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3. Die Erstürmung und Zerstörung.

Nachdem Tilly in den ersten Maitagen der Stadt mit seinem groben Geschütz nur wenig zugesetzt hatte, fing er, als alle Batterien vollendet waren, am 7. an, Magdeburg aufs heftigste zu beschießen. Er wünschte sie vor dem Eintreffen Gustav Adolfs, der zu ihrem Entsatze unterwegs und am 6. Mai schon bis Potsdam gekommen war, in seine Gewalt zu bringen. In Magdeburg war alles in der größten Bewegung, die ganze Bürgerschaft stand unter Gewehr; denn man glaubte, die Kaiserlichen würden, da sie bereits Sturmleitern angesetzt, einen Angriff auf die Stadt machen. Tilly hoffte, die Belagerten sollten sich schrecken lassen und zu unterhandeln wünschen; allein diese waren weit entfernt von derartigen Gedanken und leisteten eine sehr mutige Gegenwehr. Es war ein solches Hin- und Zurückschießen aus dem großen Geschütz und den Musketen, daß der Erdboden davon erzitterte und die Flintenkugeln dicht wie ein Hagel fielen. Am 8. Mai wurde das Bombardement mit gleicher Heftigkeit fortgesetzt. Am Nachmittag des 9. Mai ließ Tilly das Schießen ganz und gar einstellen, etliche Geschütze von den Batterien bei der Sudenburg abführen und alles zu einem Sturme vorbereiten, den er am nächsten Morgen zu wagen sich entschlossen hatte. In der Erkenntnis, daß er wegen der Nähe Gustav Adolfs die Belagerung binnen kurzem werde aufheben müssen, wollte er wenigstens noch einen Versuch machen, sich durch Gewalt der Stadt zu bemächtigen, da sie zur freiwilligen Übergabe nicht zu bringen war. Er hielt deshalb mit seinen Generalen und Obristen einen Kriegsrat, in dem das für den Angriff Nötige besprochen wurde. Tilly hegte große Zweifel hinsichtlich des Erfolgs; denn noch war kein Graben gefüllt, keine Bresche geschossen, und wenn auch die Grafen Mansfeld und Pappenheim beim Heydeck und vor der Neustadt Vorteile errungen, so war das Ersteigen der erstgenannten, ungemein hohen und festen Bastion sowie das Erobern des Walles im Norden immer noch mit großen Schwierigkeiten verbunden. Als jedoch ein bejahrter kaiserlicher Obrist den Sturm empfahl und dabei an Mastricht Im Jahre 1579 während des Revolutionskrieges gegen Spanien wurde die niederländische Stadt Mastricht unter vielem Blutvergießen erobert. erinnerte, das in der Morgenstunde erobert sei, als die Wachen schliefen, ward für den nächstfolgenden Tag auf die gleiche Zeit der Angriff festgesetzt. Am 10. Mai bei Tagesanbruch rief Tilly noch einmal seine Unterbefehlshaber zur Beratung zusammen, denn neue Bedenklichkeiten waren in der Nacht bei ihm aufgestiegen – so verzögerte es sich mit dem Angriff bis gegen sieben Uhr. Um den Mut der Offiziere und Soldaten zu erhöhen, ward vor dem Beginne des Sturmes guter Rheinwein unter sie verteilt. Auch soll ihnen eine dreitägige Plünderung der Stadt versprochen worden sein Neuere Forschungen haben ergeben, daß Tilly kein derartiges Versprechen gegeben hat., – kein geringer Köder für die raubgierigen Scharen; denn Schätze (so ging das Gerücht) im Werte von sieben Königreichen winkten hier dem Tapfern als Siegeslohn.

Die Magdeburger waren des festen Glaubens, Tilly werde nichts unternehmen, bevor nicht sein Trompeter, der am 8. Mai eine neue Ermahnung gebracht hatte und dessen Abfertigung am 10. erfolgen sollte, mit einer Antwort zurückgekehrt sei. Der Magistrat versammelte sich gleich am 9. mit den Vertretern der Bürgerschaft zur Beratung, ob man sich in Unterhandlungen mit Tilly einlassen solle oder nicht. Die Meinung war sehr verschieden: einige waren für Übergabe, andere wollten von keiner Kapitulation etwas wissen, sondern sich lieber bis auf den letzten Mann wehren. Schließlich wurde beschlossen, daß man zu Tilly schicken solle und verhandeln wolle, und dieser Ratsbeschluß sei sofort an den Herrn von Falkenberg zu überbringen.

Falkenberg ließ noch am selben Abend den regierenden Bürgermeister ersuchen, ohne sein Wissen keinen Schritt bei dem feindlichen Heerführer zu tun, sondern am nächsten Morgen um 4 Uhr den Rat zu versammeln. Am Dienstag, den 10. Mai 1631, begaben sich Magistrat und Bürgervertreter (Viertelsherren) um die bemeldete Stunde nach dem Rathause und vereinigten sich über den zu fassenden Entschluß. Dann schickten sie den Bürgermeister Kühlewein, den Syndikus Dr. Denhardt und die Ratsherren Gerhold und Otto von Guericke zu Falkenberg, Stalmann und den Räten des Administrators, die sich in einem abgesonderten Zimmer befanden, um die Vergleichsvorschläge zu entwerfen, mit denen dann etliche Abgeordnete in Begleitung des Tillyschen Trompeters in das Hauptquartier gehen sollten. Sofort beim Beginn der Verhandlungen nahm Falkenberg das Wort. Er erinnerte an alle von seinem Könige so vielfach gegebenen und hoch beteuerten Versprechungen hinsichtlich des Entsatzes, auf deren Erfüllung man mit Sicherheit vertrauen könne. Die Gefahr sei trotz Pulvermangels noch keineswegs so groß, wie einige meinten; jeden Augenblick könne die ersehnte Hilfe erscheinen, und jede Stunde, die man sich länger hielte, sei mit keiner Tonne Goldes zu bezahlen. Er hatte in dieser Weise wohl eine Stunde gesprochen, als ihm die Meldung überbracht wurde: die Wächter auf dem Dom- und Jakobiturme hätten angezeigt, daß die Kaiserlichen aus allen Lagern sich stark nach der Sudenburg und Neustadt zögen und hinter den Laufgräben und stehengebliebenen Mauern aufstellten. Gleich darauf erschien ein Bürger vom Walle und berichtete: im Felde lebe es hinter allen Hügeln und Gründen von Reitern, auch habe man sehr viel Volk in die Neustadt rücken sehen. Falkenberg – statt sofort vom Rathause zu eilen und die erforderlichen Maßregeln zu treffen, um den beabsichtigten Sturm der Feinde abzuwehren, wie das seine Pflicht gewesen wäre – gab den Überbringern dieser Nachrichten die etwas prahlerische Antwort: »er wolle, daß die Kaiserlichen sich's unterstehen und stürmen möchten, sie sollten gewiß so empfangen werden, daß es ihnen übel gefiele«, und fuhr dann in seiner Rede fort, bis – der Türmer zu St. Johannes Sturm blies und die weiße Kriegsfahne aussteckte.

Falkenberg hatte am Abend vorher wegen der Bewegungen der feindlichen Truppen verschärfte Wacht befohlen. Bürger und Soldaten mußten die ganze Nacht hindurch auf den Wällen unter Gewehr stehen. Erst am Morgen ging, wie gewöhnlich, die Hälfte der Mannschaften nach Hause, und auch die Offiziere, die vom Wachdienste frei waren, begaben sich hinweg, um zu ruhen; denn am Tage, so glaubte man, werde der Feind nichts Sonderliches gegen die Stadt unternehmen. Während nun aber die vom Walle Heimgekehrten sich sorglos dem Schlummer überlassen wollten, keines Unheils sich versehend, und Falkenberg der Konferenz auf dem Rathause beiwohnte, – eröffnete Pappenheim mit seiner ganzen Macht um 7 Uhr den Generalsturm. Sechs Schüsse von der Hauptbatterie in der Neustadt gaben das Signal dazu. Als Erkennungszeichen trugen seine Leute eine weiße Binde um den Arm, ihr Feldschrei war: »Jesus Maria!« Mit Ungestüm griff er das Werk vor der Neustadt an. Auf den vorher angelegten Sturmleitern drangen seine Krieger über die Brustwehr auf den Unterwall und überfielen die Falkenbergschen Soldaten, die nicht in entferntesten auf einen Angriff gefaßt waren. Denn unverzeihlicherweise hatte ihr Chef die Offiziere und Knechte auf den Wällen von der ihm gemachten Anzeige, daß der Feind sich aus allen Lagern in die Vorstädte und Laufgräben ziehe, nicht in Kenntnis gesetzt. Auch hatten nur die Schildwachen brennende Lunten, und auf den Unterwällen war keine Pike, kein Morgenstern oder eine andere Waffe, wozu die Überfallenen in der Eile hätten greifen können, da man ihnen keine Zeit ließ, sich schußfertig zu machen. Sie flüchteten auf den Oberwall, wohin die Pappenheimschen ihnen folgten und wo sie sich ohne viel Widerstand, weil gerade ein Feldprediger dort mit der Besatzung Betstunde hielt, des Werkes bemächtigten. Auch an andern Stellen hatten die Stürmenden ein ziemlich leichtes Spiel; die wenigen dort liegenden Soldaten waren schläfrig, die Schildwache ward der heranklimmenden Kaiserlichen nicht eher gewahr, als bis sie den Todesstreich von ihnen empfing. Die übrige Mannschaft ward ohne Mühe bewältigt. Andere Truppen drangen nach dem Fischerufer vor, zwei Kompagnien Kroaten ritten durch die damals sehr niedrig stehende Elbe und gelangten durch das Tor, dessen Bewachung die Fischer übernommen hatten, aber gerade im entscheidenden Augenblicke schlecht hüteten.

Als der Wächter auf dem Johannisturme in das Lärmhorn stieß, eilte der Ratmann und Bauherr der Stadt, Otto von Guericke, sofort aus dem Sitzungszimmer hinweg, um nachzusehen, was es gebe. In der Fischerstraße fand er die eingedrungenen Kroaten bereits mit dem Stürmen und Plündern der Häuser beschäftigt. Sogleich stürzte er nach dem Rathause zurück und überbrachte der noch ruhig dasitzenden Versammlung die ihr ganz unglaublich erscheinende Kunde, daß die Kaiserlichen in der Stadt seien. Indem er noch sprach, berichteten auch Falkenbergs Pagen ihrem Herrn, daß der Feind sich des Walles bei der Neustadt bemächtigt habe. Ohne Säumen schwang sich der Kommandant nun in den Sattel und sprengte hinaus nach dem Holzmarsch, das Regiment des Obristleutnants Trost hereinzuholen. Der Magistrat aber eilte voller Bestürzung und Schrecken vom Rathause auf den Markt, um noch Rettungsanstalten zu treffen, so gut es gehen wolle. Trommelschläger wurden abgesandt, dem stürmenden Feind einen Vergleich anzubieten; keiner von ihnen kehrte mit einer Antwort zurück. Falkenberg warf sich mit seiner kleinen Schar mutvoll den Stürmenden entgegen, jagte sie vom neuen Werke und tötete mehr als 100 Mann. Nun will er sie, an der Spitze seiner Tapferen, auch bei der Hohenpforte zurückdrängen; eine Kugel streckt ihn tödlich verwundet nieder. Sterbend wird er in ein Bürgerhaus bei der Jacobskirche gebracht, das bald darauf ein Raub der Flammen wurde, die auch den Körper des Gefallenen verzehrten. Gleich nach ihm fällt auch der Obristleutnant Trost, und entmutigt durch den Verlust ihrer beiden Führer, weichen nun die Soldaten in die Stadt zurück, nachdem sie sich ganz verschossen haben. Der Feind dringt ihnen durch das Tor nach bis in die Große Lakenmacherstraße, wo sich der Obrist Uslar mit den Reitern und den Reservetruppen ihm mutig entgegenstellt, aber auch zurückgeschlagen wird.

Pappenheim, der auf Sturmleitern immerfort frisches Kriegsvolk nachrücken ließ, besetzte nun den ganzen Wall bis an das Kröckentor und kam dem Herzoge von Holstein zu Hilfe, der das dortige Werk ohne Erfolg stürmte. Er fiel den tapferen Soldaten des Administrators in den Rücken, hieb sie sämtlich nieder und eroberte auch dies Tor.

Der Kapitän Schmidt schlägt den Feind aus der Lakenmacherstraße bis an den Wall zurück. Auch die Bürger stürzen sich jetzt hinein in den Kampf; sie fechten mit dem Mut der Verzweiflung und ermatten die Kaiserlichen so, daß diese kaum noch atmen können. Aber der wackere Schmidt sinkt hart verwundet nieder. Pappenheims Reiter drängen auf einem mit Hacken und Piken für sie gebahnten Wege über den Wall in die Stadt, brechen unter Pauken- und Trompetenschall durch die Lakenmacherstraße hervor und stürzen sich auf die Bürger, Tilly selbst stürmt durch das geöffnete Kröckentor mit neuem Volke herein, und das Geschütz auf den Wällen wird gegen die in den Straßen Kämpfenden gerichtet. – Da endlich müssen die Magdeburger der Übermacht weichen und sich zurückziehen.

Inzwischen hatte der Sturm auch auf allen übrigen Angriffspunkten begonnen, überall aber setzte man den Kaiserlichen den tapfersten Widerstand entgegen. Zweimal war der Graf von Mansfeld am Heydeck zurückgeschlagen. Als sich der Feind aber der Stadt bemächtigt hatte, fielen die Eingedrungenen vom Walle aus den dort Kämpfenden in den Rücken, sie mußten sich ergeben und wurden größtenteils zusammengehauen.

Von den Werken bei der Kurzen Brücke zog der Administrator während des Sturmes die Besatzung an sich und ließ ein Joch der Brücke abwerfen. Obgleich bei dem eiligen Rückzuge die Balken des abgeworfenen Joches meistenteils liegen blieben, wagten es die Kaiserlichen doch nicht, hinüber in die Stadt zu kommen, bis diese von der andern Seite völlig erobert war; denn vorher waren die dortseitigen Stadttore mit starken Bürgerwachen besetzt. Viele feindliche Reiter wollten, um ja nicht etwa bei der Plünderung zu spät zu erscheinen, mit ihren Pferden durch die Elbe schwimmen, fanden aber zum großen Teile in den Fluten ihr Grab.

So zog der Verlust des Werkes vor der Neustadt den Fall der übrigen und den Ruin der ganzen Stadt nach sich. Wäre jenes gehörig bewacht gewesen und nachdrücklich verteidigt worden, dann hätte der Sturm darauf – trotz aller für Pappenheim glücklichen Umstände – schwerlich einen solchen Erfolg gehabt. Und die Stadt von den drei übrigen Seiten her durch Sturm zu gewinnen, war fast unmöglich, da an den dortigen Werken noch nirgends eine Bresche vorhanden war. Der Heydeck war sogar von den vielen auf ihn geschossenen und darin steckengebliebenen Kugeln nur noch fester geworden.

Zersprengt und in die Straßen der Stadt zurückgetrieben, sammeln sich die Magdeburger hier und da wieder und bieten dem Feinde aufs neue die Stirn. Eine Generalsalve stäubt sie endlich auseinander, und mit lautem Jammergeschrei flüchten sie auf die Kirchhöfe, in die Kirchen und in ihre Häuser. Bei der zunehmenden Gefahr hatte auch der Magistrat sich vom Markte entfernt, um jetzt für seine eigene Rettung zu sorgen. Statt vom Donner der Geschütze und vom Prasseln des Gewehrfeuers hallt die Luft jetzt wider von dem rohen Freudenjubel der Sieger und dem herzzerreißenden Wehklagen der Besiegten. Die ersteren verteilen sich nun durch die Straßen, metzeln schonungslos alles nieder, was ihnen aufstößt, und dringen in die Häuser, um zu plündern.

Der kleine Überrest der Besatzung und der kämpfenden Bürger wurde aus den Toren gedrängt und dort niedergehauen oder entwaffnet. Der Administrator Christian Wilhelm wollte auf die Nachricht, daß der Feind in die Stadt gedrungen sei, sich demselben entgegenstellen, ward aber alsbald gefangen genommen und von den erbitterten kaiserlichen Soldaten auf das schmählichste behandelt. Sie feuerten heftig auf ihn, erschossen seine Diener, verwundeten ihn mit einer Kugel am Schenkel, hieben mit einer Lanze an seinen Kopf, schlugen und stießen mit aller Gewalt auf ihn los und schalten ihn mit vielen ehrenrührigen Worten, so daß er endlich besinnungslos vom Pferde sank. Nun nahm man ihm Hut, Degen, Kragen, Handüberschläge und alles, was er in den Taschen hatte, und würde ihn nackt ausgezogen haben, wenn nicht ein Leutnant sich seiner angenommen hätte. Er ward in das Gezelt Pappenheims geschafft, wo er von diesem sowie von andern Generalen nicht eben die freundlichsten Reden zu hören bekam. Am folgenden Tage wurde er nach Wolmirstedt gebracht, woselbst er in seinem eigenen Schlosse von dem dort befehligenden kaiserlichen Offizier kaum ein dürftiges Strohlager erhielt.

Als sich nun auch das Ulrichstor öffnete und die Reiter, besonders die Kroaten, in die Stadt eindrangen, da erreichte das Unglück der armen Magdeburger seinen Gipfel. Gleich einem Heere wilder Tiger stürzten die den verschiedensten Nationen angehörenden Scharen – Ungarn, Kroaten, Heiducken, Polen, Italiener, Spanier, Franzosen, Wallonen, Ober- und Niederdeutsche – über die bejammernswürdigen Einwohner her. Die Eindringenden waren teils von Rachgier gespornt (weil nämlich die Belagerten mit Drahtkugeln geschossen, auch von den Wällen herab sie durch Schmähreden beleidigt hatten), teils von Religionshaß entflammt, von Wein und berauschenden Getränken erhitzt und durch den anfänglichen Widerstand der Bürger noch mehr in Wut gesetzt. Keine Menschenseele fand vor den Unholden Schonung. Da war nichts als morden, brennen, plündern, peinigen, prügeln. Die Hauptsache war: Beute! Beute! Wenn eine Abteilung Beutehungriger in ein Haus kam, mußte der Hausherr hergeben, was nur da war, und wenn dann andere ankamen, denen nichts mehr gegeben werden konnte, dann ging eine Not an, die nicht beschrieben werden kann. Aber nicht nur Männer wurden mißhandelt und getötet, nein, auch Frauen erfuhren das gleiche Schicksal, und nicht einmal wehrlose Greise und Kinder fanden vor den Entmenschten Schonung. Ein Soldat vom Regiment Pappenheim rühmte sich im Beisein mehrerer Magdeburger gegen einen Kameraden, daß er mehr als 20 kleine Kinder umgebracht habe, und antwortete auf die Frage, was ihm die unschuldigen Kleinen getan hätten, es wären ja nur Rebellen-Kinder, und wenn er noch hundert töten könne, solle es ihm um so lieber sein.

Der unendliche Jammer, den die Scharen Tillys in dem kurzen Zeitraum von zwei Stunden über die unglückliche Stadt gebracht hatten, erreichte die höchste Stufe, als gegen elf Uhr die Flammen überall emporzulodern anfingen. Wer den Brand verschuldet? Die widersprechendsten Meinungen wurden darüber laut, und die Wahrheit hat sich nicht ermitteln lassen. Neuerdings hat Robert Volkholz (Die Zerstörung Magdeburgs im Lichte der neuesten Forschung. Magdeburg 1892) auf Grund genauen Aktenmaterials mit hoher Wahrscheinlichkeit Pappenheim als den Anstifter des Brandes erwiesen, der, wenn auch keine planmäßige Verbrennung der Stadt beabsichtigt, doch mit seinen Pechkränzen den Verzweiflungskampf der Bürger zu dämpfen keinen Augenblick geschwankt habe. – Angefacht durch einen am Nachmittage sich erhebenden heftigen Ostwind, wälzte die Flamme sich von Haus zu Haus, von Straße zu Straße so unaufhaltsam und mit so reißender Schnelligkeit fort, daß die kaiserlichen Soldaten, um nicht in den Gluten umzukommen, vom Plündern und Morden ablassen und sich auf die Wälle oder hinaus in ihr Lager flüchten mußten. Der Sturmwind führte die Lohe und Asche von der brennenden Stadt bis nach vier Stunden entfernten Orten hin. Nachts gegen elf Uhr war es im Lager bei Fermersleben von der entsetzlichen Feuersglut so hell, daß man einen Brief lesen konnte. Sie hatte da ihren Höhepunkt erreicht und fing nun an zu erlöschen. Der kurze Zeitraum von zwölf Stunden hatte genügt, um das blühende Magdeburg, die Perle des Sachsenlandes, mit seinem Rathause, seinen Kirchen, Klöstern, Wohnhäusern, ja selbst mit allen Toren und deren Brücken und Türmen in Asche zu legen. Nur 139 kleine Häuser am Fischerufer, das Kloster Unserer Lieben Frauen und der Dom und ganz wenige Gebäude mehr blieben vom Feuer verschont. Zur Rettung des Klosters und Domes hatte Tilly auf Bitten der Mönche 500 Soldaten angestellt.

Bei dem Überhandnehmen der Flammen sahen sich diejenigen Einwohner, die bis dahin in ihren Verstecken der Mordwut des Feindes entgangen, nun doch genötigt, sich in seine Hände zu liefern, wenn sie nicht ersticken und verbrennen oder sich unter den Trümmern der zusammenstürzenden Gebäude begraben lassen wollten. Durch das Versprechen eines Lösegeldes suchten sie ihr Leben zu retten. Die Tillyschen Soldaten, besonders die deutschen, sagten vielen unter dieser Bedingung Quartier zu, führten sie wirklich hinaus ins Lager, während die Pappenheimer, zumal die Wallonen und Kroaten, häufig das Lösegeld hinnahmen und dann die Unglücklichen doch niedermetzelten. Je nach dem Stande der betreffenden Person wurde das Lösegeld höher oder niedriger bestimmt; die Vornehmsten mußten 1000 und mehr Taler für ihre Freilassung zahlen. Geringere Handwerker, Tagelöhner, Knechte und Jungen, auch Soldaten, die in schwedischem oder städtischem Dienste gestanden und nichts zu geben hatten, mußten entweder dem Feinde die gewonnene Beute eine Zeitlang nachtragen oder sich zu allerlei niedrigen Verrichtungen gebrauchen lassen. Oft auch wurden sie einfach in die Regimenter gesteckt. Viele unglückliche Gefangene wurden in näheren und entfernteren Städten um ein Spottgeld verkauft oder verschenkt. Zu Halberstadt wurden am 25. Mai elternlose Kinder aus Magdeburg, größere und kleinere, fuderweise feilgeboten und von mitleidigen Bürgern gekauft und adoptiert. Viele Knaben wurden von den Kaiserlichen mitgenommen, in Klöster getan und für den Mönchsstand erzogen.

Ein Bürgermeister und drei Ratsherren kamen durch das Schwert der Feinde ums Leben. Die drei andern Bürgermeister nebst dem Ratsherrn Otto von Guericke und vielen andern Personen flüchteten sich mit den Ihrigen in das Haus eines früheren Ratsherrn und wurden errettet. Der Ratmann Gerhold und andere Leute mehr, die auf schwedischer Seite gewesen, lösten sich sofort bei den kaiserlichen Soldaten aus und flüchteten zu Gustav Adolf, dem sie die Trauerkunde von der Eroberung und Zerstörung Magdeburgs hinterbrachten. Der schwedische Gesandte Stalmann fiel den Kaiserlichen in die Hände und ward schwer gefesselt in das Lager bei Fermersleben gebracht. Bei einem Feuer, das dort am 14. Mai ausbrach, glückte es ihm, zu entkommen, sich mit Hilfe eines ihm wohlbekannten Juden der Fesseln an Händen und Füßen zu entledigen und zu seinem Könige zu retten.

Nachdem am 11. Mai die Flammen ausgewütet hatten, strömten die kaiserlichen und ligistischen Truppen aufs neue in die Stadt, um nach Beute zu suchen. Gar mancher wurde dabei von Flammen und Rauch erstickt. Aus Furcht vor einer Beschädigung ihrer Häuser durch die feindlichen Kugeln hatten die Bürger ihre besten Habseligkeiten in die Keller gebracht, und dort fanden nun die Soldaten viel Geld, Geschmeide, Geschirr aus Kupfer, Messing, Zinn, desgleichen große Vorräte an Wein, Bier (mehr als 1000 Faß), Fleisch und andere Lebensmittel. Von den vorgefundenen Speisen und Getränken hielten sie nun unter Jubel und Jauchzen ihre rohen Mahle, die durch drei Tage von ihnen fortgesetzt wurden und die man die magdeburgische Hochzeit nannte.

Am 12. Mai ließ Tilly die bis dahin sorglich gehütete Domkirche eröffnen, in die sich 1000 Menschen Nach Otto von Guerickes Angaben 4000. jeden Alters und Standes, größtenteils weiblichen Geschlechts, geflüchtet hatten. Drei Tage lang hatten die Ärmsten ohne Nahrung, in fürchterlichster Ungewißheit über ihr Schicksal, dort geschmachtet. Der erste Domprediger, Dr. Bake, trat dem greisen Feldherrn entgegen, warf sich vor ihm auf die Knie und redete ihn mit bittenden Worten an. Tilly gewährte allen Pardon und ließ Brot unter die fast Verschmachteten austeilen.

Nachdem die Kirche gereinigt war, begab sich Tilly wieder hinein, um die dahin geflüchteten magdeburgischen Soldaten zu mustern, und um zu sehen, ob vielleicht Ausreißer von seinem Heere darunter seien. Er verhieß ihnen Quartier und Löhnung, wenn sie ihm dienen wollten, gab ihnen aber vorher einen Verweis, daß sie sich so schlecht gewehrt hatten.

Am 14. Mai nahm Tilly in Magdeburg Wohnung und erließ nun den Befehl, das Plündern einzustellen. Alle Soldaten mußten die Stadt verlassen, und bei Trommelschlag ward den noch lebenden versteckten Einwohnern Leben und Sicherheit des Eigentums zugesagt, letzteres, soweit es noch vorhanden. Da kamen viele hervor, die sich in die Gärten, Klöster und Keller gerettet hatten. In der Nacht dieses Tages brach im Lager von Fermersleben (das bereits erwähnte) Feuer aus, das sehr heftig war und den räuberischen Soldaten ihre Beute größtenteils wieder entriß, aber auch vielen armen Gefangenen eine erwünschte Gelegenheit zur Flucht bot. Am 15. Mai hörte Tilly mit all seinen hohen Offizieren in der Domkirche die Messe, nach der das Tedeum gesungen ward; dabei mußten die Geschütze aller Batterien und der in Ruinen liegenden Stadt eine dreimalige Salve geben.

Die Zahl der durch Schwert und Flammen Umgekommenen läßt sich mit Gewißheit nicht feststellen. Die Zahlen in Otto von Guerickes Handschrift und mehreren Flugschriften aus jener Zeit schwanken zwischen 20-24 000; bezüglich der am Leben Gebliebenen wird angegeben, daß von 40 000 Einwohnern nur 4000 um Pardon gebeten und ihn erhalten hätten. Allein höchst wahrscheinlich war die Gesamtzahl der Geretteten bedeutend höher.

So fiel das alte, blühende Magdeburg. Groß und herrlich hatte es dagestanden unter den Städten des deutschen Reiches, und weit über die Grenzen des Reiches hinaus war der Ruhm seines Namens erklungen. Die Nachricht von seinem fürchterlichen Untergange durchflog mit Blitzesschnelle die vaterländischen Gaue, von dem größten Teile der Papisten ward sie mit Jubel und Frohlocken begrüßt, von den Protestanten mit Trauer und Entsetzen vernommen. Pappenheim, welcher versicherte, die Ehre, Magdeburg erobert und den Administrator gefangen genommen zu haben, gebe er um keine Million Gulden hin, schrieb dem Kaiser, daß seit der Zerstörung Trojas und Jerusalems kein solcher Sieg gesehen worden sei.

Am empfindlichsten traf die Kunde von dem Schicksal Magdeburgs wohl das Herz Gustav Adolfs. Tränen füllten sein Auge; er hatte den Magdeburgern mit seinem königlichen Worte Hilfe und Rettung zugesagt, sie hatten so zuversichtlich auf sein Erscheinen gehofft und geharrt und mußten nun so schmählich zugrunde gehen. Um dem Vorwurfe zu entgehen, daß er durch geflissentliches Zögern die verbündete Stadt in die Hände des grausamen Vernichters habe fallen lassen, rechtfertigte er sein Benehmen in einer öffentlichen Schrift. Nachdem er im Eingange derselben die von den Magdeburgern gemachten Fehler aufgedeckt, zeigte er, daß es ihm vor der Eroberung Frankfurts unmöglich gewesen sei, etwas für die Stadt zu tun, wenn er nicht alles aufs Spiel setzen wollte, wie er dann in Eilmärschen zum Entsatz Magdeburgs herbeigerückt, aber durch die Hindernisse, die ihm die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen in den Weg gelegt, an der Ausführung des Planes gehindert worden sei. – Seinen Schwur, die Stadt an ihren Zerstörern blutig zu rächen, hat er getreulich erfüllt; seine wohlgemeinte Absicht aber, sie aus ihrer Asche zu neuer und schönerer Blüte zu erheben, vereitelte der Tod, der ihn mitten in seiner Siegeslaufbahn am 6. November 1632 bei Lützen dahinraffte.

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