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Jeanne-Marie Leprince de Beaumont

Die Schöne und das Tier

La Belle et la bête

 

Es war einmal ein reicher Kaufmann, der hatte sechs Kinder, drei Söhne und drei Töchter.

Weil er ein kluger Mann war, sparte er nicht an ihrer Erziehung und ließ sie in den verschiedensten Fächern ausbilden. Seine Töchter waren alle sehr schön –besonders die Jüngste wurde sehr bewundert. Von Kindheit an nannte man sie nur ›die Schöne‹ und so behielt sie schließlich diesen Namen, sehr zum Ärger ihrer eifersüchtigen Schwestern. Die Jüngste war aber nicht nur schöner als ihre Schwestern, sie war auch von liebenswürdigem Wesen.

Die beiden Älteren dagegen waren sehr hochmütig, weil sie reich waren. Sie spielten die feinen Damen und weigerten sich, die anderen Kaufmannstöchter bei sich zu empfangen; nur Leute von Adel waren gut genug, ihnen Gesellschaft zu leisten.

Jeden Tag gingen sie auf Bälle, ins Theater, machten Spaziergänge in ihren teuren Kleidern und verspotteten ihre jüngere Schwester, die den größten Teil ihrer Zeit damit verbrachte, in ihren Lehrbüchern zu lesen.

Da man allgemein wusste, dass diese Mädchen sehr reich waren, baten mehrere wohlhabende Kaufleute um ihre Hand. Aber die beiden Älteren antworteten, dass es mindestens ein Herzog oder wenigstens ein Graf sein müsse, der für eine Heirat in Frage käme. Die Schöne aber dankte denen, die um sie anhielten, sehr freundlich, meinte jedoch, sie sei noch zu jung und wolle gerne noch einige Zeit bei ihrem Vater bleiben.

Eines Tages nun verlor der Kaufmann sein gesamtes Vermögen und ihm blieb nichts als ein kleines Landhaus ziemlich weit draußen vor der Stadt. Schweren Herzens gestand er seinen Kindern, sie müssten künftig in diesem Haus wohnen und wie die Bauern für ihren Lebensunterhalt arbeiten.

Seine beiden älteren Töchter entgegneten empört, sie wollten die Stadt nicht verlassen und hätten mehrere Verehrer, welche nur zu glücklich wären, sie heiraten zu können, auch ohne Vermögen. Die jungen Damen täuschten sich jedoch, ihre Verehrer kümmerten sich nicht mehr um sie, nachdem ihre Armut bekannt geworden war.

Da niemand die beiden wegen ihrer Überheblichkeit leiden mochte, sagte man: »Sie verdienen kein Mitleid, es ist uns durchaus recht, dass ihr Hochmut gemäßigt wird. Sollen sie doch die großen Damen spielen, wenn sie ihre Schafe hüten! Für die Schöne jedoch tut es uns sehr leid, sie ist ein so herzensgutes Mädchen, das immer ein freundliches Wort für die Armen hatte.«

Und so gab es immer noch ein paar Edelleute, die die Schöne heiraten wollten, obwohl sie jetzt mittellos war. Sie aber sagte, sie könne sich nicht entschließen, ihren armen Vater in seinem Unglück allein zu lassen; vielmehr wolle sie mit ihm aufs Land ziehen, um ihn zu trösten und ihm bei der Arbeit zu helfen.

Die arme Schöne war zuerst sehr niedergeschlagen gewesen, als sie ihr Vermögen verlor, aber dann entschloss sie sich: » Auch wenn ich noch so viel weine, meine Tränen bringen mir keinen Wohlstand zurück. Man muss versuchen, auch ohne Geld glücklich zu sein.«

Nach ihrem Umzug in das Landhaus begannen der Kaufmann und seine Söhne damit, die Felder zu bestellen.

Die Schöne stand um vier Uhr in der Frühe auf und beeilte sich, um die notwendigen Arbeiten im Haus zu erledigen und allen das Essen zu bereiten. Zuerst fiel es ihr sehr schwer, denn sie war die Arbeit einer Dienstmagd nicht gewöhnt. Nachdem jedoch zwei Monate vergangen waren, fühlte sie, wie ihre Kräfte gewachsen waren, und die körperliche Arbeit verhalf ihr zu strahlender Gesundheit. Nachdem sie ihre Tagesarbeit erledigt hatte, pflegte sie zu lesen, Klavier zu spielen oder beim Spinnen zu singen.

Ihre beiden Schwestern hingegen fanden das neue Leben todlangweilig. Sie verließen ihre Betten erst um zehn Uhr vormittags, stolzierten den ganzen Tag herum und vertrieben sich die Stunden damit, den alten Zeiten nachzutrauern, den schönen Kleidern und den glanzvollen Gesellschaften. »Sieh nur unsere Jüngste«, sagten sie zueinander, »sie ist ein so dummes Wesen, dass sie mit dieser unglücklichen Lage zufrieden ist.«

Der gute Kaufmann jedoch dachte nicht wie seine Töchter, sondern bewunderte die tapfere Haltung des jungen Mädchens und besonders ihre Geduld. Denn ihre Schwestern ließen sie nicht nur die ganze Hausarbeit allein verrichten, sondern beschimpften sie noch obendrein bei jeder Gelegenheit.

So verging ein Jahr, in dem die Familie in ihrer ländlichen Abgeschiedenheit lebte.

Da erhielt der Kaufmann eines Tages einen Brief, in dem man ihm mitteilte, dass ein Schiff, das Waren von ihm geladen hatte, glücklich angekommen sei.

Diese Nachricht entzückte die beiden Älteren, die nun glaubten, das langweilige Landleben endlich aufgeben zu können. Als sie ihren Vater reisefertig sahen, baten sie ihn, ihnen schöne Kleider, Haarschmuck und alle möglichen Kleinigkeiten mitzubringen. Die Schöne aber bat ihn um gar nichts, denn sie dachte bei sich, dass der ganze Erlös aus dem Warenverkauf nicht ausreichen würde, um alles zu bezahlen, was die Schwestern sich wünschten.

»Warum bittest Du mich nicht, Dir etwas zu kaufen?« fragte der Vater sie.

»Da Du so gütig bist, an mich zu denken«, antwortete sie, »so bitte ich Dich, mir eine Rose mitzubringen, denn es gibt hier keine.« Es ging der Schönen jedoch nicht so sehr um die Rose, sondern darum, sich nicht Vorwürfen der Schwestern auszusetzen, sie wolle durch ihre Bescheidenheit auffallen.

Der Kaufmann brach zu seiner Reise auf, aber am Ziel angekommen musste er um seine Waren einen Prozess führen und nach vergeblicher Mühe kam er ebenso arm zurück, wie er abgereist war.

Als er nur noch dreißig Meilen von seinem Haus entfernt war und sich schon darauf freute, seine Kinder wiederzusehen, da musste er einen großen Wald durchqueren und er verirrte sich schließlich darin. Es schneite unaufhörlich und der Wind blies so heftig, dass er zweimal vom Pferd stürzte. Als es Nacht wurde, glaubte er vor Hunger und Kälte sterben zu müssen oder sogar von den Wölfen gefressen zu werden, die er ringsum heulen hörte.

Plötzlich, als er sich am Ende einer langen Allee umsah, erblickte er ein helles Licht, das aber noch weit entfernt zu sein schien. Er ging in dieser Richtung weiter und merkte, dass der Lichtschein von einem großen Schloss ausging, das strahlend hell erleuchtet war.

Der Kaufmann dankte Gott für die Rettung und ging eilends auf das Schloss zu, aber zu seiner großen Überraschung fand er in den verlassenen Höfen niemanden. Sein Pferd, das ihm gefolgt war, sah einen großen Stall offen stehen, es ging hinein, fand Heu und Hafer vor und das arme ausgehungerte Tier stürzte sich gierig darauf. Der Kaufmann band es im Stall fest und wandte sich zum Wohntrakt des Schlosses, in dem er gleichfalls niemanden antraf. In einem großen Saal aber entdeckte er ein schönes Kaminfeuer und eine mit Speisen reich beladene Tafel, auf der indes nur ein Gedeck für eine Person lag. Da ihn Regen und Schnee bis auf die Haut durchnässt hatten, setzte er sich an den Kamin, um seine Kleider zu trocknen. Er sagte zu sich: » Der Hausherr oder seine Diener werden bestimmt bald kommen und sie werden es mir verzeihen, dass ich mir diese Freiheit genommen habe.«

Er wartete ein ganze Weile, aber als es elf Uhr schlug, ohne dass jemand zu sehen war, konnte er seinen Hunger nicht mehr bändigen, nahm ein gebratenes Huhn und verzehrte es hastig und vor Hunger zitternd. Er trank einige Schlucke Wein und er verließ, nun mutiger geworden, den Saal und durchschritt mehrere große und prächtig eingerichtete Räume. Schließlich fand er ein Zimmer, in dem ein gemütliches Bett stand. Mitternacht war mittlerweile vorüber und da er sehr müde geworden war, beschloss er, sich schlafen zu legen und verschloss die Tür.

Es war schon zehn Uhr morgens, als er sich am folgenden Morgen erhob, und er war sehr erstaunt, als er gepflegte, saubere Kleidung an Stelle der eigenen vorfand, die von der Nässe ganz verdorben war. »Sicherlich«, sagte er zu sich, »gehört dieses Schloss einer guten Fee, die Mitleid mit meiner Lage hat.«

Er blickte aus dem Fenster und sah zu seiner Überraschung draußen keinen Schnee mehr, sondern blühende Laubenbögen, die einen bezaubernden Ausblick boten. Er kehrte in den großen Saal zurück, in dem er abends zuvor gespeist hatte, und entdeckte einen kleinen Tisch, auf dem heiße Schokolade einladend dampfte.

»Ich danke Ihnen, verehrte Fee«, sagte er laut, »dass Sie die Güte haben, an mein Frühstück zu denken.«

Nachdem er seine Schokolade getrunken hatte, ging er hinaus, um sein Pferd zu holen. Als er unter einem der blühenden Rosenbögen hindurchschritt, erinnerte er sich an die Bitte der Schönen um eine Rose und er brach einen Zweig mit mehreren Blüten ab.

Im gleichen Augenblick hörte er einen gewaltigen Lärm und er sah ein so schreckliches Ungeheuer auf sich zukommen, dass er einer Ohnmacht nahe war.

»Du bist sehr undankbar«, warf ihm das Tier mit furchtbarer Stimme vor, »ich habe Dir das Leben gerettet, indem ich Dich in meinem Schloss aufnahm und zum Dank dafür stiehlst Du mir meine Rosen, die ich mehr als alles in der Welt liebe. Dieses Vergehen kann nur mit deinem Tod gesühnt werden. Ich gebe Dir eine Viertelstunde Zeit für Deine Gebete zu Gott.«

Der Kaufmann warf sich auf die Knie und flehte das Tier an, indem er die Hände faltete:

»Gnädiger Herr, verzeihen Sie mir, ich glaubte, es würde niemanden stören, als ich eine Rose für eine meiner Töchter pflückte, die mich darum gebeten hat.«

»Nenn mich nicht ›gnädiger Herr‹«, schnaubte das Ungeheuer, »sondern vielmehr ›Tier‹! Ich mag keine Höflichkeiten und will, dass man sagt, was man denkt. Also glaube nicht, mich mit Deinen Schmeicheleien rühren zu können. Doch sagtest Du nicht, Du hättest Töchter? Nun, ich will Dich wohl verschonen, aber nur unter der Bedingung, dass eine Deiner Töchter bereit ist, herzukommen und an Deiner Stelle zu sterben. Versuche nicht, mich umzustimmen, geh', und falls sich Deine Töchter weigern, für Dich zu sterben, so schwöre mir jetzt, dass Du in drei Monaten zurückkommen wirst.«

Der gute Kaufmann hatte nicht die Absicht, eine seiner Töchter diesem hässlichen Ungeheuer zu opfern, aber er hoffte bei sich, vor seinem eigenen Tod wenigstens noch einmal die Freude zu haben, sie wiederzusehen und zu umarmen. Er schwor also, er werde zurückkommen, und das Tier erlaubte ihm abzureisen, wann er wolle.

»Aber«, fügte es hinzu, »ich will nicht, dass Du mit leeren Händen davon gehst. In Deinem Schlafzimmer findest Du einen großen Koffer. Du kannst hineinlegen, was Dir gefällt; ich lasse ihn zu Deinem Haus bringen.«

Mit diesen Worten zog sich das Ungeheuer zurück und der Kaufmann sagte zu sich: »Wenn ich auch sterben muss, so habe ich doch den Trost, meinen armen Kindern etwas für ihren Lebensunterhalt hinterlassen zu können.« Also kehrte er in sein Schlafzimmer zurück und fand dort eine große Menge an Goldmünzen, füllte sie in den großen Koffer, von dem das Tier gesprochen hatte und verschloss ihn. Er holte sein Pferd aus dem Stall und verließ das Schloss ebenso traurig, wie er es zuvor erleichtert betreten hatte. Das Pferd schlug von selbst den richtigen Waldweg ein und nach wenigen Stunden gelangte der Kaufmann zu seinem kleinen Haus.

Seine Kinder umringten ihn freudig, aber anstatt sich über ihre Begrüßung zu freuen, begann der Vater bei ihrem Anblick zu weinen. Er hielt den Rosenzweig, den er seiner Tochter mitgebracht hatte, in der Hand und gab ihn der Schönen mit den Worten: »Nimm diese Rosen, Schöne, sie kommen Deinen armen Vater teuer zu stehen.« Und dann erzählte er seiner Familie von dem unheilbringenden Abenteuer, das ihm zugestoßen war. Bei dieser Erzählung stießen die beiden älteren Schwestern laute Schreie aus und machten der Schönen, die nicht weinte, Vorwürfe: »Da seht, was der Stolz dieser Person anrichtet!« sagten sie. »Warum hat sie nicht um modische Kleinigkeiten gebeten wie wir, aber nein, das Fräulein wollte etwas Besseres sein. Sie ist Schuld daran, dass unser Vater sterben muss und weint noch nicht einmal!«

»Das ist auch nicht nötig, warum sollte ich den Tod meines Vaters beweinen?« entgegnete die Schöne. »Er wird nicht sterben. Da das Ungeheuer eine seiner Töchter als Ersatz nehmen will, werde ich mich seiner Wut ausliefern und ich bin sehr glücklich, dass ich meinen Vater hierdurch retten und ihm meine Liebe beweisen kann.«

»Nein, liebe Schwester«, widersprachen ihre drei Brüder, »Du sollst nicht sterben. Es ist unsere Sache, das Ungeheuer zu finden und es zu töten oder unter seinen Klauenhieben umzukommen.«

»Es besteht keine Hoffnung, es vernichten zu können, meine lieben Kinder«, sagte der Kaufmann zu ihnen, »die Kräfte dieses Ungeheuers sind zu groß. Die gute Absicht der Jüngsten hat mich sehr gerührt, aber ich will sie nicht dem sicheren Tod aussetzen. Ich bin alt und habe nur noch kurze Zeit zu leben, darum habe ich nur einige Lebensjahre zu verlieren.«

»Mein lieber Vater«, antwortete die Schöne, »auf keinen Fall wirst Du allein zu diesem Schloss gehen, Du kannst mich nicht daran hindern, Dir zu folgen. Wenn ich auch jung bin, so hänge ich doch nicht sehr am Leben. Lieber wäre es mir, vom Ungeheuer gefressen zu werden, als aus Kummer über Deinen Tod zu sterben.«

Alles Reden war vergeblich; die Schöne bestand darauf, selbst zum Schloss aufzubrechen. Die Schwestern freuten sich insgeheim sie loszuwerden, denn über die Tugenden der Jüngsten hatten sie sich schon lange eifersüchtig geärgert.

Der Kaufmann war so verzweifelt darüber, seine Tochter zu verlieren, dass er gar nicht mehr an die goldgefüllte Truhe dachte. Doch als er sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte, um sich auszuruhen, fand er sie zu seiner Überraschung neben seinem Bett stehen.

Er beschloss, seinen Kindern nichts von dem plötzlichen Reichtum zu erzählen. Seine beiden älteren Töchter hätten daraufhin sicher wieder in die Stadt zurückkehren wollen; er jedoch war entschlossen, bis zuletzt auf dem Land zu bleiben.

Nur die Schöne zog er ins Vertrauen. Sie berichtete ihm, dass sie während seiner Abwesenheit Besuch von einigen Edelleuten bekommen hatten, so auch von zwei Verehrern ihrer Schwestern. Sie bat den Vater, das Geld als Mitgift für ihre Schwestern zu verwenden, damit diese heiraten könnten. Ihre Güte war so groß, dass sie die beiden liebte und ihnen von ganzem Herzen verzieh, was diese ihr angetan hatten.

Als die Schöne mit ihrem Vater abreiste, rieben sich die beiden boshaften Töchter die Augen mit einer Zwiebel ein, um beim Abschied der Schwester einige Tränen vergießen zu können. Ihre Brüder aber weinten echte Tränen ebenso wie der Kaufmann. Nur die Schöne weinte nicht, um den Schmerz der anderen nicht noch zu vergrößern.

Das Pferd schlug den Weg zum Schloss ein und gegen Abend sahen sie es vor sich, hell erleuchtet wie beim ersten Mal.

Wieder ging das Pferd allein in den Stall und der Kaufmann betrat mit seiner Tochter den großen Saal, in dem sie einen reichgedeckten Tisch, diesmal für zwei Personen, vorfanden.

Dem Vater war das Herz schwer und er verspürte keinen Hunger, aber die Schöne bemühte sich, gelassen zu erscheinen, setzte sich an den Tisch und reichte dem Vater die Speisen. Bei sich dachte sie: »Das Ungeheuer will mich wohl mästen, bevor es mich frisst, weil es mich so großzügig bewirtet.«

Kaum hatten sie zu Ende gespeist, da hörten sie einen gewaltigen Lärm und der Kaufmann verabschiedete sich unter Tränen von seiner Tochter, denn er wusste, dass nun das Ungeheuer kam. Beim Anblick der schrecklichen Gestalt erschrak die Schöne sehr, aber sie fasste sich so gut sie konnte und als das Ungeheuer sie fragte, ob sie freiwillig gekommen sei, schaffte sie es, wenn auch zitternd, »Ja« zu sagen.

»Du bist sehr gütig«, sagte das Ungeheuer, »und ich bin Dir sehr verbunden. Du aber, guter Mann, wirst morgen abreisen und getraue Dich nicht, jemals wieder hierher zurückzukehren. –Bis später, Schöne.«

»Bis später, Tier«, antwortete sie und sogleich zog sich das Ungeheuer zurück.

»Oh, mein Kind«, sagte der Kaufmann, indem er seine Tochter umarmte, »ich bin halbtot vor Angst. Hör auf mich und lass mich hier bleiben.«

»Nein, mein Vater«, antwortete die Schöne entschlossen, »Du reist morgen früh ab und überlässt mich dem Schutz des Himmels; vielleicht hat man dort Mitleid mit mir.«

Sie begaben sich zur Ruhe und glaubten, die ganze Nacht kein Auge zu tun zu können, doch kaum hatten sie sich niedergelegt, als sie auch schon einschliefen.

Im Traum sah die Schöne eine Dame, die zu ihr sagte: »Ich bin mit Deinem guten Herzen zufrieden, meine Schöne. Die gute Tat, Dein Leben zu opfern, um das Deines Vaters zu retten, wird nicht ohne Belohnung bleiben.«

Die Schöne berichtete beim Aufwachen ihrem Vater von diesem Traum und wenn er ihn auch ein wenig tröstlich fand, so überwältigte ihn doch beim Abschied die Verzweiflung und er trennte sich unter lauten Klagen von seiner geliebten Tochter.

Als er abgereist war, setzte sich die Schöne in den großen Saal und begann ebenfalls zu weinen. Weil sie aber viel Mut besaß, empfahl sie ihr Schicksal dem lieben Gott und sie beschloss, in den wenigen Stunden, die ihr verblieben, nicht länger mit dem Unabänderlichen zu hadern. Sie war fest davon überzeugt, das Ungeheuer werde sie abends auffressen.

In der Zwischenzeit, so entschied sie sich, wollte sie sich ein wenig umsehen, denn das Schloss war wirklich schön, wie sie aufrichtig bewundernd feststellte. Doch sie war sehr überrascht, als sie eine Tür entdeckte, auf der geschrieben stand: »Wohnung der Schönen«. Eilig öffnete sie die Tür und war wie geblendet von der Pracht, die dort herrschte; was ihr aber am meisten auffiel, waren ein großer Bücherschrank, ein Klavier und mehrere Notenbücher.

»Man möchte nicht, dass ich mich langweile«, sagte sie leise zu sich und sie überlegte weiter, »wenn mir nur noch ein Tag hier verbleiben soll, hätte man nicht so viel für mich angeschafft.«

Dieser Gedanke gab ihr neuen Mut und sie öffnete den Bücherschrank. Darin fand sie ein Buch, in dem in goldenen Buchstaben geschrieben stand: »Nenne Deine Wünsche und erteile Deine Befehle. Du bist hier die Königin und Hausherrin.«

»Ach«, dachte sie seufzend, »ich wünsche mir nichts anderes, als meinen armen Vater zu sehen und zu erfahren, wie es ihm gerade geht.« Sie hatte diese Worte nur zu sich selbst gesagt. Wie groß war ihr Erstaunen, als ihr Blick auf einen großen Spiegel fiel, in dem sie ihr Zuhause erkannte und ihren Vater, der gerade höchst niedergeschlagen dort eintraf. Ihre Schwestern liefen ihm entgegen, aber trotz aller Anstrengungen, die sie unternahmen, um mitfühlend zu wirken, sah man ihren Gesichtern die Freude über den Verlust der Jüngsten an.

Einen Augenblick später waren die Bilder wieder verschwunden und die Schöne begann darüber nachzusinnen, dass das Tier doch recht fürsorglich sei und dass sie vielleicht nichts von ihm zu befürchten hätte.

Mittags fand sie den Tisch erneut gedeckt und während ihrer Mahlzeit vernahm sie herrliche Musik, obwohl sie niemanden sah.

Am Abend, als sie sich erneut zum Essen begeben wollte, hörte sie das Dröhnen, das das Herannahen des Ungeheuers begleitete, und sie begann unwillkürlich zu zittern.

»Schöne«, sprach das Ungeheuer sie an, »erlaubst Du wohl, dass ich Dir beim Speisen zusehe?«

»Du bist hier der Hausherr«, antwortete ihm die Schöne verängstigt.

»Nein«, entgegnete das Ungeheuer, »es gibt niemanden außer Dir, der hier befehlen kann. Du brauchst mir nur zu sagen, dass ich mich entfernen soll, wenn ich Dir lästig falle und ich werde sofort gehen. Sag' mir, ist es nicht so, dass Du mich sehr hässlich findest?«

»Das ist wahr«, gestand die Schöne, »denn es fällt mir schwer zu lügen. Aber ich glaube, dass Du ein gutes Herz hast.«

»Das mag sein«, sagte das Ungeheuer, »aber ich bin nicht nur hässlich, sondern mir fehlen darüber hinaus Geist und Witz. Ich weiß sehr wohl, dass ich nur ein dummes Tier bin.«

»Man ist nicht dumm, wenn man glaubt, nicht klug zu sein«, entgegnete die Schöne, »ein dummes Tier wäre nie zu solchen Überlegungen fähig.«

»Nun iss doch, Schöne«, bat das Ungeheuer sie, »und versuche, Dich in Deinem Haus nicht zu langweilen. Denn alles hier steht zu Deiner Verfügung und ich wäre traurig, wenn etwas nicht zu Deiner Zufriedenheit gelungen wäre.«

»Du bist sehr gütig«, sagte die Schöne, »ich gestehe Dir, ich freue mich über Dein gutes Herz und wenn ich daran denke, kommst Du mir gar nicht mehr so hässlich vor.«

»Ach ja«, antwortete das Tier, »vielleicht habe ich ein gutes Herz, aber ich bleibe doch ein Ungeheuer.«

»Es gibt viele Menschen, die größere Ungeheuer sind, als Du es bist«, erwiderte die Schöne, »und ich mag Dich in Deiner Gestalt lieber als die, die unter ihrer menschlichen Gestalt ein falsches, undankbares Herz verbergen.«

»Wenn ich wortgewandt wäre«, bekannte das Tier, »würde ich Dir jetzt ein großes Kompliment machen, um Dir zu danken. Aber ich bin ein Tölpel und alles, was ich Dir sagen kann, ist, dass ich Dir sehr verbunden bin.«

Die Schöne speiste nun mit gutem Appetit. Sie empfand kaum noch Angst vor dem Ungeheuer, aber dann erschrak sie zutiefst, als es sie fragte: »Schöne, willst Du meine Frau werden?«

Sie schwieg eine Zeitlang ängstlich, denn sie fürchtete, durch ihre Weigerung den Zorn des Ungeheuers zu erregen. Dennoch sagte sie schließlich zitternd: »Nein, Tier.«

In dem Moment seufzte das Tier mit einem derartig schrecklichen Stöhnen, dass das ganze Schloss davon widerhallte.

Die Schöne beruhigte sich jedoch bald wieder, denn das Tier sagte nur traurig: »Dann bis später, Schöne«, und es verließ den Raum, indem es sich von Zeit zu Zeit umdrehte, um sie noch einmal zu betrachten.

Als die Schöne allein war, empfand sie großes Mitgefühl mit diesem armen Tier.

»Ach«, sagte sie zu sich, »es ist schade, dass es so hässlich ist; es ist so freundlich!«

Drei Monate verbrachte die Schöne nun in diesem Schloss und führte ein recht ruhiges Leben. Jeden Abend besuchte das Tier sie und unterhielt sich während des Essens anregend und voller Verständnis mit ihr. Von Tag zu Tag entdeckte die Schöne neue gute Eigenschaften an dem Ungeheuer.

Die Gewohnheit, es regelmäßig zu sehen, hatte sie mit seiner Hässlichkeit vertraut gemacht. Mittlerweile fürchtete sie seine Besuche nicht mehr, sondern schaute oft auf die Uhr, um zu sehen, ob es nicht bald neun Uhr wäre, denn das Tier kam stets zu dieser Stunde.

Es gab nur eines, das der Schönen Kummer bereitete: jedes Mal, bevor das Tier sie wieder verließ, um sich schlafen zu legen, fragte es die Schöne, ob sie seine Frau werden wolle. Und wenn sie dann jedes Mal mit »nein« antwortete, schien es ganz verzweifelt zu sein.

Eines Tages sagte sie: »Du tust mir leid, Tier. Ich wünschte, ich könnte Dich heiraten, aber ich will offen zu Dir sein und Dich nicht glauben lassen, dass dies jemals geschehen könnte.

Aber ich werde Dich immer gern haben; versuche, Dich damit zu begnügen.«

»So muss es wohl sein«, entgegnete das Tier, »und wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, dann weiß ich, dass man mich fürchtet, aber ich liebe Dich sehr. Immerhin bin ich schon glücklich, dass Du gern hier bleiben willst. Versprich mir, dass Du mich niemals verlassen wirst.«

Die Schöne wurde bei diesen Worten verlegen; sie hatte in ihrem Spiegel gesehen, dass ihr Vater vor Trauer darüber, sie verloren zu haben, krank geworden war und sie wünschte sich, ihn noch einmal wiederzusehen.

»Ich würde Dir gern versprechen, Dich nie endgültig zu verlassen«, sagte die Schöne zum Tier, »aber ich möchte so sehr meinem Vater noch einmal begegnen, dass ich vor Sehnsucht sterben werde, wenn Du mir diese Bitte abschlägst.«

»Ich will lieber selbst sterben, als Dich traurig zu sehen«, antwortete das Tier. »Ich werde Dich zu Deinem Vater schicken, Du wirst dort bleiben und Dein armes Tier wird vor Schmerz darüber zugrunde gehen.«

»Nein«, sagte die Schöne weinend, »ich habe Dich viel zu gern, um Deinen Tod verursachen zu wollen. Ich verspreche Dir, in acht Tagen zurückzukommen. Du hast mich im Spiegel sehen lassen, dass meine Schwestern verheiratet sind und dass meine Brüder zur Armee gegangen sind. Mein Vater ist ganz allein –bitte erlaube, dass ich eine Woche bei ihm bleiben kann.«

»Schon morgen früh wirst Du zu Hause sein«, sagte das Tier, »aber erinnere Dich an Dein Versprechen. Du brauchst nur Deinen Ring beim Schlafengehen auf einen Tisch zu legen, wenn Du zu mir zurückkommen willst. Leb' wohl, Schöne.«

Das Tier seufzte wie gewohnt bei diesen Worten und die Schöne ging schlafen, unglücklich darüber, ihr Tier so niedergeschlagen und traurig zu sehen.

Als sie am nächsten Morgen erwachte, befand sie sich im Haus ihres Vaters. Sie läutete eine Glocke, die sie neben ihrem Bett fand und schon kam eine Magd herein, die bei ihrem Anblick einen lauten Schrei ausstieß.

Ihr Vater eilte auf diesen Lärm hin herbei und war außer sich vor Freude, seine liebe Tochter wiederzusehen und sie hielten sich mehr als eine Viertelstunde lang fest umarmt.

Nach diesen ersten Aufregungen fiel der Schönen ein, dass sie nichts zum Anziehen dabei hätte; aber die Magd berichtete ihr, dass gerade im Nebenzimmer eine große Truhe voller goldbestickter und diamantenbesetzter Kleider gefunden worden war.

Die Schöne war dem guten Tier dankbar für diese Aufmerksamkeit und wählte das bescheidenste Kleid aus. Dann befahl sie der Magd, die anderen wieder einzupacken, um sie ihren Schwestern zu schenken. Doch kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, da verschwand die Truhe.

Ihr Vater meinte daraufhin zu ihr, das Tier hätte diese Kleider wohl nur für sie vorgesehen –und sogleich stand die Truhe mit den Kleidern wieder an ihrem Platz.

Die Schöne kleidete sich an und in der Zwischenzeit wurden ihre Schwestern benachrichtigt, die mit ihren Ehemännern herbeieilten. Beide Schwestern waren in ihren Ehen sehr unglücklich geworden. Die Älteste hatte einen Edelmann geheiratet, der so schön wie Amor war, aber er war so in sein gutes Aussehen verliebt, dass er sich von morgens bis abends mit nichts anderem beschäftigte und die Schönheit seiner Frau übersah. Die Zweite hatte einen wortgewandten Mann geheiratet, doch dieser nutzte seine Begabung nur, um alle Welt gegeneinander aufzubringen und seine Ehefrau zu verärgern.

Als die Schwestern die Jüngste begrüßten, erkannten sie voller Neid, dass die Schöne elegant und vornehm gekleidet war und so schön war, wie der junge Morgen.

Vergeblich war die Schöne herzlich und freundlich zu ihnen. Sie wurden nur noch eifersüchtiger, als sie ihnen erzählte, wie glücklich sie geworden war.

Die beiden Eifersüchtigen liefen in den Garten, um sich auszuweinen. Dort fragten sie sich: »Warum hat diese dumme Kleine mehr Glück als wir? Sind wir nicht viel liebenswerter als sie?«

»Schwester«, sagte da die Ältere, »ich habe eine Idee. Versuchen wir doch, sie länger als acht Tage hier zu behalten. Ihr dummes Tier wird über das gebrochene Versprechen in Zorn geraten und sie vielleicht auffressen.«

»Wie recht Du hast, Schwester«, antwortete die andere, »um das zu erreichen, müssen wir sie sehr umschmeicheln.«

Nachdem sie diesen Entschluss gefasst hatten, gingen sie ins Haus zurück und waren so voller Liebenswürdigkeit zu ihrer Schwester, das diese vor Freude und Erleichterung in Tränen ausbrach. Als die acht Tage vergangen waren, rauften sich die beiden eifersüchtigen Schwestern die Haare und taten angesichts der baldigen Abreise der Schönen so verzweifelt, dass diese versprach, noch weitere acht Tage zu bleiben.

Bald jedoch besann sich die Schöne auf den Kummer, den sie ihrem armen Tier bereitete, das sie doch so von Herzen liebte und sie sehnte sich nach seiner Gesellschaft.

In der zehnten Nacht daheim träumte sie, sie sei im Garten des Schlosses und träfe das Tier im Gras reglos liegend an, sterbenskrank und unglücklich wegen ihrer Undankbarkeit.

Die Schöne erwachte sogleich und brach in Tränen aus. »Was bin ich für ein schlechter Mensch«, fragte sie sich, »ein Tier so zu enttäuschen, das mich so gern hat? Ist es denn sein Fehler, dass es so hässlich ist und so wenig redegewandt? Es hat ein gutes Herz, das ist mehr wert als alles andere. Warum nur wollte ich es nicht heiraten? Mit ihm wäre ich viel glücklicher, als es meine Schwestern mit ihren Männern geworden sind. Weder Schönheit noch Wortwitz eines Mannes machen eine Frau glücklich, sondern es sind ein edler Charakter, Tugend und Verständnis. Das Tier hat alle diese guten Eigenschaften. Liebe ist es zwar nicht, die ich für es empfinde, aber Freundschaft, Achtung und Dankbarkeit. Jetzt aber schnell, ich will es nicht unglücklich werden lassen. Mein ganzes Leben lang würde ich mir diese Schuld vorwerfen.«

Mit diesen Worten erhob sich die Schöne, legte ihren Ring auf den Tisch und legte sich zurück ins Bett. Sie schlief sofort ein und als sie am Morgen erwachte, sah sie voller Freude, dass sie sich wieder im Schloss des Tieres befand. Sie zog ihr schönstes Kleid an, um ihm zu gefallen und die Zeit wurde ihr lang, während sie auf den Abend und die neunte Stunde wartete.

Doch die Uhr schlug vergeblich, das Tier erschien nicht. Die Schöne fürchtete, jetzt doch seinen Tod bewirkt zu haben. Laut rufend lief sie durch das Schloss und war außer sich vor Verzweiflung. Nachdem sie überall gesucht hatte, erinnerte sie sich an ihren Traum und rannte in den Garten, so, wie sie es im Schlaf vorausgesehen hatte.

Dort fand sie das arme Tier auch wirklich. Es lag bewusstlos da und sie glaubte, es sei bereits tot. Ohne zu Zaudern warf sie sich über seinen Körper und als sie fühlte, dass sein Herz noch schlug, da holte sie Wasser aus einem nahen Weiher und goss es ihm über den Kopf.

Das Tier öffnete die Augen und sagte zu der Schönen: »Du hast vergessen, was du mir versprochen hast. Aus Verzweiflung, Dich verloren zu haben, habe ich mich entschlossen, mich zu Tode zu hungern. Aber ich sterbe zufrieden, weil ich die Freude habe, Dich noch einmal zu sehen.«

»Nein, mein liebes Tier«, sagte die Schöne, »Du wirst nicht sterben. Du wirst leben, um mein Ehemann zu werden. In diesem Augenblick gebe ich Dir meine Hand und ich schwöre, dass ich nur Dir gehören werde. Bisher habe ich geglaubt, nur Freundschaft für Dich zu empfinden, aber der Schmerz, den ich jetzt spüre, zeigt mir, dass ich ohne Dich nicht leben kann.«

Kaum hatte die Schöne diese Worte ausgesprochen, sah sie das Schloss in vollem Lichterglanz erstrahlen. Feuerwerk erhellte den Himmel, Musik erklang –alles kündigte ein großes Fest an. Aber all die Pracht konnte ihren Blick nicht fesseln. Sie wandte sich wieder ihrem lieben Tier zu, denn die Gefahr, in der es schwebte, ängstigte sie sehr.

Doch wie groß war ihre Überraschung! Das Tier war verschwunden und zu ihren Füßen sah sie einen Prinzen liegen, schön wie Amor selbst, der ihr dafür dankte, dass sie ihn von seiner Verzauberung erlöst hatte. Obwohl dieser Prinz sicher mit höflicher Aufmerksamkeit behandelt werden musste, konnte sie nicht anders handeln, als ihn zu fragen, wo das Tier sei.

»Du siehst es zu Deinen Füßen«, antwortete der Prinz, »eine böse Fee hat mich verwünscht, solange in dieser hässlichen Tiergestalt zu leben, bis ein schönes Mädchen bereit wäre, mich zu heiraten. Außerdem hat sie mir verboten, mein menschliches Wesen erkennen zu lassen. Und so warst Du der einzige Mensch auf der Welt, der sich von meinen guten Eigenschaften rühren ließ. Und wenn ich Dir jetzt meine Krone anbiete, wird dies doch zu wenig sein, um Dir gegenüber meine ganze Dankbarkeit zu zeigen.«

Die Schöne war freudig überrascht, reichte dem Prinzen ihre Hand und er erhob sich.

Zusammen gingen sie zum Schloss und die Schöne war außer sich vor Freude, als sie im großen Schlosssaal von ihrem Vater und ihrer ganzen Familie erwartet wurde.

Die schöne Dame, die ihr damals im Traum erschienen war, hatte alle ins Schloss gebracht.

»Schöne«, sagte die Dame, die eine angesehene Fee war, zu ihr, »Du hast die Belohnung für Deine gute Wahl erhalten. Der Tugend hast Du den Vorzug vor Schönheit und Redegewandtheit gegeben. Du verdienst es, einen Menschen gefunden zu haben, der alle diese Eigenschaften besitzt. Du wirst eine große Königin werden und ich hoffe, dass diese hohe Stellung Dein liebes Wesen nicht verändern wird.

Was aber Euch betrifft, junge Damen«, wandte sich die Fee an die beiden Schwestern der Schönen, »Euer Herz kenne ich sehr wohl und all die Bosheit, die darin verborgen ist. Ihr werdet in zwei Statuen verwandelt werden. Aber unter der steinernen Hülle, die Euch umgibt, behaltet Ihr die Fähigkeit zu denken und zu fühlen. Ihr werdet am Schlossportal aufgestellt werden und müsst zur Strafe dem Glück Eurer Schwester zuschauen. Und erst dann könnt Ihr Eure alte Gestalt zurückerhalten, wenn Ihr Eure Fehler eingesehen habt. Aber ich fürchte, Ihr werdet immer Statuen bleiben. Denn man kann Hochmut, Jähzorn und Trägheit in sich bekämpfen, aber die Umwandlung eines boshaften und neidischen Herzens ist ein seltenes Wunder.«

Im nächsten Augenblick schwang die Fee ihren Zauberstab und brachte damit alle, die im Saal versammelt waren, in das Königreich des Prinzen. Dort begrüßten ihn seine Untertanen freudig, er vermählte sich mit der Schönen und sie lebten lange und in dem vollkommenen Glück miteinander, das aus der Kraft des Guten entsteht.


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