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Otto Ernst

Otto Ernst Schmidt

Geboren am 7. Oktober 1862 in Ottensen, damals Holstein, als Sohn eines Zigarrenarbeiters. Von 1877-1880 besuchte er die Präparandenanstalt, von 1880-1883 das Lehrerseminar in Hamburg. Er arbeitete danach als Volksschullehrer bis zum Jahr 1900 in Hamburg.

Ab 1901 war Ernst freier Schrifsteller und lebte im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Er starb am 5. März 1926 in Groß Flottbek bei Hamburg.

Der Stammtisch und die Stämme.

Und als dann bald nach der Austreibung der Dickens-Leserin aus dem Straßenbahnwagen die »Königin Luise« ihr kühnes Werk vollführte und mit ihrem Untergange besiegelte, und als die »Goeben« und die »Breslau« die algerische Küste bombardierten und bei Messina die englische Blockade durchbrachen, da rief August jedesmal, daß es durch den ganzen »Franziskaner« hallte:

»Unsere blauen Jungens! Junge, Junge, Junge, unsere blauen Jungens!« Das hatte er übrigens auch schon vor dem Kriege immer gerufen: »Unsere blauen Jungens!«

August liebte über alles das Meer; jedes Jahr verbrachte er einige Wochen auf der Insel Sylt, wo die Seeluft einen so herrlichen Appetit erzeugt. Er wählte aber immer den Landweg nach Sylt, so daß er nur die anderthalbstündige Fahrt auf dem Wattenmeer zu Schiff zurückzulegen hatte. Seefahrt ist not, das hatte schon Pompejus gesagt; aber er hatte nicht gesagt, daß gerade August Gutbier fahren müsse; es blieben ja genug andere übrig. Von dem Worte des Pompejus:

»Seefahren ist nötig; leben ist nicht nötig«

fand er die zweite Hälfte ungemütlich. Aber »Unsere blauen Jungens!« rief er mit seegrün begeisterten Blicken, sobald sich nur eine Gelegenheit bot » unsere blauen Jungens!«, als wenn er von der deutschen Marine 90 Prozent Aktien hätte. Und in der Tat ergriff er, als sich die Gelegenheit bot, ein Eigentumsrecht an der deutschen Seemacht zu erwerben, mit Enthusiasmus diese Gelegenheit. Gerade hatte er wieder einmal gerufen:

»Unsere blauen Jungens, meine Herren, die machen den ganzen Kitt allein!« als eine junge Dame mit einer großen Büchse an den Stammtisch trat und um Gaben für die deutsche Marine ersuchte. Alle griffen in die Tasche; die einen schneller, die andern langsamer, August aber am schnellsten; er griff in die Hosentasche und warf etwas in die Büchse ...

Ich seh's ja nun deinem Gesicht an, du boshafter Leser, du ganz hinterhältiger, daß du fest überzeugt bist, August habe einen Hosenknopf hineingeworfen. Leugne nicht: das hast du geglaubt! Aber ich müßte ein ganz miserabler Schriftsteller sein, wenn ich dir das zugäbe. Ein guter Schriftsteller oder Dichter überzeichnet und überlädt seine Charaktere nicht, und so stelle ich hier ausdrücklich fest: was August hineinwarf, war mehr als ein Hosenknopf. Ich weiß zwar nicht, wieviel es war; denn August hielt vier Finger vor die Münze, als er sie in den Schlitz steckte; aber eine Münze war es; denn aus dem Innern der Büchse antwortete seinem opferfreudigen Sinne dankbar »des Ruhms lockender Nickelton«.

Wenn andererseits ein überängstlicher Leser befürchten sollte, daß August sich an seiner Gabe für die Marine finanziell überhoben haben könnte, so kann ich ihn auch darüber beruhigen. Gleich am Tage nach der englischen Kriegserklärung hatte der Kellner Franz ihm ein Beefsteak empfohlen.

»Was, hier, Beefsteak!« hatte August gedonnert. »Was ist das? Was heißt Beefsteak? Das versteh' ich nich! Ich bin kein Engländer. ›Rindsstück‹ heißt das gefälligst! Hier an diesem Tisch wird von heut an kein Fremdwort mehr gesprochen, das merken Sie sich! Jedesmal sowie Sie 'n Fremdwort gebrauchen, kriegen Sie kein Trinkgeld! Basta!«

Wenn August dergleichen versprach, hielt er Wort. Dem armen Franz, der bei Ragoût fin und Mayonnaise kahl und krumm geworden, wollte das »feine Gemengsel« und die »Eieröltunke« lange nicht über die Zunge, und August brachte sein Marineopfer schon allein beim »marinierten« Hering wieder ein. Und nun, mein deutsches Publikum, nenne mir doch bitte einen deutschen Dichter, der sich eines solchen Helden rühmen kann! Wir wissen, daß Kneipwirte ihr »Etablissement Piccadilly« (oder so) mit »Kaffee Moltke« (oder so) übersetzten und sich solchermaßen vor Schaden hüteten; aber zeigt mir den Mann, dem die Reinheit der Sprache einen Reingewinn brachte und aus der Muttersprache eine Sparbüchse machte! Im 17. Jahrhundert wäre er Ehrenmitglied der »Fruchtbringenden Gesellschaft« geworden, mein August!

Man kann sich denken, in welchem Umfange Herr Alois Gselchwampner am Stammtische erschien, als es hieß, die Bayern hätten unter ihrem Kronprinzen Rupprecht bei Metz oder Dieuze einen großen Sieg erfochten. In beträchtlich erweitertem Umfange erschien Herr Gselchwampner, und er strahlte nicht nur im optischen Sinne, er war geradezu radioaktiv. Der bayrische Löwe schlug in seiner Seele mit dem Schweif einen furchtbaren Reif. Das Tier durfte nicht geneckt werden.

»No jo, des hob' i eh g'wißt: bal mir Boarischen eingreifa tean, nacha is 's gar. Bal der boarische Hiasl Frasä ( Française) tanzt, nacha geht eahna d' Luft aus, dö Herrn Franzos'n, dö Stritzi, dö hundsmiserabligen. In vierzehn Tag san ma in Paris, des mach'n mir Boarn gonz allanig.«

»Ja, det is ja nu Mal jar keene Frage,« pflichtete Strippecke bei, »'n tapferer Volksstamm sind de Bayern, da is jar nischt zu sagen. Wenn's mit der Intellijenz ebenso bestellt wäre – –«

»Was wollen denn Sö mit Eahnerer ›Intelligenz‹?« rief Aloisius. »Habt's ös 'leicht 'pacht, dö Intelligenz, ös Preißen?! Ah ja freili, intelligent san 's schon, dö Preißen, b'sondersch, wenn's von an Hauptmann von Köpenick ang'führt wer'n!«

Das traf Herrn Strippecke häßlich in die Magrngrube. »Ach, nu kommen Se mit der ollen Jeschichte! So wat kann überall vorkommen,« rief er mit einiger Verlegenheit. Indessen verschaffte ihm der deutsche Kronprinz schnell eine glänzende Genugtuung, indem er zwei Tage darauf bei Longwy siegte.

»Na??« rief Strippecke, »na??! Scheinen doch nich so janz dammelig zu sein, die ›Saupreißen‹. Wat meenen Se, Männeken, wenn unser Kronprinz nu noch 'n bißgen eher in Paris is als nämlich der Ihrige? Im alljemeinen pflegen se nämlich ziemlich frieh ufzustehen, de Preißen.«

»Ja, bloß mit 'm Wahlrecht, da schlafe se als noch ihmmer!« rief Herr Bopserle ingrimmig.

»Ach, det is ja nu 'ne janz andere Sache, nich wahr?« rief Strippecke. »Un ob det nu jrade 'n Segen is, wenn 'n Schustergeselle detselbe Stimmrecht hat wie 'n Kommerzienrat, darüber kann man ja nu noch sehr jeteilter Meinung sein, nich wahr? Aber davon is hier ja jar nich die Rede; hier handelt es sich doch um militärische Fragen. Un wenn es sich ums ›feste Druffjehen‹ handelt, denn sind die andern immer erst mitjejangen, wenn wir Preußen ihnen Mut jemacht haben, denn war Preußen allemal vorneweg!«

»Chja, mit der Schnauze,« meinte Bemmefett ruhig. »Iberhaupt, wenn die Preißen alles alleene machen, da hätten wir andern chja eechentlich zu Hause bleiben gennen?«

»Herr Direktor Strippecke,« fragte hier der Professor mit tiefer Höflichkeit, »Sie werden mir eine Auskunft geben können: War Theodor Fontane eigentlich Kommerzienrat?«

Strippeckes Augen strahlten Unverständnis.

»Fontane?« fragte er. »Wer is det? Kenn' ick nich.«

»Soso,« machte Schellenbarth, »Sie kennen ihn gar nicht. Nun, dann erledigt sich meine Frage. Entschuldigen Sie die Unterbrechung, meine Herren!« und lehnte sich wieder zurück.

Der Rangstreit der deutschen Stämme erhielt neue Nahrung, als unmittelbar darauf der Herzog Albrecht von Württemberg bei Neufchateau die Franzosen aufs Haupt schlug.

»I bin a Schwab',« sagte Herr Bopserle, »sell ischt mir g'nue. Mir Schwabe brauche ons net zu brüschte; mer kennt ons scho, ond de Hieb', wo mir austeile, kennt mer auu'.

Sie sind bekahnt ihm ganzen Reiche;
Mer nennt sie halt nur Schwabestreiche.

Mir schwätze nit em Teufel e Ohr weg wie g'wisse andere Leut', mir schlage als zue, ond's wägscht koi Gras meh.«

»Na, und wir Hamborger?« rief August, der es hohe Zeit fand, die überragende Bedeutung der hamburgischen Nation ins rechte Licht zu setzen. »Meinen Sie vielleicht daß der Hamborger sich lumpen läßt? 'n Hamborger Jung, meine Herr'n, der kneift nich, un wenn ihm tausend Engländer und Franzosen übern Hals kommen. Wissen Sie, was er einfach sagt? Ich will Ihnen sagen, was er sagt: ›Hummel!‹ sagt er.«

Das ist nun in der Tat eine hervorragende Leistung; aber an der Front haben die Hamburger doch noch erheblich mehr geleistet.

»Nun, Sie werden ja hoffentlich unsern Feinden bald persönlich zeigen, was ein Hamburger vermag,« sprach der Professor mit Wärme.

»Ja! Ja!« rief August erbleichend, »ich hoffe es ja, ich hoffe es ja!« und fügte dann schnell hinzu: »Franz, bringen Sie 'mal die Speisekarte.«

Ein Bremer, ein Lübecker, ein Schwarzburg-Rudolstädter, ein Schwarzburg-Sondershausener, ein Waldecker, ein Anhalt- Dessauer, ein Anhalt-Zerbster, ein Anhalt-Köthener usw. usw. waren leider nicht am Tische, sonst hätte ich gar zu gern erzählt, wie jeder seine Stammestugenden auf den Stammtisch des Hauses niederlegte. Nur einmal war – als Gast – ein Mann aus dem sächsischen Kreise Schleusingen da, der die Vorzüge der Schleusinger gegenüber den Ungehörigen des Kreises Ziegenrück markant hervorhob. Während das deutsche Volk an den Fronten zu einer einzigen Seele zusammengeschmolzen war, sorgte der »Verein Nächstenliebe« für die unverbrüchliche Wahrung der berechtigten Provinzeigentümlichkeiten und moralischen Reservatrechte.

 

Aus: »Satiren – Fabeln – Epigramme – Aphorismen«. Erschienen 1916

 

 


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