlug die dort liegenden ligistischen Soldaten aus den Laufgräben, hieb zwei Kompagnien von ihnen zusammen und würde sie ganz und gar von dort und dem roten Horn vertrieben haben, wenn nicht gerade die zur Ablösung bestimmte Abteilung eingetroffen wäre und dies verhindert hätte. Die Magdeburger büßten 5 Tote ein, 15 von ihnen wurden verwundet.

Von Süden und Norden suchte sich jetzt Tilly der Stadt durch viele Laufgräben zu nähern, an denen seine Soldaten und das dazu aufgebotene Landvolk unausgesetzt arbeiten mußten. Sobald sie nahe genug herangekommen, ließen die Generale Pappenheim und Mansfeld jeder drei Batterien errichten und diese mit grobem Geschütz bepflanzen. Aus der einen ließ Mansfeld zu großer Belästigung der Stadtwachen den ganzen Hauptwall bestreichen; von der andern feuerte er nach den Domtürmen und richtete an ihnen nicht wenig Schaden an. Die dritte Batterie ließ ihr Geschütz besonders gegen die festen Türme an der Stadtmauer spielen. Auch die drei Pappenheimschen Batterien, die zusammen mit 17 halben Karthaunen besetzt waren, fügten der Stadt, den Mauern und den Schiffmühlen viel Schaden zu.

Die Magdeburger setzten den Belagerern tapferen Widerstand entgegen. Unaufhörlich, besonders des Nachts, schossen sie aus dem kleinen Gewehr und dem groben Geschütz auf die feindlichen Laufgräben, und nicht ohne Glück. Da Pappenheims zweite Batterie, die hinter der Neustädter Stadtmauer lag, die Schießscharten und das Geschütz der Magdeburger sehr beschädigte, so richtete man nach jenem gefährlichen Punkte zwei halbe Karthaunen hin. Deren Kugeln rissen ein großes Stück der Mauer weg, zertrümmerten die feindlichen Geschütze, zerschmetterten den Konstablern Arm und Bein und brachten die Batterie völlig zum Schweigen. Leider aber war man sehr bald genötigt, das Feuern ganz einzustellen, weil der Bürgermeister die unerwartete Anzeige erhielt, der Pulvervorrat der Stadt sei bis auf 5 Tonnen zusammengeschmolzen. Man hatte seither täglich 18-20 Tonnen, jede zu einem Zentner, verschossen. Zwar würden aus Salpeter, wovon noch 250 Zentner vorrätig, jeden Tag 2 Zentner Pulver gefertigt, dies reiche aber nicht hin und nicht her; es müsse daher eine größere Sparsamkeit eingeführt werden. Der regierende Bürgermeister beauftragte den Ratmann Otto von Guericke, dies dem Kommandanten zu melden. Falkenberg entsetzte sich sehr über die gemachte Anzeige und äußerte: es habe ihm längst so etwas geahnt, denn es habe sich niemand dreinreden lassen und das unzeitige Schießen mit dem groben Geschütz einstellen wollen. Damit nun kein gänzlicher Mangel an Pulver eintrete, ließ Falkenberg in Mörsern, die von Apothekern dazu hergeliehen wurden, den Salpeter stoßen, und auf diese Weise war die Pulvermühle der Stadt denn doch imstande, täglich 5 Zentner zu liefern. Gleichzeitig untersagte er auch das Schießen mit dem groben Geschütz, und die Belagerer konnten daher ungestört ihre Batterien vollenden.

Am 24. April sandte Tilly aus seinem Hauptquartier einen Trompeter mit drei Schreiben in die Stadt, von denen das eine an den Administrator, das andere an Falkenberg und das dritte an den Magistrat und die Bürgerschaft gerichtet war. Alle drei enthielten Aufforderungen, vom weitern fruchtlosen Widerstande abzulassen und die Stadt zu übergeben, da kein Entsatz mehr zu hoffen sein dürfte.

Ende April gab der Magistrat – mit Einwilligung des Administrators, Falkenbergs und ihrer Anhänger – die Antwort. Zunächst wurde der Vorwurf Tillys, daß die Stadt sich in Rebellion gegen den Kaiser befinde, abgelehnt; nie habe sie den ihrem Herrn schuldigen Gehorsam verletzt. Fast ganze sechs Jahre aber sei sie, ohne dazu Ursache gegeben zu haben, aufs äußerste verfolgt worden: man habe ihr die Nahrung völlig abgeschnitten und auch in Religionssachen ihr zuzusetzen sich unterstanden. Daher habe die Stadt zu der hochnotwendigen Verteidigung gegriffen, nicht gegen den Kaiser, sondern gegen die, die gegen kaiserlichen Willen und Befehl solches alles vorgenommen. Die Stadt wünsche, daß die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg sich ihrer als Vermittler annähmen, und bitte daher Tilly, ihren Gesandten, die sie deshalb nach Dresden, Berlin und Lübeck absenden wolle, Pässe zur Hin- und Rückreise zu erteilen, inzwischen aber alle Feindseligkeiten einstellen zu wollen.

Falkenberg und seine Umgebung hofften, durch diese Vorschläge, die nicht so schnell zu erledigen waren, Zeit zu gewinnen und inzwischen Gustav Adolf von der bedrängten Lage Magdeburgs benachrichtigen zu können. Schon früher hatte Falkenberg mit Einwilligung des Rats den Advokaten Hermann Cummius gegen Zusage einer ansehnlichen Belohnung bewogen, die Reise zum König von Schweden zu wagen. Glücklich war Cummius durch das feindliche Kriegsvolk hin- und zurückgekommen und hatte berichtet, daß S. Majestät ihm bei Dero königlichem Worte zugesagt, die Stadt gewiß entsetzen zu wollen und nicht über die rechte Zeit auszubleiben.

Am 2. Mai sandte Tilly ein neues Schreiben, in dem er sich damit einverstanden erklärte, daß die Gesandten abreisten, und außer den Pässen auch je einen Trompeter mitzugeben versprach. Gleichzeitig aber forderte er die Stadt auf, nicht länger mit dem Entschluß der Übergabe zu zögern; denn da die Abordnungen und Beratschlagungen viel Zeit erforderten, die Sache aber keinen längeren Verzug erleiden dürfe, könne es leicht zu spät werden, und die Stadt müßte sich für alle Gefahr und Ungelegenheit, die aus solcher Verzögerung erfolgen könne, die Schuld selbst beimessen.

Zwei Tage vorher hatte Tilly auch Schreiben an die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg gesandt, in der Absicht, den König von Schweden bei ihnen zu verdächtigen und sie abzuhalten, ihm den Paß durch ihre Länder zu gestatten. Er klagt darin über die Magdeburger, die, aller Erinnerungen ungeachtet, bei ihrem Ungehorsam und ihrer Widersetzlichkeit beharrten und sich vorzüglich auf die schwedische Hilfe verließen. Er ersuchte aber die Kurfürsten, ihm die Hand zu bieten, um die Stadt Magdeburg zum Gehorsam zu bringen; denn so dies nicht geschehe und schwedisches Volk ins Erzstift rücke, sei es nötig, daß man auch kaiserlicherseits noch fremde Nationen ins Reich ziehe, und damit würde alles in die höchste Verwirrung geraten.

In der Hoffnung, daß Tilly seine Zusage betreffs der mitzugebenden Trompeter erfüllen werde, wählten Christian Wilhelm und der Magistrat die für die Sendungen bestimmten Männer: den Syndikus Dr. Denhardt und den Licentiaten Freudemann für die Mission nach Dresden, den schwedischen Rat Stalmann und den Bürgermeister Kühlemann für die an den brandenburgischen Hof, und den Stadtsekretär Friese und Kämmerer Calvör für die nach Lübeck an das hanseatische Direktorium. Am 4. Mai beantwortete der Rat das Schreiben des Oberfeldherrn und meldete ihm, die Gesandten wären zur Reise fertig und würden sich auf den Weg machen, sobald er die versprochenen Trompeter sende. Tilly zog aber sein gegebenes Wort zurück, und so mußten die Abschickungen unterbleiben.

Inzwischen hatten die Kaiserlichen ihre Belagerungsanstalten ohne Unterbrechung mit dem größten Eifer fortgesetzt, die Stadt beschossen und eine Menge von Laufgräben gefertigt. Die Belagerten unternahmen oft an einem Tage mehrere Ausfälle auf die Feinde, schlugen sie aus den Laufgräben und warfen ihr Schanzzeug in den Stadtgraben. Bei diesen Angriffen – die tags und nachts erfolgten – verloren die Belagerer jedesmal 20 bis 40 Mann. Um für die Folge derartige Überfälle zur Nachtzeit zu verhüten, ließ Tilly von da an jede Nacht 30 bis 45 Granaten und Feuerkugeln in die Stadt werfen. Die Feuerkugeln aber wurden durch eigens dazu bestellte Leute mit nassen Säcken und Häuten gelöscht und richteten daher fast gar keinen Schaden an; gefährlicher waren die Granaten, die mitunter in die Häuser einschlugen und dort alles zerschmetterten. Es war der Stadt unmöglich, mit ihren wenigen Verteidigern dem zahlreichen Belagerungsheere kräftigen Widerstand leisten zu können, besonders da es ihr so sehr an Pulver fehlte, während die Gegner davon im Überfluß hatten und aus ihrem Wurfgeschütz alle Tage 12-1800 Kugeln gegen die Wälle und in die Festung schleuderten.

Von drei Seiten richteten die Feinde ihren Hauptangriff auf die Stadt. Gern hätten sich die ligistischen Truppen, die auf dem Holzmarsch lagen, der Schanzwerke von der Kurzen Brücke bemächtigt; weil sie sich aber mit ihren Laufgräben auf der Elbinsel nicht gehörig wenden konnten, man ihnen auch vom Hauptwalle in die Linie sehen konnte, so mußten sie das Vordringen durch weitere Laufgräben ganz einstellen. Der Graf von Mansfeld ging von der Sudenburger Seite mit seinen Laufgräben auf den Heydeck zu, von dessen fünf Seiten die eine mit dem Festungsgeschütz nicht bestrichen werden konnte. Hier ließ er durch die Futtermauer des Grabens ein Loch brechen und durch dieses den Graben mit Reisig und Erde füllen, um so einen Weg zu bilden, mittels dessen man bis an das Bollwerk gelangen und es dann auf Leitern erklimmen könne. Falkenberg bemühte sich sehr, dies zu hindern. Er ließ von starken eichenen Bohlen einen Kasten machen, ihn mit Musketieren besetzen und auf dem Wasser bis an den gefährdeten Punkt flößen. Weil man letzteren aber vom Walle aus nicht mit Geschütz bestreichen konnte, so war auch dieses Schutzmittel ohne Erfolg. Von der Nordseite her ward die Stadt durch Pappenheim angegriffen, der dabei die stehengebliebenen Mauern und Keller der abgebrannten Neustadt auf das vorteilhafteste für seinen Zweck zu benutzen wußte. Quer durch die ganze Neustadt hin ließ er die Erde mit Laufgräben durchwühlen und über dem Graben eine zu beiden Seiten mit Schanzkörben besetzte Galerie machen. Da bei diesem neuen Bollwerk der Graben nur geringe Tiefe hatte, so ging Pappenheim mit fünf verschiedenen Laufgräben hindurch bis an den Wall; hier ließ er Palisaden ausheben, auch etliche hundert Leitern ansetzen und so alles zu einem Sturme fertig machen. In ähnlicher Weise bahnte er sich an der Elbseite einen Weg, der sogar bis an das Fischerufer reichte. Das wurde nur dadurch möglich, daß der Elbstrom den alten Stadtgraben so vollgeschwemmt hatte, daß man zu Fuß hinübergelangen konnte. Die zahlreichen Laufgräben wurden dann so stark mit Musketieren besetzt, daß, sobald nur einer von den Belagerten ein wenig hinter der Brustwehr hervorlugte, augenblicklich sechs bis acht Schüsse auf ihn fielen. – Größtenteils wohl hätten die Magdeburger den feindlichen General verhindern können, sich in den Besitz solcher Vorteile zu setzen, wäre ihnen nicht wegen Pulvermangels das Feuern aus dem groben Geschütz gänzlich verboten gewesen.


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