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2. Die geheimnisvollen Handschriften

Reb Adam hatte einen Sohn, und zu dem sprach er vor seinem Tode folgendes: »Ich hinterlasse dir sehr wertvolle Handschriften, du bist aber noch nicht würdig, in ihnen zu lesen. Darum sollst du nach der Stadt Okup reisen und dort einen Menschen aufsuchen, der Israel heißt und vierzehn Jahre alt ist. Und ihm sollst du die Handschriften anvertrauen. Und wenn du die Gnade findest, wird er mit dir in diesen Handschriften lesen.«

Als Reb Adam gestorben war, fuhr sein Sohn nach Okup und kehrte im Hause des Gemeindevorstehers ein. Dieser fragte ihn: »Was führt Euch her?« Und Reb Adams Sohn antwortete: »Mein Vater ist gestorben und hat mir vor dem Tode befohlen, daß ich mir ein Weib aus Eurer Stadt nehme.« Man schlug ihm verschiedene Partien vor, und schließlich nahm er sich die Tochter eines sehr reichen Mannes.

Bald nach der Hochzeit begann er, den Israel, zu dem er gesandt war, zu suchen. Der Bethausdiener fiel ihm auf; es schien ihm, daß er der betreffende Israel sein müsse, und er begann ihn aufmerksam zu beobachten. Er bat seinen Schwiegervater, er möchte ihm eine Klause am Bethause anbauen, damit er für sich allein studieren könne. Der Schwiegervater tat so und stellte den Bethausdiener Israel als Diener bei seinem Schwiegersohne an. Wenn der Sohn Reb Adams nachts schlief, stand Israel auf und studierte die Thora und betete, wie es seine Gewohnheit war. Und als Israel einmal einschlief, nahm Reb Adams Sohn ein Blatt von seinen Handschriften und legte es neben den Schlafenden. Als Israel erwachte und das Blatt sah, begann er zu zittern und nahm das Blatt zu sich. Am nächsten Tag legte er ihm wieder ein Blatt hin, und Israel nahm es wieder zu sich. Nun begriff der Sohn des Rabbi, daß sein Vater diesen Israel gemeint hatte.

Reb Adams Sohn rief nun Rabbi Israel zu sich heran und sagte ihm: »Sollst wissen, daß mein Vater mir Handschriften hinterlassen hat, die ich dir anvertrauen soll, doch unter der Bedingung, daß du sie mit mir studierst.« Darauf antwortete Rabbi Israel: »Gut, es soll aber niemand etwas davon erfahren. Ich werde wie bisher dein Diener sein.«

Reb Adams Sohn bat nun seinen Schwiegervater, er möchte ihm eine Klause außerhalb der Stadt bauen lassen, damit er in voller Einsamkeit leben könne. Dieser erfüllte den Wunsch. Als die Leute sahen, daß Reb Adams Sohn mit seinem Diener wie mit einem Freund umging, hielten sie es für eine große Ehre für diesen. Und sie gaben Rabbi Israel eine der Töchter der Stadt zum Weibe; sie starb aber bald nach der Hochzeit. Reb Adams Sohn und Rabbi Israel saßen ganze Tage in der Klause außerhalb der Stadt und studierten die Gemara und die Kabbala.

Einmal bat Reb Adams Sohn Rabbi Israel, er möchte den Fürsten der Gelehrsamkeit vom Himmel herabrufen, damit sie mit ihm gemeinsam studierten. Rabbi Israel wollte es seinem Schüler ausreden und sagte: »Es ist eine große Gefahr dabei, denn wir können uns in den Beschwörungen irren.« Reb Adams Sohn bat aber sehr inständig. Also fasteten sie von Sabbat zu Sabbat, reinigten Leib und Seele, und beim Sabbatausgang nahmen sie die nötigen Andachtsübungen vor. Plötzlich rief Rabbi Israel aus: »Wehe, wir haben uns geirrt: der Fürst des Feuers fährt vom Himmel herab! Er wird die ganze Stadt verbrennen! Laufe schnell in die Stadt und sage den Leuten, daß sie sich und ihr Hab und Gut aus den Häusern retten!« Seit der Zeit betrachteten die Leute der Stadt Rabbi Israel als einen Wundertäter, denn ohne seine Warnung wäre alles verbrannt.

Einige Zeit darauf bat Reb Adams Sohn Rabbi Israel wieder, er möchte den Fürsten der Gelehrsamkeit herabrufen, und Rabbi Israel ließ sich wieder dazu bewegen. Als sie mit den Übungen begonnen hatten, schrie Rabbi Israel auf: »Wehe! Es ist über uns beiden der Tod beschlossen worden. Es gibt aber eine Rettung: nämlich, wenn wir diese Nacht nicht schlafen.« Sie durchwachten die Nacht, doch kurz vor Tagesanbruch schlief Reb Adams Sohn ein und starb. Rabbi Israel lief in die Stadt und rief: »Der Sohn Reb Adams ist in Ohnmacht gefallen!« Die Leute liefen herbei, versuchten ihn zur Besinnung zu bringen, doch er war schon tot.


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