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Die Fee

Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter. Die ältere glich an Gesicht und Charakter so sehr ihrer Mutter, daß man sogleich denselben Ton erkannte. Beide, Mutter und Tochter, waren gleich unausstehlich und gleich hochmütig und eingebildet. Die jüngere hingegen glich ganz ihrem seligen Vater, der zu gut und zu brav gewesen, um es lange an der Seite seiner Gattin auszuhalten, und der sich darum beizeiten vor ihr in die Erde geflüchtet. Da böse Leute nur ihresgleichen lieben, so liebte die Mutter auch nur ihre ältere Tochter, während sie die jüngere nicht riechen konnte. Diese mußte in der Küche essen und für beide arbeiten, als wäre sie ihre Magd. Unter anderem mußte das arme Mädchen täglich zweimal eine halbe Stunde weit laufen, um frisches Wasser zu holen, und immer mußte der große Krug voll sein bis zum Rande.

Eines Tages, da sie wieder am Brunnen war, kam eine alte Frau daher, die sie um einen Trunk Wasser bat. »Gern, gern, mein gutes Mütterchen«, rief das Mädchen, spülte den Krug aus, schöpfte an der klarsten Stelle des Brunnens und hielt den Krug, während die Alte ihren Durst stillte. Nachdem sie getrunken, sagte die Alte, welche, im Vertrauen gesagt, eine Fee war und sich nur so verkleidet hatte, um die Herzensgüte des Mädchens zu prüfen, sie sagte also: »Mein Kind, du bist so schön, gut und lieb, daß ich dir mit Vergnügen ein Geschenk machen will. Dies Geschenk besteht darin, daß jedes Wort, das du von nun an sprechen wirst, als eine Blume oder als ein Edelstein aus deinem Munde hervorkommen soll.«

Als sie nun nach Hause kam, zankte sie die Mutter, daß sie so lange ausgeblieben.

»Ich bitte dich um Verzeihung, meine Mutter«, sagte das Mädchen, »daß ich so spät komme« – und siehe da, wie sie das sagte, kamen aus ihrem Munde zwei Rosen, zwei Perlen und zwei große Diamanten hervor.

»Was seh ich!« rief die Mutter erstaunt, »ich glaube gar, sie spricht Perlen und Diamanten! Wie kommt das, mein Kind?« – Es war das erstemal in ihrem Leben, daß sie sie »mein Kind« nannte. – Das gute Mädchen erzählte ganz einfach und aufrichtig, was ihr begegnet war, und während sie erzählte, quollen eitel Perlen und Diamanten aus ihrem Munde.

»Das ist ja wunderbar«, rief die Mutter, »da muß gleich auch meine Tochter hin. Sieh mal, Suse, was da aus dem Munde deiner Schwester hervorkommt! Würde dir eine solche Eigenschaft nicht besser passen? Du darfst nur an den Brunnen gehen und Wasser schöpfen, und wenn ein altes Weib kommt und dich um einen Trunk bittet, höflich zu trinken geben.«

»Wahrhaftig«, antwortete die ältere, »das würde sich schön für mich schicken, an den Brunnen zu gehen!«

»Aber ich will es«, schrie die Mutter, »und du gehst sogleich.«

So ging sie denn, aber immer brummend, und die schönste silberne Kanne hatte sie mitgenommen. Am Brunnen stehend, sah sie eine prachtvoll geputzte Dame aus dem Walde herankommen, die sie um einen Trunk Wasser bat. Es war das, wie man leicht errät, dieselbe Fee, die ihrer guten Schwester erschienen war und welche jetzt in Gestalt einer Prinzessin auftrat, um zu sehen, wie weit die Unart der bösen gehen werde.

Diese antwortete, wie zu erwarten stand: »Bin ich deshalb hierhergekommen, um Euch zu bedienen? Freilich, man nimmt silberne Krüge ganz besonders für die fremde Frau mit! Wie? Meinetwegen trinket, wenn Ihr wollt. Es ist Wasser genug da.«

»Ihr seid nicht höflich, mein Kind«, sagte die Fee gelassen. – »Nun denn, weil Ihr so wenig zuvorkommend seid, beschenke ich Euch mit der Gabe, daß jedes Wort, das Ihr sprechet, aus Eurem Munde als Schlange oder Kröte hervorkomme.«

Sobald ihre Mutter sie erblickte, rief sie ihr entgegen: »Nun, meine Tochter, wie ist's?«

»Nun, meine Mutter, so ist's!« antwortete die Tochter und warf zwei Schlangen und zwei Kröten aus.

»Himmel! Was sehe ich?« schrie die Mutter. »An all dem ist deine Schwester schuld, sie soll es büßen!«

Sie lief, um die jüngere durchzuprügeln. Das arme Mädchen ergriff die Flucht und versteckte sich im Walde. Da kam der Königssohn von der Jagd zurück, sah sie, und weil sie so schön war, fragte er sie, warum sie so allein im Walde sei und warum sie so weine.

»Ach, mein Prinz«, antwortete sie, »meine Mutter hat mich aus dem Hause gejagt.«

Der Prinz, der aus ihrem Munde ein halbes Dutzend Perlen und Diamanten kommen sah, bat sie um Erklärung dieser schönen Sonderbarkeit. Sie erzählte und erklärte ihm, worauf er sich sogleich in sie verliebte, und bedenkend, daß eine solche Gabe mehr wert sei als irgendeine Mitgift irgendeiner Königstochter, nahm er sie mit heim in seinen Palast und heiratete sie.

Ihre Schwester, die durch die Gabe, Schlangen und Kröten zu sprechen, nicht gewonnen hatte und in deren Umgebung es immer unangenehmer wurde, überwarf sich zuletzt auch mit der Mutter, die sie aus dem Hause jagte. Nachdem sie lange unstet in der Welt umhergeirrt, und da niemand eine Person, die Schlangen und Kröten sprach, bei sich aufnehmen wollte, ging sie im wilden Walde jämmerlich zugrunde.


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